Zurecht verstehen wir Jusos uns als linkes Korrektiv der SPD. Erfahrungsgemäß hat sie dieses – besonders in Regierungszeiten – auch bitter nötig. Auch wenn es in diesem Text um die guten Errungenschaften des gerade vorgelegten Koalitionsvertrages gehen soll, haben wir Jusos natürlich auch die nächsten Jahre eine große Aufgabe vor uns. Die Gefahr, dass diese Ampelkoalition ein soziales Profil an der ein oder anderen Stelle aus den Augen verlieren könnte, scheint doch nicht ganz unrealistisch. Nur gut, dass die Parlamentarische Linke mit Jessica Rosenthal, Kevin Kühnert und vielen anderen gestärkt in diese Legislaturperiode geht und auch bayerische Juso-Abgeordnete an ihrer Seite stehen.

Nichtsdestotrotz soll es nun wirklich ausnahmsweise mal nicht darum gehen, was bei dieser Koalition nicht so gut zu gelingen scheint (Stichwörter Steuerpolitik, Zwei-Klassen-Medizin, Mietendeckel, Klimaschutz im Sinne des Pariser Klimaabkommens…), sondern was gut gelungen ist und was wir auch durchaus so nach außen kommunizieren können.
Schon der laute Aufschrei von CDU/CSU, AfD und den Kreisen der Springer-Presse zeigt uns doch klar, dass das sogenannte „Links-Gelbe-Bündnis“ (so eine Wortkreation kann auch nur aus der CSU kommen) nicht alles falsch gemacht haben kann mit diesem Koalitionsvertrag.

Nachfolgend also eine kurze sehr subjektive Auswahl an guten Punkten, die jetzt umgesetzt werden sollen.

Zunächst finden sich einige klassisch sozialdemokratische Anliegen in diesem Papier wieder, für die auch wir Jusos intern viel gestritten haben. Der Mindestlohn wird auf 12€ steigen. Das bedeutet eine Gehaltserhöhung für sage und schreibe zehn Millionen Menschen. 10 Millionen! Diese Zahl sollten wir uns immer wieder mal vor Augen halten.
Auch die Ausbildungsgarantie, die Kindergrundsicherung und eine Reform des BAföG werden kommen. Dies ist natürlich nur eine kleine Auswahl wichtiger Projekte, die nun endlich angegangen werden können.

Am deutlichsten wird das „Fehlen“ der Unionsparteien in dieser neuen Koalition aber in der Gesellschaftspolitik. Die Legalisierung von Cannabis wird endlich in Angriff genommen, wirklich jetzt! Und das ist nur eine von vielen guten Nachrichten in diesem Bereich.
§ 219a StGB, das sogenannte „Werbeverbot“, kommt weg! Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein, eine Kommission soll sich mit der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches beschäftigen und gegen die – leider auch in unserer Region verbreiteten – Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegner*innen sollen wirksame gesetzliche Maßnahmen gesetzt werden. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität soll ins Grundgesetz aufgenommen und der Begriff der „Rasse“ daraus gestrichen werden. Das Familienrecht wird allgemein modernisiert und das Transsexuellengesetz durch ein Gleichbestimmungsgesetz ersetzt.

Wir dürfen also hoffen, dass sich hier in den nächsten 4 Jahren wirklich mehr zum Positiven verändern könnte als in den letzten 16 Jahren zusammen.

Auch glaubt man es den beteiligten Parteien natürlich eher, dass sie die großen Themen Digitalisierung (Stichworte digitale Verwaltung, digitale Bürger*innenrechte, flächendeckende Versorgung mit Glasfaser usw. usf.) und Umweltschutz (Klimacheck für alle Gesetze, Ausbau erneuerbarer Energien, Verkehrswende, …) tatsächlich vorantreiben wollen, als das bei CDU/CSU der Fall war.

Die Ampel ist alles in allem also wirklich der Weg hinaus aus dem ewig gleichen, nimmer endenden Kreisverkehr der Großen Koalitionen der letzten Jahre. Natürlich werden wir Jusos ihre Arbeit der kommenden Jahre kritisch begleiten müssen und weiter laut widersprechen, wenn wir nicht einverstanden sind. Nichtsdestotrotz lässt das große Ganze hoffen, dass viele wichtige Themen endlich angepackt werden und Deutschland tatsächlich modernisiert wird, wie der Koalitionsvertrag es uns verspricht.

Zu guter Letzt enthält der Koalitionsvertrag auch eine Neuerung, die wir Jusos als klaren Auftrag an uns selbst verstehen sollten: Das Wahlalter soll endlich auf 16 Jahre gesenkt werden. Es wird gerade auch an uns liegen, dass wir die „große Politik“ verständlicher und zugänglicher machen für junge Menschen. Das Ergebnis der Bundestagswahl sollte dahingehend auch ein Weckruf für unsere Partei sein: Schon bei den Erstwähler*innen ab 18 Jahren hat die SPD kaum eine Rolle gespielt. Bei der sog. Juniorwahl, ein Bildungsprojekt an Schulen, wo Schüler*innen ab der 7. Klasse teilnehmen dürfen, holte die SPD in Bayern zur Bundestagswahl nur 14,8 % und belegt damit den vierten Platz, hinter Grünen, FDP und CSU (in dieser Reihenfolge!). Da ganze 558 Schulen in Bayern teilgenommen haben, liegt zumindest eine gewisse Repräsentativität wohl vor.
Auch war die Wahlbeteiligung unter den 18-29-Jährigen einmal mehr die geringste von allen Altersgruppen. Nur 67 % der 21-24-Jährigen sind zur Bundestagswahl wählen gegangen. Demgegenüber stehen 81 % der 60-69-Jährigen. Zwar ist die Wahlbeteiligung unter den 18-29-Jährigen bei den letzten Bundestagswahlen deutlich gestiegen, die Lücke den über 60-Jährigen ist aber weiter viel zu groß.

Es ist folglich ganz klar, dass wir uns in den nächsten Jahren intensiv Gedanken darüber machen müssen, wie sozialdemokratische Politik für „diese jungen Leute“ ganz konkret aussehen sollte und wie wir unsere Generation erreichen können.

Ich bin optimistisch, dass wir das gemeinsam schaffen können. Pack ma‘s!

Die deutsche Bundesregierung verhält sich in den letzten Tagen und Wochen beinahe schizophren. Auf der einen Seite solidarisieren sich völlig zurecht viele deutsche Politiker*innen mit dem russischen Oppositionellen Alexei Nawalny, fordern dessen Freilassung und kritisieren den Kreml dafür scharf. Auf der anderen Seite betreiben unzählige Minister*innen, Ministerpräsident*innen und nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel enorme Lobbyarbeit für die angebliche „fast letzte Brücke zu Russland“ (Zitat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 06.02.2021). Die Rede ist von der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.  

Die Fertigstellung dieser Erdgas-Pipeline wäre „energiewirtschaftlich unnötig, umweltpolitisch schädlich und betriebswirtschaftlich unrentabel“, so Claudia Kemfert, eine Autorin für eine Studie des DIW aus dem Jahr 2018, welche sich genau mit diesem Thema beschäftigte. Die Kritik an diesem Projekt bestand also schon seit einigen Jahren, flammte jedoch seit der Verhaftung Nawalnys erneut auf.  

Doch was ist Nord Stream 2 eigentlich genau? 

Um diese Frage zu beantworten, muss man zeitlich etwas zurückgehen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war es für deutsche Energieunternehmen lukrativ in russische Erdgaswirtschaft zu investieren. So fusionierten beispielsweise 2002 die Energiekonzerne E.ON und Ruhrgas unter dem Vorwand, die deutsche Energieversorgung mit Erdgas aus Russland zu sichern. Obwohl damals Monopolvorwürfe laut wurden, kam es zu einer Genehmigung dieser Fusion. Sehr zur Freude russischer Erdgasunternehmen, welche nun eine Chance sahen, neue Märkte in Westeuropa zu erschließen.  

Anfangs versuchte Russland sein Erdgas hauptsächlich über die Ukraine an die westeuropäischen Abnehmer*innen zu exportieren. Jedoch wurde die Transportroute über die Ukraine wegen vermehrter politischer Konflikte immer schwieriger für die staatlichen Gaskonzerne Russlands. So versuchte die russische Regierung Alternativen zur Transitroute über die Ukraine zu finden. Im Jahr 2011 wurde schließlich die Gaspipeline Nord Stream 1 eröffnet, welche das Erdgas vom russischen Wyborg, nahe der Stadt Sankt Petersburg über die Ostsee bis nach Lubmin, im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern transportierte.  

Doch wenn man nun einen Blick auch auf die „jüngere Schwester“ Nord Stream 2 wirft, wird klar, dass Russland mit diesen Projekten ganz klar Geopolitik betreibt. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 und seit dem Krieg im Donbass bemüht sich der Kreml zunehmend um eine Diversifizierung seiner Erdgas-Exportrouten. Eine davon ist Nord Stream 2, welche ebenfalls wie Nord Stream 1 Erdgas von der Region Sankt Petersburg nach Mecklenburg-Vorpommern und von dort in verschiedene europäische Staaten transportieren soll.  

Dieses Projekt ist umstritten und das völlig zurecht. 

Der erste Kritikpunkt betrifft die Außenpolitik Deutschlands und weiterer europäischer Länder: Nach Außen hin wird Nord Stream 2 als europäisch-russisches Energieprojekt auf Augenhöhe dargestellt. Doch diese Darstellung entspricht mit Nichten der Realität. Zwar waren zu Beginn europäische Energieunternehmen (Deutschland mit Uniper und Wintershall, Österreich mit OMV, Frankreich mit Engie und das britisch-niederländische Unternehmen Royal Dutch Shell) gemeinsam mit Gazprom an der Nord Stream 2 AG beteiligt, jedoch besaß der russische Staatskonzern schon seit Gründung im Jahr 2015 den größten Anteil an der Aktiengesellschaft. Ein Jahr später zogen sich die europäischen Unternehmen vollständig aus der Nord Stream 2 AG zurück und überließen so Russland die alleinigen Anteilsrechte.  

Altkanzler Gerhard Schröder wurde zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Nord Stream 2 AG ernannt und betrieb bereits damals enorme Lobbyarbeit für die Umsetzung des Projekts. Durch das bisweilen rücksichtslose Vorgehen Gazproms und von Vertreter*innen Russlands zeigte sich schnell, dass Russland mit Nord Stream 2 mehr als nur wirtschaftliche Interessen verfolgt. Bei einer Fertigstellung und Inbetriebnahme der Gaspipeline könnte sich Europa noch abhängiger von russischen Gasexporten machen und wäre somit bei Konflikten, wie in der Ukraine, leichter von Russland erpressbar. Die russische Regierung könnte womöglich eine Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen der EU fordern und damit weiterhin ihre Macht demonstrieren. Kritik am Kreml, wie in der Causa Nawalny, würde vielleicht in Zukunft nicht mehr so einfach werden. Deutschland und seine europäischen Partner*innen sollten deshalb die Stärke besitzen, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu verhindern und nicht mit einem Regime, welches Menschenrechte und demokratische Partizipation mit Füßen tritt, zusammenarbeiten.  

Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Macht es wenigstens aus ökonomischen Gesichtspunkten Sinn, eine weitere Erdgas-Pipeline in der Ostsee zu bauen? 

Keineswegs. Eines der Ziele der Projektgesellschaft um Nord Stream 2 ist die nachhaltige Stärkung der europäischen Energiesicherung. Dies würde somit einen Nachfrageüberhang europäischer Staaten nach Erdgas voraussetzen. Tatsächlich wurde jedoch eine sinkende Nachfrage Deutschlands nach Erdgas in den nächsten Jahren und Jahrzehnten berechnet. In Zukunft wird fossiles Erdgas generell nur noch eine untergeordnete Rolle in der deutschen Energieversorgung spielen. Gründe dafür sind vor allem die langfristig niedrigen Strompreise, hohe Überkapazitäten in der konventionellen Energieproduktion und Fortschritte im Bereich der regenerativen Energien. Somit zeigt sich deutlich, dass es derzeit und auch in den kommenden Jahrzehnten keinen Bedarf für zusätzliche Erdgasimporte geben wird.  

Doch wie sieht es mit den Kosten und Erlösen aus? 

Ebenfalls nicht gut. Die Baukosten von insgesamt 9,5 Milliarden Euro werden zur Hälfte von Russland, zur anderen Hälfte von den europäischen Teilnehmerstaaten getragen. Insgesamt werden die Kosten für Nord Stream 2 mit 17 Milliarden US-Dollar angegeben, die kalkulierte Ersparnis für die Umgehung der Ukraine wurde nur mit 700 Millionen US-Dollar angegeben. Da sich aber, wie oben bereits erläutert, der Absatz an Erdgas in Europa nicht erhöhen wird, sondern sogar verringern wird, wird jährlich mit Verlusten in Milliardenhöhe gerechnet. Zusätzliche Gasleitungen in Deutschland, welche für die Fertigstellung von Nord Stream 2 benötigt werden, kosten noch einmal etwa 500 Millionen Euro, welche auf die Verbraucher*innen umgelegt werden sollen.  

Mögliche weitere ökonomische Konsequenzen, welche aktuell noch nicht kalkuliert werden können, sind beispielsweise Wirtschaftssanktionen der USA gegen europäische Staaten. Sowohl die damalige Trump-Administration als auch die aktuelle Regierung unter Präsident Joe Biden stehen dem Vorhaben ablehnend gegenüber. Sanktionsdrohungen der USA führten bisweilen schon zum Ausstieg einiger Firmen aus Nord Stream 2 und gefährden möglicherweise die Fertigstellung des Projekts auf den letzten, fehlenden Kilometern. So belegte die ehemalige Regierung unter Donald Trump noch am 25.01.2021 das russische Unternehmen KVT-RUS mit Sanktionen und erklärte das Verlegeschiff „Fortuna“ zu „blockiertem Eigentum“. Doch auch unter Präsident Biden sind weitere Maßnahmen gegen russische und auch europäische Unternehmen nicht völlig ausgeschlossen. Der Standpunkt der neuen US-Regierung bleibt der gleiche wie unter Trump. Die deutsche Bundesregierung bemühte sich währenddessen schon um „Einigungsversuche“ mit den Vereinigten Staaten. 

Es steht also völlig außer Frage, dass dieses Projekt ökonomisch gänzlich unrentabel ist.  

Doch auch aus ökologischen Gründen kann und muss Nord Stream 2 kritisiert werden.  

Im Jahr 2020 hat das Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht an der Technischen Universität Berlin ein Rechtsgutachten über die Umweltverträglichkeit einer weiteren Gaspipeline in der Ostsee und aller damit einhergehenden Konsequenzen erarbeitet. Das Resultat des Gutachtens war alarmierend. So gebe es „erhebliche Hinweise darauf […], dass die Methanemissionen der Gasförderung in Europa und Russland tatsächlich höher sind, als bislang angenommen bzw. von den Vorhabenträger[*innen] angegeben.“ (Zitat von der Umwelt-Rechtsanwältin Cornelia Ziehm aus der „WirtschaftsWoche“ vom 05.03.2020).  

Laut der Deutschen Umwelthilfe muss der Einfluss von Erdgas auf das Klima noch genauer erforscht werden. Des Weiteren muss geklärt werden, unter welchen ökologischen Standards das Erdgas gefördert werden kann, wie es verarbeitet und transportiert werden kann. Die Verbrennung von Erdgas an sich ist weitgehend umweltschonend, jedoch wird beim Abbau des fossilen Gases Methan freigesetzt. Dies ist dahingehend problematisch, weil Methan ein weitaus klimaschädlicheres Gas als Kohlenstoffdioxid ist. Die Auswirkung von Methan auf unser Klima ist in etwa 84-mal stärker als das bei Kohlenstoffdioxid der Fall ist, bei einer Betrachtung über einen Zeitraum von 20 Jahren. Laut Aussagen der Nord Stream 2 AG werden alle anerkannten Standards sowohl bei der Förderung als auch beim Transport umgesetzt. Dies wird allerdings von der Deutschen Umwelthilfe stark angezweifelt, weshalb weitere Überprüfungen durchgeführt werden sollen, welche das Projekt verzögern würden. Die an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen sehen keinen Grund für weitere Überprüfungsmaßnahmen und verweisen stattdessen auf die Genehmigungen diverser Behörden, wie durch das Bergamt Stralsund für die Anladestation und das deutsche Küstenmeer.  

Die deutsche Regierung sollte jegliche Beteiligung an Nord Stream 2 einstellen, denn Deutschland gefährdet dadurch seine eigene Energiewende und seine Klimaziele, setzt mutwillig die Souveränität der Ukraine und weiterer Staaten aufs Spiel, investiert Unmengen an Geld in ein nicht zukunftsfähiges, unrentables und unwirtschaftliches Vorhaben und zieht sich selbst blindlings in eine geopolitische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes hinein. Die Bundesregierung wäre besser beraten, wenn dieses Geld dort eingesetzt werden würde, wo es aktuell so dringend gebraucht wird: Im Bildungssystem, für erneuerbare Energie, für Klimaforschung, für die Mobilitätswende und in unser Gesundheitswesen.  

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung, die Zahlen aus dem Jahr 2018 nimmt, hat ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands einen so genannten Migrationshintergrund. Dazu zählt jeder, bei der zumindest ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist. In Landshut schauen die Statistiken nicht anders aus. Hier fällt die Quote sogar leicht höher aus, man spricht laut Integrationsbericht der Stadt von ca. 23.000 Menschen. Bei 73.000 Bewohnerinnen (Stand Mitte 2020) ist das mehr als 30%. Nun kommen wir jedoch zu einem – meiner Meinung nach großem – Problem: die Repräsentation dieser Bevölkerungsgruppe. Der Stadtrat von Landshut hat 44 Mitglieder. Keiner der aktuell gewählten Stadträte ist Migrantin. Zu diesem Sachverhalt nun eine kurze Analyse unserer Partei:

Multikulturalität und die SPD. Über diese Beziehung kann man generell sehr viel schreiben. Wir haben auf der einen Seite den Multikulturalismus, der de facto unser Integrationsleitbild in der Bundestagswahl 2005 war. Auf der anderen Seite haben wir einen Altkanzler, der ebenjenes Konstrukt als „Illusion von Intellektuellen“ ansieht. Und wiederum haben wir auch Mitglieder gehabt, die durch rassistische Kampfschriften eine breite gesellschaftliche Debatte losgetreten haben, ob denn nun „Ausländer*innen“ pauschal einen geringeren IQ hätten oder nicht.

Obwohl die SPD durch diese Entgleisungen Glaubwürdigkeit in ihrer Migrantenwählerschaft eingebüßt hat, bleibt sie gefühlt meiner Meinung nach dennoch einer der wichtigsten Parteien für dieses Milieu. Gründe dafür sind auch u.a. engagierte SPD-Parlamentarierinnen mit Migrationshintergrund. Als Beispiel möchte ich hier Herrn Arif Taşdelen anbringen, der – so wie es der Zufall auch will – eine meiner ersten SPD-Kontakte wurde. Arif – oder „Arif abi“, wie ich ihn lieber nenne (für „großer Bruder“) – hat innerhalb der letzten Jahre als bayerischer Landtagsabgeordneter unserer Partei viele Themen in das Maximilianeum gebracht, die erstens, so ganz sicher nicht dort behandelt worden wären, und zweitens, die vielen Migrantinnen an sich sehr wichtig sind. Als Beispiele kann ich die bayerisch-staatliche Akzeptanz von islamischen Bestattungsriten und die Unterstützung der Uiguren – mit München als größte Diaspora der Uiguren – bringen.

Auf kommunalpolitischer Ebene hingegen merke ich als Laie, dass unsere Partei engagierte Migrantinnen – und Nachfahren dieser – leider auf hintere Listenplätze setzt. Die Fehler, die von konservativ-bürgerlichen Parteien gemacht werden, sollten von uns vermieden werden. Wenn ein Parlament die Vertretung des Volkes an sich darstellt, dann müssen auch in einer Stadt mit 30% Migrantinnen-Quote meiner Meinung nach diese Zahlen in ihren Parlamenten finden. Und gerade unsere Partei, die sich u.a. für die Schwächsten in der Gesellschaft einsetzt, sollte engagiert dabei sein, diese Repräsentationsgerechtigkeit „durchzuboxen“.

Was ich übrigens nicht zählen lasse: Vor der Stadtratswahl in Landshut hat ein Politiker einem Bekannten von mir folgendes gesagt: „Man muss doch kein Migrant sein, um Migranten vertreten zu können.“ Unrecht hatte er nicht. Aber wenn man diesem Argumentationsmuster folgt, bräuchte man auch keine Frauen in Parlamenten.

Am 02.09.2019 war der Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, zu Besuch bei uns in Niederbayern, am politischen Gillamoos-Montag in Abensberg. Neben dem Ortsvorsitzenden der SPD Abensberg, Thomas Schug, und dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Generalsekretär Uli Grötsch sorgte Kühnert als Hauptredner für ein randvolles Jungbräuzelt und bewies sich somit zum ersten Mal mit einer aussagekräftigen Bierzeltrede. Neben den Entwicklungen im Osten bezüglich der AfD waren die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sowie die Vermögenssteuer die zentralen Themen Kevins.

Zu Beginn seiner Rede machte Kevin deutlich darauf aufmerksam, dass trotz großer Verluste bei den Landtagswahlen in Brandenburg, ein sattes Ergebnis erzielt werden konnte.  Denn entgegen der schlechten Umfragelage, konnte die SPD die Wahlen wiederholt für sich gewinnen, worauf die Partei stolz sein kann und auch soll.

Ganz anderes sieht es in diesem Zusammenhang allerdings in Sachsen aus. Dort hat sich laut Kevin „[…] die sichtbare Demokratie aus vielen Regionen zurückgezogen.“ Dem fügt er folgende Forderung hinzu:

„Ich spreche mich dafür aus, dass wir einen Teil der staatlichen Parteienfinanzierung in die schwachen Regionen geben. Stärken wir den Ehrenamtlichen dort den Rücken, um denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Politikverdrossenheit schüren!“

Das nächste große Thema, welches auf die Ergebnisse der Landtagwahlen aufbaute, waren die Entwicklungen im Osten in Bezug auf die Erfolge der AfD. Kevin gab hier klar zum Ausdruck, dass es keine Normalisierung gar Annäherung an die AfD geben kann, jedoch die Entwicklungen im Osten nicht unbeachtet bleiben sollten. Diesbezüglich übte Kühnert klar Kritik:

„Wir betrachten die Entwicklung im Osten wie einen Autounfall, wo alle vorbeifahren und traurig sind, was da passiert ist. Wie die Gaffer! Lasst uns mal öfter aus dem Auto aussteigen und fragen, wie es dazu kommen konnte. Wir müssen die Gafferposition verlassen!“

Auch die wiederkehrende Debatte über die Vermögenssteuer griff Kevin in seiner Rede auf. Die Reaktivierung dieser Diskussionen empfindet er als richtig, da so „[…] diese Leute jetzt endlich mal zur Kasse gebeten werden.“  Eine gute sozialdemokratische Politik funktioniere in seinen Augen genau so: Eine Politik, die sich an die Mehrheit richtet. Dazu gehört es allerdings auch, dass gegen die Interessen der Minderheit gearbeitet wird: „Keine Politik für die Mehrheit, ohne eine Politik gegen die Interessen einer egozentrischen Minderheit“, so Kevin. Dem fügte er weiter hinzu:

„Deswegen ist es richtig, jetzt dort entgegenzusteuern und die CSU könnte übrigens einen Beitrag dazu leisten, wenn sie ihren Verkehrsminister zurückpfeifen würde und dafür sorgen würde, dass er nicht unser aller Steuergeld in dreistelliger Millionenhöhe zum Fenster rauswirft, für sein ideologisch begründetes Pkw-Maut-Projekt. Andi Scheuer, das ist deine Lücke in der Kasse! Die Millionen, die wir jetzt in den nächsten Jahren blechen müssen an Konzerne, die keine Leistung dafür erbracht haben. Vielen Dank für das Geld, was uns jetzt anderswo fehlt.“

Zusammenfassend lässt sich Kevins Auftritt als sehr stark bezeichnen. Er konnte die Themen, die uns derzeit bewegen gut aufgreifen und blieb seiner Linie dabei treu. Kevin zeigt, dass eine gute linke Politik möglich ist.

In vielen Kommunen in Bayern ist derzeit ein Thema beherrschend- die Aufstellung für die Kommunalwahlen nächstes Jahr. Nachdem unsere Partei in den letzten Wahlen keine großen Erfolge feiern konnte, stellt sich die Frage, wie bei den Kommunalwahlen dieser Trend umgekehrt werden kann.

Es ist an der Zeit, dass die Wahllisten die Vielfalt in unsere Partei abbilden. Die Analysen des Wahlverhaltens nach der letzten Europawahl haben es wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt- der SPD gelingt es nicht mehr, junge Menschen zu überzeugen. In der Altersgruppe der unter 25 Jährigen setzten nur noch 8 % der Wähler*innen ihr Kreuzchen bei unsere Partei.

Ein Hauptgrund für dieses desolate Ergebnis ist natürlich unser derzeitiges Unvermögen, unsere Inhalte und Positionierungen den Wähler*innen näher zu bringen.
Daneben ist es jedoch unverkennbar, dass sich gerade junge Wähler*innen sich von der SPD einfach nicht mehr vertreten fühlen. Bei einem Blick auf die Entwürfe für die die Listen zur Kommunalwahl, die derzeit in manchen Kommunen zirkulieren, überrascht das nicht. Bei einem Altersdurchschnitt von gefühlt knapp über 60 Jahren ist es nachvollziehbar, dass viele Wähler*innen es nicht als die Kernkompetenz der SPD ansehen, die Interessen gerade junger Bürger*innen zu vertreten.

Dieser Schluss ist jedoch nicht unbedingt zutreffend. In unsere Partei gibt es viele, gerade auch ältere Mitglieder, die immer offen für die Ideen und Anregungen von uns Jusos sind und durchaus bereit sind, diese in der täglichen Politik umzusetzen. Hier möchte ich besonders auf die interessante Zusammenarbeit zwischen Jusos und der AG 60 + verweisen.

Wie können wir diese generationenübergreifende Zusammenarbeit besser nach außen kommunizieren?

Unerlässlich ist es dabei, die Vielfalt der Gesellschaft und unsere Partei auch auf unseren Wahllisten abzubilden. Gerade jetzt, wo wir uns hier in Bayern auf die Kommunalwahlen nächstes Jahr vorbereiten.

Um junge Menschen wieder anzusprechen, ist es jedoch nicht ausreichen, eine oder einen Juso auf Platz 15 der Liste zu setzen. Zum einen deckt die Juso-Mitgliedschaft eine Altersspanne zwischen 14 und 35 Jahren, ab. Auch diese Vielfalt in Lebensrealitäten und Erfahrungen müssen sich in den Listen wiederfinden. Zum anderen muss unseren Vertreter*innen auch die Möglichkeit gegeben werden, auf aussichtsreichen Positionen zu kandidieren. Nur auf diese Weise kann plausible gezeigt werden, dass die SPD auch die Interessen dieser Generation angemessen vertritt.

Daneben gilt es natürlich auch anderen, bis jetzt noch unterrepräsentierten Gruppen auf den Listen angemessen vertreten werden. Dies gilt insbesondere auch für Frauen*, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeiter*innen und all die anderen Menschen, die in ihrer Pluralität die SPD zu einer wahren Volkspartei machen.

Die verlorene Europawahl, ebenso wie diverse verlorene Landtagswahlen, sind Symptome desselben Problems, nicht Kern des Problems. Diese triviale Feststellung will ich voran stellen, so offensichtlich sie auch erscheinen mag. Denn es scheint große Teile der Partei zu geben, denen es völlig genügt hätte, bei der Europawahl 22% zu holen, um anschließend Debatten über den Zustand der Partei damit zu beenden, dass das Abrutschen der Parteiergebnisse der alten Sozialdemokratie ja nun offenkundig vorüber sei. Ebenso wie es ein schlechter Rat wäre, ein undichtes Dach für dicht zu erklären, wenn nur der Regen ausbleibt, ist es auch ein schlechter Rat, den Erneuerungsprozess einer Partei für beendet zu erklären, bevor dieser überhaupt begonnen hat, wenn der ursprüngliche Knall, namentlich die verlorene Bundestagswahl 2017, nur nicht mehr laut genug in den Ohren dröhnt.

 

Nach dieser simplen Voranstellung will ich darlegen, was denn nun der Kern des Problems der Sozialdemokratie in Deutschland nach meiner Auffassung ist. Ich will dabei versuchen, meine Gedankengänge Schritt für Schritt darzulegen, um eine Debatte darüber möglichst präzise und einfach zu ermöglichen. Für Anregungen bin ich ehrlich dankbar. Für diejenigen, die weniger Zeit mitbringen, folgt im nächsten Absatz eine kurze Zusammenfassung.

 

Ich werde argumentieren, dass die SPD es versäumt hat, sich ein konsistentes Programm und Profil zu geben. Lediglich hat sie sich darauf beschränkt, Kleinthemen zu bearbeiten, die jedoch kontextlos ein chaotisches Bild der Partei zeichnen. Dies ist nach meiner Ansicht eine Folge aus Mutlosigkeit gegenüber der Union einerseits und einer thematisch zunehmend verarmten Bundestagsfraktion andererseits. Beheben kann die Sozialdemokratie diesen Zustand nur, wenn sie die seit Schröder vernachlässigte Programmarbeit schnellstens aufholt, ihr Profil schärft und sich neu organisiert. Hierfür muss sie auch durchlässiger werden, was die Besetzung von Mandaten angeht. Die Bundestagsfraktion hat dabei Anreize, den Erneuerungsprozess aufzuhalten und zu sabotieren. Letztlich ist der desolate Zustand der Sozialdemokratie auch Resultat fundamental unterschiedlicher Interessen zwischen Parteimitgliedern und Parteifunktionären.

 

Wenn Wahlniederlagen ein Symptom sind, was ist dann die Krankheit?

Die SPD wird in Deutschland, betrachtet man die Demographie, vornehmlich von Personen im Rentenalter gewählt. Nicht gewählt wird sie in großen Teilen von Personen unter 30 Jahren, die wir im Folgenden “die Jugend” nennen, und von Personen zwischen 30 und 65 Jahren, die wir im Folgenden “die Erwerbstätigen” nennen. Die Begriffe dienen natürlich nur der Vereinfachung und sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch erwerbstätige Personen in anderen Alterskohorten gibt. Wird nun eine Partei zum überwiegenden Teil von der Kohorte der Rentner*innen gewählt, und spricht sie jüngere Kohorten nicht an, dann erscheinen zweierlei Erklärungen plausibel. Einerseits kann es sein, dass die Forderungen der Partei vornehmlich an den Präferenzen der Älteren ausgerichtet sind. Dann müsste sich die Partei ein Programm für die Jüngeren geben. Andererseits kann es sein, dass die Partei mit ihren Forderungen niemanden überzeugt, sodass lediglich der harte Kern, also Stammwähler*innen und Gewohnheitswähler*innen übrig bleiben. Dann müsste sich die Partei ein Programm geben.

In beiden Fällen jedoch kann man der SPD ein programmatisches Problem diagnostizieren, basierend auf den Symptomen, dass sie mit ihren Forderungen keine neuen Wähler*innen hinzu gewinnt und alte Wähler*innen, in großen Teilen an die Nichtwähler*innen, verliert. Die programmatischen Defizite der Partei wiegen heute deutlich schwerer als in der Vergangenheit: Hatte die Sozialdemokratie einst das Vertrauen der Arbeiter*innen und musste daher keine umfassenden Pläne offenlegen, um gewählt zu werden, so sieht sie sich heute mit einer anderen Wähler*innenschaft konfrontiert, die ihr nicht bedingungslos die Stimme geben möchte. Diesen Umstand hat sich die Partei mit Politikmaßnahmen wie der Agenda 2010, aber auch der Stillstandspolitik in der großen Koalition, selbst eingebrockt. Auch hat sie in den richtungsweisenden Fragen, beispielsweise bei der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten in der Asylpolitik, bei der Abstimmung um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform oder beim Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche eine klare Position vermissen lassen. Damit wurde das Urvertrauen der sozialdemokratischen Klientel gegenüber ihrer Partei geschädigt.

Dieser Umstand hätte behoben werden können, indem die Sozialdemokratie ihre politischen Pläne transparent gemacht und an die Öffentlichkeit transportiert hätte. Anstelle eines politischen Plans hat die SPD jedoch einzelne Kleinthemen präsentiert, die für sich genommen sicherlich ihre Berechtigung haben, jedoch, solange sie nicht in eine politische Idee eingebettet werden, die Partei sprunghaft und planlos erscheinen lassen. Das große Defizit der SPD ist es, dass sie die Frage, wofür sie eigentlich steht, mit einer Aufzählung von Kleinthemen anstelle einer politischen Idee beantwortet. Die SPD sagt nicht, dass sie die Partei des demokratischen Sozialismus ist und daher für sozialen Aufstieg, Umverteilung und Gleichstellung kämpft. Stattdessen holt sie, eingebettet in Schlagworte wie Fairness, Gerechtigkeit und Zusammenhalt, ihre Liste an Kleinthemen hervor, und beginnt damit, diese vorzulesen.

 

Dünnbrettbohren und Jein-Positionen bilden keinen politischen Markenkern

Nun hat die SPD in der Bundesregierung viel durchgesetzt: Die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung, das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz und viele weitere Gesetzesinitiativen mit Titeln in Orwells Neusprech zieren die Liste erfolgreicher SPD-Politik. Nur ersetzt das Abhaken von Kleinthemen kein politisches Programm. Werden Forderungen der SPD nicht in eine konsistente Erzählung eingebettet, so vermittelt man das Bild einer chaotischen, orientierungslosen Partei. Gleichzeitig vermittelt die Partei mit ihrer Politik den Eindruck, drängende politische Großprojekte gezielt zu umschiffen, vermutlich in der Voraussicht, dass diese konsensual mit der Union ohnehin nicht gelöst werden können. Weder hat die SPD formuliert, wie das Konstrukt einer Europäischen Union sozialdemokratisch ausgestaltet und fertiggestellt werden kann, noch hat sie Antworten auf den demografischen Wandel formuliert. Hinsichtlich der Umweltpolitik genügt sie sich damit, den Kohleausstieg “sozial gerecht” gestalten zu wollen, sagt aber nicht was genau sie damit meint und diskutiert auch nicht, ob und wie sie gedenkt, die Pariser Klimaziele einzuhalten. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt sie das Werk eines Wolfgang Schäuble mit der Politik der schwarzen Null fort, anstelle Alternativen aufzuzeigen. In der Außenpolitik setzt sie keine Akzente, sondern genügt sich als Beobachterin. Die SPD ist in der Großen Koalition zu einer Politik des Dünnbrettbohrens übergegangen und wagt den Streit bei politischen Richtungsfragen nicht, wohl in der Voraussicht, ohnehin keine zufriedenstellende Lösung mit der Union finden zu können. Dabei vermittelt sie das Bild, bereits vor dem Kampf kapituliert zu haben. Anstelle die Einhaltung der Pariser Klimaziele als Bedingung zum Fortbestand der Koalition zu machen ignoriert die Partei das Thema gänzlich. Aktuelle Einzelthemen, wie der mit Uploadfiltern einher gehende Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform , die Freihandelsabkommen CETA und TTIP oder die Causa Maaßen verschläft die Partei entweder, oder beantwortet sie mit einem klaren Jein, indem sie sich mal dafür, dann wieder dagegen, dann wieder dafür und dann gespalten positioniert. Während bei allen demokratischen Parteien von Relevanz klar ist, wohin sie wollen (Union: Kurs fortsetzen; Grün: ökologischer; Linke: stärker nach unten umverteilen; FDP: mehr Markt), weiß man bei der SPD, dass sie eigentlich anders als die Union wollen würde, aber ohnehin früher oder später einknickt. Kurz gesagt: Die Sozialdemokratie steckt sich langfristig keine großen Ziele, weil sie diese ohnehin verfehlt. Sie genügt sich mit Dünnbrettbohrerei bei bekannten Themen, die sie mit lustigen Gesetzesnamen versieht. Und sie ignoriert hochkommende, aktuelle Themen, um sich anschließend zunächst mit der Union, dann aufgrund parteiinternen und parteiexternen Drucks dagegen, und dann teils dafür, teils dagegen zu positionieren. Damit fehlen der Partei zwei wichtige Eigenschaften, um als wählbare Alternative zur Union wahrgenommen zu werden: Eine klare und konsistente Erzählung, wofür sie steht, und der Wille, Forderungen auch gegen die Union durchzusetzen. Vordergründig hat die SPD ein programmatisches Problem.

 

Die SPD braucht keine Personaldebatte, sondern neues Personal

Anstelle die programmatischen Probleme der Partei zu beheben, hat man im Nachgang von verlorenen Wahlen stets ein Bauernopfer gefunden, das für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht werden konnte, um anschließend die Programmdiskussion für beendet erklären zu können. Nach Martin Schulz ist nun Andrea Nahles das aktuelle Bauernopfer sozialdemokratischer Wahlniederlagen. Dabei ist eine Übeltäterin stets verschont geblieben: Die SPD-Bundestagsfraktion, welche die Schlüsselrolle in der Politik des Klein-Kleins einnimmt. Diese hat in den vergangenen zehn Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, gesellschaftlich notwendige Veränderungen, beispielsweise beim Umweltschutz, bei der Digitalisierung der Arbeitswelt oder auch im Rahmen der Euro-Rettung, einzuleiten. Viel schlimmer noch: Sie hat eindrucksvoll zur Schau gestellt, dass sie noch nicht einmal in der Lage ist, intellektuell zu erfassen, was die zentralen Probleme einer vom Dogma des Neoliberalismus getriebenen Politik sind. Die Sozialdemokratie hat keine Alternativen zur Krisenpolitik im Rahmen der Weltfinanzkrise und später der Eurokrise präsentiert, weil sie machtlos war – sie hat keine Alternativen präsentiert, weil sie nicht in der Lage war, die Situation zu verstehen. Im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die Sozialdemokratie im Bundestag blank. Ähnliches gilt für den Bereich der Netzpolitik: Die SPD hat sich in das Debakel um Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform begeben, weil in der Fraktion niemand verstanden hat, was die Implikationen der Gesetzesnovelle sind. Und gleiches gilt für den Umgang im Cum-Ex-Skandal, wo sich die Bundesregierung über Jahre hinweg Gesetze von den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften schreiben hat lassen, die dann die so geschaffenen Schlupflöcher ausgenutzt haben, um Steuern zu sparen. Dies wurde erst durch den fehlenden Sachverstand der Mitglieder des Bundestags möglich. Während einige Themen mehrfach besetzt sind, fehlt es der SPD gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik an Personal.

Im Fußball würde man diesem Umstand begegnen, indem man die mehrfach besetzten Positionen durch frische Spieler*innen von der Ersatzbank auswechseln würde. Jedoch führt das Senioritätsprinzip bei Listenreihung im Falle der SPD zu einem völlig überalterten Kader, in dem alle Abwehr spielen, Zeit schinden und die Bälle weit ins Aus schlagen, um Klärversuche dann so abzufeiern als hätte man gerade ein Tor geschossen. Aus der Perspektive des Teams geben sich sicherlich alle Mühe – von außen betrachtet sieht das ganze Theater jedoch chaotisch und skurril aus.

Weil aber der gegenwärtige Modus der Listenreihung zu suboptimalen Aufstellungen führt, und damit einen Missstände reproduziert, anstelle ihn zu beheben, muss etwas am Modus selbst geändert werden. Andernfalls wird sich die Bundestagsfraktion weiter schleichend dezimieren, bis irgendwann nichts mehr von ihr übrig ist. Eine notwendige Erneuerung der Partei ist mit großen Teilen der Mandatsträger*innen nicht zu machen: Sie haben die falschen politischen Entscheidungen getroffen (und noch viel schlimmer: politische Entscheidungen verschleppt und verweigert) und können daher nicht glaubwürdig für eine Neuaufstellung der Sozialdemokratie stehen. Für sie besteht also, sofern sie am Mandat festhalten wollen, der Anreiz, den Erneuerungsprozess der Partei so stark wie nur irgendwie möglich auszubremsen – worin sie zugegebenermaßen sehr erfolgreich sind.

 

Wie eine Erneuerung also aussehen muss

Die Erneuerung der Sozialdemokratie muss zwei Komponenten betreffen: Das Programm sowie das Personal.

Programmatisch muss die Sozialdemokratie sich ein neues Grundsatzprogramm geben, welches sie vorher ausführlich und in allen Gremien diskutieren muss. Wenn der Sozialismus-Eklat von Kevin Kühnert eines gezeigt hat, dann, dass weite Teile sozialdemokratischer Funktionär*innen nicht mit dem Grundsatzprogramm vertraut sind. Die Neufassung eines solchen bietet daher Gelegenheit, zentrale Kernthemen der SPD zusammen zu fassen, eine konsistente Erzählung zu entwickeln und anschließend zu beschließen. Sie würde jedem Mitglied der SPD eine Geschichte zur Hand geben, die man den Menschen auf die Frage, wofür die SPD eigentlich steht, erzählen könnte, sodass man sich das Aufzählen kleinteiliger Gesetzesinitiativen künftig sparen könnte. Und es würde sich die Gelegenheit ergeben, die spätestens seit Schröder sträflich vernachlässigten Hausaufgaben der Partei endlich aufzuholen. Die Sozialdemokratie müsste festlegen, welche Wirtschaftsform und -ordnung sie sich vorstellt, und wie sie gedenkt, die Machtgefälle zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen auszugleichen. Sie würde gezwungen, eine eindeutige Position zu beziehen und nicht vor jeder Wahl das Programm basierend auf Millieustudien und anderem unpolitischen Kram anzupassen und damit zu einem verlässlichen Partner für ihre Klientel. Und sie könnte sich eine zentrale Idee geben, die sie mit Forderungen ausfüllt.

Dabei muss die SPD weniger sagen was sie macht und mehr, warum und wofür sie es macht.

Personell muss die SPD ihre alten Zöpfe abschneiden. Die Bundestagsfraktion hat bereits eindrucksvoll bewiesen, dass ihr nichts an der Erneuerung der Partei liegt. Im Gegenteil: Mit ihrem Drängen auf den Eintritt in die große Koalition hat sie die Erneuerungsversuche der Partei im Keim erstickt. Gleichzeitig unternimmt sie alles, um möglichst große Teile der immer kleiner werdenden Verteilungsmasse an Mandaten der Sozialdemokratie zu behalten und wird durch das Senioritätsprinzip strukturell übervorteilt. Entsprechend muss das Statut der SPD dahingehend geändert werden, dass gleiche Chancen bei der Verteilung von Listenplätzen bestehen. Durch einen Austritt aus der Großen Koalition, einer klaren Absage an einer Regierungsbeteiligung mit der Union und dem damit verbundenen Erneuerungsprozess in der Opposition könnte die Partei sich ein neues Profil (oder überhaupt ein Profil) zulegen.

Mit dem Bauernopfer Andrea Nahles hat die Bundestagsfraktion eindrucksvoll bewiesen, dass sie zu keinem Erneuerungsprozess bereit ist. Es wird sich zeigen müssen, ob die Partei als Ganzes, und insbesondere die Parteiführung, in der Lage sein wird, gegen die Interessen der Fraktion eine Erneuerung durchzusetzen.

 

Blickt man in die Medien, sowohl in die Printausgaben der Zeitungen, als auch in die immer wichtiger werdenden Online-Zugänge, sowie auch in die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke – es könnte der Eindruck entstehen, der Juso-Vorsitzende habe die sofortige Zerschlagung aller Unternehmen gefordert und die Sozialistische Sowjetrepublik Deutschland ausgerufen.

Auch wenn dieser Eindruck von so mancher, teils sogar von einstmals als seriös wahrgenommener Seite bestärkt wird, er könnte falscher nicht sein. Die Debatte, die Kevin Kühnert angestoßen hat, ist längst überfällig und sie muss dieses Land bis ins Mark erschüttern: jeder Versuch, sich dieser Debatte zu entziehen spricht entweder für eine massive intellektuelle Schwäche, wie sie gerade unser Verkehrsminister erneut beweist – oder aber, was viel schlimmer wiegt, für die Akzeptanz des Status Quo und damit einen Umstand, den niemand unterstützen kann, der*die ein grundlegendes Interesse an einer lebenswerten Zukunft, nein, überhaupt an einer Zukunft für diesen Planeten hat. Es ist unbestreitbar, dass unsere deutsche und europäische Art zu Wirtschaften nicht gesund und nicht vernünftig ist. Nicht gesund, weil gerade aus globalem Blickwinkel die Probleme mit jedem Tag zunehmen: der menschgemachte Klimawandel schreitet unaufhörlich voran und der Mensch zerstört sich seine eigene Lebensgrundlage. Nicht vernünftig ist sie, weil ausgerechnet die Profiteure dieser Zerstörung nicht die Leidtragenden sind und alles daran setzen, es auch nicht sein zu müssen, wie unter anderem der Aufschrei der Wirtschaftslobbyisten in der SPD beweist.

In einem schrecklichen Maße beschämend hingegen ist die Reaktion vieler Kritiker*innen. Da wird mit historisch unhaltbaren Vergleichen „argumentiert“, es werden ganz offen falsche Aussagen verbreitet, die so nie getroffen wurden – und wer es wagt, diese Form des öffentlichen Anprangerns eines Andersdenkenden überhaupt anzusprechen, dem wird gerne und schnell vorgeworfen, er*sie sei unsolidarisch und das auch noch mitten im Wahlkampf. Wenn das ein Ausdruck moderner Debattenkultur sein soll, man kann der Menschheit nur viel Glück wünschen, mit der Vernunft ist es dann nämlich nicht weit her.

Kevin Kühnert hat im Interview mit der ZEIT nämlich eine ganze Reihe vernünftiger Vorschläge gebracht, die allesamt diskussionswürdig sind. Der Vorwurf, diese Gedankengänge seien nicht mehrheitsfähig mag nicht falsch sein – aber wäre das der Maßstab für die Relevanz einer Idee, es gäbe keine Partei in Deutschland, die noch Wahlprogramme drucken dürfte. Die Schnappatmung mit der aus konservativer und vermeintlich-liberaler Ecke reagiert wird, offenbart den getroffenen Nerv: es geht schlichtweg um eine neue Form des Wirtschaftens und damit letztendlich auch des Lebens selbst. Will sich der Mensch befreien aus seiner Misere, dann muss er bereit dazu sein, bestehende Strukturen umzuwerfen und neu zu denken – nicht im Sinne einer Unterhemd-Posterboy-Kampagne, nein, in dem Sinne, der die SPD überhaupt erst notwendig machte: um allen Menschen eine Teilhabe am großen Kuchen zu ermöglichen, der tagtäglich verteilt wird.

Der Frauenanteil im deutschen Bundestag ist so niedrig wie seit knapp 20 Jahren nicht mehr. Nur noch 30,7% weiblicher Abgeordnete zählt das Parlament. Vergleichsweise lag dieser in der vorherigen Legislaturperiode von 2013 bis 2017 noch bei 36,7%. Dies bedeutet, dass lediglich eine von drei Abgeordneten weiblich ist. Unsere Bundesjustizministerin Katharina Barley beschreibt diese Situation als „beschämend für das Jahr 2018“ und fordert eine „gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Bundestag.“ Die sogenannte „Frauenfrage“ soll im Zentrum der geplanten Reform des Wahlrechts stehen und dahingehend geändert werden, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern gesichert ist. Eine Möglichkeit um dies umzusetzen wäre eine Quote für die Wahllisten der Parteien. Kurz gesagt: die Einführung einer Frauenquote für alle Parteien. So kann die Gleichberechtigung von Frauen hergestellt und dafür gesorgt werden, dass ein angemessener Anteil von Frauen ihre Meinungen im Bundestag vertreten können. Dass dies funktionieren kann zeigt uns unsere eigene Partei. Vor rund 30 Jahren votierte die SPD für die Frauenquote und sorgte für eine grundlegende Veränderung in der deutschen Politik. Plötzlich wurde das Problem beseitigt, dass zu wenig Frauen kandidieren, was auch oft als Grund gegen eine Quote genannt wird. Es wird behauptet, dass es doch gar nicht so viele Frauen gäbe, wie man mit der Quote haben will. Die SPD ist mit einem Frauenanteil von 42% im deutschen Bundestag vertreten, die Linken mit 54% und die Grünen sogar mit 58%, was zeigt, dass es definitiv genügend Frauen gibt, die bereit sind sich politisch zu engagieren. Gerade die Quote könnte dazu beitragen, dass sich mehr Frauen trauen in der Politik Fuß zufassen, weil ihnen die Chance dazu gegeben wird.

Ein weiteres Argument, welches oft gegen die Frauenquote verwendet wird ist, dass diese dazu führe, dass viele unqualifizierte Frauen in Ämtern gedrängt werden. Es wäre deren Meinung nach doch viel sinnvoller, wenn stattdessen qualifizierte Männer die Ämter übernehmen. Hier denke ich mir jedoch dann: Wie viele unqualifizierte Männer gibt es bitte bereits im deutschen Bundestag oder in gewissen Ämtern? Wieso wird dies nicht in Frage gestellt, aber, ob eine Frau eventuell unqualifiziert sein könne schon? Die CSU hat in ihrer Partei sogar eine Regionalquote eingeführt. Wieso beschwert sich hier niemand, dass beispielsweise ein Mann aus Oberbayern, welcher für ein bestimmtes Amt kandidieren möchte, eventuell unqualifiziert ist?

Ich sage eine Frauenquote ist solange nötig, bis wir sie nicht mehr brauchen. Natürlich wäre es wünschenswert, dass es ohne eine Quote ginge, jedoch ist es de facto noch nicht möglich. Es steht außer Frage, dass kein angemessener Frauenanteil im deutschen Bundestag vertreten ist. Durch die Änderung des Wahlrechts könnte dieses Ziel allerdings erreicht werden, da somit die Selbstverständlichkeit eines hohen Frauenanteils herbeigeführt werden könne und viel mehr Frauen die Chance zu politischem Engagement gegeben wird.

Wer mir sagen kann, was die Liedzeile im Titel aussagen soll, schreibt mir bitte. Aber irgendwo ist Dicht&Ergreifend da auch etwas auf der Spur. Ähnlich unverständlich ist nämlich der Begriff der Heimat in der Politik, sowie die ganze Debatte darum. Was zum Teufel ist eigentlich Heimat? Und ist es gerade für die Sozialdemokratie eine gute Idee mit Heimatgefühlen Politik zu machen?

„Bayern, des samma mir“

Eine ausreichende Definition konnte mir noch niemand liefern. Meistens werden Personen, Orte und Sinneseindrücke aneinandergereiht um ein gewisses heimatliches Gefühl zu beschreiben. Immer also ist die Heimat etwas absolut Subjektives und schwierig abzugrenzen. Und daraus soll jetzt irgendwie politisches Kapital geschaffen werden. Dass das kläglich scheitert sieht man an den jüngsten Beispielen: Christian Lindner hat Verständnis für Rassismus beim Bäcker, die CSU stellt im Landtag Eilanträge, weil ein bayerischer Kindergarten einen christlichen Feiertag begeht, der wohl als „unbayerisch“ angesehen wurde, und der Grüne Landtagswahlprogrammentwurf bringt solche Stilblüten zu Tage, wie „Baukultur ist und schafft Identität und Heimat“.

An den Umfragewerten scheint sich durch solche Aktionen relativ wenig zu ändern, die Frage ist, wann das auch in den jeweiligen Parteizentralen ankommt, beziehungsweise ob es sie überhaupt interessiert. Der CSU kann eine starke rechte Opposition eigentlich ganz gelegen kommen, heißt es doch, dass jede Koalition gegen die CSU von Mitte links verhindert wird. Die Grünen haben mittlerweile begriffen, wer sie wählt, nämlich reiche Menschen in Städten und so ein bisschen Heimat findet ja auch die ökobewusste Oberschicht nicht schlecht, die FDP hat seit dem Jamaika-Aus ja allgemein Probleme sich zu profilieren, Christian Lindner möchte einfach gerne ins Fernsehen und Sahra Wagenknecht war ja immer schon Anhängerin eines sehr national zentrierten Sozialismus. Die SPD dagegen scheint als einzige großen Schaden vom derzeitigen Themenmainstream zu nehmen.

„Warum wählst du SPD?“ – „Naja, wir können ja nicht alle aufnehmen.“

Wenn Andrea Nahles sagt, dass wir nicht alle aufnehmen könnten, ist das vielleicht eine wahre Aussage, aber ein Strohmannargument und überhaupt als Statement wahnsinnig dumm. Wer sind denn „alle“? Wollen die überhaupt „alle“ hierher? Wer hat denn gefordert, dass „alle“ hierher sollen? Und wer ist überhaupt dieses „wir“, das auf diese Weise immer wieder gebraucht wird, um sich gegen das Fremde abzugrenzen, das man ja nicht aufnehmen könne. Was wir derzeit erleben ist die Wiederentdeckung der Deutschtümelei in der Politik, durch alle Lager hindurch. Politiker*innen möchten den Menschen ein „Heimatgefühl“ geben, wohlig warm, bloß ohne böse Einflüsse aus der weiten Welt.

Die SPD ist als Partei wie keine andere absolut ungeeignet aus einem „Heimatgefühl“ Kapital zu schlagen. Über alle Bevölkerungsschichten hinweg wird sie gleich wenig gewählt und die Lebensrealitäten dieser Schichten sind viel zu unterschiedlich, als dass es abzuschätzen wäre, welche verquere Symbolpolitik an welchem Ende mehr Wähler*innen einbringt als kostet. Söder kann darauf vertrauen, dass die konservativen Stammwähler*innen seinem Kreuzzug relativ positiv oder wenigstens gleichgültig gegenüberstehen. Aber worauf kann die SPD vertrauen? Was erwarten die Menschen von ihr?

Ich wage zu behaupten, keine Deutschtümelei. Das beste Ergebnis im Bund fuhr die Partei immerhin mit Willy Brandt ein, Autor des Buches „Verbrecher und andere Deutsche“.

Mein linker linker Platz ist frei

Durch den ganzen Heimatdiskurs kommt vor allem ein großes Thema zu kurz, was die SPD in der Vergangenheit immer gern bespielt hat, die soziale Frage. Zu den Groko-Verhandlungen gab es mal einen kurzen Zeitraum in dem es öffentlichen Diskurs über soziale Themen gab, nämlich als es darum ging, was die SPD der Union an Zugeständnissen entlocken kann. Da wurde tatsächlich über eine „Bürgerversicherung“ diskutiert, man hörte Forderungen nach einer Mindestlohnerhöhung, endlich Themen bei denen die Sozialdemokratie punkten könnte. Nur leider ist davon nicht mehr viel übrig geblieben, seitdem die Partei im Bund in Regierungsverantwortung ist und Debattenbeiträge kommen nicht mehr aus der vorderen Reihe der Partei, die in der Koalition möglichst staatstragend aussehen möchte, sondern etwa von Michael Müller, der eine Debatte um einen solidarischen Arbeitsmarkt aufwirft.

Könnte die Partei nicht einfach mal versuchen diese krasse Lücke links im Parteienspektrum zu schließen, die sich seit langer Zeit mehr und mehr auftut? Wo Grüne immer konservativer und Linke immer nationalistischer werden könnte sich doch eine SPD glaubhaft gegen diese Heimatduseligkeit stellen und konkrete sozialpolitische Forderungen aufstellen. Anstatt „Wir können nicht alle aufnehmen“ könnte Andrea Nahles dann mit „Wir wollen eine Kindergrundsicherung, aber mit der Union ist gerechte Familienpolitik leider nicht zu machen“, zitiert werden.

Natürlich bräuchte es hierzu einen inhaltlichen Erneuerungsprozess, wurde ja auch versprochen. Wann fängt der denn jetzt endlich mal an? Jetzt wäre die Zeit mit mutigen Forderungen voran zu gehen. Michael Müller hat das immerhin schon mal erkannt.

Die SPD hat sich entschieden. Es gibt eine erneute große Koalition mit der CDU und der CSU. Mich hat der Ablauf im Vorfeld des Mitgliederentscheids gestört. Statt sachlich alle Alternativen aufzuzeigen, gab es Regionalkonferenzen mit sehr einseitig besetzen Podien. Auch der Brief, der den Wahlunterlagen beigelegt war, hat nicht den Diskurs innerhalb der Partei abgebildet. Das ist das Recht des Parteivorstands, aber schade ist es nichtsdestotrotz. Ich dachte, meine Partei könnte da mehr.

Nach der Pressekonferenz des Parteivorstands war es mucksmäuschenstill im Willy-Brandt-Haus, die Helfer:innen haben das ausgemacht. Meine Facebook-Timeline war allerdings nicht still. Gute und engagierte Genoss:innen, die diese Partei braucht, sind ausgetreten. Mich hat das unfassbar traurig gemacht, ich verstehe sie aber auch. Ich respektiere den Entschluss jeder:jedes einzelnen, aber ich persönlich glaube, das ist der falsche Weg.

Auch wenn die Mitgliederbefragung vorbei ist – es gibt jetzt kein „Back to Business.“. Wir stehen vor der großen Frage: Quo vadis SPD? Bitte nicht den gleichen Weg, wie die Parti socialiste in Frankreich. Die Diskussion um die Erneuerung und auch die Ausrichtung der SPD ist noch nicht vorbei.

Ich bin der Meinung, dass die Menschen auch in Zukunft eine echte und starke Sozialdemokratie brauchen. Wir haben nicht mehr unser klassisches Wähler:innenklientel, wir werden von allen Milieus ein bisschen gewählt. Auch wenn es vielleicht die „klassischen“ Arbeiter:innen kaum noch gibt – es gibt viele Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wir müssen angehen, dass immer weniger Menschen in sozialversicherungspflichtigen Berufen arbeiten, dass befristete Berufe immer mehr zur Regel werden, dass Hartz 4 als alternativlos gilt. Der Hype, den es Anfang 2017 gab, ist nicht vom Himmel gefallen. Die Frage nach Gerechtigkeit, nach Umverteilung wird sich in diesem Land gestellt. Die SPD hat es damals nicht geschafft andere Konzepte zu liefern, das kann sie nur, wenn sie sich vom Neoliberalen Dogma trennt.

 

Wir müssen nicht an Stellschrauben drehen, um das System ein bisschen besser zu machen, wir müssen das System verändern. Niemand bejubelt uns dafür, dass wir die Parität bei den Krankenkassen wiedereinführen, nachdem wir sie selbst vor 15 Jahren unter rot-grün abgeschafft haben.

Um aber diese Neuausrichtung zu schaffen, brauchen wir euch. Wir brauchen junge, engagierte Menschen, die Lust haben gemeinsam und solidarisch diese Partei wieder auf einen klaren Kurs bringen. Nur mit einer Sozialdemokratie, die zu ihren Werten steht und danach handelt, hat die SPD eine Zukunft. Die SPD hat viel an Glaubwürdigkeit verloren – wenn sie jetzt noch ihre Mitglieder verliert, dann dreht sich Willy Brandt wirklich im Grabe um. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass wir in Zukunft wieder Wahlsiege feiern können.

Ihr wollt mitentscheiden und die Partei mit formen? Dann meldet euch zu einem der zahlreichen Seminare an, geht zum Basiskongress am kommenden Wochenende, arbeitet in den Kommissionen mit oder besucht die Landeskonferenz als Gast!