Trotz Luther: Zwischen Christentum und politischer Linker bleibt das Gemeinsame entscheidend!
Am heutigen Reformationstag konnte man ihm nicht entkommen, dem dicklichen Mönchlein aus Eisleben, ob man nun den Newsfeed auf Facebook verfolgte oder ganz klassisch in der Tageszeitung blätterte, überall sprang einem der Martin Luther geradezu ins Gesicht. Der große Reformator scheint 500 Jahre nach seiner Wirkungsphase immer noch so umstritten wie in der frühen Neuzeit zu sein. Dieser Blogartikel soll sich allerdings, im Gegensatz zu fast allen anderen heute veröffentlichten Diskussionsbeiträgen, weder an Luther abarbeiten, noch seine vermeintlichen oder tatsächlichen Verdienste herausstellen. Denn sowohl zu Luthers Hass auf das Judentum, zu den verheerenden Auswirkungen seiner Schrift „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“ auf das Verhalten der deutschen Fürsten während der Bauernkriege als auch über seine Bibelübersetzung und seinen Einfluss auf die Theologie ist schon alles gesagt und geschrieben worden und zwar von qualifizierteren Menschen als meiner Wenigkeit.
Ich möchte stattdessen ein durch das Reformationsjubiläum neu aufgekeimtes kritisches Interesse vieler links denkender Menschen an der Person Martin Luther und die Verärgerung vieler protestantischer Gläubiger über Kritik an Luther nutzen, um auch mal auf das Verbindende zwischen linker Weltanschauung und christlichem Glauben hinzuweisen. Dieses Verbindende, fällt nämlich leider die meiste Zeit unter den Tisch, obwohl es doch in vielen Bereichen wirklich auf der Hand liegt.
Als während der letzten beiden Jahre viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, war es eindeutig, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Evangelium und linker Lehre geben kann. Man sah linke Facebook Seiten pro-refugees-Statements von Bischöfen teilen und hörte ständiges Gejammer von der AfD-Funktionärsriege über die „links-grün versifften“ Amtskirchen, die für den Geschmack der AfD in diesem Falle die Lehren Christi zu wörtlich nahmen. Die solidarischen Reaktionen von linken und vielen christlich-engagierten Menschen auf die Geflüchteten waren kein Zufall, denn man kann sie auf ein gemeinsames Menschenbild, das die Gleichwertigkeit aller Menschen betont, zurückgreifen. Zwar leiten die einen die Gleichwertigkeit aus der Gottebenbildlichkeit aller Menschen her, wohingegen die anderen versuchen diese säkular zu begründen, trotzdem läuft es letztlich auf das gleiche hinaus.
Ein weiteres Exempel gab uns der gute Rudi Dutschke, als er 1967 in seinem inzwischen berühmt gewordenen Interview mit Günter Gaus verlauten ließ: „Was heißt Christ? Heute sind Christen und Marxisten in diesen entscheidenden Grundfragen, in diesen geradezu emanzipatorischen Interessen – Friede, und es gibt noch andere – da sind wir uns einig.“ Und ergänzte in einem anderen Zusammenhang in Anlehnung an die neomarxistische Philosophie eines Ernst Bloch: „Ich bin ein Sozialist, der in der christlichen Tradition steht. Ich bin stolz auf diese Tradition. Ich sehe Christentum als spezifischen Ausdruck der Hoffnungen und Träume der Menschheit.“ Leider konnte Dutschke nicht mehr erleben, wie er in Bezug auf die Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung Recht behielt, auch hier fanden sich viele christliche und linke Aktive auf derselben Seite wieder. Und müssen wir Dutschke und Bloch nicht auch dabei zustimmen, dass der christliche Himmel und die sozialistische Utopie eigentlich beide die gleichen Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschheit zum Ausdruck bringen?
Der sozialdemokratische Kulturpolitiker Adolf Grimme ging bei der Betonung des Verbindenden sogar noch weiter und stellte die provokante These auf: „Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ Auch solch zugespitzten Aussagen, wie der von Grimme kann man gegebenenfalls zustimmen, allerdings muss dann abgegrenzt werden, welche „Christen“ mit dieser These gemeint sind. Denn natürlich ist es abwegig, reaktionäre Gläubige, wie Gloria von Thurn und Taxis, Josef Ratzinger oder andere Pharisäer als BündnispartnerInnen anzusehen. Es geht um ein fortschrittliches, emanzipatorisches Christentum, das man auf der eigenen Seite wissen muss. Nicht um die verkrusteten teils homophob-sexistisch ausgerichteten Kirchen, sondern um den einzelnen Gläubigen geht es, der die Welt aus einem lebendigen Glauben heraus schon im Diesseits zu einem besseren Ort machen will. Wir müssen uns als Linke mit denjenigen verbünden, die den Jesus hochhalten, der die Händler und Geschäftemacher aus dem Tempel vertrieben hat. In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat des roten Paters – einer Figur aus Isabell Allendes Geisterhaus – schließen: „Die heilige Mutter Kirche, mein Sohn, steht rechts, aber Jesus Christus stand immer links.“