Après Emmanuel le déluge.
Es ist vollbracht. Frankreich hat gewählt – vernünftig, europäisch, Macron. Innerhalb von Minuten war meine Timeline voll mit „Merci la France“-Kacheln, Artikeln über die Wahl oder Macrons Pläne. Nur weil ein Status einen bunten Hintergrund hat, ist er aber deshalb nicht sinnvoll. Merci für was? Merci, dass die Französ*innen NICHT rechts gewählt haben? Das sollte kein Grund für eine Danksagung sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Ja klar, aber nach Trump und nach dem Brexit muss man doch…“ – Nein. Man muss deshalb nicht dankbar werden. Wir dürfen unsere anti-rassistische Messlatte nicht immer weiter hinunterhängen, nur weil rechte Pappnasen darunter Limbo tanzen.
Noch weniger nachzuvollziehen ist für mich jedoch die allgemeine Begeisterung über Macron. Es war schon mehr als irritierend, dass ihn die SPD-Führungsriege vor Wochen im Wahlkampf unterstützte. Benoît Hamon, der Kandidat der Parti Socialiste (PS), durfte derweil schauen, wo er bleibt. Noch irritierender war jedoch der große Jubel vieler Jusos, sobald der Name Emmanuel fiel. Da wurde gekreischt, geklatscht, Artikel geteilt, Tweets geliked. Macron, hach! Macron, der steht für Aufbruch, für Europa, für die Jugend. Die linke Variante davon war: Mélenchon, ja, der ist toll. Im ersten Wahlgang würde man natürlich ihn wählen, aber sonst natürlich für Macron stimmen, den großen Europäer.
In all diesen Aussagen steckt so viel Blödsinn, so viel blinde Euphorie, dass ich die letzten Wochen fast verrückt geworden bin. Vermutlich fragt sich der*die Ein oder Andere, was ich mir einbilde, hier so rumzupöbeln. Ich sollte lieber froh sein, dass nicht LePen gewählt ist. Zu letzterem kann ich nur sagen: Nochmal den ersten Absatz lesen bitte. Zur ersten Aussage möchte ich hingegen etwas ausholen.
Als ich acht Jahre alt war, hatten wir eine Austauschschülerin aus Paris zu Gast. Pauline war ziemlich schüchtern, konnte kaum Deutsch und sprach auch sonst wenig bis nichts. Als sie eines Abends mit ihren Eltern telefonierte, war es um mich geschehen. Ich verliebte mich Hals über Kopf – oder Ohr über Ohr – in die französische Sprache. Drei Jahre später durfte ich sie endlich in der Schule lernen, mit 14 fuhr ich zum ersten Mal nach Paris, besuchte meine Austauschpartnerin auch danach regelmäßig, ich las die Libération, schaute TV5 Monde, weinte mit Segolène Royal nach der verlorenen Präsidentschaftswahl, machte einen zweiten Austausch und fuhr nach Grenoble, organisierte im Rahmen des P-Seminars eine soirée franҫaise zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages, schrieb schriftliches Abitur in Französisch, belegte Seminare in der Uni über das politische System Frankreichs, das Wahlsystem, die französische Deutschlandpolitik. Ich nehme mir also die Arroganz heraus, zu behaupten, nicht völlig unwissend zu sein, was französische Politik angeht.
Aber von meiner ausgeprägten Frankophilie zurück zu Monsieur le Président.
Macron besuchte ein Elitegymnasium, später die SciencesPo (eine Eliteuniversität und Kaderschmiede für Wirtschaft, Politik und öffentlichen Dienst) und ENA (noch elitärer als die SciencesPo). Er arbeitete für das Finanzministerium, wurde Investmentbanker, wurde Wirtschaftsminister. Eine klassische Karriere in der Classe Politique, der politischen Elite Frankreichs. Während in Deutschland erstmal jede*r einer Partei beitreten kann, und sich durch die Ochsentour – a.k.a. auf Ortsvereinsfesten Würstl grillen – nach oben kämpfen kann, überspringen die Spitzenpolitiker*innen Frankreichs solche Schritte, und finden sich auf den Eliteunis in Paris zusammen, vernetzen sich, bereiten sich gegenseitig den Weg nach oben. Auch Franҫois Hollande besuchte diese Unis, genauso Nicolas Sarkozy. Mit Bildungsgerechtigkeit und Meritokratie hat das erst einmal überhaupt nichts zu tun. Dafür aber umso mehr damit, warum viele Menschen, die nicht die Möglichkeiten haben, diese exklusiven Schulen zu besuchen, sich von den Politiker*innen nicht mehr verstanden fühlen. Macron mobilisierte für diese Stichwahl viele von diesen Menschen. Er schaffte es, ihnen zu vermitteln, dass ihr Leben nicht besser wird, wenn Frankreich aus der EU aussteigt. Das ist erstmal ein Schritt in die richtige Richtung. Man kann jedoch davon ausgehen, dass er sie, so wie seine Vorgänger leider auch, bereits heute schon wieder vergessen haben wird.
Sieht man sich seine Pläne an, scheint es fast so, als würde er sie, das heißt Menschen der Unter- und unteren Mittelschicht, nicht nur vergessen, sondern in eben jene Situation treiben, vor der sie Angst haben, und aufgrund derer sich viele in die sicherheitsversprechenden Arme des Front National treiben lassen. So fordert er beispielsweise die Liberalisierung des Arbeitsrechts. Unternehmen sollen sich demnach von landesweiten Standards lösen können, wenn sie es für angebracht halten, also auch Eingriffe in Löhne oder Arbeitszeiten vornehmen können. Dass die Gewerkschaften deshalb seit Monaten toben, dürfte den meisten von uns klar sein. Es ist mir völlig schleierhaft, wie man das, gerade als Juso, feiern kann.
Hinzu kommt die Einordnung seiner Partei als „weder rechts, noch links“. Wie kann man das als bekennende*r Linke*r, der*die mit aller Kraft und lauter Stimme gegen jede Form von Sexismus, Chauvinismus, Rassismus, Homophobie und vor allem gegen rechts stellt, ernsthaft feiern? Klare Bekenntnisse gegen rechts – dafür stehen wir. Wenn sich aber ein neoliberaler, vertrauenswürdig aussehender (jaja #lookism, aber ihr würdet ihn trotzdem weniger feiern, wenn er weniger schnuckelig aussehen würde), vergleichsweise junger Mann, der ab und zu eine Europaflagge in der Hand hat, nicht von rechts abgrenzen will ist das plötzlich okay? Was zur Hölle?
Natürlich geht es ihm nicht darum, sich rechte Strömungen warm zu halten. Seine Bewegung En Marche soll eben für alle sein. Mindestens klare Statements, die sich klar von politischen Extremen distanzieren, sollten aber unser Anspruch sein, bevor wir jemanden feiern und jeden Spiegel Online-Artikel über ihn*sie liken.
Macron möchte Reformen durchführen, die Frankreich auch dringend nötig hat. Die Arbeitslosigkeit hat sich bei ca. 10% eingependelt, die Jugendarbeitslosigkeit liegt seit Jahren zwischen 20 – 25%. Jeder vierte bis fünfte Mensch zwischen 15 und 24 Jahren hat keinen Job, keine Ausbildung, keine Perspektive. Für viele von uns ist das unvorstellbar. Es muss sich also etwas ändern auf der linken (und damit doch der guten *badummtss*) Seite des Rheins. Für viele Französ*innen fungiert Deutschland als Vorbild. Wer sich mit jungen Sozialist*innen der MJS (Mouvement des jeunes socialistes) unterhält, hört nicht selten irritierend positive Aussagen über die letzten Reformen in Deutschland. Für die Jüngeren unter uns: Sie meinen die Agenda 2010. Diese hätte schließlich Deutschland wieder auf die Beine geholfen.
Während im durchschnittlichen Juso-Hirn jetzt das Gegenargumentekarussel Fahrt aufnimmt, lässt sich festhalten, dass Macron in genau diese Richtung marche-ieren will.
Die Agenda 2010 in Deutschland halten die meisten Jusos für ein Reformpaket, das prekäre Arbeitsverhältnisse verschlimmert und Menschen in die Armut und/oder Langzeitarbeitslosigkeit getrieben hat. Ein bislang eher unbekannter Franzose, der sich an dem von vielen von uns so verhassten „third way“ eines Tony Blairs oder Gerhard Schröders orientieren will, ist aber okay? Was zur Hölle?
Es lässt sich auch festhalten, dass viele Analysen davon ausgehen, dass manch eine Entwicklung im Rahmen oder nach der Agenda 2010 für den spürbaren Rechtsruck in Deutschland mitverantwortlich ist. Kann ein Land, das gerade erst eine Rechtspopulistin in eine Präsidentschaftsstichwahl geschickt hat, wirklich verkraften, Menschen noch mehr Sicherheiten im Arbeitsleben zu entziehen?
Die Wahl gestern hat uns fünf Jahre Zeit gekauft. Lasst uns unsere Genoss*innen der Parti Socialiste unterstützen, ihre geschichtsträchtige Partei wieder links aufzustellen und die Überbleibsel der vergangenen Hollande-Jahre abzuschütteln. Lasst uns weiterhin den Kampf gegen rechts führen, ohne einen Fußbreit zurückzuweichen. Und auch, wenn nun eben „das kleinere Übel“ im Élyséepalast residiert: Lasst uns – egal, was passiert – die deutsch-französische Freundschaft feiern!
„Meritokratie“ und „nach oben kämpfen“ ist aber genauso falsch. Im Grunde ist das was in unserer SPD vor sich geht, nichts anderes, als dass ein paar Jurist*innen, Politolog*innen und Pädadgog*innen Posten unter sich auskarteln.
Unsere Bundesjusovorsitzende betreibt das selbe Spiel in ihrem Verband, so lange es ihr nützt versteht sich. Wenn sie bei dem selben Spiel verliert, ist sie beleidigt, so geschehen im Dezember.
Im Grunde sinds ein paar Juso-Karriersit*innen die auf Seminaren umherschwirren, an der Basis nichts machen, in Hochschulgruppen im eigenen Saft schmoren und sich auch in der Mutterpartei nicht einbringen, die dann später auf Grund ihres Netzwerkes die Mandate bekommen. Die sind genauso Elite, wie Macron es ist. Glauben aber sie seien die Granaten, die wüssten wie Politik geht.