Die deutsche Bundesregierung verhält sich in den letzten Tagen und Wochen beinahe schizophren. Auf der einen Seite solidarisieren sich völlig zurecht viele deutsche Politiker*innen mit dem russischen Oppositionellen Alexei Nawalny, fordern dessen Freilassung und kritisieren den Kreml dafür scharf. Auf der anderen Seite betreiben unzählige Minister*innen, Ministerpräsident*innen und nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel enorme Lobbyarbeit für die angebliche „fast letzte Brücke zu Russland“ (Zitat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 06.02.2021). Die Rede ist von der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.  

Die Fertigstellung dieser Erdgas-Pipeline wäre „energiewirtschaftlich unnötig, umweltpolitisch schädlich und betriebswirtschaftlich unrentabel“, so Claudia Kemfert, eine Autorin für eine Studie des DIW aus dem Jahr 2018, welche sich genau mit diesem Thema beschäftigte. Die Kritik an diesem Projekt bestand also schon seit einigen Jahren, flammte jedoch seit der Verhaftung Nawalnys erneut auf.  

Doch was ist Nord Stream 2 eigentlich genau? 

Um diese Frage zu beantworten, muss man zeitlich etwas zurückgehen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war es für deutsche Energieunternehmen lukrativ in russische Erdgaswirtschaft zu investieren. So fusionierten beispielsweise 2002 die Energiekonzerne E.ON und Ruhrgas unter dem Vorwand, die deutsche Energieversorgung mit Erdgas aus Russland zu sichern. Obwohl damals Monopolvorwürfe laut wurden, kam es zu einer Genehmigung dieser Fusion. Sehr zur Freude russischer Erdgasunternehmen, welche nun eine Chance sahen, neue Märkte in Westeuropa zu erschließen.  

Anfangs versuchte Russland sein Erdgas hauptsächlich über die Ukraine an die westeuropäischen Abnehmer*innen zu exportieren. Jedoch wurde die Transportroute über die Ukraine wegen vermehrter politischer Konflikte immer schwieriger für die staatlichen Gaskonzerne Russlands. So versuchte die russische Regierung Alternativen zur Transitroute über die Ukraine zu finden. Im Jahr 2011 wurde schließlich die Gaspipeline Nord Stream 1 eröffnet, welche das Erdgas vom russischen Wyborg, nahe der Stadt Sankt Petersburg über die Ostsee bis nach Lubmin, im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern transportierte.  

Doch wenn man nun einen Blick auch auf die „jüngere Schwester“ Nord Stream 2 wirft, wird klar, dass Russland mit diesen Projekten ganz klar Geopolitik betreibt. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 und seit dem Krieg im Donbass bemüht sich der Kreml zunehmend um eine Diversifizierung seiner Erdgas-Exportrouten. Eine davon ist Nord Stream 2, welche ebenfalls wie Nord Stream 1 Erdgas von der Region Sankt Petersburg nach Mecklenburg-Vorpommern und von dort in verschiedene europäische Staaten transportieren soll.  

Dieses Projekt ist umstritten und das völlig zurecht. 

Der erste Kritikpunkt betrifft die Außenpolitik Deutschlands und weiterer europäischer Länder: Nach Außen hin wird Nord Stream 2 als europäisch-russisches Energieprojekt auf Augenhöhe dargestellt. Doch diese Darstellung entspricht mit Nichten der Realität. Zwar waren zu Beginn europäische Energieunternehmen (Deutschland mit Uniper und Wintershall, Österreich mit OMV, Frankreich mit Engie und das britisch-niederländische Unternehmen Royal Dutch Shell) gemeinsam mit Gazprom an der Nord Stream 2 AG beteiligt, jedoch besaß der russische Staatskonzern schon seit Gründung im Jahr 2015 den größten Anteil an der Aktiengesellschaft. Ein Jahr später zogen sich die europäischen Unternehmen vollständig aus der Nord Stream 2 AG zurück und überließen so Russland die alleinigen Anteilsrechte.  

Altkanzler Gerhard Schröder wurde zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Nord Stream 2 AG ernannt und betrieb bereits damals enorme Lobbyarbeit für die Umsetzung des Projekts. Durch das bisweilen rücksichtslose Vorgehen Gazproms und von Vertreter*innen Russlands zeigte sich schnell, dass Russland mit Nord Stream 2 mehr als nur wirtschaftliche Interessen verfolgt. Bei einer Fertigstellung und Inbetriebnahme der Gaspipeline könnte sich Europa noch abhängiger von russischen Gasexporten machen und wäre somit bei Konflikten, wie in der Ukraine, leichter von Russland erpressbar. Die russische Regierung könnte womöglich eine Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen der EU fordern und damit weiterhin ihre Macht demonstrieren. Kritik am Kreml, wie in der Causa Nawalny, würde vielleicht in Zukunft nicht mehr so einfach werden. Deutschland und seine europäischen Partner*innen sollten deshalb die Stärke besitzen, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu verhindern und nicht mit einem Regime, welches Menschenrechte und demokratische Partizipation mit Füßen tritt, zusammenarbeiten.  

Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Macht es wenigstens aus ökonomischen Gesichtspunkten Sinn, eine weitere Erdgas-Pipeline in der Ostsee zu bauen? 

Keineswegs. Eines der Ziele der Projektgesellschaft um Nord Stream 2 ist die nachhaltige Stärkung der europäischen Energiesicherung. Dies würde somit einen Nachfrageüberhang europäischer Staaten nach Erdgas voraussetzen. Tatsächlich wurde jedoch eine sinkende Nachfrage Deutschlands nach Erdgas in den nächsten Jahren und Jahrzehnten berechnet. In Zukunft wird fossiles Erdgas generell nur noch eine untergeordnete Rolle in der deutschen Energieversorgung spielen. Gründe dafür sind vor allem die langfristig niedrigen Strompreise, hohe Überkapazitäten in der konventionellen Energieproduktion und Fortschritte im Bereich der regenerativen Energien. Somit zeigt sich deutlich, dass es derzeit und auch in den kommenden Jahrzehnten keinen Bedarf für zusätzliche Erdgasimporte geben wird.  

Doch wie sieht es mit den Kosten und Erlösen aus? 

Ebenfalls nicht gut. Die Baukosten von insgesamt 9,5 Milliarden Euro werden zur Hälfte von Russland, zur anderen Hälfte von den europäischen Teilnehmerstaaten getragen. Insgesamt werden die Kosten für Nord Stream 2 mit 17 Milliarden US-Dollar angegeben, die kalkulierte Ersparnis für die Umgehung der Ukraine wurde nur mit 700 Millionen US-Dollar angegeben. Da sich aber, wie oben bereits erläutert, der Absatz an Erdgas in Europa nicht erhöhen wird, sondern sogar verringern wird, wird jährlich mit Verlusten in Milliardenhöhe gerechnet. Zusätzliche Gasleitungen in Deutschland, welche für die Fertigstellung von Nord Stream 2 benötigt werden, kosten noch einmal etwa 500 Millionen Euro, welche auf die Verbraucher*innen umgelegt werden sollen.  

Mögliche weitere ökonomische Konsequenzen, welche aktuell noch nicht kalkuliert werden können, sind beispielsweise Wirtschaftssanktionen der USA gegen europäische Staaten. Sowohl die damalige Trump-Administration als auch die aktuelle Regierung unter Präsident Joe Biden stehen dem Vorhaben ablehnend gegenüber. Sanktionsdrohungen der USA führten bisweilen schon zum Ausstieg einiger Firmen aus Nord Stream 2 und gefährden möglicherweise die Fertigstellung des Projekts auf den letzten, fehlenden Kilometern. So belegte die ehemalige Regierung unter Donald Trump noch am 25.01.2021 das russische Unternehmen KVT-RUS mit Sanktionen und erklärte das Verlegeschiff „Fortuna“ zu „blockiertem Eigentum“. Doch auch unter Präsident Biden sind weitere Maßnahmen gegen russische und auch europäische Unternehmen nicht völlig ausgeschlossen. Der Standpunkt der neuen US-Regierung bleibt der gleiche wie unter Trump. Die deutsche Bundesregierung bemühte sich währenddessen schon um „Einigungsversuche“ mit den Vereinigten Staaten. 

Es steht also völlig außer Frage, dass dieses Projekt ökonomisch gänzlich unrentabel ist.  

Doch auch aus ökologischen Gründen kann und muss Nord Stream 2 kritisiert werden.  

Im Jahr 2020 hat das Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht an der Technischen Universität Berlin ein Rechtsgutachten über die Umweltverträglichkeit einer weiteren Gaspipeline in der Ostsee und aller damit einhergehenden Konsequenzen erarbeitet. Das Resultat des Gutachtens war alarmierend. So gebe es „erhebliche Hinweise darauf […], dass die Methanemissionen der Gasförderung in Europa und Russland tatsächlich höher sind, als bislang angenommen bzw. von den Vorhabenträger[*innen] angegeben.“ (Zitat von der Umwelt-Rechtsanwältin Cornelia Ziehm aus der „WirtschaftsWoche“ vom 05.03.2020).  

Laut der Deutschen Umwelthilfe muss der Einfluss von Erdgas auf das Klima noch genauer erforscht werden. Des Weiteren muss geklärt werden, unter welchen ökologischen Standards das Erdgas gefördert werden kann, wie es verarbeitet und transportiert werden kann. Die Verbrennung von Erdgas an sich ist weitgehend umweltschonend, jedoch wird beim Abbau des fossilen Gases Methan freigesetzt. Dies ist dahingehend problematisch, weil Methan ein weitaus klimaschädlicheres Gas als Kohlenstoffdioxid ist. Die Auswirkung von Methan auf unser Klima ist in etwa 84-mal stärker als das bei Kohlenstoffdioxid der Fall ist, bei einer Betrachtung über einen Zeitraum von 20 Jahren. Laut Aussagen der Nord Stream 2 AG werden alle anerkannten Standards sowohl bei der Förderung als auch beim Transport umgesetzt. Dies wird allerdings von der Deutschen Umwelthilfe stark angezweifelt, weshalb weitere Überprüfungen durchgeführt werden sollen, welche das Projekt verzögern würden. Die an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen sehen keinen Grund für weitere Überprüfungsmaßnahmen und verweisen stattdessen auf die Genehmigungen diverser Behörden, wie durch das Bergamt Stralsund für die Anladestation und das deutsche Küstenmeer.  

Die deutsche Regierung sollte jegliche Beteiligung an Nord Stream 2 einstellen, denn Deutschland gefährdet dadurch seine eigene Energiewende und seine Klimaziele, setzt mutwillig die Souveränität der Ukraine und weiterer Staaten aufs Spiel, investiert Unmengen an Geld in ein nicht zukunftsfähiges, unrentables und unwirtschaftliches Vorhaben und zieht sich selbst blindlings in eine geopolitische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes hinein. Die Bundesregierung wäre besser beraten, wenn dieses Geld dort eingesetzt werden würde, wo es aktuell so dringend gebraucht wird: Im Bildungssystem, für erneuerbare Energie, für Klimaforschung, für die Mobilitätswende und in unser Gesundheitswesen.  

Denn anders scheint der aktuelle Umgang der EU mit den Menschen in Moria nicht zu erklären zu sein. Die Situation in dem provisorischen Lager, das für ursprünglich 2800 Menschen gedacht war, war bereits vor den vernichtenden Bränden verherrend. 13.000 Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind, befinden sich nun ohne zugelassene Hilfe von NGOs auf der Straße – während einer Pandemie. Die Würde dieser Schicksale, die nun Abwasser trinken müssen, weil sie keine andere Wahl haben, scheint der EU egal zu sein. Nur wenige Staaten sind bereit, der humanitären Katastrophe entgegenzuwirken. Das Land mit 83 Millionen Einwohner*innen und einer Fläche von 357.582 km2 traut sich nicht mehr als wenig Hundert „besonders Schutzbedürftige“ zu und Menschenhasser wie Orban, Kurz oder die gesamte PiS-Partei blocken vollkommen ab. Die Europäische Union scheitert in dieser Hinsicht auf ganzer Linie. Die Kanzlerin muss sich der Verantwortung der deutschen Ratspräsidentschaft bewusst werden und konsequent für Artikel 1 unserer Verfassung eintreten. Konsequenterweise müsste man interne Störfriede die Leviten lesen.

Bei einer Abstimmung, eingebracht von der Opposition, hätte das Elend auf Moria bereits früher beendet werden können. Der Sozialdemokratie schien der Koalitionsfriede jedoch wichtiger gewesen zu sein als Menschenleben zu retten. Klingt hart, ist aber leider so. Die SPD muss nun endlich für ihre Werte einstehen und der Union Druck machen. Die Katastrophe in Moria muss endlich beendet werden, das Lager aufgelöst und die Menschen gerecht auf alle EU-Staaten verteilt werden. Wir haben Platz!

Und an alle konservativen Politiker*innen, die dann Angst haben, dass nun alle Flüchtlinge ihre Lager anzünden: Schämt euch.

Dass der Journalismus in Deutschland relativ wenig von Kommunikationswissenschaften versteht weiß man spätestens, seitdem „Hart aber fair“ öffentlich zugab, mit dem Begriff des „Framings“ wenig anfangen zu können. Zuletzt erregte ein Meinungsbeitrag von Mariam Lau in der Zeit die Gemüter. Unter dem Titel „Oder soll man es lassen? – Private Helfer retten Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer aus Seenot. Ist das legitim? Ein Pro und Contra“ verfasste Lau den Contra-Beitrag, in dem sie sich gegen private Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer positioniert. Die Empörung war groß, Lau wurde von vielen Seiten vorgeworfen dazu aufzurufen Menschen ertrinken zu lassen und damit faktisch zum Mord an Geflüchteten aufzurufen. Insbesondere ihr Vorwurf gegenüber den Retter*innen: „Ihr Verständnis von Menschenrechten ist absolut kompromisslos“ wurde von vielen so aufgefasst, dass die Autorin manchen Menschen weniger Menschenrechte zuspricht als anderen.

Eine besonders deutliche Reaktion auf diesen Kommentar kam vom Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“, Tim Wolff. Dieser fragte auf seinem privaten Twitteraccount: „Zeit-Mitarbeiter auf offener Straße erschießen?“ und ließ die Twitteruser*innen zwischen den Alternativen „Pro“ und „Contra“ wählen. Auch hierauf fielen die Reaktionen heftig aus. Vom Aufruf zum Mord war von vielen Seiten, insbesondere von anderen Medienschaffenden zu lesen.

Beiden wird also Aufruf zum Mord vorgeworfen und die Debatte wird, wie so oft, völlig nuancenlos geführt. Ich will im Folgenden anhand eines der einfachsten kommunikationswissenschaftlichen Modelle, der Lasswell-Formel, versuchen die Nuancen in die Debatte zurückzubringen und zu klären ob und wer hier zum Mord aufgerufen hat.

„Who says what in which channel to whom with what effect?“

Der US-Kommunikationswissenschaftler Harold Dwight Lasswell formulierte 1948 diese Formel, übersetzt „Wer sagt was in welchem Kanal zum wem mit welchem Effekt“, die grundlegend die Massenkommunikation beschreiben soll.

Who

Das „Wer“ in der Formel ist die „Kommunikatorforschung“, um wen handelt es sich also, die hier kommunizieren? Zum einen wäre das Mariam Lau, Hauptstadtjournalistin der Zeit, zum anderen Satiriker und Titanic-Chef Tim Wolff. Hier erkennt man schon einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden. Laus Name wird verknüpft mit seriösem Politjournalismus, von ihr wird differenzierte Meinung und Berichterstattung erwartet. Tim Wolff dagegen arbeitet seit 2010 für die Titanic und ist seit 2013 der Chefredakteur der bekanntesten Satire-Zeitschrift des Landes. Von ihm wird Satire erwartet.

Diese Erwartungshaltung ist entscheidend. Viel zu oft versuchen etwa AfD-Politiker*innen im Nachhinein ihre menschenverachtenden Aussagen als Satire zu deklarieren. Das funktioniert so aber nicht, es handelt sich bei diesen Leuten um professionelle Politiker*innen, bei denen man bei öffentlichen Statements, gerade wenn diese in offizieller Aufmachung schriftlich erscheinen, erst mal davon ausgehen muss, dass sie ernst gemeint sind. Das heißt nicht, dass Politiker*innen oder politische Journalist*innen per se keine Witze machen dürfen, gerade der mal mehr mal weniger amüsante Zwischenruf im Plenum oder eine witzige Glosse haben ja Tradition, es heißt aber, dass hier mit einem anderen Maßstab gemessen werden muss, als bei Menschen, die von berufswegen her unseriös sein müssen.

Doch auch Satiriker*innen genießen keine Narrenfreiheit. Ansonsten bräuchten wir den ganzen Rest der Lasswell-Formel auch gar nicht. Alle ihre Teile sind hier entscheidend für die endgültige Einordnung.

What

Mariam Laus Kommentar hat ein großes Problem: Was die Leser*innen mitnehmen und was die Autorin sagen wollte divergiert teils sehr stark. Zusammengefasst möchte Lau, dass alle Bootsflüchtlinge von staatlicher Seite aus dem Mittelmeer gerettet und nach Afrika zurückgebracht werden, weswegen sie private Rettung ablehnt, die sie auch als Grund sieht, warum so viele Menschen überhaupt die Gefahr einer Überfahrt auf sich nehmen. Ohne die Position hier kommentieren zu wollen, lässt sich allerdings feststellen, dass Laus Kommentar die allermeiste Zeit einzig die privaten Retter*innen kritisiert und die Moralität von privater Seerettung nicht nur infrage stellt, sondern sie zu etwas Unmoralischem erklärt, da sie angeblich dem Geschäft der Schlepper*innen in die Hände spielt. Der Staat oder die EU, die nach ihrer Vision die Rettung und Rückführung bewerkstelligen sollten werden dagegen praktisch gar nicht ob ihrer unterlassenen Hilfeleistung kritisiert. Sie unterstellt den Retter*innen zynischer Weise ein kompromissloses Verständnis von Menschenrechten zu haben, was den berechtigten Einwand aufwirft, dass ein kompromissbereites Verständnis von Menschenrechten Menschenrechte praktisch zu einer Verhandlungsmasse macht, wodurch man berechtigter Weise fragen kann, ob Frau Lau überhaupt von unveräußerlichen Menschenrechten ausgeht. Das alles, lässt es so wirken, als ginge die Diskussion darüber, ob man Menschen ertrinken lassen sollte, was Frau Lau natürlich nicht will, ihr Kommentar erzeugt aber einen solchen Eindruck.

Tim Wolffs Frage ist klar als Reaktion auf Laus Kommentar zu sehen. Er nimmt sich den Hauptkritikpunkt an dem Kommentar heraus, nämlich, dass man bei Menschenrechten nun offenbar kompromissbereit sein soll und hält der Autorin dieser These den Spiegel vor, indem er fragt ob man bei den Menschenrechten derer, die so etwas veröffentlichen nicht auch Abstriche machen sollte. Nach guter satirischer Tradition legt er sich mit einer der bedeutendsten deutschen Zeitungen an, tritt also ausschließlich nach oben. Die klassisch satirische Überspitzung ist, dass er den Kommentar als einen solchen Zivilisationsbruch begreift, dass damit auch das Erschießen von Journalist*innen auf offener Straße heutzutage prinzipiell eine Diskussion über das jeweilige Pro und Contra verdient. Nur weil etwas, als Frage formuliert wird und nicht als Aussage, heißt natürlich nicht, dass es sich nicht um menschenverachtenden Inhalt handeln könnte. So haben rhetorische Fragen häufig den gleichen Aussagegehalt, wie ein einfacher Aussagesatz, da die Antwort auf die Frage von vornherein klar ist. Wolff hat aber zwei Antwortmöglichkeiten gegeben, er will damit die Absurdität abbilden, die die bloße Diskussion darüber, ob man Menschen vorm Ertrinken retten sollte, mit sich bringt. Es sei nochmal darauf verwiesen, dass keine der beiden Seiten im Zeit-Beitrag Menschen ertrinken lassen will, aber Struktur und Aufmachung des Beitrags von Lau vermitteln nunmal einen solchen Eindruck.

Nun lässt sich natürlich streiten, ob die Heftigkeit der Reaktion wirklich gerechtfertigt ist und es ist verständlich, wenn so eine Frage von vielen als geschmacklos bezeichnet wird, gerade vor dem Hintergrund, dass in jüngster Vergangenheit Journalist*innen häufig wegen ihrer Arbeit ermordet wurden. Die oberste deutsche Autorität in Sachen Satire, Kurt Tucholsky, wäre aber wohl auf Wolffs Seite. Er schrieb einmal in seinem berühmten Text „Was darf Satire?“: „Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“

Which Channel

Die Seite Drei einer Zeitung ist der große Meinungsteil und wird von den allermeisten Leser*innen einer Zeitung gelesen. Von einem Kommentar erwartet man sich eine differenzierte Privatmeinung gebildeter Journalist*innen. Hinzu kommt, dass die Zeit eine der reputationsträchtigsten Zeitungen des Landes ist, die politisch in der liberalen Mitte, links von etwa FAZ und Welt gesehen wird, was einen großen Teil der Aufregung um den Kommentar erklärt. In Medien, welche sich in der Vergangenheit schon bei der Frage der Aufnahme von Geflüchteten ähnlich positioniert haben, ruft ein solche Beitrag keine solch extremen Reaktionen hervor. Nun wird aber scheinbar auch noch in der Zeit die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte in Frage gestellt, was als weiterer gesellschaftlicher Rechtsruck wahrgenommen und entsprechend kommentiert wird.

Nichts schreit so sehr „Ernsthaftigkeit und Seriösität“ wie der private Twitteraccount eines bekannten Satirikers (Achtung Ironie). Nichts entkräftet den Vorwurf des Mordaufrufes so sehr, wie die Analyse des von Wolff benutzten Mediums. Bei einer Frage auf Twitter können alle angemeldeten Twitter-Accounts über eine festgelegte Zeit abstimmen und danach die prozentuale Verteilung der bisher abgegebenen Stimmen sehen. Das Endergebnis nach 9.205 abgegebenen Stimmen ist 46% pro und 54% contra Zeitmitarbeiter auf offener Straße erschießen. Wer die Absurdität an diesem Punkt nicht sieht und immer noch von einem tatsächlichen Mordaufruf redet, verharmlost richtige Mordaufrufe und macht sich über Menschen lustig, die tatsächlich Morddrohungen erhalten. Denken diese Leute allen Ernstes, wäre das Ergebnis umgekehrt ausgefallen, hätte der Chefredakteur einer Satirezeitschrift einfach so Menschen auf offener Straße erschossen?

To whom

Die Zeit hat laut Wikipedia eine Auflage von knapp 495.000 Exemplaren. Da sich Menschen gerne in ihrer Meinung bestätigt sehen, ist wohl davon auszugehen, dass die meisten Leser*innen politisch etwa so ticken, wie die Zeitung, sind also im liberalen Bildungsbürgertum zu vermuten. Diese Leute, die die Zeit bisher als Alliierte in ihrer Abscheu für den immer rechter werdenden gesellschaftlichen Diskurs gesehen haben, sind umso entsetzter, wenn ein Kommentar erscheint, den sie so lesen, als würde die Zeitredaktion nun auch langsam ins rechte Fahrwasser geraten. Entsprechend schnell haben viele Leute im Internet angekündigt ihr Zeitabo zu beenden und auf Angebote der Konkurrenz, etwa die SZ, umzusteigen.

Tim Wolff hat zum Zeitpunkt an dem dieser Beitrag verfasst wird knapp 8.700 Follower*innen auf Twitter. Es zeigt sich also relativ schnell der Unterschied in der Größenordnung. Diese Leute folgen ihm, weil sie Satire lesen wollen und alles was Wolff schreibt, wird von denen, die ihm folgen erst mal so gelesen: Als Satire. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass unter den Leuten, welche diese Frage letztendlich im Netz sahen, den satirischen Gehalt nicht verstehen. Die meisten von diesen fantasieren dann einen ernstgemeinten Mordaufruf herbei und empören sich ebenfalls im Internet. Um noch einmal Tucholsky zu zitieren: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“

With what effect

Ich denke, ich habe in den letzten Abschnitten relativ verständlich darlegen können, warum es sich bei Wolffs Tweet um eine bissige Satire handelt, die von manchen vielleicht als geschmacklos wahrgenommen werden kann. Was aber ganz bestimmt nicht der Effekt des Tweets sein wird, ist, dass jemand davon aufgestachelt wird jemanden zu erschießen, dafür ist der Kontext einfach überhaupt nicht gegeben. Stattdessen entlarven sich Leute, die von Satire nichts verstehen, beziehungsweise opportunistisch die Pressefreiheit so lange verteidigen bis jemand etwas schreibt, das ihnen nicht passt. Akteur*innen der Bild-Zeitung etwa versuchen, spätestens seitdem ihr schlampiges journalistisches Handwerk von der Titanic zweimal innerhalb weniger Monate enttarnt wurde, der Zeitschrift ihren satirischen Charakter abzusprechen und sie in alle möglichen Ecken zu rücken.

Für die Zeit und Miriam Lau fällt die Effektanalyse nicht ganz so glimpflich aus. Denn ob sie es nun wollte oder nicht, ihr Beitrag hat Argumente, welche die private Seenotrettung dämonisieren, in ein liberales Milieu verschoben. Ein direkter Aufruf zum Mord ist der Beitrag aber auch nicht: Die Forderung, wenn auch versteckt, ist Seenotrettung zur staatlichen Aufgabe zu machen und mitnichten Menschen ertrinken zu lassen. Der als akzeptabel angesehene Diskurs wurde allerdings wieder ein kleines Stück nach rechts verschoben und die Leser*innenschaft der Zeit wird polarisiert. Manche auf der linken Seite werden ihr Zeitabo kündigen und vielleicht kriegt sie ein paar Abos auf der rechten Seite dazu. Die Reputation der Zeitung und der Journalistin, die sie links der Mitte genießen haben starken Schaden genommen und eine Debatte darüber, ob Menschenrechte wirklich universell sein sollen wurde eröffnet. Das mögen sowohl Zeitung als auch Autorin nicht gewollt haben, es wurde aber fahrlässig in Kauf genommen.

Als ich heute morgen das Morgenmagazin eingeschaltet habe, war das erste, was ich gehört habe: „eine Lösung ist in der Asylpolitik gerade nicht abzusehen, aber jetzt geht’s erstmal in die Sommerpause.“ Meinen Kaffee zum Wachwerden brauchte ich da nicht mehr, das hat das Adrenalin erledigt.

Aber beginnen wir von vorne. Kurz und knapp, ihr kennt den Inhalt vermutlich sowieso. Neu entbrannt ist das Thema durch den Asylstreit der Union. Hier hat die CSU mit ihrem Gepoltere nicht nur die Unionsgemeinschaft aufs Spiel gesetzt, sondern auch die deutsche Regierung und massiv gegen Europa geschossen. Angela Merkel hat sich mit den Regierungschef:innen Europas getroffen, um einen Kompromiss auszuhandeln, mit dem auch die CSU einverstanden sein kann. Letztendlich gab es einen Unionskompromiss, den die SPD wiederum ablehnte. Stattdessen tagte der Koalitionsausschuss, um sich auf Forderungen zu einigen, die allesamt im Koalitionsvertrag stehen. Jetzt könnte man meinen: Das passt doch. Aber weit gefehlt.

Ich bin froh, dass die SPD Haltung gezeigt hat und es geschafft hat, dass die CSU keine ihrer unsäglichen Punkte durchsetzen konnte. Aber die Verteidigung des Status Quo sollte nicht der Anspruch progressiver und, vor allem in der Flüchtlingspolitik, auch menschlicher Politik sein. In der Einigung aus dem Koalitionsausschuss steht auch, die Regierung wolle FRONTEX stärken und Außengrenzen besser schützen. Das wollen auch die EU-Staaten. Was heißt das nun aber?

Sicherung der Außengrenzen

Beginnen wir mit der Sicherung der Außengrenzen. Die Europäische Union schützt ihre Außengrenzen entweder durch Zäune, wie in Ungarn, oder durch Deals mit Machthabern wie Erdogan in der Türkei oder Mahamadou Issoufou im Niger. Entwicklungszusammenarbeit soll vor allem mit sogenannte Transitländer stattfinden, also in Ländern, die auf Fluchtrouten liegen. Ob diese Länder Menschenrechte achten oder nicht, ist hierbei sekundär – Flüchtlinge aufzuhalten, bevor sie zum Mittelmeer kommen scheint das einzige Ziel zu sein. Hierbei arbeitet die Europäische Union auch mit Omar al-Bashir, dem wegen Völkermordes angeklagten Präsidenten des Sudan, oder Isaias Afwerki, der seit 1993 Chef der amtierenden „Übergangsregierung“ Eritreas ist – ohne Opposition. Um die Fluchtrouten zu schließen, gibt es Geld, Ausbildung der Soldat:innen und Technik.[1]

Das hält Menschen aber nicht davon ab, vor Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit zu fliehen. Durch die Maßnahmen der EU wird diese Flucht aber gefährlicher. Die Internationalen Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass in der Ténéré-Wüste im westafrikanischen Staat Niger ungefähr drei Mal so viele Menschen sterben wie im Mittelmeer. Da die Checkpoints auf den sicheren Routen geschlossen wurden, weichen die Schleuser in die Wüste aus.[2]  Niemand kann genau sagen, wie viele Tote dort mittlerweile liegen.

Internationale Journalist:innenteams werden häufig mit dem Verweis, es sei zu gefährlich nicht in die Wüste vorgelassen. Auch die Camps in Libyen sind für Journalist:innen gesperrt. Misshandlungen, Vergewaltigungen und menschenunwürdige Bedingungen sind hier an der Tagesordnung. [3] „Dort herrschten entsetzliche Zustände, kritisierte er [der UN-Sprecher]. In diesen Lagern seien auch Tausende von Menschen untergebracht, die nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks Anrecht auf Asyl oder zumindest internationalen Schutz haben.“ [4] Hauptsache niemand sieht das Elend der Menschen. Hauptsache, die Menschen kommen nicht nach Europa.

FRONTEX stärken

Aufgrund der aktuellen Situation im Mittelmeer hat für mich der Ausbau von FRONTEX einen enorm bitteren Beigeschmack. Im letzten Monat sind so viele Menschen ertrunken wie noch nie, weil man die Menschen, die nicht zusehen können und helfen, kriminalisiert und an ihrer Arbeit hindert. Dieses Jahr wurden 40% der Rettungseinsätze durch private Helfer durchgeführt. Das Verbot der NGO-Aufklärungsflugzeuge, die nach in Seenot geratenen Schiffen suchen, zeigt doch wieder einmal, dass man einfach wegschauen will. [5]

Die EU will hier verstärkt mit der sogenannten Libyschen Küstenwache zusammenarbeiten. Niemand weiß genau, welchem Machthaber die Einheiten unterstehen. Diese bekommen schon länger Geld und Ausrüstung durch die Europäische Union. Seit 2016 weitete die EU das Mandat auf die Ausbildung der Küstenwache und Marine aus. Immer wieder gibt es allerdings Nachrichten über Attacken auf Flüchtlingsretter:innen und Einsätze, die für die Flüchtlinge tödlich enden.

Franziska Vilmar, Amnesty International: „Bei den Seenotrettungseinsätzen hat die Libysche Küstenwache sehr rabiat gehandelt. Wir haben immer wieder festgestellt, dass Menschen dabei selbst gefährdet worden sind, dass sie teilweise auch ihr Leben verloren haben, aber dass sie, sobald sie an Bord waren, auch geschlagen worden sind und unter Waffengewalt zurückgebracht worden sind in die libyschen Lager.“ [6]

Trotzdem möchte die Europäische Union noch mehr auf die libyschen Küstenwächter:innen setzen, es soll dort eine eigene Leitstelle entstehen.  Die Küstenwache gilt als zutiefst korrupt. Immer wieder wird ihnen Zusammenarbeit mit den Schleuser:innen vorgeworfen. Erst letzten Monat wurde Abd Al Rahman al-Milad, Leiter der Küstenwache in Zawiyah[7], auf die UN-Sanktionsliste gesetzt. Ihm wird Menschenschmuggel und die mutwillige Versenkung eines Flüchtlingsbootes mit Schusswaffen vorgeworfen. Ich glaube nicht, dass wir, die uns für Menschlichkeit und Demokratie feiern, mit solchen Organisationen zusammenarbeiten dürfen.

Und nun?

Seehofer will mit Orban und Kurz einen Plan erstellen, wie man die Mittelmeerroute schließt. Davon wird mir schlecht und das macht mir Angst. Wie sowas aussehen kann, erleben wir jetzt grade. Die europäischen Häfen machen für die Boote freiwilliger Hilfsorganisationen dicht. In Malta steht der Kapitän des Lifeline vor Gericht, nachdem sie eine Woche lang mit 234 Menschen an Bord durch das Mittelmeer gefahren sind und kein Land sie anlegen lassen wollte.

Das ist nicht mein Europa. Ich habe nach wie vor die Vision eines offenen und solidarischen Europas. Solidarisch nicht nur untereinander (wobei selbst das gerade fragwürdig ist), sondern auch mit anderen Ländern dieser Erde und vor allem solidarisch mit Menschen. Wir brauchen legale Fluchtkorridore, damit Menschen nicht gezwungen werden illegale und gefährliche Wege zu gehen. Sebastian Kurz, der österreichische Kanzler, der nun ein halbes Jahr lang den EU-Ratsvorsitz hat, stellt in Frage, ob “alle 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, wirklich automatisch das Recht haben, dass sie einen Asylantrag in Europa stellen können, oder ob sie den nicht auch anderswo auf der Welt stellen könnten.”  Er sprach sich dagegen aus, dass in den von der EU geplanten Aufnahmezentren die Möglichkeit geschaffen wird, Asylanträge zu stellen. Breaking News: Ja, alle Menschen haben erst einmal das Recht einen Asylantrag zu stellen.

Unser Ansatz darf aber nicht sein, den Menschen ihre zustehenden Rechtsmöglichkeiten zu nehmen, sondern ihnen keinen Grund zur Flucht zu geben. Niemand setzt sich aus Spaß in ein überfülltes Schlauchboot. Die Menschen sind sich bewusst, dass sie bei dieser Überfahrt sterben können, trotzdem machen sie sich lieber auf den Weg. Fluchtursachen bekämpft man nicht, indem man Grenzen hermetisch abzuriegeln versucht. Fluchtursachen bekämpft man, indem man aufhört Waffen in Krisengebiete zu schicken, indem man aufhört dubiose Machthaber:innen zu unterstützen und indem man aufhört andere Länder zu unseren Gunsten auszubeuten. Falls ihr euch fragt, wie das geht, verweise ich an dieser Stelle auf einen Blogbeitrag aus dem Jahr 2016, der nach wie vor aktuell ist:

Fairer Handel auch mit Afrika!

 

Was tun?

Mein Appell? Hört auf mit Menschenleben Politik zu machen! Mir ist vollkommen egal woher Menschen kommen, wenn sie Hilfe brauchen, dann muss man helfen.

Wir spielen uns auf als das wunderbare, friedliche Europa und vor unseren Türen ist ein Massengrab. Helft, spendet, schreibt euren Abgeordneten und zeigt ihnen, dass wir vor diesem Sterben nicht die Augen verschließen wollen!

Wenn andere es schon nicht machen, lasst uns ein Zeichen für Menschlichkeit setzen. Lasst uns das Europa sein, das wir wollen. Das schaffen wir nicht durch wegschauen oder meckern, das schaffen wir nur, wenn wir zusammen anpacken.

 

[1]http://www.fr.de/politik/flucht-zuwanderung/fluechtlinge-aus-afrika-eu-deals-mit-afrikas-diktatoren-a-356517

[2]https://www.tagesschau.de/ausland/niger-fluechtlingsroute-101.html

[3]https://youtu.be/BqA2uhfYEfE

[4]https://www.tagesschau.de/ausland/papst-migrationspolitik-101.html

[5]https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-mittelmeer-251.html

[6]https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/toedliche-seenotrettung-100.html

[7]https://www.maritime-executive.com/article/un-blacklists-libyan-coast-guard-leader-for-migrant-smuggling#gs.kHdB=3w

Am Ende des EU-Gipfels steht ein simples Ergebnis: Teile des Fundaments der Europäischen Union werden demontiert. Die Solidarität, einst das Komplement zur wirtschaftlichen Freizügigkeit und damit der Sicherungsmechanismus gegen Marktversagen, ist dahin. Übrig bleibt eine Union, in der Entscheidungen auf Minimalkonsens reduziert werden. Jegliche Vereinbarung, die kurzfristigen nationalen Interessen zuwider läuft, wird, obgleich ihrer langfristigen Vorteilhaftigkeit, für nichtig erklärt. Das Ziel der langfristigen EU-Integration, des Zusammenwachsens, der Vereinigten Staaten von Europa, ist weit in die Ferne gerückt, in manchen Ländern aufgegeben.

Dies alles ist Ergebnis einer nationalen Politik, die entweder bereits von Rechtspopulist*innen gestaltet wird, wie in Österreich, Ungarn, Italien oder Polen, oder einer Politik, die aus der Angst heraus, kurzfristig mit unpopulären Maßnahmen Prozentpunkte in Umfragen an Rechtspopulist*innen abzutreten, gelähmt in ihrem Gestaltungsanspruch ist, wie in Deutschland oder den Niederlanden. 

Man kann den demokratischen Kräften Europas ein einfaches Zeugnis ausstellen: Die Aufgabe ihrer humanitären Grundwerte in der Asylpolitik entspricht einer Bankrotterklärung, einem Räumen des Felds. Politik ohne Gestaltungsanspruch und ohne Werte reduziert das eigene Regieren auf das bloße Verwalten. Langfristig marginalisieren die demokratischen Kräfte Europas damit nicht nur die EU, sondern auch sich selbst. 

Jubeln werden die Rechtspopulist*innen: Ohne die Mehrheit im Europäischen Parlament wird nun trotz alledem aus schierer Angst und Paralyse genau die von ihnen eingeforderte Asylpolitik betrieben: Mehr Abschottung, weniger Menschenrecht, weniger Flüchtlinge, mehr Tote.

Dabei wäre die Kapitulation der demokratischen Kräfte vermeidbar gewesen: Rückläufige Asylzahlen führen zu einem Abbau der Fallzahlen in den Ämtern und damit zu einem absehbaren Ende der Überlastung von Verwaltung und Justiz. Ein brummender Arbeitsmarkt in Kontinentaleuropa und ein Aufschwung in den südeuropäischen Ländern schaffen Platz für Integration und einen leistungsfähigen Sozialstaat. Und der Rückzug der USA als Gestaltungsmacht der globalen Außenpolitik bedeutet Raum für die europäische Diplomatie, die Alternativen zu Auslandseinsätzen zum Zweck der globalen Friedenssicherung und -stiftung aufzeigen hätte können.

Ergebnis einer solidarischen EU wäre langfristig Prosperität, ausgleichende Stabilität und internationale Reputation gewesen. All dies hätte zur Identifikation mit der EU beitragen und den Rechten das Wasser abgraben können. Stattdessen aber entschließen sich die demokratischen Kräfte, in die gegensätzliche Richtung zu marschieren. Anstelle von Solidarität treten nun nationale Egoismen. Anstelle von ausgleichender Stabilität tritt nun mehr Volatilität auf den europäischen Märkten, und damit stärkere Zyklen bei Löhnen, Arbeitslosigkeit und Preisen. Und anstelle des internationalen Einsatzes für das Menschenrecht schaut die EU künftig bei Menschenrechtsverletzungen weg. 

Langfristig kann das Projekt EU nur dann Erfolg haben, wenn es die geltende Freizügigkeit mit einer starken Solidargemeinschaft flankiert. Dass die am Gipfel verhandelnden Staats- und Regierungschefs daran in großen Teilen nicht interessiert sind, das ist das eigentliche Ergebnis des Treffens.

 

Die Zollpolitik ist zurück. Schon überwunden geglaubt nach erfolgreichen WTO-Verhandlungsrunden, und dem Traum von freiem, fairem Handel näher als früher, setzt nun wieder eine handelspolitische Eiszeit ein. In Wild-West Manier fuchtelt US-Präsident Trump mit seiner Handelspolitik herum wie mit einer Pistole und schießt blind gegen alles und jeden. Heute mal gegen die EU, China und andere Handelspartner im Streit um Handelsüberschüsse. Zur Zeit setzt er der EU und anderen die Pistole auf die Brust und droht mit Strafzöllen auf Aluminium und Stahl.

Zwischenstand: USA 1, EU 0

Am Dienstag hat Donald Trump die Entscheidung über die Strafzölle auf europäischen, mexikanischen und kanadischen Stahl und Aluminium um vier Wochen auf 1. Juni vertagt. Der US-Präsident ordnete im März 2018 zusätzliche Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium an. Grund hierfür sei die nationale Sicherheit. Importe seien existenzbedrohend für die heimische Branche; diese sei aber wegen ihrer Bedeutung für die Streitkräfte und Infrastruktur essenziell für die Sicherheit des Landes. Die Handelsbarrieren sollen die inländische Produktion so stärken, dass die USA weniger abhängig von ebendiesen Importen ist. Vertreter aus Brüssel, Ottawa und Mexiko-Stadt versuchen in Verhandlungen mit Washington einen Kompromiss und eine dauerhafte Ausnahme zu erzielen. Für den Fall, dass die Strafzölle doch noch in Kraft treten, hat die EU bereits Gegenmaßnahmen wie Zölle auf verschiedene US-Güter angekündigt.

Doch wieso wird sofort von einem Handelskrieg gesprochen? Am Beispiel Stahl sieht man die Auswirkungen der Strafzölle auf Europa. Einerseits steigen die Stahlpreise in den USA, da Importe nun mit einer „Steuer“ belegt werden. Stahlproduzent:innen aus dem Rest der Welt können jetzt nicht mehr mit US-amerikanischen Unternehmen auf dem US-Markt konkurrieren, da sie vergleichsweise teuer werden. Es wird weniger Stahl in die USA verkauft und das Angebot dort verknappt sich. Deswegen können inländische Unternehmen nun deutlich höhere Preise verlangen.

Exkurs: Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser Handelspolitik in den USA?

 

US-amerikanische Firmen, die diesen Stahl kaufen und weiterverarbeiten, und – in zweiter Konsequenz – auch amerikanische Konsument:innen tragen die höheren Kosten, die durch die Strafzölle entstehen. Stahlproduzent:innen und –arbeiter:innen profitieren hingegen von den höheren Preisen und der geringeren Konkurrenz. „America first“ bedeutet in diesem Fall wohl eher „US-Stahlindustrie first“. Genau deshalb ist die Kritik auch innerhalb der Vereinigten Staaten groß. Gesamtökonomisch betrachtet ist diese Politik nämlich trump’scher Unsinn: Strafzölle, sind ein Schuss, der nach hinten losgeht.  Konsument:innen leiden, Unternehmen, die Stahl als Vorprodukt verwenden, leiden auch und die Zolleinnahmen, die neu generiert werden, können dies nicht wettmachen. Trump, der sich als Beschützer amerikanischer Stahl-Arbeitsplätze inszeniert, vergisst, dass diese nun in anderen Bereichen der Wirtschaft abgebaut werden.

Andererseits können Produzenten aus dem Rest der Welt jetzt weniger exportieren, da sie durch den Zoll künstlich weniger konkurrenzfähig gemacht worden sind. Wenn der Nachfrageeinbruch in den USA sehr groß ist, d.h. wenn die USA zuvor sehr viel Stahl und Aluminium importiert hat, können die Preise auf dem Weltmarkt sogar sinken. Für die europäische Stahlindustrie wäre das sehr negativ.

Neben den Zöllen an sich, ist auch die Art und Weise der eventuellen Einführung problematisch: Firmen versuchen sich natürlich auf die Handelspolitik zu reagieren. So werden sie z.B. weniger in Europa investieren, wenn sich die Gewinnaussichten wegen der Zölle hier verschlechtern. Auch US-Firmen werden sich wegen der erwarteten Verteuerung der Produktionsinputs nach Alternativen umsehen. Da Präsident Trump nun aber die Entscheidung weiter in die Zukunft verlegt hat, können sich Konsument:innen und Firmen noch nicht oder nur unter Spekulationen auf die Veränderungen vorbereiten. Zu Recht kritisiert die EU-Kommission: „Die US-Entscheidung verlängert die Unsicherheit auf den Märkten.“

Zudem darf man nicht einfach nur die ökonomischen Auswirkungen der amerikanischen Zölle heute betrachten, sondern muss auch deren längerfristige Folgen miteinbeziehen. Bereits jetzt hat die EU vor Vergeltungszölle auf US-Importe zu erheben. Ein immer weiter eskalierender Handelskrieg scheint nicht weit.

Aus diesen Gründen versucht die EU, z.B. durch Verhandlungen und US-Besuche von Macron und Merkel, die drohenden Zölle abzuwehren. Bis jetzt nur mit kleinen Erfolgen.

Faktencheck: US-amerikanische und europäische Zölle im Vergleich

 

Doch was steckt hinter den Zolldrohungen? Trump beklagt ein generelles, eklatantes Ungleichgewicht im Warenverkehr mit Europa. Dies misst er am hohen EU-Überschuss im Handel mit den USA: 2017 waren es etwa 120 Milliarden Euro. Zudem wirft der US-Präsident den Europäern vor, deutlich höhere Zölle als die USA zu erheben, z.B. auf Autoimporte. Hat er Recht? Leider ja.

Die EU ist nicht das Paradies für Freihandel, für das sie sich gerne hält, insbesondere im Vergleich mit den USA. Die folgende Tabelle zeigt: Der ungewichtete Durchschnittszoll der EU liegt bei 5,2%, jener der USA bei 3,5%, wie das ifo Institut berichtet. Das bedeutet, dass die EU insgesamt höhere Zölle erhebt als die Vereinigten Staaten. Außerdem verbergen diese Durchschnittswerte hohe Zollspitzen in vielen wichtigen Branchen, wie etwa in der besagten Automobilindustrie. Wenn Präsident Trump also über „massive Zölle“ klagt, hat er zumindest teilweise nicht Unrecht.

Vergleich: Europäische vs. US-Zölle

Der Exportweltmeister Deutschland sollte sich hier vielleicht einmal an die eigene Nase fassen. Lebt die deutsche Wirtschaft und Regierung eine aggressive Exportkultur? Um diese Frage abschließend zu beantworten, könnte man einen zweiten Artikel über europäische Exportsubventionen an die Agrarwirtschaft, die viel zitierten Milchseen und Butterberge, deutsche Lohnzurückhaltungen, und, und, und, schreiben.

Strukturelle Ungleichgewicht im Welthandel hin oder her, Strafzölle sind nicht die richtige Antwort. Ganz im Gegenteil: ein Rückschritt. Sie legen Welthandelsströme und damit die internationale (Wirtschafts-)Zusammenarbeit auf Eis und befeuern nationalistische Ressentiments á la Trump. Seine „America first“-Politik verfolgt ein bestechend einfaches Muster: Finde Schuldige für einen Missstand und tu das, worin Trump am besten ist: diskriminiere sie, mobbe sie, schließe sie aus. 2017 war es unter anderem der sog. „Muslim ban“, der Bürgern aus einigen mehrheitlich muslimischen Staaten die Einreise in die USA verbot; Schuld seien sie am Terror. Heute sind es Handelsprodukte aus dem bösen Europa und China; Grund für den Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand, wie argumentiert wird. Was wird es morgen sein?

Stein für Stein setzt Trump sein Wahlversprechen einer Mauer um. Doch nein, der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko stockt, weil vom Kongress noch nicht genug Geldmittel freigegeben wurden. Die Mauer, die der US-Präsident viel erfolgreicher baut, ist die Mauer in den Köpfen unserer Gesellschaft. Jedes Mal, wenn Twitter-Trump Tiraden gegen wen auch immer verfasst, wird es ein Stück normaler und gewohnter in seinen Kategorien zu denken: Wir gegen die anderen. Nicht wir alle gemeinsam und solidarisch für eine bessere Welt, sondern halt „America first“. Auch gerne auf Kosten anderer.

Es ist die Ironie unserer Zeit: Noch nie war die Welt so globalisiert, so vernetzt und Entfernungen so nah. Und gleichzeitig scheinen manche Mauern unüberwindbar wie eh und je.

Viel wurde über die europapolitischen Forderungen Emmanuel Macrons gesprochen. Von Seiten der Sozialdemokratie feierte man die Blaupause des französischen Präsidenten als großen Aufbruch, teilsweise gar als Neugründung, für die Europäische Union. Auf der anderen Seite gaben sich konservative und nationalistische Kräfte alle Mühe, die Forderungen des jungen Präsidenten als zeitlich wie politisch deplatzierte Narretei abzutun. Selten jedoch wurde über den Inhalt der Macron’schen Forderungen diskutiert, stattdessen reduzierte man die Debatte auf die Frage „mehr oder weniger Europa?“. Um den Forderungen Macrons, nicht zuletzt aufgrund ihrer Wichtigkeit, mit der gebührenden Aufmerksamkeit zu begegnen, wollen wir im Folgenden eine kleine Analyse der zentralen Forderungen wagen.

Flagge der EU: Seit 1955 Symbol für Frieden und Stabilität auf dem Kontinent

Vorweg stellt Macron die Forderung nach einem Europa der zwei Geschwindigkeiten. Nicht jede der von ihm vorgebrachten Reformvorschläge müsse sofort von jedem Mitgliedsstaat übernommen werden. Vielmehr könne die europäische Integration in unterschiedlichen Geschwindigkeiten je Mitgliedsstaat verlaufen. Dies mag auf den ersten Blick verwirren, schließlich kann unterschiedlich intensive Integration der EU-Staaten auch zu mehr Fragilität führen. Blickt man jedoch genauer auf die gegenwärtige Verfassung der EU, so können bereits heute unterschiedliche Grade an Integration gemessen werden. Nichts anderes war die 4+3+3 Regel, die die Personenfreizügigkeit sukzessive etablierte, nichts anderes sind die Maastricht-Kriterien für die EURO-Einführung. Jene unterschiedlichen Geschwindigkeiten machten jedoch den EURO erst möglich, da sie ökonomische Disruption in fragilen Staaten verhinderten, und sie führten nicht zuletzt zur EU-Osterweiterung. Fundament unterschiedlicher Geschwindigkeiten bei der Etablierung von Reformen war jedoch stets die Selbstverständlichkeit des Aufholens: Am Ende des Prozesses steht bzw. stand sowohl bei der EURO-Einführung wie auch bei der Etablierung der Personenfreizügigkeit die Durchsetzung der Reformen. Entsprechend können auch die Macron’schen Reformpläne in ihrer Umsetzung von unterschiedlich schneller Etablierung profitieren, sofern einerseits unterschiedliche Geschwindigkeiten wohl dosiert werden, und andererseits am Ende das gleiche Resultat in allen Staaten garantiert wird.

Inhaltlich stellt Macron auf die Schaffung eines EU-Verteidigungsbudgets sowie einer gemeinsamen, verteidigungspolitischen Strategie ab. Hier bleiben die Vorschläge relativ unkonkret und bergen daher ebenso Chancen wie Risiken. So könnte die Übernahme der französischen Verteidigungsstrategie zu einer deutlich interventionistischeren Verteidigungspolitik und damit letztlich zu einer Ausweitung der Außeneinsätze führen. Andererseits birgt eine gemeinsame Verteidigungspolitik die Chance, langfristig nationale Armeen überflüssig zu machen und damit, neben einem Mehr an wirtschaftlicher Effizienz, einer besseren Abstimmung der Ausrüstung und der Einübung gemeinsamer taktischer Manöver, den europäischen Frieden nachhaltig sichern. In eine ähnliche Richtung stößt auch Macrons Vorschlag eines EU-Katastrophenschutzes, welcher gerade bei Flächenproblemen wie Überflutungen, Bränden oder Reaktorkatastrophen von einer besseren Verzahnung profitieren würde.

Ferner fordert Macron die Schaffung einer EU-Asylbehörde zur Vereinheitlichung von Asylstandards. Damit einher ginge auch die Überarbeitung des Dublin-Abkommens, was die Drittstaatenregelung endlich zu Fall bringen könnte. Andererseits könnte, infolge des nach rechts verschobenen politischen Diskurses, auch ein schärferes Asylrecht und eine Ausweitung der sog. sicheren Herkunftsländer Ergebnis der Vereinheitlichung der Asylstrategien sein. Dennoch ist eine Überarbeitung der europäischen Asylstrategie dringend notwendig, um die flächendeckende Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention einerseits sowie ein solidarisches Schultern der mit Flucht verbundenen, finanziellen Lasten andererseits sicherzustellen. Der von Macron geforderte EU-Personalausweis kann einerseits eine Identifikation der europäischen Bevölkerung als Europäer*innen ermöglichen und wäre daher aus einer symbolpolitischen Perspektive wertvoll. Konsequent wäre dann auch die Einführung eines EU-Führerscheins.

Großes Potential hat die Schaffung eines EU-Einwanderungsgesetzes, die Macron forciert. Gegenwärtig muss für den Erhalt einer Blue Card der EU für die Einreise nach Deutschland beispielsweise ein Jahreseinkommen von rund 50.000 EUR erzielt werden. Entsprechend gering sind die Zahlen an Personen, die im Rahmen einer solchen Blue Card nach Europa einwandern. Zudem reduziert sie die Zuwanderung ausschließlich auf ökonomische Faktoren. Ein EU-Einwanderungsgesetz birgt daher die Chance, Zuwanderung leichter zu ermöglichen und damit die EU zu öffnen.

Die EZB, welche die geldpolitische Kompetenz des Euroraums beherbergt. Künftig würde neben ihr der Euroraum auch eine fiskalische Kompetenz erhalten.

Steuerpolitisch hat es Macrons Vorschlag in sich: So fordert er die Etablierung einer europäischen Finanztransaktionssteuer, welche insbesondere Hochfrequenzhandel an der Börse sowie kurzfristige Spekulation deutlich teurer und damit unlukrativ machen würde. Ferner sollen im Euroraum Steuern durch ein eigens zu schaffendes Finanzministerium erhoben werden können. Entsprechend würde die Eurozone neben ihrer geldpolitischen Kompetenz auch eine fiskalische Kompetenz erhalten. Dieser logische Schritt ist längst überfällig, wird jedoch seit Jahren aufgrund nationaler Egoismen, im Besonderen aus Deutschland, ausgebremst. Schlussendlich würde ein EU-eigener Haushalt auch die die Möglichkeit mit sich bringen, gezielt antizyklische Fiskalpolitik in den Mitgliedsstaaten zu machen und damit die aggregierten Kosten für Wirtschaftskrisen und -abschwünge reduzieren.
Ferner schlägt Macron die Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung vor. Damit würde dem EU-internen Buhlen um Unternehmensstandorte durch nationale Steuerreduktion sowie der Schaffung von Ausnahmen endlich ein Ende gesetzt. Allerdings muss zwingend die Garantie von ausreichender Kontrolle durch entsprechende Steuerfahnder*innen gegeben werden können, da sonst die Harmonisierung von Steuern alleine ein stumpfes Schwert bleibt.

Schlussendlich sei noch die Sozialpolitik genannt, in der Macron europäische Mindeststandards festlegen will. Solche würden als Fangtuch unterhalb der nationalen Sicherungsmechanismen fungieren und ein Mindestmaß an sozialer Sicherung garantieren. Insbesondere in Osteuropa ergäbe sich daraus die Chance der Etablierung wirklicher Sicherungssysteme, die deutlich armutsfester wären als die bestehenden Mechanismen.

Zusammenfassend spricht Macron mit seinen europapolitischen Reformvorschlägen zentrale Themen an, wird aber in eigen Themengebieten wenig konkret. Dennoch ist der frische Wind aus Frankreich ein willkommenes und nötiges Signal für mehr europäische Integration, einem Feld das man in letzter Zeit nur zu häufig den rechten Stimmen überlies, die sich für mehr Kleinstaaterei stark machen. Macron zeigt, dass ein gemeinsames Voranschreiten in Europa zu deutlichen Vorteilen, beispielsweise in der Unternehmensbesteuerung, führen kann, und spricht daher wichtige Punkte an, die im Diskurs um die Zukunft der EU zuletzt nur selten Erwähnung fanden. Die deutsche Politik wäre also gut beraten, sich mit der französischen zusammen zu tun, um sich gemeinsam für eine Renaissance des größten, wichtigsten und erfolgreichsten Projekts des Kontinents der Nachkriegszeit einzusetzen.

Ob ein Egon Bahr den Wandel durch Annäherung fordert, ein Churchill lieber schimpft als schießt – die Diplomatie überwindet politisch, kulturell oder historisch manifestierte Grenzen, um dort einen Dialog zu ermöglichen, wo sonst nur Funkstille und Feindseligkeit wären, ist bemüht, Krisen zu besänftigten und Eskalationen vorzubeugen. Aber kennt nicht auch die hohe Kunst des Verhandelns eine Schmerzgrenze, wenn Intention und Handeln sich in einer verzerrt und bizarr anmutenden Mélange wiederfinden? Steht und fällt die Vorbildlichkeit einer diplomatischen Unternehmung mit den eigentlichen Beziehungen, die sie zu kaschieren weiß?

An einem verregneten Freitag morgen, dem Ersten des Jahres 2018, begibt sich kein Geringerer als Victor Orban in die oberbayrische Provinz, um der Winterklausur der CSU-Landesgruppe beizuwohnen. Gemischter Art sind die Reaktionen hierauf, ist die politische Person Orbans doch mehr als kontrovers. Schon in den beiden vorherigen Jahren war Orban auf CSU-Klausuren geladener Gast – und nun ist er es wieder. Während Deutschland sich im Chaos der Regierungsbildung in Verhandlungsgeschick üben darf, scheint sich CSU-Parteichef Seehofer blendend mit Orban, zuletzt stark kritisiert wegen der drohenden Schließung der Central European University in Budapest und seiner Politik der geschlossenen Grenzen, zu verstehen. In Hinblick auf die Positionen der CSU dürfte diese allerdings eher weniger an einem Hand in Hand mit Ungarn im Sinne eines europäischen Miteinanders interessiert sein. In der Tat agierte die CSU sehr diplomatisch, will man die Diplomatie eindimensional als Verständigung mit friedlich gesinnten Mitteln definieren. So wurde weder Kritik an Orbans Innenpolitik, insbesondere in Bezug auf seinen Umgang mit kritischen Medien und Opposition, noch am Versuch Orbans bei einer Visite im bayerischen Landtag 2016, Journalist:innen gänzlich dem Gebäude fern zu halten, geäußert. „Partner müssen miteinander reden.“, so Seehofer, und es stehe nicht zu, sich in Angelegenheit Ungarns einzumischen. Nun liegt in eben dieser Aussage ein fundamentaler Irrglaube – denn das Gespräch mit europäischen Partnern:innen zu suchen, wie von Seehofer gefordert, setzt eine gewisse Gegenseitigkeit voraus. Das Handeln eines einzelnen Staatsoberhauptes beeinflusst längst nicht mehr bloß dessen Staatsgebiet, schert sich nicht um geographische Grenzen. Ebenso wenig wie globale und transnationale Gefahren einen Grenzstein zum Anlass nehmen, mit den Schultern zu zucken und einen U-Turn hinzulegen, sollten dies unsere Antworten auf Terrorismus, Wirtschaftskrisen und Klimawandel tun.

Zwischen dem, was uns gerne als Diplomatie verkauft wird, und einem unilateralen Arschkriechen im Sinne der Allgemeinheit verborgener Interessen, klafft ein tiefer Graben. Der Wolf im Schafspelz mag noch so viel für seine engen wirtschaftlichen Kontakte (sei es ein Tochterunternehmen der bayerischen Landesbank in Budapest oder ein ungarisches Audi-Werk) schleimen – mit einem Anschein von Völkerverständigung Einzelinteressen zu verschleiern scheint perfide. Auch mag die CSU angesichts der bevorstehenden Landtagswahl durchaus Interesse daran haben, der flüchtlingsfeindlichen Politik Orbans in die Hände zu spielen, gilt es doch der AfD Wähler:innen abzuzwacken. Wie gut der CDU das wohlige Beisammensein der CSU und Orban als ewiger Antipode Merkels in europäischen Fragen gefallen dürfte, ist eine ganz andere Frage.

Dabei darf die Kunst des sich schonend Ausdrückens nicht unterschätzt werden. So ist es ein wahrer Kampf, Kritik eines nunmehr positiv wahrgenommenen Unterfangens wie der Diplomatie diplomatisch zu formulieren. Fest steht, dass es unser Aller Anliegen sein sollte, im großen wie kleinen Rahmen das Gespräch auch mit denen zu suchen, die uns inhaltlich nicht nahe stehen. Es ist dabei uns überlassen, welches Ergebnis wir zu erzielen gedenken.

Kompromisse schließen bedeutet das Optimum der Kombination zweier Standpunkte zu finden. Fehlt das gewisse Quäntchen Standhaftigkeit einer der Parteien, wird aus einem Kompromiss bald eine trübe Farce, die zweifelsohne nicht mehr im Interesse beider Seiten sein kann. De facto muss Kompromissbereitschaft in jedem Fall auf Beidseitigkeit beruhen. Es sei denn natürlich, der masochistische Teil der Verhandelnden kann, à la GroK.O., mit den Konsequenzen seines sich Fügens leben. Im Zweifelsfall besteht Diplomatie darin, frei nach Nietzsche, die Sondierungspartner:innen so lange zu streicheln, bis der Maulkorb fertig ist.

Quellen : http://www.tagesschau.de/inland/orban-csu-105.htmlhttps://www.lr-online.de/nachrichten/politik/csu-geht-vor-sondierung-auf-konfrontationskurs-bei-migration_aid-7012353

Das war es also erst einmal wieder mit der Weihnachtszeit. Kaum durfte man das erste Türchen am Adventskalender öffnen, da stürzte man sich Samstagnachmittag ins Getümmel, um auch ja niemanden zu vergessen. Wenig später dann der fulminante Höhepunkt – die Weihnachtsfeiertage selbst. Sogar mal in die Kirche gehen (wie war das mit der Weihnachtsgeschickte, Nächstenliebe oder so?), Tante und Onkel einen Besuch abstatten, wenn es hochkommt „für die armen Menschen beten“ oder UNICEF/Brot für die Welt/Misereor ein kleines Sümmchen überweisen. Und schon ist das Spektakel für ein weiteres Jahr geschafft.

 

Aber was bleibt dann? Außer vielleicht einigen Kilos mehr, einem Haufen an Dingen, die man vielleicht brauchte aber – irgendwie auch nicht? Die Gewissheit, dass man die fernere Verwandtschaft und erst recht keine Kirche mehr von innen sieht bis zum nächsten Heiligen Abend? Ein Wall an Geschenkpapier und Altglas, den man lieber nicht in die Sammeltonne vor der Tür befördern sollte? Ne, echt, lasst es erst einmal (passt doch eh nichts mehr rein).

Aber genug, man möchte das Jahr doch nicht mit einer Schimpftirade auf das Weihnachtsfest, einem der wenigen besinnlichen Momente dieses turbulenten Jahres, beenden. Ich liebe Weihnachten. Ich liebe es, mit der Familie zusammen zu sein, einfach mal zur Ruhe kommen. Ich liebe es, mit Mama Plätzchen zu backen, meine alten Schulfreund:innen zu treffen und in Nostalgie zu schwelgen, laut und schief mit meinen Schwestern Weihnachtslieder zu singen. Und ich liebe es, dass wir uns vor Weihnachten Gedanken machen, womit man Anderen eine Freude bereiten könnte. Gerade diesen Geist der Weihnacht würde ich mir häufiger wünschen. Damit es ist also nicht bloß bei ein paar Pfennigen an UNICEF, einem heuchlerischen Stoßgebet oder einem Truthahn in Größe eines Kleinwagens bleibt. Es folgt meine ganz persönliche Neujahrswunschliste an unsere Gesellschaft:

Ich wünsche mir für 2018, dass wir wieder mehr Rücksicht aufeinander nehmen.
Gefangen im eigenen Kosmos und Stress vergessen wir doch allzu oft, auch einmal danke zu sagen. Nicht nur denen, die uns nahe stehen, aber auch jenen, die sich für unsere Gesellschaft aufopfern und denen wir tagtäglich begegnen, ohne weiter darüber nachzudenken. Das hier geht an die Ehrenamtlichen, die Supermarktkasse, die Feuerwehr, die Rettungssanitäter:innen und alle, die sich gerne angesprochen fühlen möchten.
Und warum nur spenden, um das eigene Gewissen zu erleichtern und nicht viel eher, um tatsächlich etwas Gutes zu tun? Kleine aber regelmäßige Spenden erleichtern gemeinnützigen Organisationen die Planung ihrer Arbeit. Oder einmal den freien Sonntag nutzen, um mit den Tieren im Tierheim zu spielen, in der Seniorenresidenz mit den alten Damen und Herren ins Gespräch zu kommen. Es wird unterschätzt, welche Bereicherung es mit sich bringt, von Zeitzeug:innen erzählt zu bekommen und wie viel Freude ein offenes Ohr, eine Partie Mensch ärgere Dich nicht, nur ein paar Stunden Aufmerksamkeit bringen kann. Ich würde mir auch wünschen, dass wir wieder mehr miteinander reden. Was für uns eine Viertelstunde am Telefon bedeutet, kann für Oma und Opa das Tages-Highlight sein. Und mal ganz ehrlich: es tut uns doch auch gut, ein bisschen Heimat aufzuschnappen.
Generell könnten wir versuchen, wieder mehr Zeit füreinander zu haben – ohne einen Bildschirm vor der Nase. Warum nicht nur mit der Clique ins Café um die Ecke, damit Instagram was zu sehen bekommt, sondern auch einmal die obdachlose Person, an der man jeden Tag vorbeieilt, auf einen Kaffee einladen, mit ihr ins Gespräch kommen? Wir sollten uns wieder mehr respektieren, Einzelschicksale erkunden, über den (Seitan-) Bratentellerrand hinausschauen, Mitgefühl zeigen, ohne zu bemitleiden, sondern gemeinsam daran arbeiten, uns auf einer menschlichen Ebene zu treffen.

Alles in allem wünsche ich mir, dass wir positiver an das neue Jahr herangehen, 2017 mit allen seinen Tiefpunkten hinter uns lassen und dem neuen Jahr eine Chance geben. Das schaffen wir aber nur gemeinsam. Den Weihnachtsmann hat Coca-Cola vielleicht erfunden, das Weihnachtsfest und seinen Ursprung aber nicht gepachtet. Lasst uns froh und tüchtig sein, damit wir uns beim nächsten Weihnachtsfest weniger gedankenlos das Geschenkpapier um die Ohren werfen.

Wenn Ihr weitere Ideen für Vorsätze dieser Art habt, Dinge, die man machen kann, um unsere Gesellschaft ein bisschen besser zu machen, kommentiert sie hier! Ich bin mir sicher, wir bekommen eine gute Liste zusammen.

Mittlerweile hat man sich ja daran gewöhnt: Der Rat der Wirtschaftsweisen stellt, wie jedes Jahr, die deutsche Regelarbeitszeit infrage und schlägt – wie könnte es verwundern – eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit mit der üblichen Flexibilitätsbegründung vor. Zwar liebäugelt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem man vermutlich weniger aufgrund seiner Weisheit und mehr wegen der Sperrigkeit seiner eigentlichen Bezeichnung irgendwann den Namen „die Wirtschaftsweisen“ zugestanden hat, schon lange mit dieser Idee, jedoch steigt die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitszeitausdehnung mangels linker Regierungsbeteiligung bei Jamaika doch sehr.

Dabei ist die Streckung der Regelarbeitszeit keine selbstverständliche Antwort auf die Wirtschaftsentwicklung im 21. Jahrhundert. Dass es auch genau anders herum funktionieren kann zeigt Schweden seit Jahren, welches in einem Feldexperiment die Arbeitszeit einiger Branchen und Betriebe auf 6 Stunden am Tag reduzierte. Dass das schwedische Experiment mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Gesundheits- und Sozialsektor bald zur dauerhaften Regelung werden wird zeigt den Erfolg des Projekts auf. Insofern lohnt ein näherer Blick auf den Arbeitsmarkt in Schweden, bevor die Arbeitszeitverlängerung zur Selbstverständlichkeit erklärt wird.

Wenn Christoph Schmid, als Vorsitzender des Sachverständigenrats, mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit einfordert, dann tut er dies mit Blick auf die hohe Nachfrage der Wirtschaft nach Arbeitskräften und den immer kleiner werdenden Pool an Personen, die dafür zur Verfügung stehen. Die logische Konsequenz ist die Streckung der Arbeitszeit für die Beschäftigten, sofern man den Bedarf der Wirtschaft decken möchte – und das will man, alles andere könnte den Aufschwung ausbremsen. Dabei führt eine Stunde mehr Arbeitszeit jedoch nicht zu einem linearen Anstieg der Produktion. Infolge von Ermüdung und Monotonität reduziert sich die Stundenproduktivität, sodass der tatsächlich produzierte Output einer zusätzlichen Arbeitsstunde eher gering ausfallen dürfte. Es ist fraglich, ob die zusätzliche Stunde nicht nahezu gänzlich in arbeitsfremde Beschäftigungen, wie einen Plausch mit den Kolleg*innen oder das Buchen des Sommerurlaubs am Dienst-PC investiert wird, oder in den Werkstätten schlicht zur Verlangsamung der Arbeit führt. Höhere Krankenstände infolge der geringeren Regenerationszeiten könnten dann den zusätzlichen Produktionsvorteil aufzehren und langfristig gar negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaftsleistung haben.
Der Effekt liegt nahe, blickt man nach Schweden: Dort führte die Senkung der Arbeitszeit dazu, dass in Krankenhäusern um ein Sechstel mehr Personal eingestellt wurde. Gleichzeitig konnten teilweise ein Fünftel mehr Patient*innen in der gleichen Zeit bedient werden. Der Produktivitätszuwachs ist dort spürbar: Geringere Wartezeiten für Patient*innen, weniger Krankmeldungen der Belegschaft, bessere Wirtschaftszahlen für die Kliniken.

Die Unsicherheit hinsichtlich der absoluten Erhöhung der Produktion durch die Ausdehnung der Arbeitszeit ist jedoch nicht der einzig fragwürdige Punkt an der geforderten Reform. Vielmehr könnte sich der deutsche Vorstoß zum gravierenden Nachteil für die gesamte Volkswirtschaft entwickeln. Blickt man nämlich näher auf den Arbeitsmarkt, so fällt auf, dass gerade im Gesundheits- und Pflegesektor ein exorbitant hoher Bedarf an Arbeit besteht. Gleichzeitig führt die Branche, infolge des hohen Drucks, der vielen Überstunden und der mäßigen Bezahlung, die Liste der unattraktiven Ausbildungs- und Arbeitsplätze regelmäßig an. Würde man nun die Arbeitszeit erhöhen und damit die Bedingungen im Gesundheits- und Pflegesektor weiter verschlechtern, so kann eine Flucht der Beschäftigten in andere Jobs einerseits sowie in das europäische Ausland andererseits erwartet werden. Nach Schweden beispielsweise, wo die Senkung der Arbeitszeit eine Maßnahme war, um im Gesundheitssektor Arbeitskräfte zu finden – mit Erfolg, wie man heute weiß. Gleichzeitig würden andere Branchen in Deutschland, insbesondere jene mit hoher Gewerkschaftsbindung, insbesondere also die Industrie, nicht erfasst. Hier sind Tarifverträge mit vereinbarten Wochenarbeitszeiten weit unterhalb der gesetzlichen 40-Stunden-Woche die Regel.

Es gibt noch eine Vielzahl anderer Gründe, weshalb man in Deutschland eher über ein schwedisches Modell nachdenken sollte. So führt die Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich nach dem schwedischen Vorbild gerade im Gesundheitssektor zum Anziehen der Löhne – einer Branche, in der überwiegend Frauen beschäftigt sind. Im männerdominierten Industriesektor hingegen dürften die Auswirkungen weit geringer sein. In der Konsequenz steigt der Stundenlohn der Frauen stärker an, was zum Schließen des Gender Pay Gaps, also des Lohnunterschieds zwischen Männern und Frauen, beitragen würde. Auch dürfte die Entlastung der Krankenhäuser zu weniger Fehlern bei der Behandlung führen, sodass sich nicht nur positive Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten, sondern auch für jene der Patient*innen ergeben würden.

Insgesamt wäre Deutschland gut beraten, bei der Frage nach der Ausgestaltung der Arbeitszeit stärker auf die Belange der Beschäftigten und weniger auf die des Sachverständigenrats zu hören. Erstere sind von der Veränderung der Arbeitszeit schließlich betroffen.