GEAS – Ein fauler Kompromiss
Im Nachgang zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, konnten wir feststellen, wir haben das Thema Asyl und Migration verschlafen. Die verzweifelten Reaktionen darauf sind reaktionäre Vorschläge innerhalb der Partei und einem diffusen Gefühl in der Öffentlichkeit, für was die SPD eigentlich steht.
Die Reaktion einiger Genoss*innen war, mehr Grenzkontrollen zu fordern, stärker abschieben zu wollen und leider auch rechte Narrative zu übernehmen und zu propagieren. Aber eins muss immer klar sein, die Übernahme rechter Narrative wird uns keine einzige Stimme bringen und kein einziges Problem lösen. Menschen, die Migration kritisch sehen und ein rechtes Weltbild vertreten, werden weiter rechts wählen. Vielmehr laufen wir als Partei Gefahr, unseren sozialdemokratischen Kompass zu verlieren. Das Streuen von Hass gegen Migrant*innen entlastet keine einzige Kommune. Ja, wir müssen eine klare Position finden, die wir kommunizieren können und mit der wir ernst genommen werden. Aber diese politischen Ziele können doch nicht zu Lasten des Menschenrechts auf Asyl umgesetzt werden. Einem Menschenrecht, dem wir uns als Partei historisch und moralisch verpflichtet fühlen.
Aber zurück auf Anfang. Als 2015/16 die Zahlen von Menschen, die Zuflucht in der EU suchen stiegen, wird die Dublin Regelung für Syrer*innen in Deutschland ausgesetzt. Die Dublin-Verordnung legt fest, dass die Asylanträge dort geprüft werden, wo sie gestellt wurden, also an der EU-Außengrenze, sehr zum Vorteil von Deutschland, größere Geflüchtetenströme über die Norddeutsche Grenze sind wohl in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Gleichzeitig zeigen sich gerade die Südeuropäischen Länder, bei denen die Geflüchteten ankommen, überfordert und fühlen sich vom Rest der Union allein gelassen. Seitdem ringen die Mitgliedsstaaten der EU um eine Neuregelung.
Und jetzt also GEAS, das “Gemeinsame Europäische Asylrecht” soll nun diese Neuregelung darstellen. Geregelt sind in ihm Qualifikations-, Aufnahme-, Asylverfahrensrichtlinien, die Asylsysteme der einzelnen Mitgliedsländer sollen so vereinheitlicht werden. Was auf den ersten Blick wie eine längst überfällige Vereinbarung wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als fauler Kompromiss. Von den einen gefeiert, von den anderen kritisiert, als Regelwerk, das sich Rechtsextremen und Populist*innen in vielen Punkten beugt. Vielleicht auch aus der Angst heraus, nach den Europawahlen, ein rechteres Parlament zu haben, dessen Entscheidungen jetzt vorgegriffen werden sollten.
Im Rahmen von GEAS wird jetzt die Stärkung von FRONTEX gefordert, bekannt für Menschenrechtsverstöße bei sogenannten “Pushbacks” bei Einreiseversuchen. Es soll verpflichtende Grenzverfahren geben, wie diese die überforderten Länder im Süden entlasten sollen, wirkt nicht unbedingt schlüssig. So soll direkt an der Grenze separiert werden zwischen Menschen mit einer hohen Anerkennungswahrscheinlichtkeit aufgrund der Anerkennungsquote ihres Herkunftslandes und solchen, die statistisch weniger Chancen auf Anerkennung haben. Wie diese Quote auf akut veränderte und dynamische Situationen in Herkunftsländern reagieren kann, bleibt offen. Genauso ist ungeklärt, wie das individuelle Menschenrecht auf Asyl gewährleistet werden soll, beispielsweise bei queeren Menschen, religiösen Minderheiten und vielen weiteren Gruppen an Schutzsuchenden. Faktisch bedeuten diese Grenzverfahren, die Inhaftierung von Menschen, die keine Straftat begangen haben, auch von Kindern.
Denn eins muss nochmal ganz deutlich betont werden, die Einwanderung zum Zweck der Asylsuche ist nicht illegal! Zu befürchten steht auch, dass sich in diesen Lagern ähnliche menschenunwürdige Verhältnisse entwickeln, wie es in Geflüchtetenlagern wie Lampedusa oder Kara Tepe (ehem. Moria) heute schon der Fall ist.
Daneben ist auch die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten im Gespräch. Dass dabei Menschen möglicherweise aufgrund von “Flüchtlingsdeals” in Länder geschickt werden, zu denen sie selbst keinerlei Bezug haben und bei denen die EU sich nicht sicher sein kann, dass dort die Menschenrechte der Geflüchteten gewahrt sind, wird hingenommen.
Mit GEAS wurde so also die Axt an das Grundrecht auf Asyl angelegt. Wir brauchen keinen Asylkompromiss 2.0, wir können auch nicht die Augen vor Menschen auf der Flucht und ihrem Recht auf Asyl verschließen. Klar ist, restriktive Regelungen werden katastrophale Situationen in Herkunftsländern nicht verbessern. Die Ablehnung von Geflüchteten wird auch das Loch im deutschen Arbeitsmarkt nicht schließen, dem wir mit der eigenen Bevölkerung nicht Herr werden. Wir brauchen Zuwanderung! Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in unserer Asyl- und Migrationspolitik und können nicht weiter so tun, als wäre das Recht auf Asyl eine besondere Großzügigkeit der EU. Das Recht auf Asyl ist eines der fundamentalsten Rechte menschlichen Miteinanders.
Statt die “Festung Europa” weiter aufzurüsten und auszubauen, sollte die EU an der Schaffung legaler Einreisemöglichkeiten arbeiten, die Zusammenarbeit mit Herkunftsländer auf Augenhöhe ausbauen und statt nur abzuschrecken endlich konstruktive Lösungen suchen.
Die Kommunen brauchen mehr Unterstützung und wir als Gesellschaft müssen Migrant*innen in Deutschland und der EU endlich die Hand ausstrecken und ihnen ausreichend Integrationsmöglichkeiten bieten. Dazu müssen wir den Bildungssektor weiter stärken und den Zugang zu Sprache, Wohnraum, Ausbildung und Beruf ebnen. Nur so können wir für ein humanes und solidarisches Europa einstehen, das die Augen nicht vor der Realität verschließt und sich in seiner Festung isoliert.
Denn um es mit Franz Vranitzky zu sagen: „Wir wollen keine Festungen, denn von Festungen bleiben letztlich immer nur Ruinen”.