Seit nunmehr einem guten Jahr kämpfen wir als Gesellschaft gegen die Corona-Pandemie. Jede:r auf andere Art und Weise, jede:r mit unterschiedlichen Schwierigkeiten. Ein anderer Artikel in diesem Blog lautete „Klatschen reicht nicht aus!“, diesem Motto möchte ich mich anschließen und ergänzen: „Raus auf die Straße! Rein ins Netz!“.
Ostbayern ist eines der Epizentren der Verschwörungsmysthiker:innen mit engen Verbindungen in die rechtsoffene, rechte und rechtsextreme Szene. Als Redner:innen, Anmelder:innen und Ordner:innen der Demos der Schwurbler:innen fungieren auch Ex-NPD Vorsitzende, Aktivist:innen des III. Weg, neonazistischen Kameradschaften, Autonome Nationalisten und einige lokale AfD-Prominenz.
Woher wissen wir das? Durch die ausdauernde Arbeit von antifaschistischen Dokumentationspersonen die deren Demos besuchen, Facebook-Gruppen durchkämmen und Telegram-Chats sichten.
Im Rahmen der Pandemie legten wir als SPD und als Jusos, wie viele Linke, den Fokus auf einen unserer Kernwerte: die Solidarität. Solidarität mit vulnerablen Gruppen (immerhin bis zu 40% der Bevölkerung), Angestellten, Vermeidung von Infektionen, etc. Dieser Ansatz war und ist richtig, was wir darüber aber vergessen haben ist der antifaschistische Kampf!
Wir haben die Straße den NazisAntisemiten überlassen und einzelnen antifaschistischen Aktivisti. Selbstverständlich haben wir unsere politischen Differenzen mit manchen Akteur:innen der politischen Linken (zählt unser Landesverband doch eher zu den Tradis), aber diese Abgrenzeritis und die damit verbundene Schwächung hilft nur unserem gemeinsamen politischen Gegner. Die höchste Beteiligung an Gegendemos gibt es traditionell in Regensburg, aber in den restlichen Orten Ostbayerns? Uff.
Das ist ein Problem auf vielen Ebenen, u.a.:
- Fokussierung der (medialen) Aufmerksamkeit auf Schwurbler:innen
- (Wieder-)Erstarken rechter Strukturen
- Überlastung antifaschistischer Strukturen
In Ostbayern finden seit Wochen je Woche bis zu VIER Demonstrationen mit Corona-Bezug statt, es gibt unzählige Telegram- und Facebook-Gruppen und einige hyperaktive Aktivist:innen auf Seiten der Menschenfeind:innen. All das sorgt für eine Überlastung bei denjenigen die im Hintergrund arbeiten, die aber auch auf (fast) jeder Demonstration – teils körperlich (!) – angegriffen werden. Wir laufen Gefahr relevante Teile antifaschistischer Strukturen wegen Burn-Out zu verlieren.
Wir brauchen Solidarität auch hier!
Ohne Präsenz im Netz, ohne Sichtbarkeit auf der Straße finden wir keine Mitglieder und keine Wähler:innen. Den Menschen ist nicht klar, wofür wir stehen, und da hilft kein Wahlkampfstand, keine Flyeraktion, kein Großplakat. Es bringt nichts zwei Monate vor jeder Wahl aktiv zu werden!
Deswegen:
- Raus auf die Straße, schwenkt die Fahne, tragt das Transpi!
- Raus auf die Straße, schützt die Dokumentationspersonen!
- Raus auf die Straße, teilt eure Informationen!
- Rein ins Netz, verbreitet Mobi-Aufrufe!
- Rein ins Netz, nutzt die angebotenen Informationen!
- Rein ins Netz, haltet dagegen!
!! SUPPORT YOUR LOCAL ANTIFA !!
In vielen Kommunen in Bayern ist derzeit ein Thema beherrschend- die Aufstellung für die Kommunalwahlen nächstes Jahr. Nachdem unsere Partei in den letzten Wahlen keine großen Erfolge feiern konnte, stellt sich die Frage, wie bei den Kommunalwahlen dieser Trend umgekehrt werden kann.
Es ist an der Zeit, dass die Wahllisten die Vielfalt in unsere Partei abbilden. Die Analysen des Wahlverhaltens nach der letzten Europawahl haben es wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt- der SPD gelingt es nicht mehr, junge Menschen zu überzeugen. In der Altersgruppe der unter 25 Jährigen setzten nur noch 8 % der Wähler*innen ihr Kreuzchen bei unsere Partei.
Ein Hauptgrund für dieses desolate Ergebnis ist natürlich unser derzeitiges Unvermögen, unsere Inhalte und Positionierungen den Wähler*innen näher zu bringen.
Daneben ist es jedoch unverkennbar, dass sich gerade junge Wähler*innen sich von der SPD einfach nicht mehr vertreten fühlen. Bei einem Blick auf die Entwürfe für die die Listen zur Kommunalwahl, die derzeit in manchen Kommunen zirkulieren, überrascht das nicht. Bei einem Altersdurchschnitt von gefühlt knapp über 60 Jahren ist es nachvollziehbar, dass viele Wähler*innen es nicht als die Kernkompetenz der SPD ansehen, die Interessen gerade junger Bürger*innen zu vertreten.
Dieser Schluss ist jedoch nicht unbedingt zutreffend. In unsere Partei gibt es viele, gerade auch ältere Mitglieder, die immer offen für die Ideen und Anregungen von uns Jusos sind und durchaus bereit sind, diese in der täglichen Politik umzusetzen. Hier möchte ich besonders auf die interessante Zusammenarbeit zwischen Jusos und der AG 60 + verweisen.
Wie können wir diese generationenübergreifende Zusammenarbeit besser nach außen kommunizieren?
Unerlässlich ist es dabei, die Vielfalt der Gesellschaft und unsere Partei auch auf unseren Wahllisten abzubilden. Gerade jetzt, wo wir uns hier in Bayern auf die Kommunalwahlen nächstes Jahr vorbereiten.
Um junge Menschen wieder anzusprechen, ist es jedoch nicht ausreichen, eine oder einen Juso auf Platz 15 der Liste zu setzen. Zum einen deckt die Juso-Mitgliedschaft eine Altersspanne zwischen 14 und 35 Jahren, ab. Auch diese Vielfalt in Lebensrealitäten und Erfahrungen müssen sich in den Listen wiederfinden. Zum anderen muss unseren Vertreter*innen auch die Möglichkeit gegeben werden, auf aussichtsreichen Positionen zu kandidieren. Nur auf diese Weise kann plausible gezeigt werden, dass die SPD auch die Interessen dieser Generation angemessen vertritt.
Daneben gilt es natürlich auch anderen, bis jetzt noch unterrepräsentierten Gruppen auf den Listen angemessen vertreten werden. Dies gilt insbesondere auch für Frauen*, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeiter*innen und all die anderen Menschen, die in ihrer Pluralität die SPD zu einer wahren Volkspartei machen.
Die verlorene Europawahl, ebenso wie diverse verlorene Landtagswahlen, sind Symptome desselben Problems, nicht Kern des Problems. Diese triviale Feststellung will ich voran stellen, so offensichtlich sie auch erscheinen mag. Denn es scheint große Teile der Partei zu geben, denen es völlig genügt hätte, bei der Europawahl 22% zu holen, um anschließend Debatten über den Zustand der Partei damit zu beenden, dass das Abrutschen der Parteiergebnisse der alten Sozialdemokratie ja nun offenkundig vorüber sei. Ebenso wie es ein schlechter Rat wäre, ein undichtes Dach für dicht zu erklären, wenn nur der Regen ausbleibt, ist es auch ein schlechter Rat, den Erneuerungsprozess einer Partei für beendet zu erklären, bevor dieser überhaupt begonnen hat, wenn der ursprüngliche Knall, namentlich die verlorene Bundestagswahl 2017, nur nicht mehr laut genug in den Ohren dröhnt.
Nach dieser simplen Voranstellung will ich darlegen, was denn nun der Kern des Problems der Sozialdemokratie in Deutschland nach meiner Auffassung ist. Ich will dabei versuchen, meine Gedankengänge Schritt für Schritt darzulegen, um eine Debatte darüber möglichst präzise und einfach zu ermöglichen. Für Anregungen bin ich ehrlich dankbar. Für diejenigen, die weniger Zeit mitbringen, folgt im nächsten Absatz eine kurze Zusammenfassung.
Ich werde argumentieren, dass die SPD es versäumt hat, sich ein konsistentes Programm und Profil zu geben. Lediglich hat sie sich darauf beschränkt, Kleinthemen zu bearbeiten, die jedoch kontextlos ein chaotisches Bild der Partei zeichnen. Dies ist nach meiner Ansicht eine Folge aus Mutlosigkeit gegenüber der Union einerseits und einer thematisch zunehmend verarmten Bundestagsfraktion andererseits. Beheben kann die Sozialdemokratie diesen Zustand nur, wenn sie die seit Schröder vernachlässigte Programmarbeit schnellstens aufholt, ihr Profil schärft und sich neu organisiert. Hierfür muss sie auch durchlässiger werden, was die Besetzung von Mandaten angeht. Die Bundestagsfraktion hat dabei Anreize, den Erneuerungsprozess aufzuhalten und zu sabotieren. Letztlich ist der desolate Zustand der Sozialdemokratie auch Resultat fundamental unterschiedlicher Interessen zwischen Parteimitgliedern und Parteifunktionären.
Wenn Wahlniederlagen ein Symptom sind, was ist dann die Krankheit?
Die SPD wird in Deutschland, betrachtet man die Demographie, vornehmlich von Personen im Rentenalter gewählt. Nicht gewählt wird sie in großen Teilen von Personen unter 30 Jahren, die wir im Folgenden “die Jugend” nennen, und von Personen zwischen 30 und 65 Jahren, die wir im Folgenden “die Erwerbstätigen” nennen. Die Begriffe dienen natürlich nur der Vereinfachung und sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch erwerbstätige Personen in anderen Alterskohorten gibt. Wird nun eine Partei zum überwiegenden Teil von der Kohorte der Rentner*innen gewählt, und spricht sie jüngere Kohorten nicht an, dann erscheinen zweierlei Erklärungen plausibel. Einerseits kann es sein, dass die Forderungen der Partei vornehmlich an den Präferenzen der Älteren ausgerichtet sind. Dann müsste sich die Partei ein Programm für die Jüngeren geben. Andererseits kann es sein, dass die Partei mit ihren Forderungen niemanden überzeugt, sodass lediglich der harte Kern, also Stammwähler*innen und Gewohnheitswähler*innen übrig bleiben. Dann müsste sich die Partei ein Programm geben.
In beiden Fällen jedoch kann man der SPD ein programmatisches Problem diagnostizieren, basierend auf den Symptomen, dass sie mit ihren Forderungen keine neuen Wähler*innen hinzu gewinnt und alte Wähler*innen, in großen Teilen an die Nichtwähler*innen, verliert. Die programmatischen Defizite der Partei wiegen heute deutlich schwerer als in der Vergangenheit: Hatte die Sozialdemokratie einst das Vertrauen der Arbeiter*innen und musste daher keine umfassenden Pläne offenlegen, um gewählt zu werden, so sieht sie sich heute mit einer anderen Wähler*innenschaft konfrontiert, die ihr nicht bedingungslos die Stimme geben möchte. Diesen Umstand hat sich die Partei mit Politikmaßnahmen wie der Agenda 2010, aber auch der Stillstandspolitik in der großen Koalition, selbst eingebrockt. Auch hat sie in den richtungsweisenden Fragen, beispielsweise bei der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten in der Asylpolitik, bei der Abstimmung um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform oder beim Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche eine klare Position vermissen lassen. Damit wurde das Urvertrauen der sozialdemokratischen Klientel gegenüber ihrer Partei geschädigt.
Dieser Umstand hätte behoben werden können, indem die Sozialdemokratie ihre politischen Pläne transparent gemacht und an die Öffentlichkeit transportiert hätte. Anstelle eines politischen Plans hat die SPD jedoch einzelne Kleinthemen präsentiert, die für sich genommen sicherlich ihre Berechtigung haben, jedoch, solange sie nicht in eine politische Idee eingebettet werden, die Partei sprunghaft und planlos erscheinen lassen. Das große Defizit der SPD ist es, dass sie die Frage, wofür sie eigentlich steht, mit einer Aufzählung von Kleinthemen anstelle einer politischen Idee beantwortet. Die SPD sagt nicht, dass sie die Partei des demokratischen Sozialismus ist und daher für sozialen Aufstieg, Umverteilung und Gleichstellung kämpft. Stattdessen holt sie, eingebettet in Schlagworte wie Fairness, Gerechtigkeit und Zusammenhalt, ihre Liste an Kleinthemen hervor, und beginnt damit, diese vorzulesen.
Dünnbrettbohren und Jein-Positionen bilden keinen politischen Markenkern
Nun hat die SPD in der Bundesregierung viel durchgesetzt: Die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung, das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz und viele weitere Gesetzesinitiativen mit Titeln in Orwells Neusprech zieren die Liste erfolgreicher SPD-Politik. Nur ersetzt das Abhaken von Kleinthemen kein politisches Programm. Werden Forderungen der SPD nicht in eine konsistente Erzählung eingebettet, so vermittelt man das Bild einer chaotischen, orientierungslosen Partei. Gleichzeitig vermittelt die Partei mit ihrer Politik den Eindruck, drängende politische Großprojekte gezielt zu umschiffen, vermutlich in der Voraussicht, dass diese konsensual mit der Union ohnehin nicht gelöst werden können. Weder hat die SPD formuliert, wie das Konstrukt einer Europäischen Union sozialdemokratisch ausgestaltet und fertiggestellt werden kann, noch hat sie Antworten auf den demografischen Wandel formuliert. Hinsichtlich der Umweltpolitik genügt sie sich damit, den Kohleausstieg “sozial gerecht” gestalten zu wollen, sagt aber nicht was genau sie damit meint und diskutiert auch nicht, ob und wie sie gedenkt, die Pariser Klimaziele einzuhalten. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt sie das Werk eines Wolfgang Schäuble mit der Politik der schwarzen Null fort, anstelle Alternativen aufzuzeigen. In der Außenpolitik setzt sie keine Akzente, sondern genügt sich als Beobachterin. Die SPD ist in der Großen Koalition zu einer Politik des Dünnbrettbohrens übergegangen und wagt den Streit bei politischen Richtungsfragen nicht, wohl in der Voraussicht, ohnehin keine zufriedenstellende Lösung mit der Union finden zu können. Dabei vermittelt sie das Bild, bereits vor dem Kampf kapituliert zu haben. Anstelle die Einhaltung der Pariser Klimaziele als Bedingung zum Fortbestand der Koalition zu machen ignoriert die Partei das Thema gänzlich. Aktuelle Einzelthemen, wie der mit Uploadfiltern einher gehende Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform , die Freihandelsabkommen CETA und TTIP oder die Causa Maaßen verschläft die Partei entweder, oder beantwortet sie mit einem klaren Jein, indem sie sich mal dafür, dann wieder dagegen, dann wieder dafür und dann gespalten positioniert. Während bei allen demokratischen Parteien von Relevanz klar ist, wohin sie wollen (Union: Kurs fortsetzen; Grün: ökologischer; Linke: stärker nach unten umverteilen; FDP: mehr Markt), weiß man bei der SPD, dass sie eigentlich anders als die Union wollen würde, aber ohnehin früher oder später einknickt. Kurz gesagt: Die Sozialdemokratie steckt sich langfristig keine großen Ziele, weil sie diese ohnehin verfehlt. Sie genügt sich mit Dünnbrettbohrerei bei bekannten Themen, die sie mit lustigen Gesetzesnamen versieht. Und sie ignoriert hochkommende, aktuelle Themen, um sich anschließend zunächst mit der Union, dann aufgrund parteiinternen und parteiexternen Drucks dagegen, und dann teils dafür, teils dagegen zu positionieren. Damit fehlen der Partei zwei wichtige Eigenschaften, um als wählbare Alternative zur Union wahrgenommen zu werden: Eine klare und konsistente Erzählung, wofür sie steht, und der Wille, Forderungen auch gegen die Union durchzusetzen. Vordergründig hat die SPD ein programmatisches Problem.
Die SPD braucht keine Personaldebatte, sondern neues Personal
Anstelle die programmatischen Probleme der Partei zu beheben, hat man im Nachgang von verlorenen Wahlen stets ein Bauernopfer gefunden, das für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht werden konnte, um anschließend die Programmdiskussion für beendet erklären zu können. Nach Martin Schulz ist nun Andrea Nahles das aktuelle Bauernopfer sozialdemokratischer Wahlniederlagen. Dabei ist eine Übeltäterin stets verschont geblieben: Die SPD-Bundestagsfraktion, welche die Schlüsselrolle in der Politik des Klein-Kleins einnimmt. Diese hat in den vergangenen zehn Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, gesellschaftlich notwendige Veränderungen, beispielsweise beim Umweltschutz, bei der Digitalisierung der Arbeitswelt oder auch im Rahmen der Euro-Rettung, einzuleiten. Viel schlimmer noch: Sie hat eindrucksvoll zur Schau gestellt, dass sie noch nicht einmal in der Lage ist, intellektuell zu erfassen, was die zentralen Probleme einer vom Dogma des Neoliberalismus getriebenen Politik sind. Die Sozialdemokratie hat keine Alternativen zur Krisenpolitik im Rahmen der Weltfinanzkrise und später der Eurokrise präsentiert, weil sie machtlos war – sie hat keine Alternativen präsentiert, weil sie nicht in der Lage war, die Situation zu verstehen. Im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die Sozialdemokratie im Bundestag blank. Ähnliches gilt für den Bereich der Netzpolitik: Die SPD hat sich in das Debakel um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform begeben, weil in der Fraktion niemand verstanden hat, was die Implikationen der Gesetzesnovelle sind. Und gleiches gilt für den Umgang im Cum-Ex-Skandal, wo sich die Bundesregierung über Jahre hinweg Gesetze von den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften schreiben hat lassen, die dann die so geschaffenen Schlupflöcher ausgenutzt haben, um Steuern zu sparen. Dies wurde erst durch den fehlenden Sachverstand der Mitglieder des Bundestags möglich. Während einige Themen mehrfach besetzt sind, fehlt es der SPD gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik an Personal.
Im Fußball würde man diesem Umstand begegnen, indem man die mehrfach besetzten Positionen durch frische Spieler*innen von der Ersatzbank auswechseln würde. Jedoch führt das Senioritätsprinzip bei Listenreihung im Falle der SPD zu einem völlig überalterten Kader, in dem alle Abwehr spielen, Zeit schinden und die Bälle weit ins Aus schlagen, um Klärversuche dann so abzufeiern als hätte man gerade ein Tor geschossen. Aus der Perspektive des Teams geben sich sicherlich alle Mühe – von außen betrachtet sieht das ganze Theater jedoch chaotisch und skurril aus.
Weil aber der gegenwärtige Modus der Listenreihung zu suboptimalen Aufstellungen führt, und damit einen Missstände reproduziert, anstelle ihn zu beheben, muss etwas am Modus selbst geändert werden. Andernfalls wird sich die Bundestagsfraktion weiter schleichend dezimieren, bis irgendwann nichts mehr von ihr übrig ist. Eine notwendige Erneuerung der Partei ist mit großen Teilen der Mandatsträger*innen nicht zu machen: Sie haben die falschen politischen Entscheidungen getroffen (und noch viel schlimmer: politische Entscheidungen verschleppt und verweigert) und können daher nicht glaubwürdig für eine Neuaufstellung der Sozialdemokratie stehen. Für sie besteht also, sofern sie am Mandat festhalten wollen, der Anreiz, den Erneuerungsprozess der Partei so stark wie nur irgendwie möglich auszubremsen – worin sie zugegebenermaßen sehr erfolgreich sind.
Wie eine Erneuerung also aussehen muss
Die Erneuerung der Sozialdemokratie muss zwei Komponenten betreffen: Das Programm sowie das Personal.
Programmatisch muss die Sozialdemokratie sich ein neues Grundsatzprogramm geben, welches sie vorher ausführlich und in allen Gremien diskutieren muss. Wenn der Sozialismus-Eklat von Kevin Kühnert eines gezeigt hat, dann, dass weite Teile sozialdemokratischer Funktionär*innen nicht mit dem Grundsatzprogramm vertraut sind. Die Neufassung eines solchen bietet daher Gelegenheit, zentrale Kernthemen der SPD zusammen zu fassen, eine konsistente Erzählung zu entwickeln und anschließend zu beschließen. Sie würde jedem Mitglied der SPD eine Geschichte zur Hand geben, die man den Menschen auf die Frage, wofür die SPD eigentlich steht, erzählen könnte, sodass man sich das Aufzählen kleinteiliger Gesetzesinitiativen künftig sparen könnte. Und es würde sich die Gelegenheit ergeben, die spätestens seit Schröder sträflich vernachlässigten Hausaufgaben der Partei endlich aufzuholen. Die Sozialdemokratie müsste festlegen, welche Wirtschaftsform und -ordnung sie sich vorstellt, und wie sie gedenkt, die Machtgefälle zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen auszugleichen. Sie würde gezwungen, eine eindeutige Position zu beziehen und nicht vor jeder Wahl das Programm basierend auf Millieustudien und anderem unpolitischen Kram anzupassen und damit zu einem verlässlichen Partner für ihre Klientel. Und sie könnte sich eine zentrale Idee geben, die sie mit Forderungen ausfüllt.
Dabei muss die SPD weniger sagen was sie macht und mehr, warum und wofür sie es macht.
Personell muss die SPD ihre alten Zöpfe abschneiden. Die Bundestagsfraktion hat bereits eindrucksvoll bewiesen, dass ihr nichts an der Erneuerung der Partei liegt. Im Gegenteil: Mit ihrem Drängen auf den Eintritt in die große Koalition hat sie die Erneuerungsversuche der Partei im Keim erstickt. Gleichzeitig unternimmt sie alles, um möglichst große Teile der immer kleiner werdenden Verteilungsmasse an Mandaten der Sozialdemokratie zu behalten und wird durch das Senioritätsprinzip strukturell übervorteilt. Entsprechend muss das Statut der SPD dahingehend geändert werden, dass gleiche Chancen bei der Verteilung von Listenplätzen bestehen. Durch einen Austritt aus der Großen Koalition, einer klaren Absage an einer Regierungsbeteiligung mit der Union und dem damit verbundenen Erneuerungsprozess in der Opposition könnte die Partei sich ein neues Profil (oder überhaupt ein Profil) zulegen.
Mit dem Bauernopfer Andrea Nahles hat die Bundestagsfraktion eindrucksvoll bewiesen, dass sie zu keinem Erneuerungsprozess bereit ist. Es wird sich zeigen müssen, ob die Partei als Ganzes, und insbesondere die Parteiführung, in der Lage sein wird, gegen die Interessen der Fraktion eine Erneuerung durchzusetzen.
Am 14. Oktober finden in Bayern Landtags- und Bezirkswahlen statt. Falls Du zum ersten Mal wahlberechtigt bist oder Du Dein „erstes Mal“ mit der Bundestagswahl 2017 bereits hinter Dir hast, hilft Dir der nachfolgende Beitrag, die Eigenheiten der Bayernwahl zu verstehen. Damit am 14. Oktober alles genau so klappt, wie Du Dir das vorstellst.
Was genau wird gewählt?
Alle fünf Jahre wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt – das Parlament des Freistaates Bayern. Nach den Mehrheitsverhältnissen der Parteien wird anschließend eine Regierung gebildet und ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin gewählt. Das war über viele Jahrzehnte relativ unspannend, weil die CSU ein ums andere Mal die absolute Mehrheit erringen und alleine regieren konnte. Aber diesmal ist das anders, wie alle Meinungsumfragen bereits über einen längeren Zeitraum belegen.
Deutlich weniger bekannt ist, dass gleichzeitig auch die sieben Bezirkstage in Unterfranken, Oberfranken, Mittelfranken, der Oberpfalz, in Niederbayern, Oberbayern und Schwaben gewählt werden. Bayerns Bezirke gehören zur kommunalen Ebene (neben den Gemeinden und den Landkreisen) und nicht zur Landesebene. Sie sind ein Zusammenschluss mehrerer Landkreise zum Zwecke der Bewältigung von übergeordneten Aufgaben. Die Landkreise übertragen dazu Aufgaben an die Bezirke, die einzelne Landkreise organisatorisch und finanziell überfordern würden, bzw. die nicht in jedem einzelnen Landkreis vorgehalten werden müssen. Die Aufgaben der Bezirke liegen vor allem im sozialen und kulturellen Bereich. Ganz konkret auf Niederbayern bezogen heißt das, der Bezirk Niederbayern unterhält im kulturellen Bereich Freilichtmuseen in Massing und Finsterau, sowie gemeinsam mit den kreisfreien Städten Landshut, Passau und Straubing das Landestheater Niederbayern. Im Gesundheitssektor betreibt der Bezirk Spezialkliniken in Mainkofen, Passau, Straubing und Landshut. Sehr bekannt sind in der Region zudem die Thermalbäder in Bad Füssing, Bad Birnbach, Bad Griesbach, Bad Gögging und Bad Abbach – ebenfalls Einrichtungen des Bezirks Niederbayern. Mehr zu den Aufgaben des Bezirkes findet ihr auf seiner Homepage.
Der Bezirkstag ist also das Kommunalparlament des Bezirkes. Im Unterschied zum Landes- oder Bundesparlament werden dort zwar keine Gesetze gemacht, aber es wird natürlich über die Schwerpunktsetzung diskutiert und entschieden: Wieviele Finanzmittel fließen in kulturelle Einrichtungen? Welche Gesundheits- und Präventionsangebote bieten die Spezialkliniken des Bezirkes? Wo werden Kapazitäten auf- oder abgebaut? Welche Angebote hält der Bezirk für Jugendbildung und Jugendarbeit vor? All das beeinflusst unmittelbar die Lebensqualität der Bevölkerung in der jeweiligen Region. Die Bezirkswahl ist dewegen keinesfalls unwichtiger als die Landtagswahl. Obwohl der Bezirkstag ein kommunales Parlament ist, findet die Wahl der Bezirkstage nicht mit den regulären Kommunalwahlen (Gemeinderats-, Kreistags-, Bürgermeister*innen- und Landrät*innenwahlen) statt, sondern immer gemeinsam mit der Landtagswahl. Warum, kann ich gar nicht so genau sagen, vermutlich aber, weil es bei den Kommunalwahlen noch ein paar Besonderheiten gibt, die auf die Bezirkswahl so nicht zutreffen und weil bei den Kommunalwahlen selber ohnehin schon sehr viele Gremien und Ämter gewählt werden müssen.
Infos zum Bezirkstag und seiner Wahl
Der Bezirkstag von Niederbayern besteht aus 18 Mandaten und ist damit ein relativ kleines Kommunalparlament (die Kreistage haben 50-70 Sitze, selbst viele Gemeindeparlamente haben mehr Sitze). Es können aber auch Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen. Der Wahlmodus funktioniert genauso wie bei der Landtagswahl, deswegen gehe ich an dieser Stelle nicht näher darauf ein. Eine Besonderheit – und das stellt einen wesentlichen Unterschied zur Landtagswahl dar – ist, dass es für den Bezirkstag (wie für andere Kommunalparlamente auch) keine 5%-Sperrklausel gibt. Das ist z.B. auch der Grund, warum im aktuellen niederbayerischen Bezirkstag die ödp, die FDP und die Bayernpartei je einen Sitz haben.
Der Wahlmodus für die Landtags- und Bezirkswahlen
Rein ins Wahllokal, einen Wahlzettel in die Hand gedrückt bekommen, schnell zwei Kreuze machen (so wie Du das vielleicht auch schon von der Bundestagswahl kennst) und dann ist die Sache erledigt? – Aber nein! Ein paar Minuten mehr wirst Du schon brauchen und das liegt am bayerischen Wahlsystem. Du glaubst, das ist zu komplex? – Keine Angst, ganz sicher nicht! Ich würde sagen: Es ist eines der demokratischsten Wahlsysteme in Deutschland. Ein bisserl anspruchsvoller als woanders (die Baden-Württemberger*innen dürfen z.B. nur ein einziges Kreuzerl machen), dafür demokratischer. Also keine „Instant-Wahl“. Muss aber auch nicht sein, Demokratie darf auch ein bisserl fordern, oder? 😉 Aber, der Reihe nach:
Erstmal zu den Wahlzetteln: Du erhälst im Stimmlokal (oder per Briefwahlunterlagen) nicht einen Wahlzettel, sondern vier. Und das noch dazu in ziemlich sonderbaren Formaten: zwei weiße (Landtag) und zwei blaue (Bezirkstag). Du hast bei der Landtags- und Bezirkswahl also insgesamt vier Stimmen. So sehen die Stimmzettel aus (exemplarisch für Oberbayern, da diese online abrufbar sind):
Keine Ahnung, warum die Erstimmenzettel jeweils so ein komisches schmales Querformat haben, ich weiß es wirklich nicht. Man* hätte m.E. die Kandidat*innenvorschläge alle auch schön untereinander auf einem DIN-A4-Blatt anordnen können. 😉 Warum die Zweitstimmenzettel so unhandlich groß sind, erkläre ich Dir noch.
Bayern ist in insgesamt sieben Wahlkreise eingeteilt, die den sieben Bezirken entsprechen. Jeder Wahlkreis ist zudem in Stimmkreise (für die Direktmandate) eingeteilt. Das Landeswahlgesetz schreibt vor, wieviele Stimmkreise es in jedem Wahlkreis gibt (also wieviele Direktmandate) und wieviele Landtagsmandate ein Wahlkreis insgesamt erhält. Der Wahlkreis Niederbayern ist in neun Stimmkreise eingeteilt. Sie entsprechen weitgehend den einzelnen Landkreisen (incl. kreisfreien Städten). Gleichzeitig steht im Landeswahlgesetz, dass der Wahlkreis Niederbayern 18 Landtagssitze erhält. Davon werden also neun über die Direktmandate in den Stimmkreisen verteilt und weitere neun über die Wahlkreislisten. In Oberbayern sind es bpsw. 31 Stimmkreise (Direktmandate) und insgesamt 61 Mandate (also 30 Listenmandate). Die gleiche Stimmkreis- und Mandatseinteilung gilt auch für die Bezirkstagswahl. Deswegen hat der niederbayerische Bezirkstag wie bereits erwähnt auch 18 Mandate.
Mit der Erststimme wählst Du eine Bewerberin oder einen Bewerber in Deinem Stimmkreis. Wer im Stimmkreis die meisten Erststimmen erzielen konnte, erhält das Direktmandat im Landtag oder im Bezirkstag. Das ist ziemlich einleuchtend und Dir soweit auch von der Bundestagswahl bekannt. Während allerdings bei der Bundestagswahl alle Gewinner*innen der Direktmandate auch sicher im Bundestag sitzen, selbst wenn ihre Partei an der 5%-Hürde scheitert, ist es bei der Landtagswahl in Bayern so, dass eine Person, die im Stimmkreis gewonnen hat, ihr Direktmandat im Landtag nur dann erhält, wenn ihre Partei landesweit auch über 5% kommt. Theoretisch könnte es also passieren, dass eine sich bewerbende Person einer Kleinstpartei in einem Stimmkreis so populär ist, dass sie bei den Erststimmen im Stimmkreis gewinnt. Schafft ihre Partei es aber insgesamt nicht in den Landtag, verliert diese Person ihr eigentlich gewonnenes Direktmandat und es kommt die im Stimmkreis zweitplatzierte Person zum Zuge. Die Stimmen der Person, die ihr Mandat deswegen nicht erhalten kann, werden bei der weiteren Sitzverteilung nicht mehr berücksichtigt. Bei der Bezirkstagswahl gilt diese Einschränkung mangels 5%-Klausel wie schon erwähnt nicht.
Für die Abgabe der Zweitstimme brauchst Du die großen Stimmzettel (weiß für den Landtag und blau wieder für den Bezirkstag). Obwohl hier sowohl der weiße wie auch der blaue Zettel riesig ist und eine Menge an Parteien und Personen aufgeführt sind, darfst Du nur eine Stimme vergeben. Alle in einem Wahlkreis (=Bezirk) antretenden Parteien haben Kandidierendenlisten aufgestellt. Jede Partei kann so viele Bewerber*innen auf ihre Liste setzen, wie sie möchte. In jedem Fall stehen aber auf jeder Parteiliste alle ihre Kandidierenden in den Stimmkreisen. Da es in Niederbayern wie erwähnt neun Stimmkreise gibt, hat die NiederbayernSPD ihre neun Stimmkreiskandidat*innen auf der Wahlkreisvorschlagsliste gereiht und zusätzlich noch weitere neun andere Kandidat*innen. Die OberbayernSPD hat z. B. keine zusätzlichen Kandidat*innen aufgestellt, auf der SPD-Liste in Oberbayern stehen also nur die 31 Stimmkreiskandidat*innen, wobei in jedem Stimmkreis immer genau die Person fehlt, die in diesem Stimmkreis als Direktkandidat*in antritt. Man* kann also nicht dieselbe Person mit zwei Stimmen wählen.
Idealerweise wählst Du nun eine Person auf der Liste der Partei Deiner Wahl. Damit zählt Deine Stimme für diese Partei und gleichzeitig aber auch für die betreffende Person. Solltest Du Dich gar nicht für eine Person entscheiden können, willst aber trotzdem deine Lieblingspartei wählen, darfst Du das Kreuz auch oben bei dem Parteinamen machen, auch wenn dort nicht direkt ein Kreis vorgegeben ist (siehe Grafik). Diese Stimme ist auch gültig. Sie wird jedoch nur für die Partei gezählt, weil sie eben keiner kandidierenden Person zugeordnet werden kann. Wir Jusos haben aber überall in Bayern eigene Kandidat*innen, die für die SPD kandidieren. Da ist bestimmt jemand* für Dich dabei. Einige stelle ich Dir auch noch vor.
Übrigens: wenn Du versehentlich das Kreuz bei der Partei schon gemacht hast, dann aber doch eine spezielle Kandidatin oder einen Kandidaten ankreuzen möchtest, ist das innerhalb einer Parteiliste kein Problem. Obwohl Du dann zwei Kreuze gemacht hast, zählt Deine Stimme für die angekreuzte Person. Der Stimmzettel wäre nur dann ungültig, wenn die gewählte Person nicht zu der Partei gehört, die Du mit dem „Parteikreuz“ gekennzeichnet hast, denn dann wäre Dein Wähler*innen-Wille nicht klar erkennbar. Machst du innerhalb einer Parteiliste versehentlich zwei Kreuze bei zwei Personen, ist der Stimmzettel auch gültig. Deine Stimme kann dann zwar keiner konkreten Person zugeordnet werden, sie wird aber immerhin für die Partei von der die angekreuzten Personen sind gezählt.
Diese Personalisierung der Zweitstimme ist ein ganz wesentlicher Unterschied zur Bundestagswahl. Dort reihen die Parteien ihre Kandidierenden auf einem Parteitag und Du als Wähler*in hast nicht die Möglichkeit, diese Reihenfolge zu beeinflussen. Bei der Landtags- und Bezirkswahl präsentieren Dir die Parteien zwar auch eine fertige Liste (siehe oben verlinkte Musterstimmzettel), aber Du kannst die Reihenfolge noch verändern, weil Du wie beschrieben ganz gezielt eine einzelne Person ankreuzen kannst. Wer also einen Platz ganz vorne auf der Liste hat, ist damit noch nicht sicher im Landtag/Bezirkstag und ein Platz weiter hinten auf der Liste kann genauso viel wert sein wie ein vorderer Listenplatz. Beim Auszählen der Stimmen verändert sich die Reihenfolge der Liste nach der Anzahl der gesammelten Stimmen je Bewerber*in.
Das Wahlsystem in Bayern ist also viel stärker personenbezogen als das Wahlsystem auf Bundesebene. Das führt zu einem weiteren gravierenden Unterschied: Für das Endergebnis, also für die Mandatsverteilung auf die einzelnen Parteien, zählen alle gesammelten Erst- und Zweitstimmen aller Kandidierenden einer Partei zusammen (= Gesamtstimmen), wobei die Mandatszuteilung bezirksweise (= auf Wahlkreisebene) ermittelt wird. Dort, auf Wahlkreisebene, entstehen auch Überhang- und Ausgleichsmandate, wenn eine Partei in einem Wahlkreis (= Bezirk) mehr Direktmandate errungen hat, als ihr nach dem Gesamtstimmenergebnis in diesem Wahlkreis eigentlich zustünden.
Bei der Bundestagswahl ist das anders, dort entscheidet alleine die Zweitstimme (auch „Parteistimme“ genannt) über die Sitzverteilung. Die Erststimmen für alle sieglosen Kandidierenden gehen verloren. Daher spielt es bei der Bundestagswahl meist keine so große Rolle, wen man* mit der Erststimme wählt, weil oft die großen Parteien dominieren (in ländlichen Regionen überwiegend die Konservativen, in urbanen Gebieten meistens die Sozialdemokrat*innen). Auf diesen Unterschied musst Du bei der Landtags- und Bezirkswahl achten, sonst kann es sein, dass Du Deine Wahlentscheidung „neutralisierst“.
Ein Beispiel: Du bist der Meinung, dass die SPD die besten Antworten auf die Herausforderungen in Bayern hat (z.B. kostenlose Kitas, bezahlbares Wohnen, ein besseres Bildungssystem, usw.) und willst unbedingt mit Deiner Zweitstimme die SPD wählen. Anderseits kennst Du Deine*n amtierende*n Landtagsabgeordnete*n (Direktmandat) – sagen wir mal: von der CSU – ganz gut, findest diese Person eigentlich auch ganz ok und möchtest ihr Deine Erststimme (= Direkstimme) geben. Weil für das Endergebnis Erst- und Zweitstimme gleichermaßen zählen, kannst Du also nicht sagen: „Ich hab‘ SPD gewählt“, sondern im selben Maße hättest Du dann auch Markus Söder und die CSU gewählt. Und seien wir ehrlich: Das wäre schon ein krasser Fall von „total verwählt“, oder? 😉 Hast Du also eine bestimmte Parteienpräferenz (die SPD ist tatsächlich ziemlich gut – probier‘ mal den Wahlomat), solltest Du dringend darauf achten, keine politisch gegensätzlichen Lager zu wählen, sondern Erst- und Zweitstimme an die gleiche Partei vergeben (hab‘ ich schon erwähnt, dass die BayernSPD ziemlich gut ist? – kein Wunder, deren Wahlprogramm haben wir Jusos sehr stark mitgestaltet!).
Für die Kandidierenden bringt das bayerische Wahlsystem auch so manche Herausforderungen mit sich, denn wegen der veränderbaren Listenreihenfolge stehen selbst die Kandidierenden der gleichen Partei in direkter Konkurrenz zueinander. Je bekannter eine Person ist und je umtriebiger im Wahlkampf, desto größer sind die Chancen, viele Stimmen zu sammeln. Wer als Direktkandidat*in in einem Stimmkreis den Wahlkampf nicht nur auf seinen eigenen Stimmkreis fokussiert, sondern die nötigen zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen hat, kann im gesamten Wahlkreis (also in allen anderen Stimmkreisen des Bezirks) auf Werbetour gehen und dort Zweitstimmen einsammeln. Das gefällt natürlich den dortigen Direktkandidat*innen eher weniger, weil diese befürchten müssen, am Ende bei der Zahl der Gesamtstimmen ins Hintertreffen zu geraten, sofern sie nicht selber auch denselben Aufwand betreiben oder betreiben können. So gilt es für alle Kandidierenden, für sich individuell die richtige Balance aus „innerparteilichem Frieden“ und der nötigen Chuzpe für einen offensiven Wahlkampf zu finden.

Seppi Parzinger
Prominentester Juso-Landtagskandidat ist unser stellv. Juso-Bundesvorsitzender Seppi Parzinger. Er kandidiert im Stimmkreis 130 Traunstein und steht gleichzeitig auf der Wahlkreisliste der OberbayernSPD (Platz 208). Die oben verlinkten Stimmzettel für die Landtagswahl (Erst- und Zweitstimme) sind die für den Stimmkreis Traunstein. Ihr seht, dass auf dem Zweitstimmenzettel (Wahlkreisstimmzettel für den Stimmkreis Traunstein) der Platz 208 fehlt. Die Menschen im Stimmkreis Traunstein können den Seppi mit ihrer Erststimme direkt wählen. In allen anderen oberbayerischen Stimmkreisen steht er auf Platz 208 auf dem Zweitstimmenzettel. Seppi kann also von allen Wahlberechtigten in ganz Oberbayern gewählt werden. Für seine spätere Platzierung auf der SPD-Liste werden alle seine gesammelten Stimmen zusammengezählt (alle Erststimmen, die er im Stimmkreis Traunstein erhalten hat und alle Zweitstimmen, die er im restlichen Oberbayern auf Platz 208 der SPD-Liste erzielen konnte).
Du wohnst in Niederbayern? Das ist prinzipiell zwar immer super, in dem Fall aber schlecht für Seppi (und für Dich), denn dann kannst Du ihn nicht wählen. Niederbayern ist nämlich ein eigener Wahlkreis. Und damit Dir hier die Auswahl leichter fällt, zeige ich Dir noch unsere niederbayerischen Juso-Kandidaten:
A) Landtagskandidaten:
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Florian Huber
Stimmkreis 202
(Dingolfing)
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wie wählbar?
- als Direktkandidat in Dingolfing (Erststimme)
- übriges Niederbayern:
SPD-Liste, Platz 208 (Zweitstimme)
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Valentin M. Kuby
Stimmkreis 208
(Rottal-Inn) |
wie wählbar?
- als Direktkandidat in Rottal-Inn (Erststimme)
- übriges Niederbayern:
SPD-Liste, Platz 209 (Zweitstimme)
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B) Bezirkstagskandidaten:
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Benjamin Lettl
Stimmkreis 208
(Rottal-Inn)
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wie wählbar?
- als Direktkandidat in Rottal-Inn (Erststimme)
- übriges Niederbayern:
SPD-Liste, Platz 204 (Zweitstimme)
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Marvin Kliem
Stimmkreis 209
(Straubing) |
wie wählbar?
- als Direktkandidat in Straubing (Erststimme)
- übriges Niederbayern:
SPD-Liste, Platz 207 (Zweitstimme)
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Am 14. Oktober ist Landtagswahl – auch für Dich.
Geh wählen. Demokratie braucht Dich.