In vielen Kommunen in Bayern ist derzeit ein Thema beherrschend- die Aufstellung für die Kommunalwahlen nächstes Jahr. Nachdem unsere Partei in den letzten Wahlen keine großen Erfolge feiern konnte, stellt sich die Frage, wie bei den Kommunalwahlen dieser Trend umgekehrt werden kann.

Es ist an der Zeit, dass die Wahllisten die Vielfalt in unsere Partei abbilden. Die Analysen des Wahlverhaltens nach der letzten Europawahl haben es wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt- der SPD gelingt es nicht mehr, junge Menschen zu überzeugen. In der Altersgruppe der unter 25 Jährigen setzten nur noch 8 % der Wähler*innen ihr Kreuzchen bei unsere Partei.

Ein Hauptgrund für dieses desolate Ergebnis ist natürlich unser derzeitiges Unvermögen, unsere Inhalte und Positionierungen den Wähler*innen näher zu bringen.
Daneben ist es jedoch unverkennbar, dass sich gerade junge Wähler*innen sich von der SPD einfach nicht mehr vertreten fühlen. Bei einem Blick auf die Entwürfe für die die Listen zur Kommunalwahl, die derzeit in manchen Kommunen zirkulieren, überrascht das nicht. Bei einem Altersdurchschnitt von gefühlt knapp über 60 Jahren ist es nachvollziehbar, dass viele Wähler*innen es nicht als die Kernkompetenz der SPD ansehen, die Interessen gerade junger Bürger*innen zu vertreten.

Dieser Schluss ist jedoch nicht unbedingt zutreffend. In unsere Partei gibt es viele, gerade auch ältere Mitglieder, die immer offen für die Ideen und Anregungen von uns Jusos sind und durchaus bereit sind, diese in der täglichen Politik umzusetzen. Hier möchte ich besonders auf die interessante Zusammenarbeit zwischen Jusos und der AG 60 + verweisen.

Wie können wir diese generationenübergreifende Zusammenarbeit besser nach außen kommunizieren?

Unerlässlich ist es dabei, die Vielfalt der Gesellschaft und unsere Partei auch auf unseren Wahllisten abzubilden. Gerade jetzt, wo wir uns hier in Bayern auf die Kommunalwahlen nächstes Jahr vorbereiten.

Um junge Menschen wieder anzusprechen, ist es jedoch nicht ausreichen, eine oder einen Juso auf Platz 15 der Liste zu setzen. Zum einen deckt die Juso-Mitgliedschaft eine Altersspanne zwischen 14 und 35 Jahren, ab. Auch diese Vielfalt in Lebensrealitäten und Erfahrungen müssen sich in den Listen wiederfinden. Zum anderen muss unseren Vertreter*innen auch die Möglichkeit gegeben werden, auf aussichtsreichen Positionen zu kandidieren. Nur auf diese Weise kann plausible gezeigt werden, dass die SPD auch die Interessen dieser Generation angemessen vertritt.

Daneben gilt es natürlich auch anderen, bis jetzt noch unterrepräsentierten Gruppen auf den Listen angemessen vertreten werden. Dies gilt insbesondere auch für Frauen*, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeiter*innen und all die anderen Menschen, die in ihrer Pluralität die SPD zu einer wahren Volkspartei machen.

Andrea Nahles ist als Partei- und Fraktionsvorsitzende zurücktreten. Schade eigentlich, oder?
Ein Blick in ihren Lebenslauf offenbart sie als die „perfekte“ Sozialdemokratin. Als katholisches Arbeitermädchen vom Land wuchs sie bereits in jungen Jahren in den Parteistrukturen auf und legte eine vorbildliche Karriere hin: Sie begann als Juso -Vorsitzende, wurde im Jahre 1998 in den Bundestag gewählt, 2009 zur Generalsekretärin ernannt. Anschließend übernahm sie das Ministerium für Arbeit und Soziales und 2018 übernahm sie schlussendlich den Posten als Fraktions- und Parteivorsitzende. Seit 30 Jahren ist Andrea nun in der Partei, kennt die Strukturen und ihre Mitglieder, weiß wie man die Flügel innerhalb der SPD auf Linien bringt und genießt auch eine breite Bekanntheit in der Bevölkerung. Da lag der Gedanke nicht fern, sie als die erste weibliche Parteivorsitzende vorzuschlagen.

Als Parteivorsitzende nahm sie sich große Ziele – vielleicht zu große – vor, denn spätestens die diesjährigen verlorenen Landtagswahlen und insbesondere die Europawahl haben Nahles auf den Boden der Tatsachen geholt. Die Sozialdemokratische Partei scheint keine attraktive, geschweige denn eine wählbare Partei mehr zu sein.

Im Zuge dessen kam, vor allem auch ihr gegenüber, viel Kritik aus den eigenen Reihen und erste Sturzgerüchte machten den Umlauf. Nach ihrem Rücktritt begann in den Medien eine für mich irritierende Feminismusdebatte. Man(n) hätte Nahles anders behandelt, weil sie eine Frau ist und dies sei der wahre Grund ihres Rücktritts. Diesen Gedanken will ich nicht komplett abstreiten, da durchaus einige einen anderen Umgang mit ihr pflegten aufgrund ihres Geschlechts. Aber wir reden hier immer noch von einer ehemaligen Juso-Vorsitzenden, die weiß wie man auf den Tisch haut und seinen Willen durchgesetzt bekommt. Nicht selten ist sie mit sturen Forderungen vorangegangen und hat sich selten von ehemaligen Parteivorsitzenden wie Sigmar Gabriel einschüchtern lassen. Fraglich ist,  wieso man bei ihr als Frau meint, dass „nicht der politische Stress, sondern die Verwundung der Seele den Ausschlag“[1]ihres Rücktritts gab, während der Rückzug von Martin Schulz als das Ziehen der „politischen Konsequenzen“ verkauft wurde.

Ich bin der Meinung, dass Andrea Nahles, unabhängig von ihrem Geschlecht, das alte Gesicht der SPD repräsentiert. Es herrscht große Unzufriedenheit bezüglich der veralteten Strukturen der Partei, die immer noch vorhanden Hintertürgespräche der hohen Funktionäre und das Postengeschachere, welches untereinander und oftmals stillschweigend vereinbart wird. Diese Ära muss mit dem Rücktritt von Nahles ein Ende finden. Es wird Zeit einen neuen, jungen und frischen Wind von unten wehen zu lassen.

Die verlorene Europawahl, ebenso wie diverse verlorene Landtagswahlen, sind Symptome desselben Problems, nicht Kern des Problems. Diese triviale Feststellung will ich voran stellen, so offensichtlich sie auch erscheinen mag. Denn es scheint große Teile der Partei zu geben, denen es völlig genügt hätte, bei der Europawahl 22% zu holen, um anschließend Debatten über den Zustand der Partei damit zu beenden, dass das Abrutschen der Parteiergebnisse der alten Sozialdemokratie ja nun offenkundig vorüber sei. Ebenso wie es ein schlechter Rat wäre, ein undichtes Dach für dicht zu erklären, wenn nur der Regen ausbleibt, ist es auch ein schlechter Rat, den Erneuerungsprozess einer Partei für beendet zu erklären, bevor dieser überhaupt begonnen hat, wenn der ursprüngliche Knall, namentlich die verlorene Bundestagswahl 2017, nur nicht mehr laut genug in den Ohren dröhnt.

 

Nach dieser simplen Voranstellung will ich darlegen, was denn nun der Kern des Problems der Sozialdemokratie in Deutschland nach meiner Auffassung ist. Ich will dabei versuchen, meine Gedankengänge Schritt für Schritt darzulegen, um eine Debatte darüber möglichst präzise und einfach zu ermöglichen. Für Anregungen bin ich ehrlich dankbar. Für diejenigen, die weniger Zeit mitbringen, folgt im nächsten Absatz eine kurze Zusammenfassung.

 

Ich werde argumentieren, dass die SPD es versäumt hat, sich ein konsistentes Programm und Profil zu geben. Lediglich hat sie sich darauf beschränkt, Kleinthemen zu bearbeiten, die jedoch kontextlos ein chaotisches Bild der Partei zeichnen. Dies ist nach meiner Ansicht eine Folge aus Mutlosigkeit gegenüber der Union einerseits und einer thematisch zunehmend verarmten Bundestagsfraktion andererseits. Beheben kann die Sozialdemokratie diesen Zustand nur, wenn sie die seit Schröder vernachlässigte Programmarbeit schnellstens aufholt, ihr Profil schärft und sich neu organisiert. Hierfür muss sie auch durchlässiger werden, was die Besetzung von Mandaten angeht. Die Bundestagsfraktion hat dabei Anreize, den Erneuerungsprozess aufzuhalten und zu sabotieren. Letztlich ist der desolate Zustand der Sozialdemokratie auch Resultat fundamental unterschiedlicher Interessen zwischen Parteimitgliedern und Parteifunktionären.

 

Wenn Wahlniederlagen ein Symptom sind, was ist dann die Krankheit?

Die SPD wird in Deutschland, betrachtet man die Demographie, vornehmlich von Personen im Rentenalter gewählt. Nicht gewählt wird sie in großen Teilen von Personen unter 30 Jahren, die wir im Folgenden “die Jugend” nennen, und von Personen zwischen 30 und 65 Jahren, die wir im Folgenden “die Erwerbstätigen” nennen. Die Begriffe dienen natürlich nur der Vereinfachung und sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch erwerbstätige Personen in anderen Alterskohorten gibt. Wird nun eine Partei zum überwiegenden Teil von der Kohorte der Rentner*innen gewählt, und spricht sie jüngere Kohorten nicht an, dann erscheinen zweierlei Erklärungen plausibel. Einerseits kann es sein, dass die Forderungen der Partei vornehmlich an den Präferenzen der Älteren ausgerichtet sind. Dann müsste sich die Partei ein Programm für die Jüngeren geben. Andererseits kann es sein, dass die Partei mit ihren Forderungen niemanden überzeugt, sodass lediglich der harte Kern, also Stammwähler*innen und Gewohnheitswähler*innen übrig bleiben. Dann müsste sich die Partei ein Programm geben.

In beiden Fällen jedoch kann man der SPD ein programmatisches Problem diagnostizieren, basierend auf den Symptomen, dass sie mit ihren Forderungen keine neuen Wähler*innen hinzu gewinnt und alte Wähler*innen, in großen Teilen an die Nichtwähler*innen, verliert. Die programmatischen Defizite der Partei wiegen heute deutlich schwerer als in der Vergangenheit: Hatte die Sozialdemokratie einst das Vertrauen der Arbeiter*innen und musste daher keine umfassenden Pläne offenlegen, um gewählt zu werden, so sieht sie sich heute mit einer anderen Wähler*innenschaft konfrontiert, die ihr nicht bedingungslos die Stimme geben möchte. Diesen Umstand hat sich die Partei mit Politikmaßnahmen wie der Agenda 2010, aber auch der Stillstandspolitik in der großen Koalition, selbst eingebrockt. Auch hat sie in den richtungsweisenden Fragen, beispielsweise bei der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten in der Asylpolitik, bei der Abstimmung um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform oder beim Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche eine klare Position vermissen lassen. Damit wurde das Urvertrauen der sozialdemokratischen Klientel gegenüber ihrer Partei geschädigt.

Dieser Umstand hätte behoben werden können, indem die Sozialdemokratie ihre politischen Pläne transparent gemacht und an die Öffentlichkeit transportiert hätte. Anstelle eines politischen Plans hat die SPD jedoch einzelne Kleinthemen präsentiert, die für sich genommen sicherlich ihre Berechtigung haben, jedoch, solange sie nicht in eine politische Idee eingebettet werden, die Partei sprunghaft und planlos erscheinen lassen. Das große Defizit der SPD ist es, dass sie die Frage, wofür sie eigentlich steht, mit einer Aufzählung von Kleinthemen anstelle einer politischen Idee beantwortet. Die SPD sagt nicht, dass sie die Partei des demokratischen Sozialismus ist und daher für sozialen Aufstieg, Umverteilung und Gleichstellung kämpft. Stattdessen holt sie, eingebettet in Schlagworte wie Fairness, Gerechtigkeit und Zusammenhalt, ihre Liste an Kleinthemen hervor, und beginnt damit, diese vorzulesen.

 

Dünnbrettbohren und Jein-Positionen bilden keinen politischen Markenkern

Nun hat die SPD in der Bundesregierung viel durchgesetzt: Die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung, das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz und viele weitere Gesetzesinitiativen mit Titeln in Orwells Neusprech zieren die Liste erfolgreicher SPD-Politik. Nur ersetzt das Abhaken von Kleinthemen kein politisches Programm. Werden Forderungen der SPD nicht in eine konsistente Erzählung eingebettet, so vermittelt man das Bild einer chaotischen, orientierungslosen Partei. Gleichzeitig vermittelt die Partei mit ihrer Politik den Eindruck, drängende politische Großprojekte gezielt zu umschiffen, vermutlich in der Voraussicht, dass diese konsensual mit der Union ohnehin nicht gelöst werden können. Weder hat die SPD formuliert, wie das Konstrukt einer Europäischen Union sozialdemokratisch ausgestaltet und fertiggestellt werden kann, noch hat sie Antworten auf den demografischen Wandel formuliert. Hinsichtlich der Umweltpolitik genügt sie sich damit, den Kohleausstieg “sozial gerecht” gestalten zu wollen, sagt aber nicht was genau sie damit meint und diskutiert auch nicht, ob und wie sie gedenkt, die Pariser Klimaziele einzuhalten. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt sie das Werk eines Wolfgang Schäuble mit der Politik der schwarzen Null fort, anstelle Alternativen aufzuzeigen. In der Außenpolitik setzt sie keine Akzente, sondern genügt sich als Beobachterin. Die SPD ist in der Großen Koalition zu einer Politik des Dünnbrettbohrens übergegangen und wagt den Streit bei politischen Richtungsfragen nicht, wohl in der Voraussicht, ohnehin keine zufriedenstellende Lösung mit der Union finden zu können. Dabei vermittelt sie das Bild, bereits vor dem Kampf kapituliert zu haben. Anstelle die Einhaltung der Pariser Klimaziele als Bedingung zum Fortbestand der Koalition zu machen ignoriert die Partei das Thema gänzlich. Aktuelle Einzelthemen, wie der mit Uploadfiltern einher gehende Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform , die Freihandelsabkommen CETA und TTIP oder die Causa Maaßen verschläft die Partei entweder, oder beantwortet sie mit einem klaren Jein, indem sie sich mal dafür, dann wieder dagegen, dann wieder dafür und dann gespalten positioniert. Während bei allen demokratischen Parteien von Relevanz klar ist, wohin sie wollen (Union: Kurs fortsetzen; Grün: ökologischer; Linke: stärker nach unten umverteilen; FDP: mehr Markt), weiß man bei der SPD, dass sie eigentlich anders als die Union wollen würde, aber ohnehin früher oder später einknickt. Kurz gesagt: Die Sozialdemokratie steckt sich langfristig keine großen Ziele, weil sie diese ohnehin verfehlt. Sie genügt sich mit Dünnbrettbohrerei bei bekannten Themen, die sie mit lustigen Gesetzesnamen versieht. Und sie ignoriert hochkommende, aktuelle Themen, um sich anschließend zunächst mit der Union, dann aufgrund parteiinternen und parteiexternen Drucks dagegen, und dann teils dafür, teils dagegen zu positionieren. Damit fehlen der Partei zwei wichtige Eigenschaften, um als wählbare Alternative zur Union wahrgenommen zu werden: Eine klare und konsistente Erzählung, wofür sie steht, und der Wille, Forderungen auch gegen die Union durchzusetzen. Vordergründig hat die SPD ein programmatisches Problem.

 

Die SPD braucht keine Personaldebatte, sondern neues Personal

Anstelle die programmatischen Probleme der Partei zu beheben, hat man im Nachgang von verlorenen Wahlen stets ein Bauernopfer gefunden, das für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht werden konnte, um anschließend die Programmdiskussion für beendet erklären zu können. Nach Martin Schulz ist nun Andrea Nahles das aktuelle Bauernopfer sozialdemokratischer Wahlniederlagen. Dabei ist eine Übeltäterin stets verschont geblieben: Die SPD-Bundestagsfraktion, welche die Schlüsselrolle in der Politik des Klein-Kleins einnimmt. Diese hat in den vergangenen zehn Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, gesellschaftlich notwendige Veränderungen, beispielsweise beim Umweltschutz, bei der Digitalisierung der Arbeitswelt oder auch im Rahmen der Euro-Rettung, einzuleiten. Viel schlimmer noch: Sie hat eindrucksvoll zur Schau gestellt, dass sie noch nicht einmal in der Lage ist, intellektuell zu erfassen, was die zentralen Probleme einer vom Dogma des Neoliberalismus getriebenen Politik sind. Die Sozialdemokratie hat keine Alternativen zur Krisenpolitik im Rahmen der Weltfinanzkrise und später der Eurokrise präsentiert, weil sie machtlos war – sie hat keine Alternativen präsentiert, weil sie nicht in der Lage war, die Situation zu verstehen. Im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die Sozialdemokratie im Bundestag blank. Ähnliches gilt für den Bereich der Netzpolitik: Die SPD hat sich in das Debakel um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform begeben, weil in der Fraktion niemand verstanden hat, was die Implikationen der Gesetzesnovelle sind. Und gleiches gilt für den Umgang im Cum-Ex-Skandal, wo sich die Bundesregierung über Jahre hinweg Gesetze von den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften schreiben hat lassen, die dann die so geschaffenen Schlupflöcher ausgenutzt haben, um Steuern zu sparen. Dies wurde erst durch den fehlenden Sachverstand der Mitglieder des Bundestags möglich. Während einige Themen mehrfach besetzt sind, fehlt es der SPD gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik an Personal.

Im Fußball würde man diesem Umstand begegnen, indem man die mehrfach besetzten Positionen durch frische Spieler*innen von der Ersatzbank auswechseln würde. Jedoch führt das Senioritätsprinzip bei Listenreihung im Falle der SPD zu einem völlig überalterten Kader, in dem alle Abwehr spielen, Zeit schinden und die Bälle weit ins Aus schlagen, um Klärversuche dann so abzufeiern als hätte man gerade ein Tor geschossen. Aus der Perspektive des Teams geben sich sicherlich alle Mühe – von außen betrachtet sieht das ganze Theater jedoch chaotisch und skurril aus.

Weil aber der gegenwärtige Modus der Listenreihung zu suboptimalen Aufstellungen führt, und damit einen Missstände reproduziert, anstelle ihn zu beheben, muss etwas am Modus selbst geändert werden. Andernfalls wird sich die Bundestagsfraktion weiter schleichend dezimieren, bis irgendwann nichts mehr von ihr übrig ist. Eine notwendige Erneuerung der Partei ist mit großen Teilen der Mandatsträger*innen nicht zu machen: Sie haben die falschen politischen Entscheidungen getroffen (und noch viel schlimmer: politische Entscheidungen verschleppt und verweigert) und können daher nicht glaubwürdig für eine Neuaufstellung der Sozialdemokratie stehen. Für sie besteht also, sofern sie am Mandat festhalten wollen, der Anreiz, den Erneuerungsprozess der Partei so stark wie nur irgendwie möglich auszubremsen – worin sie zugegebenermaßen sehr erfolgreich sind.

 

Wie eine Erneuerung also aussehen muss

Die Erneuerung der Sozialdemokratie muss zwei Komponenten betreffen: Das Programm sowie das Personal.

Programmatisch muss die Sozialdemokratie sich ein neues Grundsatzprogramm geben, welches sie vorher ausführlich und in allen Gremien diskutieren muss. Wenn der Sozialismus-Eklat von Kevin Kühnert eines gezeigt hat, dann, dass weite Teile sozialdemokratischer Funktionär*innen nicht mit dem Grundsatzprogramm vertraut sind. Die Neufassung eines solchen bietet daher Gelegenheit, zentrale Kernthemen der SPD zusammen zu fassen, eine konsistente Erzählung zu entwickeln und anschließend zu beschließen. Sie würde jedem Mitglied der SPD eine Geschichte zur Hand geben, die man den Menschen auf die Frage, wofür die SPD eigentlich steht, erzählen könnte, sodass man sich das Aufzählen kleinteiliger Gesetzesinitiativen künftig sparen könnte. Und es würde sich die Gelegenheit ergeben, die spätestens seit Schröder sträflich vernachlässigten Hausaufgaben der Partei endlich aufzuholen. Die Sozialdemokratie müsste festlegen, welche Wirtschaftsform und -ordnung sie sich vorstellt, und wie sie gedenkt, die Machtgefälle zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen auszugleichen. Sie würde gezwungen, eine eindeutige Position zu beziehen und nicht vor jeder Wahl das Programm basierend auf Millieustudien und anderem unpolitischen Kram anzupassen und damit zu einem verlässlichen Partner für ihre Klientel. Und sie könnte sich eine zentrale Idee geben, die sie mit Forderungen ausfüllt.

Dabei muss die SPD weniger sagen was sie macht und mehr, warum und wofür sie es macht.

Personell muss die SPD ihre alten Zöpfe abschneiden. Die Bundestagsfraktion hat bereits eindrucksvoll bewiesen, dass ihr nichts an der Erneuerung der Partei liegt. Im Gegenteil: Mit ihrem Drängen auf den Eintritt in die große Koalition hat sie die Erneuerungsversuche der Partei im Keim erstickt. Gleichzeitig unternimmt sie alles, um möglichst große Teile der immer kleiner werdenden Verteilungsmasse an Mandaten der Sozialdemokratie zu behalten und wird durch das Senioritätsprinzip strukturell übervorteilt. Entsprechend muss das Statut der SPD dahingehend geändert werden, dass gleiche Chancen bei der Verteilung von Listenplätzen bestehen. Durch einen Austritt aus der Großen Koalition, einer klaren Absage an einer Regierungsbeteiligung mit der Union und dem damit verbundenen Erneuerungsprozess in der Opposition könnte die Partei sich ein neues Profil (oder überhaupt ein Profil) zulegen.

Mit dem Bauernopfer Andrea Nahles hat die Bundestagsfraktion eindrucksvoll bewiesen, dass sie zu keinem Erneuerungsprozess bereit ist. Es wird sich zeigen müssen, ob die Partei als Ganzes, und insbesondere die Parteiführung, in der Lage sein wird, gegen die Interessen der Fraktion eine Erneuerung durchzusetzen.

 

Wer mir sagen kann, was die Liedzeile im Titel aussagen soll, schreibt mir bitte. Aber irgendwo ist Dicht&Ergreifend da auch etwas auf der Spur. Ähnlich unverständlich ist nämlich der Begriff der Heimat in der Politik, sowie die ganze Debatte darum. Was zum Teufel ist eigentlich Heimat? Und ist es gerade für die Sozialdemokratie eine gute Idee mit Heimatgefühlen Politik zu machen?

„Bayern, des samma mir“

Eine ausreichende Definition konnte mir noch niemand liefern. Meistens werden Personen, Orte und Sinneseindrücke aneinandergereiht um ein gewisses heimatliches Gefühl zu beschreiben. Immer also ist die Heimat etwas absolut Subjektives und schwierig abzugrenzen. Und daraus soll jetzt irgendwie politisches Kapital geschaffen werden. Dass das kläglich scheitert sieht man an den jüngsten Beispielen: Christian Lindner hat Verständnis für Rassismus beim Bäcker, die CSU stellt im Landtag Eilanträge, weil ein bayerischer Kindergarten einen christlichen Feiertag begeht, der wohl als „unbayerisch“ angesehen wurde, und der Grüne Landtagswahlprogrammentwurf bringt solche Stilblüten zu Tage, wie „Baukultur ist und schafft Identität und Heimat“.

An den Umfragewerten scheint sich durch solche Aktionen relativ wenig zu ändern, die Frage ist, wann das auch in den jeweiligen Parteizentralen ankommt, beziehungsweise ob es sie überhaupt interessiert. Der CSU kann eine starke rechte Opposition eigentlich ganz gelegen kommen, heißt es doch, dass jede Koalition gegen die CSU von Mitte links verhindert wird. Die Grünen haben mittlerweile begriffen, wer sie wählt, nämlich reiche Menschen in Städten und so ein bisschen Heimat findet ja auch die ökobewusste Oberschicht nicht schlecht, die FDP hat seit dem Jamaika-Aus ja allgemein Probleme sich zu profilieren, Christian Lindner möchte einfach gerne ins Fernsehen und Sahra Wagenknecht war ja immer schon Anhängerin eines sehr national zentrierten Sozialismus. Die SPD dagegen scheint als einzige großen Schaden vom derzeitigen Themenmainstream zu nehmen.

„Warum wählst du SPD?“ – „Naja, wir können ja nicht alle aufnehmen.“

Wenn Andrea Nahles sagt, dass wir nicht alle aufnehmen könnten, ist das vielleicht eine wahre Aussage, aber ein Strohmannargument und überhaupt als Statement wahnsinnig dumm. Wer sind denn „alle“? Wollen die überhaupt „alle“ hierher? Wer hat denn gefordert, dass „alle“ hierher sollen? Und wer ist überhaupt dieses „wir“, das auf diese Weise immer wieder gebraucht wird, um sich gegen das Fremde abzugrenzen, das man ja nicht aufnehmen könne. Was wir derzeit erleben ist die Wiederentdeckung der Deutschtümelei in der Politik, durch alle Lager hindurch. Politiker*innen möchten den Menschen ein „Heimatgefühl“ geben, wohlig warm, bloß ohne böse Einflüsse aus der weiten Welt.

Die SPD ist als Partei wie keine andere absolut ungeeignet aus einem „Heimatgefühl“ Kapital zu schlagen. Über alle Bevölkerungsschichten hinweg wird sie gleich wenig gewählt und die Lebensrealitäten dieser Schichten sind viel zu unterschiedlich, als dass es abzuschätzen wäre, welche verquere Symbolpolitik an welchem Ende mehr Wähler*innen einbringt als kostet. Söder kann darauf vertrauen, dass die konservativen Stammwähler*innen seinem Kreuzzug relativ positiv oder wenigstens gleichgültig gegenüberstehen. Aber worauf kann die SPD vertrauen? Was erwarten die Menschen von ihr?

Ich wage zu behaupten, keine Deutschtümelei. Das beste Ergebnis im Bund fuhr die Partei immerhin mit Willy Brandt ein, Autor des Buches „Verbrecher und andere Deutsche“.

Mein linker linker Platz ist frei

Durch den ganzen Heimatdiskurs kommt vor allem ein großes Thema zu kurz, was die SPD in der Vergangenheit immer gern bespielt hat, die soziale Frage. Zu den Groko-Verhandlungen gab es mal einen kurzen Zeitraum in dem es öffentlichen Diskurs über soziale Themen gab, nämlich als es darum ging, was die SPD der Union an Zugeständnissen entlocken kann. Da wurde tatsächlich über eine „Bürgerversicherung“ diskutiert, man hörte Forderungen nach einer Mindestlohnerhöhung, endlich Themen bei denen die Sozialdemokratie punkten könnte. Nur leider ist davon nicht mehr viel übrig geblieben, seitdem die Partei im Bund in Regierungsverantwortung ist und Debattenbeiträge kommen nicht mehr aus der vorderen Reihe der Partei, die in der Koalition möglichst staatstragend aussehen möchte, sondern etwa von Michael Müller, der eine Debatte um einen solidarischen Arbeitsmarkt aufwirft.

Könnte die Partei nicht einfach mal versuchen diese krasse Lücke links im Parteienspektrum zu schließen, die sich seit langer Zeit mehr und mehr auftut? Wo Grüne immer konservativer und Linke immer nationalistischer werden könnte sich doch eine SPD glaubhaft gegen diese Heimatduseligkeit stellen und konkrete sozialpolitische Forderungen aufstellen. Anstatt „Wir können nicht alle aufnehmen“ könnte Andrea Nahles dann mit „Wir wollen eine Kindergrundsicherung, aber mit der Union ist gerechte Familienpolitik leider nicht zu machen“, zitiert werden.

Natürlich bräuchte es hierzu einen inhaltlichen Erneuerungsprozess, wurde ja auch versprochen. Wann fängt der denn jetzt endlich mal an? Jetzt wäre die Zeit mit mutigen Forderungen voran zu gehen. Michael Müller hat das immerhin schon mal erkannt.

Die SPD hat sich entschieden. Es gibt eine erneute große Koalition mit der CDU und der CSU. Mich hat der Ablauf im Vorfeld des Mitgliederentscheids gestört. Statt sachlich alle Alternativen aufzuzeigen, gab es Regionalkonferenzen mit sehr einseitig besetzen Podien. Auch der Brief, der den Wahlunterlagen beigelegt war, hat nicht den Diskurs innerhalb der Partei abgebildet. Das ist das Recht des Parteivorstands, aber schade ist es nichtsdestotrotz. Ich dachte, meine Partei könnte da mehr.

Nach der Pressekonferenz des Parteivorstands war es mucksmäuschenstill im Willy-Brandt-Haus, die Helfer:innen haben das ausgemacht. Meine Facebook-Timeline war allerdings nicht still. Gute und engagierte Genoss:innen, die diese Partei braucht, sind ausgetreten. Mich hat das unfassbar traurig gemacht, ich verstehe sie aber auch. Ich respektiere den Entschluss jeder:jedes einzelnen, aber ich persönlich glaube, das ist der falsche Weg.

Auch wenn die Mitgliederbefragung vorbei ist – es gibt jetzt kein „Back to Business.“. Wir stehen vor der großen Frage: Quo vadis SPD? Bitte nicht den gleichen Weg, wie die Parti socialiste in Frankreich. Die Diskussion um die Erneuerung und auch die Ausrichtung der SPD ist noch nicht vorbei.

Ich bin der Meinung, dass die Menschen auch in Zukunft eine echte und starke Sozialdemokratie brauchen. Wir haben nicht mehr unser klassisches Wähler:innenklientel, wir werden von allen Milieus ein bisschen gewählt. Auch wenn es vielleicht die „klassischen“ Arbeiter:innen kaum noch gibt – es gibt viele Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wir müssen angehen, dass immer weniger Menschen in sozialversicherungspflichtigen Berufen arbeiten, dass befristete Berufe immer mehr zur Regel werden, dass Hartz 4 als alternativlos gilt. Der Hype, den es Anfang 2017 gab, ist nicht vom Himmel gefallen. Die Frage nach Gerechtigkeit, nach Umverteilung wird sich in diesem Land gestellt. Die SPD hat es damals nicht geschafft andere Konzepte zu liefern, das kann sie nur, wenn sie sich vom Neoliberalen Dogma trennt.

 

Wir müssen nicht an Stellschrauben drehen, um das System ein bisschen besser zu machen, wir müssen das System verändern. Niemand bejubelt uns dafür, dass wir die Parität bei den Krankenkassen wiedereinführen, nachdem wir sie selbst vor 15 Jahren unter rot-grün abgeschafft haben.

Um aber diese Neuausrichtung zu schaffen, brauchen wir euch. Wir brauchen junge, engagierte Menschen, die Lust haben gemeinsam und solidarisch diese Partei wieder auf einen klaren Kurs bringen. Nur mit einer Sozialdemokratie, die zu ihren Werten steht und danach handelt, hat die SPD eine Zukunft. Die SPD hat viel an Glaubwürdigkeit verloren – wenn sie jetzt noch ihre Mitglieder verliert, dann dreht sich Willy Brandt wirklich im Grabe um. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass wir in Zukunft wieder Wahlsiege feiern können.

Ihr wollt mitentscheiden und die Partei mit formen? Dann meldet euch zu einem der zahlreichen Seminare an, geht zum Basiskongress am kommenden Wochenende, arbeitet in den Kommissionen mit oder besucht die Landeskonferenz als Gast!

Am 24. September 2017 gegen 18 Uhr erklärte Martin Schulz im Willy Brandt Haus die Zusammenarbeit mit der Union für beendet und bekam dafür viel Beifall, vor allem von den Jusos.

Nach dem ernüchternden Wahlergebnis von 20,5% bei der Bundestagswahl, schien dies einen vernünftigen Weg darzustellen. Noch am Vormittag des 20. November, die Koalition aus Union, Grünen und FDP war nicht zustande gekommen, war Schulz immer noch der Meinung, dass die Partei nicht für eine Regierungsbeteiligung zu haben sei.

161 Tage nach der Bundestagswahl, verkündete SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan gegen 9:30 Uhr das Gegenteil.

Wie es dazu gekommen ist? Zwei Drittel der abgegebenen SPD-Mitgliederstimmen hatten „Ja“ zu einer erneuten GroKo gesagt. Das ist das Ergebnis einer Zeit des Auf und Ab, des Für und Wider.

Für uns, die Jusos, ein eher überraschendes Ergebnis, denn ein so klares Ja zu GroKo hätte wohl niemand erwartet. Doch woran mag es liegen? Selbst Andrea Nahles gab zu, dass es im Parteivorstand keinen „Plan B“ für den Fall des Scheiterns der Mitgliederbefragung gegeben habe. Das dachten sich wohl schon viele im Voraus und haben deshalb mit Ja gestimmt.

Kevin Kühnert, der Vorsitzende der Jusos, war mit diesem Ergebnis auch alles andere als zufrieden, ebenso wie wir, die Jusos.

Ich kann allerdings auch nur seine Worte wiederholen, „Wir sind keine schlechten Verlierer und werden jetzt versuchen, das Beste daraus zu machen.“

Auch die Forderung, die SPD zu erneuern, war laut geworden. Möglicherweise ist ein erster Schritt in diese Richtung die Bekanntgabe der neuen SPD-Minister*innen.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und der kommissarische Parteichef Olaf Scholz bestätigten bei der Pressekonferenz die Namen, die bereits im Vorfeld kursierten. Der erste Bürgermeister von Hamburg, Scholz, wechselt, wie zu erwarten war, nach Berlin und übernimmt den Posten des Bundesfinanzministers sowie Vizekanzlers. Der bisherige Justizminister, Heiko Maas, leitet nun das Außenressort. Der neue Arbeitsminister wird Hubertus Heil. Im zukünftigen Kabinett werden, auf der Seite der Frauen, Katarina Barley als Justiz-, Franziska Giffey als Familien- und Svenja Schulze als Umweltministerin, sitzen.

Michael Roth bleibt Staatsminister im Auswärtigen Amt und die SPD- Abgeordnete Michelle Müntefering wird Staatsministerin für internationale Kulturpolitik.

Mit dem Rauchen aufzuhören ist einer der vielen Vorsätze, die einfach gefasst sind, aber häufig nicht eingehalten werden. So ist der Entschluss, zu einem gewissen Zeitpunkt das Rauchen sein zu lassen – gerne zum Jahreswechsel – leicht gefasst. Das Rauchen aufhören lässt sich auch gut begründen, schließlich locken langfristig bessere Gesundheit, mehr übriges Geld und längere Lebenserwartung. Trotzdem scheitert die Mehrzahl der Versuche, indem kurzfristig, wenn es zum Rauchstopp kommt, vom initial gefassten Entschluss abgewichen wird. Der Raucher, oder die Raucherin, raucht weiter, verschenkt damit die langfristigen Vorteile und verhält sich – wenn man so will – aus einer Langfristperspektive irrational. In der Verhaltensökonomie wird das kurzfristige Abweichen von einer Langfriststrategie daher zeitinkonsistentes Verhalten genannt. Dies beschreibt ein Muster, in dem zu einem Anfangszeitpunkt eine Handlung, in unserem Beispiel an Neujahr mit dem Rauchen aufzuhören, für eine handelnde Person optimal ist, in unserem Beispiel also die Vorteile des Nichtrauchens den Nachteilen überwiegen. Zum Zeitpunkt der Handlung, in unserem Beispiel also zum Jahreswechsel, hat das Individuum allerdings Anreize, von der vorher gefassten Entscheidung abzuweichen, also weiter zu rauchen. Der Grund hierfür ist, dass kurzfristiger Nutzen stärker geschätzt wird als langfristige Gesundheit, was in der Konsequenz zum rationalen Abweichen von der Langfriststrategie führt. Ab dem ersten Januar ist es für unser rauchendes Individuum dann wieder optimal, sich zum Neujahr das Aufhören vorzunehmen, um dort wieder damit zu brechen.

Die logische Konsequenz aus zeitinkonsistentem Verhalten ist, dass die betroffenen Akteure an Glaubwürdigkeit einbüßen. Nicht zuletzt deshalb wird auch die Ankündigung, mit dem Rauchen aufzuhören, häufig vom Freundeskreis belächelt. Für den Einzelnen mag das nicht weiter tragisch sein, für Institutionen kann der Verlust von Glaubwürdigkeit allerdings große Schwierigkeiten bedeuten. Für Zentralbanken beispielsweise ist Glaubwürdigkeit von enormer Bedeutung: Glauben Marktteilnehmer*innen nicht mehr an die Ankündigungen der Zentralbanken, so kann es zu Chaos auf den Märkten kommen, wie diverse Bank Runs der Geschichte gezeigt haben. Darin liegt im Übrigen auch die Ursache der Merkel-Steinbrück-Erklärung („Die Spareinlagen sind sicher“) während der Finanzkrise: Hätte man ihnen nicht geglaubt, so wäre ein Bank Run die logische Konsequenz gewesen. Entsprechend ist es für die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen von Seiten der Zentralbank zunächst weniger erheblich, ob sie funktionieren, und wesentlich erheblicher, ob die Akteure der betreffenden Volkswirtschaft von der Wirksamkeit überzeugt sind. Das begründet die Wichtigkeit der Glaubwürdigkeit von Zentralbanken.
Nun ist zeitinkonsistentes Verhalten nicht alleine Problem der Raucher*innen, sondern war auch lange in der Geldpolitik zu finden: Lag die geldpolitische Hoheit bei der Regierung, so war es zwar langfristig optimal, die Geldmenge zu kontrollieren und große Preiszuwächse zu vermeiden, gleichzeitig wurde oft kurzfristig davon abgewichen und Geld gedruckt, um den Staatskonsum (häufig für Militär) zu finanzieren. Damit wurde nicht nur der Wirtschaft geschadet, sondern auch der Glaube in die Währung verspielt: Durch den enormen Anstieg der Geldmenge kam es zu Hyperinflationen, die Spareinlagen entwerteten und die Wirtschaft brach zusammen. Um den Handel mit Alternativwährungen zu unterbinden und wieder langfristiges Wachstum zu ermöglichen, entschloss man sich daher später, die geldpolitische Autonomie an eine Zentralbank abzutreten, um den Glauben in die Stabilität der Währung wiederherzustellen. Damit war gleichzeitig auch der Anreiz, sich zeitinkonsistent zu verhalten, eliminiert – der EZB ist es beispielsweise verboten, Staatskonsum zu finanzieren. Die Abtretung von Kompetenzen, sei es durch Regeln, Gesetze oder Schaffung von Institutionen, kann also zeitinkonsistentes Verhalten verhindern und somit das Erreichen der langfristig optimalen Handlungsstrategie sicherstellen.

Der Parteivorstand der SPD steht gerade vor einem ähnlichen Dilemma: Im Lichte der Wahlergebnisse der Bundestagswahl, die für die SPD eine krachende Niederlage bedeuteten, entschloss man sich, nicht in die Regierung einzutreten. Einstimmig beschloss der Bundesvorstand in der Konsequenz, dass die Sozialdemokratie für eine Koalition mit der Union nicht zur Verfügung stünde. Der Parteivorstand wusste, dass der Eintritt in eine weitere große Koalition zu weiteren Stimmenverlusten bei künftigen Wahlen führen würde, und er wusste, dass alleine in der Opposition ein Erneuerungsprozess in der Partei passieren könnte, der künftig wieder bessere Ergebnisse ermöglichen würde. Aus einer Langfristperspektive war der Gang in die Opposition also die richtige Entscheidung. Mit dem Scheitern von Jamaika stand der Bundesvorstand der SPD schließlich an dem Punkt, an dem er zur Handlung verpflichtet war. Entgegen der ursprünglichen Ankündigung entschloss dieser sich allerdings zur Aufnahme von Sondierungs- und anschließend von Koalitionsgesprächen. Das zeitinkonsistente Verhalten der SPD lässt sich dabei begründen: Mit dem Scheitern von Jamaika ergab sich einerseits die Möglichkeit, Ministerien zu besetzen und politische Forderungen umzusetzen. Andererseits erhöhte das Scheitern Jamaikas die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen, was zu erneuten Listenreihungen für Bundestagskandidat*innen, und damit zur Unsicherheit über die politische Zukunft von Abgeordneten, geführt hätte. Konsequenterweise war es für den Bundesvorstand rational, auf Basis kurzfristiger Präferenzen von der langfristig optimalen Strategie, also der Erneuerung der Partei in der Opposition, abzuweichen und für den Eintritt in die Regierung zu werben. Dabei wäre ein Festhalten an der langfristig optimalen Strategie, analog zum Fall des Rauchens oder der Geldpolitik, für die Partei der sinnvollere Weg. Einerseits führt der Gang in die Regierung zu einem Teufelskreis ähnlich dem des Rauchens: Nach vier Jahren wird die Partei bei einer weiteren Bundestagswahl abgestraft, eine Koalition mit der Union wird ausgeschlossen, vom initialen Ausschluss wird abgewichen, es kommt zur Koalition. Schließlich ändert sich an den Langfristargumenten wider der großen Koalition nichts, wie sich auch am Hang von Abgeordneten und Parteivorstandsmitgliedern für zeitinkonsistentes Verhalten nichts ändert. Weiterhin wird sich die SPD während ihrer gesamten Regierungszeit bewusst sein, dass die Fortführung der großen Koalition zu Verlusten von Wähler*innen führen wird. Und ebenso wird sich der Bundesvorstand bei der Regierungsbildung bewusst sein, dass eine Regierungsbeteiligung mit Reformen und Ministerien belohnt wird. Entsprechend ist die Konsequenz ein infinitives Eintreten in große Koalitionen bis zum Scheitern an den dafür notwendigen Mehrheiten – was zum langfristigen Schaden für die Bundespolitik und deren Wähler*innen führt, den keine Verkettung von großen Koalitionen jemals aufwiegen könnte.
Auf der anderen Seite ergeht es der Partei aber auch wie der Geldpolitik: Durch das Abweichen von der initial angekündigten Strategie verspielt sie Glaubwürdigkeit. Wieso sollte auch jemand einer Partei Glauben schenken, deren Erklärungen für und wider von Machtoptionen nichts wert sind. Entsprechend ergeht es den künftigen Wahlprogrammen der SPD dann wie den Ankündigungen von Zentralbanken, die mit einmal mit ihren Ankündigungen gebrochen haben: Sie mögen zwar die richten Antworten auf die Fragen der Zeit sein, allerdings wird sich dies nie feststellen lassen, da keinerlei Möglichkeit zur Etablierung der Reformen mehr besteht. Eine immer kleiner werdende SPD bedeutet auch, dass Projekte wie die Bürger*innenversicherung oder die Vereinten Staaten von Europa niemals umgesetzt werden. Kevin Kühnert hat also in doppelter Hinsicht recht, wenn er von Vertrauen als Währung der Politik spricht. Mit dem zeitinkonsistenten Verhalten der Parteiführung verspielt sich die Sozialdemokratie entsprechend jede Glaubwürdigkeit und verliert schlussendlich auch ihre Stammwählerschaft.

Schlussendlich liegt die Lösung des Dilemmas der SPD in einer ähnlichen Regelbindung wie im Fall der Zentralbank: Durch das Abtreten der Entscheidungshoheit auf eine dritte Instanz, die keinen Anreiz hat, von der langfristigen Strategie abzuweichen. Glücklicherweise hat sich die Sozialdemokratie dazu entschlossen, dies in der Gestalt eines Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag zuzulassen. Es bleibt zu hoffen, dass die stimmberechtigte Basis der Sozialdemokratie sich der langfristigen Konsequenzen von zeitinkonsistentem Verhalten bewusst ist, und sich nicht zu sehr von den Parteispitzen einlullen lässt. Ansonsten läuft die Sozialdemokratie Gefahr, Teil eines sich alle vier Jahre wiederholenden Schmierentheater zu werden.

Die Fragestellung in der Überschrift ist zugebenermaßen sehr provokant. Doch genauso provokant wie sie ist, genauso einfach ist auch die Antwort auf die Frage. Ja, die Sozialdemokratie hat Zukunft. Allerdings sollte uns allen Bewusstsein, dass die Sozialdemokratie kein Selbstläufer ist. In vielen Ländern, vor allem in unseren europäischen Nachbarländern ist sie in der Versenkung verschwunden. Erwähnt werden muss in dem Kontext aber auch, dass sie aus einer Regierungsverantwortung abgewählt wurden, die meistens neoliberale Arbeitsmarktreformen durchgesetzt hat uns somit den Arbeiter*innen in den Rücken gefallen ist. Die „Parti socialiste“ ist mit ihrer sinnlosen Reform ein aktuelles Negativbeispiel („Frankreich braucht keine Arbeitsmarktreform“; SEPP 2017, Seite 25). Durch einen neoliberalen Gegenkandidaten mit einem souveränen Auftritt, Emmanuel Macron, ist die Sozialdemokratie in Frankreich dann vollends abgetaucht. Warum man also führende Sozialdemokrat*innen Emmanuel Macron als wichtigen Partner sehen, auf den man durchaus hören sollte, ist für mich unerklärlich. Sollten wir unsere Politik also nach Macron und seiner „En Marche!“ ausrichten wollen, können wir hierzulande gleich mit der FDP fusionieren.

Ein weiterer Punkt, der die Sozialdemokratie definitiv nicht nach vorne bringt, ist, wenn gezielt Inhalte mit reinen Personaldebatten, wie das derzeit der Fall ist, überdeckt werden. Noch absurder ist das ganze dadurch, dass die Menschen, die den Jusos vor einigen Jahren noch vorgeworfen haben, dass diese keine Geschlossenheit zeigen würden und gegen ihren Parteivorsitzenden arbeiten würden, maßgeblich an der Personalrochade beteiligt sind, um sich selbst einen Posten zu verschaffen. Dass nun Verwandte von Spitzenpolitiker*innen sich auch noch einschalten und andere Personen angreifen, macht die ganze Sache nicht besser. Ich bin mir sicher, dass die Menschen, die jahrelang eine Personalpolitik in Hinterzimmer betrieben haben und wesentliche Entscheidungen bei kleinen Männerrunden ausgemacht haben, in der Lage sind, dies nun zu verdauen.

Was in den letzten Tagen veranstaltet wurde, ist für mich in mehrerlei Hinsicht ein reines Trauerspiel. Inhalte sollten an erster Stelle stehen, nicht Personaldebatten. Böse Zungen würden nun behaupten, dass die Intention der Personaldebatten lediglich ist, von den Inhalten abzulenken. Nach wirklich sozialdemokratischen Erfolgen sucht man in dem Koalitionspapier auch wirklich vergebens. Warum viele junge Menschen zwar politisch sind, aber dennoch keine Lust haben, einer Partei beizutreten, ist angesichts dieses Politikstils, der hoffentlich bald sein Ende, verständlich. Meines Erachtens wäre es aber wichtig, genau deshalb einer Partei beizutreten, um für seine Inhalte zu kämpfen, eine offene Diskussionskultur und ein Ende der Personalpolitik in Hinterzimmern zu kämpfen.

Des Weiteren müssen wir endlich mehr Linkspopulismus wagen. Damit meine ich selbstredend nicht, mit Fake-News für seine Inhalte zu werben. Wir müssen allerdings mehr linke Inhalte vertreten, die zum Teil auch durchaus provokativ ist. Die politische Kommunikation in den letzten Jahren hat sich deutlich verschlechtert. Wir sollten daher mit einfacher Sprache für unsere Themen kämpfen. Selbstverständlich ist es trotzdem wichtig, dazu dann genaue Konzepte vorzulegen und nicht lediglich gute Überschriften.

Es muss uns allerdings natürlich bewusst sein, dass einer Opposition in der Konsequenz nicht automatisch eine inhaltliche Erneuerung folgt. Wir müssen in der Opposition klare linke Inhalte vertreten und Visionen entwickeln. Eine „Politik der Mitte“ bringt uns nicht voran. Die Sozialdemokratie muss in den nächsten Jahren deutlich radikaler werden. Dies gilt unter anderem auch für die Landtagsfraktion in Bayern, die es sich nun seit einigen Jahrzehnten in der Opposition bequem gemacht hat. Eine Forderung nach mehr Lehrkräften und der Hinweis auf die Versäumnisse der CSU bringen uns beispielsweise nicht voran. Wir müssen vor allem im Bereich der Bildung mutiger sein und für neue Konzepte eintreten, zum Beispiel einer Gesamtschule. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir in der kommenden Landtagswahl mit Natascha Kohnen und vielen Juso-Kandidierenden ein mutiges Konzept für den Freistaat vorlegen werden.

Die Verhandlungen um eine große Koalition scheinen gegenwärtig so ziemlich alles zu überschatten. So war unter anderem eine doch auch sehr interessante Forderung der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sarah Wagenknecht, ziemlich in der politischen Debatte untergegangen. In einem Spiegel Interview vom 13.01.2018 hat die Frau des Ex-Linken-„Stars“ Oskar Lafontaine vorgeschlagen, in der deutschen politischen Landschaft eine große, linke Sammlungsbewegung zu etablieren.[1]

Ja, ich gebe zu, ich habe schon immer eine große Sympathie für eine große linke Bewegung, doch in der ganzen Debatte stelle ich mir die Frage, ob dieses Projekt im Widerspruch zum Anspruch der Parteien auf der linken Seite, die immer wieder in den letzten Jahren für Mehrheiten gekämpft haben, steht. In den vergangenen Legislaturperioden von 2005-2009 und auch von 2013-2017 hat es eine Mehrheit links der Mitte im Parlament gegeben, doch nie fanden sie zusammen. Ob die Gründe in der Abwehrhaltung einiger Mitglieder der Linken liegen oder im rechten, konservativen Lager innerhalb der SPD, dem Seeheimer Kreis: Nie wurde groß über die Möglichkeit einer links-sozialökologischen Regierung gesprochen. Gerade aber in der SPD hat man sich das Leben leicht gemacht und ist  mal wieder mit der Union ins Bett gestiegen.

Im Jahr 2005 erreichte R2G insgesamt 51% der Stimmen und hätten mit 327 Sitzen eine doch recht vernünftige Mehrheit gehabt. Auch im Jahr 2013 hätte es die Möglichkeit gegeben, doch die Mehrheit der Mitglieder haben sich bei einem Mitgliedervotum für eine erneute Große Koalition ausgesprochen.

Man sieht an diesen Zahlen doch auch recht deutlich, dass das Problem nicht inhaltlich, sondern meist eher persönlich begründet wird. Die Linken, die grob gesagt eine Abspaltung der SPD ist, wären inhaltlich weiter entfernt als die Union es ist? Ziemlicher Unfug, gerade wenn mensch auch die beiden Wahlprogramme mal miteinander vergleicht. Interessanter ist wohl eher der Umstand, dass man sich wohl einem rot-rot-grünen Bündnis verweigert, weil ein Oskar Lafontaine (seines Zeichens ehemaliger SPD-Vorsitzender) aufgrund der neoliberalen Kurswende unter Schröder aus der SPD ausgetreten ist und eine Konkurrenz-Partei – die Linke – mitgegründet hat. Weiter existiert in unserer Partei auch noch der konservative, neoliberale und karrieristische Seeheimer Kreis um Johannes Kahrs, dem es nicht zu schade ist, für Pöstchen alles zu tun und damit im Zweifel auch ein paar Werte über Bord zu werfen. Gerade was das Thema des Spitzensteuersatzes und auch der Vermögenssteuer angeht, sind es die Seeheimer*innen, die als erstes die Stimme dagegen erheben.

Allerdings muss auch gesagt werden, dass es ein Oskar Lafontaine und eine Sarah Wagenknecht waren, die gerade innerhalb der Linken ein progressives, linkes Bündnis verhindern wollten. Bis heute spürt mensch diesen Geist in der Partei: Statt sich gegen rechtsnationale, konservative und neoliberale Parteien deutlich zu positionieren, nutzt sie jegliche Möglichkeit gegen die Sozialdemokratie zu schießen und damit schlichtweg auch eine potentielle Zusammenarbeit zu verhindern.

An diesen Gegebenheiten und den Zahlen der Ergebnisse und der daraus resultierenden Nichtwahrnehmung einer Koalitionschance auf der linken Seite des Parlaments, sowohl 2005 als auch 2013, lässt die Idee eines irgendwann noch existierenden Bündnisses aus Linke, Grüne und SPD immer weiter entfernt erscheinen. Klar gesagt: Man hat etliche Chancen verspielt. Die SPD hat sich bei diesen Gelegenheiten doch immer und immer wieder für eine Politik des Aussitzens und Stillstands mit der Union entschieden. Und mittlerweile ist es ganz und gar nicht sicher, dass die als möglichen Partner*innen geltenden Parteien, also SPD, Grüne und Linke in ihrer jetzigen Formation und mit ihren jetzigen Führungspersonen eine solche linke Mehrheit in Zukunft und in absehbarer Zeit wollen und erreichen könnten: Die gegenwärtige Parteispitze der Grünen mit ihrer deutlich sichtbaren Neigung zu Schwarz-Grün und das Führungspersonal der SPD, das das Gespenst der „roten Socken“ mittlerweile genauso verinnerlicht hat, wie die Union, wird vermutlich auch künftig Chancen, wie sie 2005 und 2013 gegeben waren, nicht nutzen. Auch die Linken – allen voran eigentlich Wagenknecht und Lafontaine – bewegen sich lieber in der Opposition als in einer Regierung.

Ich persönlich gebe zu, dass ich ein Freund der Idee einer linken Sammlungsbewegung in Form eines linken, progressiven Wahlbündnisses bin. Allerdings wird sowas nur funktionieren, wenn innerhalb dieser drei Parteien kleine bis große Erneuerungsprozesse stattfinden: Gerade in der SPD, in der der Seeheimer Kreis die Szene beherrscht und die führenden Gruppierungen damit erkennbar zufrieden sind, dass die Partei in Regierungssesseln auch dann hockt, wenn sie den Kurs der Regierung nur noch ganz minimal bestimmt, wird sich leider so schnell nichts ändern. Ein Lichtblick hierbei ist allerdings dann doch der vergangene Parteitag: Ganze 44% der mittleren Funktionär*innenebene haben sich am Sonntag gegen eine Aufnahme von Koalitionsgespräche mit der Union ausgesprochen. Eine sehr wichtige Arbeit dahingehend haben – darauf können wir auch ruhig ein großes Stück weit stolz sein – wir Jusos geleistet. Es ist für den Fortbestand der Sozialdemokratie wichtig, dass sich die Mehrheit der Mitglieder gegen eine Große Koalition ausspricht. Es ist endlich Zeit für ein Ende der Minimalforderungen, es ist endlich Zeit für ein Ende einer neoliberalen Politik, es ist endlich Zeit für ein Ende von Großen Koalitionen.

Andernfalls werden wir Sozialdemokrat*innen nicht nur daran Schuld sein, dass der Rechtspopulismus in unserem Land noch weiter zunimmt, sondern dass wir uns damit auch noch selbst unser eigenes Grab schaufeln.

Liebe Genoss*innen, die GroKo wurde abgewählt! Die Bürger*innen haben keinen Bock mehr auf uns, sie wollen endlich in einem gerechteren und einem sich bewegenden Land leben. Dafür brauchen wir linke Mehrheiten und wieder fortschrittliche, soziale und ökologische Politik! Das geht nur, wenn wir jetzt endlich von unseren mittlerweile angeschwärzten Sesseln aufstehen, den Nazis der AfD im Parlament klar den Kampf ansagen und für linke Mehrheiten streiten! Es geht nicht nur um uns! Es geht besonders um die Menschen in unserem Land! Lasst uns mutig sein!

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-sahra-wagenknecht-will-neue-linke-volkspartei-a-1187565.html

Liebe kann weh tun. Das tut sie auch – nämlich dann, wenn sie auf Zweifel stößt. Und Zweifel dürften den kühnen Beobachter*innen der Regierungsbildung in die letzten Monate nicht erspart worden sein. Beginnend mit dem enttäuschenden, wenn auch nicht ganz unerwarteten, Bundestagswahlergebnis und unlängst endend mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche.

Die SPD ist, eine Spezialität des Hauses, gespalten, wenn es um die Frage der Regierungsverantwortung geht. Während Schulz am Wahlabend noch große Töne spuckte, es werde keine „GroKo“ mehr geben, scheint das manch prägende Persönlichkeit innerhalb der Partei Mitte Januar bereits wieder ganz anders zu sehen. Da können die Jusos mit ihrer #noGroKo-Kampagne noch so toben, die Wahlprognosen noch so weit sinken – der eiserne Kern bleibt bei seinem Plädoyer für eine erneute große Koalition. Ist das tatsächlich bloßer Starrsinn oder lässt sich diese Position relativieren?

Die am längsten bestehende Partei Deutschlands wird gerne zum Sündenbock gemacht : Heißt es GroKo, stehen wir nicht zu unseren Idealen, heißt es „no GroKo“, sind wir verantwortungslos. Dabei ist Verantwortung sehr verschieden auszulegen  – Regierungsverantwortung muss nicht heißen, mit der Union zu koalieren, sondern kann ebenso bedeuten, eine starke Opposition anzuführen und damit unter Umständen sogar mehr für eine qualitative Bundesregierung zu tun. Zugegebenermaßen lässt sich die SPD für ihren Umgang mit der Regierungsbildung kritisieren : eine klare Linie, die im besten Fall an die Meinung der Parteibasis gekoppelt ist, wäre wünschenswert. Und den Idealen der Sozialdemokratie treu zu bleiben ebenfalls.

Blöd nur, wenn die SPD in ihrer Vielfalt und den sich kontrastierenden Meinungen ihrer Mitglieder ihre Ideale ein wenig versteckt hält. Eine Frage, die SPD-Mitglieder sich im Januar 2018 stellen sollten, ist, woran sie eben solche Ideale fest machen möchten und wie viel Abweichung sie der dominierenden Führungsriege durchlassen können. Die Bundestagswahl 2017 hat die deutsche Sozialdemokratie in eine wahre Sinn- und Identitätskrise gestürzt – die wohl längst überfällig war.

Zwei Legislaturperioden GroKo haben die SPD in vielerlei Hinsicht durch den Fleischwolf gedreht. Während das Immergleich der Union der SPD eine gehörige Portion Trägheit abgegeben hat, hat erstere es verstanden, Errungenschaften der SPD auf sich zu münzen (Stichwort Mindestlohn). Was den Sozialdemokrat*innen in der Bundesregierung fehlt, ist der Mut, das Allbekannte hinter sich zu lassen und statt bedingungsloser Kompromissbereitschaft bedingungsloses Durchsetzungsvermögen an den (Bundes-)Tag zu legen. Die Partei wirbt zwar mit einem Erneuerungsprozess – aber widersprechen sich nicht Koalitionsbestreben, also Fortsetzen des Status Quo, und der Wunsch nach Erneuerung? Acht Jahre GroKo haben nicht nur die Prozente der SPD ins Negative gewandelt, sondern auch das Vertrauen in die Partei – intern wie extern. Die SPD als Arbeiter*innenpartei grenzt sich von der Union dadurch ab, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit auf allen Ebenen, wie konkret die Bürger*innenversicherung eine wäre, zu stellen. Was Befürworter*innen der GroKo zu verkennen scheinen, ist, dass nicht nur ein vorauseilender Gehorsam in der Kompromissfindung zu einem (in diesem Fall eher ernüchternden) Ergebnis führt, sondern auch das dezidierte Vertreten neuer Ideen und Ansätze. Zwar ist „das Sondierungspapier“ nicht frei von Errungenschaften – aber wie genügsam wollen wir noch sein? Zu welchem Preis und zu welchem Nutzen? Schließlich haben wir Wahlversprechen einzulösen, die nicht bloß unser Verlangen nach besseren Werten decken dürfen, im Gegenteil den Zweck erfüllen sollten, die Missstände, die ihnen zu Grunde liegen, zu bekämpfen. Eine Obergrenze, die laut Klingbeil keine ist, neuerdings auch atmender Deckel genannt, ist höchstens geeignet, den*die urtreuen Sozialdemokraten*in nach Luft schnappen zu lassen.

Es fehlt gerade noch, dass im Parteivorstand bald Krawattenmodell „atmender Dackel“ getragen wird – Hundekrawatten liegen im Trend.

Schon einmal hat die SPD zu Zeiten des Burgfriedens den fatalen Fehler begangen, statt aus verschiedenen Ansichten eine Essenz zu ziehen, Andersdenkende innerhalb der eigenen Reihen zu verurteilen. Solidarität darf nicht nur nach außen gefordert werden, muss auch denen zu Teil werden, die einem selbst am nächsten stehen. Solange wir uns noch als Volkspartei bezeichnen dürfen, liegt unsere Identität viel mehr im Pluralismus unserer Ansichten als im Einheitsbrei – denn dass der weder uns noch unseren Wahlversprechen taugt haben die letzten acht Jahre bewiesen.

Wohin führt nun also die Frage nach der sozialdemokratischen Identität? Fest steht, dass jede*r Genoss*in die Antwort darauf selbst finden muss und jeder einzelne Ansatz legitim ist, insofern er die Selbstkritik nicht ausschließt. Meinungsverschiedenheiten sind die Basis einer differenzierten Meinungsbildung. Und trotzdem, so schwer es uns fällt, müssen wir lernen, miteinander schonender umzugehen, alles in allem an einem Strang zu ziehen. Eine SPD, die an inhaltlichen Unstimmigkeiten und kleinkariertem Flügelstreit zerbricht, statt daran zu wachsen, hilft weder der Partei selbst noch ihrer Medienwirksamkeit.

Meine ganz persönliche Antwort auf meine Zugehörigkeit innerhalb der SPD habe ich übrigens gefunden. Trotz seiner Verbannung aus der algerischen Kommunistischen Partei befand Albert Camus kurz vor seinem Tode noch, er „gehöre zu dieser Linken, mir und ihr zum Trotz.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.