„rechtsunten“ – über ein neurotisches Land und seinen Umgang mit Linken

An manchen Tagen wäre ich gern US-Amerikaner. Nicht, weil ich dann jede Woche Bier aus Pappbechern bei einem Footballspiel trinken würde oder mir beim Walmart meines Vertrauens für 20$ eine halbautomatische Waffe kaufen könnte[1], sondern wegen des ersten Verfassungszusatzes. Dieser verbietet u.a. dem Kongress Gesetze zu erlassen, die die Meinungsfreiheit einschränken. Die ganze leidige Debatte nach dem Verbot der „linksextremen“ Website „linksunten.indymedia“ hätte man sich dort vermutlich komplett gespart. Die Website wäre nämlich nie verboten worden, Free speech eben.

Im „Land der Dichter und Denker“ ist die Mentalität aber eine andere, in der BRD hat man die besagte Seite, verbunden großem Medienwirbel, für verboten erklärt. Nach dem großen Aufschrei wegen der gewalttätigen Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels, sah sich die etablierte Politik verpflichtet, einen symbolischen Schlag gegen die angeblich so gefährliche linke Szene vorzunehmen. Es brauchte nur ein paar maulende CDU/CSU-Politiker*innen und Sympathisant*innen, welche täglich Statements der Sorte „gegen Nazis macht ihr ständig was aber radikale Linke sind euch komplett egal“ vom Stapel ließen und schon war man zu diesem Schritt bereit. Woraus resultiert aber dieses schräge Bedürfnis der deutschen Politik „links“ und „rechts“ stets gleichsetzen zu wollen und radikale Linke Ansätze für so bedrohlich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu halten? Meiner Meinung nach hat das Ganze sehr viel mit der Geschichte unseres Landes zu tun.

In der BRD und ihren Vorläuferstaaten hat die staatliche Mobilisierung gegen linke Gruppierungen eine lange und unrühmliche Tradition. Beginnend mit dem Deutschen Kaiserreich, das durch die Sozialistengesetzte die Sozialdemokratie verbieten ließ und der SPD mit Polizeiknüppel und Zensur zu Leibe rückte sowie Sozialdemokrat*innen als vaterlandslose Gesellen brandmarkte. Danach waren in der Weimarer Republik weite Teile der bürgerlichen Schichten von permanenter Angst vor Bolschewismus und roter Gefahr erfüllt. So angsterfüllt waren sie, dass sie einen erfolglosen Kunstmaler aus Österreich zu ihrem Führer bestimmten, der den Kampf gegen alles Linke zur Staatsräson erklärte und in der Folge ein Blutbad anrichtete. Schließlich konnte man sich in der BRD nach der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg wenigstens dazu durchringen, neben Marxismus und Sozialismus auch Nationalismus und völkisches Gedankengut zu verdammen. Aber auch in der Zeit des Kalten Krieges, in einem demokratischen Deutschland ließen Konservative und Liberale keine Gelegenheit aus, die Teilung Deutschlands und die Existenz der realsozialistischen Staaten in Osteuropa auszunutzen, um die politische Linke zu verteufeln und sie mit den leninistischen Zwangsregimen gleichzusetzen. Verbot der KPD, Berufsverbote und Extremismustheorie waren die Blüten dieser Politik.

Deutschland ist also ein Land, das über 40 Jahre autoritäres Kaiserreich, 15 Jahre wackelige Weimarer Demokratie, 12 Jahre Nazi-Barbarei und Jahrzehnte des Kalten Krieges hinter sich hat. Alles Zeiträume, in denen ein gewachsenes Misstrauen gegenüber der Linken perfekt gedeihen konnte und teils staatlich gefördert wurde. Der Umgang mit radikal-linken Strukturen – wie „linksunten.indymedia“ – wundert im Kontext dieser Vergangenheit nicht.

Wir können als Sozialist*innen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis ziehen. Wir müssen dafür kämpfen, dass Deutschland seine reaktionären Eierschalen endlich abwirft und seine tradierte Feindschaft gegenüber den progressiven Kräften aufgibt. Aufklärung in Form von politischer Bildung, wie sie die Jusos Bayern schon seit langen Jahren auf vorbildliche Art und Weise leisten, hat hier oberste Priorität.

 

[1] Ich entschuldige mich bei allen Anti-Ds, die diesen Artikel lesen werden für diese plakative und böswillige Stereotypisierung amerikanischer Kultur ?

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