Kompetenz, wir brauchen Kompetenz!

Seit dem desaströsen Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl im September werden die Rufe nach einer neuen, weiblicheren, jüngeren Partei immer lauter. Während die Parteispitze deshalb durch ganz Deutschland tingelt, um sich die Meinungen von Basis- oder Nichtmitgliedern anzuhören, um dann trotzdem fragwürdige Personalentscheidungen zu fällen, machen die Bundesjusos Nägel mit Köpfen. In einem Positionspapier fordern sie unter anderem einen festen und vor allem stimmberechtigten Juso-Platz in den geschäftsführenden Gremien und Präsidien. Es ist klar, dass es für diese Forderungen auch personelle Vorschläge geben muss, und genau diesen bringen wir auch: Mit der scheidenden Bundesvorsitzenden Johanna Uekermann haben wir eine hochtalentierte junge Frau am Start, die die Interessen unserer Generation nicht nur vertreten, sondern auch innerparteilich durchsetzen kann, und den politischen Betrieb dank ihrer langjährigen Erfahrung gut kennt – und zufälligerweise aus dem wunderbaren Niederbayern kommt. Ihre klare linke Linie mag vielen Genoss*innen manches Mal ein Dorn im Auge sein, aber weder können ihr Kompetenz, noch Erfahrung abgesprochen werden.

Wer ein gutes Nervenkostüm hat, dem*r sei der Post der Jusos auf ihrer Facebookseite ans Herz gelegt. Die Kommentare darunter zeigen wieder einmal den in dieser Partei noch immer verankerten Sexismus. Während es kommentarlos oder sogar hocherfreut hingenommen wird, wenn ein Posten nach dem anderen mit einem weißen männlichen niedersächsischem Seeheimer nach dem anderen besetzt wird, ist eine einzige junge Frau im Parteivorstand scheinbar schon zu viel des Guten. Wann werden die Positionen endlich nach Kompetenz besetzt? wird dort gefragt, und was zur Hölle soll diese junge Dame dazu befähigen, im Parteivorstand stimmberechtigt mitentscheiden zu dürfen? Wo soll das denn hinführen, wenn da plötzlich junge Frauen die männlichen Strukturen aufbrechen und vielleicht sogar dafür sorgen, dass diese Partei wieder Wahlen gewinnen kann? Und was fällt diesen Jusos eigentlich ein, etwas einzufordern, nachdem sie acht Wochen lang bei Wind und Wetter Plakate geklebt, Infostände betreut, und nächtelangen Kneipenwahlkampf gemacht haben?

An einem Punkt haben diese „Kritiker*innen“ vermutlich recht: Die Ämter dieser Partei sollten nach Fähigkeiten und Inhalten besetzt werden. Die Frauenquote ist schließlich eine der wenigen Regelungen, die darauf abzielt, sich selbst abzuschaffen. An diesem Punkt sind wir aber noch lange nicht – offensichtlich. Solange ausschließlich Frauen auf herablassende Weise als Dame bezeichnet werden (und nein, ihr meint das nicht respektvoll, egal wie sehr ihr euch herausreden wollt) und nur bei ihnen davon ausgegangen wird, dass sie inkompetent seien, während jede männliche Besetzung vollkommen in Ordnung ist, sind wir von der Abschaffung der Quote Lichtjahre entfernt. Nur mal so zur Info: Dass Lars Klingbeil seinen politischen Schwerpunkt auf die Zukunftsthemen Netzpolitik und Digitalisierung gelegt hat, ist für die meisten völlig ausreichend, um über die ständige Reproduktion der alten Strukturen (und deren Außenwirkung) hinwegzusehen und die eigenen Forderungen und Vorhaben über Bord zu werfen. Andererseits lassen vier Jahre Juso-Bundesvorsitz, etliche Jahre im Bezirks- und Landesvorstand, hervorragende inhaltliche Arbeit für Schüler*innen, Auszubildende und Studierende und dabei insbesondere für Frauen, die Vernetzung von Funktionär*innen auf Kreis- und Unterbezirksebene oder die erste professionalisierte Jugendwahlkampagne scheinbar nicht auf Kompetenz schließen. Eure scheinheiligen sexistischen kackbeschissenen Double Standards kotzen mich an.

Ein weiterer Kritikpunkt ist außerdem kurz zu nennen: Woran bemisst sich denn diese angeblich bei Frauen grundsätzlich nicht vorhandene Kompetenz? Nach dem männlichen Bauchgefühl? Aufnahmeprüfungen?

Ein ganz besonders „traumschönes“ Argument durfte ich mir übrigens von einem Genossen anhören, dessen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Strömung in dieser Partei ich mit keinem Wort als angedeutet verstanden haben möchte. Laut diesem (alten weißen) Mann ist die Frauen- bzw. Geschlechterquote unfair, schließlich seien nur um die 30 Prozent der Parteimitglieder weiblich, ergo dürfen Frauen auch nur auf maximal 30 Prozent der Ämter Anspruch erheben.

 

 

 

 

 

Oh, Entschuldigung. Leider konnte ich nicht weiterschreiben, da mein Facepalm beide Hände in Anspruch genommen hat. Diese „Logik“ dürfte unter den Top 3 der dümmsten Dinge sein, die ich dieses Jahr gehört hab – und das, obwohl Donald Trump der Präsident der USA ist und ziemlich oft ziemlich dumme Sachen sagt. Es ist kein Geheimnis, dass die Gruppe der Frauen, die statistisch gesehen meist sozialere Ansichten haben als Männer, die vielversprechendste Wähler*innengruppe für die SPD ist. Trotzdem erreichen wir sie nicht. Im Wahllokal selbst entscheiden sich am Ende viele für die Union, statt für die SPD – schlicht und ergreifend, weil bei der Union eine Frau an der Spitze steht und der Gesamteindruck dadurch weiblicher ist (bei der U-NI-ON!). Auch ich habe Freundinnen, die mit der SPD nichts anfangen können, und trotzdem sagen, dass sie bei der nächsten Wahl in erster Linie nach Geschlecht wählen werden, um einen weiteren testosteronüberladenen Herren an einem Tisch neben Männern wie Trump oder Putin zu verhindern – egal, ob die Kandidatin für die SPD oder die Union antritt.

(Newsflash: Das ist kein Sexismus. Sexismus beinhaltet Machtgefälle, die von Frau zu Mann schlicht nicht existieren. Es ist also höchstens eine Beleidigung. Genau genommen nicht einmal das, wenn man das Thema dieses Beitrags bedenkt.)

Durch das ständige Auftreten als Altherrenpartei arbeiten wir also aktiv gegen einen Wahlsieg. Das muss man als angebliche Volkspartei erst einmal schaffen. Natürlich könnte man sich bei der Besetzung von Ämtern auch an der Zusammensetzung der Gesellschaft orientieren, statt an den sich selbst fütternden Mitgliederstatistiken. Vermutlich würde aber bei über 50% weiblich besetzter Ämter manch ein Mann aufgrund des drohenden Verlusts seiner Privilegien zusammenbrechen. Gleiches gilt scheinbar auch, wenn es darum geht, Forderungen nach einer weiblicheren und jüngeren Partei durchzusetzen. Leider hält sich mein Mitleid dafür in Grenzen, was mir hoffentlich verziehen sei.

Abschließend ein paar versöhnliche Worte. Glückwunsch an Frank-Walter, Thomas, Hubertus, Martin und vorab auch an Lars für eure tollen Ämter! Ach ja und an Andrea, natürlich. Wobei – ist die überhaupt kompetent genug für den Fraktionsvorsitz?

 

 

Mehr Infos zum Positionspapier der Jusos findet ihr unter https://www.jusos.de/spderneuern/

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