Zeit für die Mutigen!
Die SPD leidet seit Jahren unter einem übermäßigen Fokus auf Taktik. Zu oft verharrt unser Führungspersonal in den Koalitions- und Parteilogiken, die uns in die aktuelle Misere geführt haben. Es ist Zeit für eine nüchterne Betrachtung des Zustands der Sozialdemokratie. Nur so können wir die Kurve kriegen und ein echtes Comeback starten.
Seit 1998, spätestens seit 2005, befindet sich die SPD im Bund in einer defensiven Kommunikationsposition. Durch den Verrat unserer eigenen Werte in der Arbeiter*innen-feindlichen Politik der Schröder-Jahre sind wir in der verzwickten Lage entweder unsere eigene Politik als falsch bezeichnen zu müssen oder unsere eigenen Widersprüche weiter fortzutragen. Die sozialdemokratische Elite hat sich fast vollkommen für die zweite Option entschieden und damit den Kurs der letzten zwei Jahrzehnte geprägt.
Den Verlust der ehemaligen Stammwählerschaft konnten wir 2021 zwar durch einen Merkel-Klon ausgleichen, an einem langfristigen Wiederaufbau der Basis mangelt es aber eklatant. Während früher eine Kandidatur unter dem Banner der SPD genügte, um (zumindest in Teilen Deutschlands) sicher gewählt zu werden, bewahren heute nur noch einzelne Personen die Partei vor dem Kollaps an der Wahlurne.
Mit der Europawahl steht der nächste Beweis der strategischen Nachlässigkeit der SPD an. Statt von Beginn der Ampel-Regierung an gezielt die eigenen sozialdemokratischen Themen zu bespielen, läuft man spätestens seit Ende 2022 nur noch der Union und inzwischen auch der AfD hinterher. Indem die SPD nur auf ihre Gegner reagiert, verschaffen wir deren Meinungen auf unseren eigenen Kanälen Raum. Raum, den wir nicht für unsere eigenen Botschaften nutzen. Raum, den die Konservativen und Rechtsextremen sich liebend gerne nehmen und den Diskurs nach rechts verschieben.
Wir brauchen den Mut, den Diskurs wieder zurückzuerobern und uns den Raum für unsere Themen zu nehmen. Wer den Diskurs beherrscht beeinflusst, wie Menschen über Probleme nachdenken.
Ohne tatsächliche politische Erfolge lässt sich aber auch nicht kommunizieren. Die Sozialpolitik der Ampel und der vorangegangenen Großen Koalitionen sind bei Betrachtung der derzeitigen Unzufriedenheit mit „der Politik“ nicht zu vernachlässigen. Das ursprüngliche Aufstiegsversprechen der Sozialdemokratie ist zu einer leeren Worthülse verkommen und dient nur noch zur Besänftigung der eigenen Reihen. Das ließ sich nach dem letzten SPD-Bundesparteitag erkennen, als die dort geschwungenen großen Reden sofort durch entgegengesetztes Regierungshandeln zunichte gemacht wurden. Ohne einen erkennbaren sozialdemokratischen roten Faden ist unsere aktuelle Schwäche kein Wunder.
Es braucht einen Einklang von Rhetorik und Handeln, eine konsequente Kommunikation eigener Themen und vor allem einen sozialdemokratischen Bundeskanzler.
Die Lage der BayernSPD ist verheerender als alles, was wir von der Bundes-SPD bereits kannten. Nicht nur fehlt es uns hier an kommunikativer Strategie, sondern auch an politischer. Während auf Bundesebene zumindest ein (fehlgeleiteter) Politikansatz erkennbar ist, drehen wir uns nur noch um uns selbst, kümmern uns um interne Konflikte und das nicht einmal mit einer möglichen Machtoption.
Wir können noch so gute inhaltliche Beschlüsse auf Parteitagen fassen, solange diese nicht in ein stringentes politisches Programm gegossen werden, das auch die Mitglieder wieder aktiviert, versandet jede Arbeit.
Während für die vergangene Wahl das Weiterwursteln noch für den Einzug in den Landtag gereicht hat, kann es beim nächsten Mal schon knapp werden. Wenn selbst lebenslange SPD-Wähler*innen noch nie den Namen des Spitzenkandidaten gehört haben und das Programm ein diffuser Mischmasch aus sozialdemokratischen Wohlfühlformeln ist, sind wir mit einer eklatanten Realitätsverweigerung konfrontiert.
Wir stehen am Abgrund, egal ob das bereits bei allen angekommen ist oder nicht. An der Basis resignieren unsere Mitglieder in ganz Bayern. Die vorherrschende Einstellung gegenüber der BayernSPD ist Mitleid. Weder Wähler*innen noch Genoss*innen nehmen unsere Partei als eine mögliche Alternative oder sinnvolle Ergänzung der Landesregierung wahr. Wir handeln in einem absolut eingeschränkten Rahmen, dessen Verengung wir großteils selbst zu verantworten haben.
Statt endlich einen zugespitzteren, mutig sozialdemokratischen Kurs zu fahren, der arbeitende Menschen in den Mittelpunkt stellt, fühlen wir uns in akademischen Milieus offensichtlich wohl genug, um nicht weiter raus zu gehen. Unsere Klientel müssen all die Menschen sein, die den Glauben an Veränderung verloren haben. Diejenigen, die jeden Tag arbeiten gehen aber wegen Ukraine-Krieg und Konzern-Gier am Ende des Tages jeden Cent umdrehen müssen. Wir sind da für alle, die uns brauchen, weil sie sonst nicht gehört werden.
Wir müssen wieder den Mut finden für unsere Positionen einzustehen und diese auch durchzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, nicht länger die Ursache, sondern die Lösung für die Unzufriedenheit zu sein. Das können wir schaffen, indem wir durch unsere Politik die Leben der Menschen verbessern und länger als für die eigene Amtszeit und Wahlperiode planen. Dazu brauchen wir aber auch mutige Mitstreiter*innen, die bereit sind voranzugehen.
Die Ursprünge der Sozialdemokratie liegen in einer Massenorganisation mit einem breiten Vorfeld. Die Partei ist ein entscheidender Teil im Kampf für eine gerechte Welt, aber darf nicht der Einzige sein. Es wird deshalb Zeit die Debatten nicht länger über die Menschen, sondern mit den Menschen zu führen und unsere Lösungen als die Einfachen zu präsentieren. Wie das geht zeigt die KPÖ in Graz und Salzburg. Langfristige Arbeit mit den Menschen und Einsatz für ihre konkreten Belange zahlt sich aus.
Damit die SPD noch eine Zukunft hat, muss sie sich wieder trauen sozialdemokratisch zu sein.
Es ist wieder Zeit für die Mutigen. Und die Mutigen sind wir.