Wer wir sind, wer wir sein wollen, zu wem wir aufschauen und welche Ziele wir haben, sind Fragen, mit denen wir Menschen uns schon immer beschäftigen. So geben wir uns selbst unmögliche Aufgaben oder leben Idealen hinterher, die wir niemals erreichen können. Wirklich Niemals?

In den Anfängen unserer Bundesrepublik war der Glaube an ein vereintes, friedliches und tolerantes Europa nur ein idealistischer Gedanke in den Köpfen einiger. Nach einem Krieg, nach einem Völkermord, nach purem gelebtem Hass, gab es zwar Hoffnung, aber keiner wusste, wie diese auszusehen hat. Keiner wusste wohin die Reise geht.

Als Strafe für den Krieg wurde unser Volk geteilt. Die einen lernten die Freiheit der Demokratie kennen, während die anderen den Kommunismus versuchten umzusetzen. Es entstand der Klassenfeind. Der Feind im Osten. Der Feind im Westen. West gegen Ost. Ost gegen West. Dieses Bild prägte die folgenden Jahrzehnte.

So stand die Welt eher vor einem 3. Weltkrieg, der noch zerstörerischer gewesen wäre, als der letzte. Friede wäre fast nur eine Hoffnung geblieben.

Der Klassenfeind beider Weltanschauungen war wohl das Feindbild ganzer Generationen, obwohl uns nur eine Mauer trennte. Diese Mauer wurde Sinnbild für den errichteten Hass zwischen Menschen, die eigentlich ähnliche Wünsche, Hoffnungen und Gedanken hatten. Wie oder ob wir diesen Hass, je überwinden konnten, kann man nicht genau sagen.

So ist es die Verallgemeinerung, das Vorurteil und auch manchmal die Angst vor der Fremde, welche selbst nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ noch immer hohe Mauern zwischen einer mit Vielfalt gekennzeichnete Gesellschaft stellen. Es ist keine Hautfarbe, keine Religion, keine Nationalität, keine Lebensweise, keine Sexualorientierung, die dafür sorgt, dass Menschen „böse“ werden. Es ist der Mensch selbst, der sich von Vorurteilen über das Fremde zu einem Rassisten entwickelt. Die Angst seine sozialen Status, seine Identität zu verlieren bestärkt nur den Prozess. Doch so ist es stehts die Vielfalt, die einem Volk seine Identität verleiht.

So haben wir seit der Flüchtlingskrise eine Neiddebatte. Statt zu sehen, dass wir durch diese Krise nicht weniger oder mehr Geld besitzen, sagt das populistische Geschwätz etwas anderes. Der Unmut, die Existenzangst von Menschen wird hier schamlos ausgenutzt. Wir als SPD/JUSOS müssen hier vorangehen und ein offenes, freies Deutschland für jeden fordern. Ein Deutschland, wo sich jeder Mensch mehr als nur die günstigsten Nahrungsmittel leisten kann. Ein Deutschland indem es jedem möglich ist, in Würde zu leben. Jeder Mensch in Armut ist einer zu viel.

Doch statt als Gesellschaft zusammen zu halten, den Schwachen zu unterstützen, reden unsere „Leistungsträger“ nur von dem Konzept des Fleißes. „Wer hart an sich arbeitet und für den Erfolg kämpft, wird auch Erfolg haben.“ Doch wo es Gewinner gibt, sind auch immer Verlierer.

Der größte Fehler scheint der Mensch zu sein, denn wir können nicht einschätzen, wir können nicht objektiv bewerten. Doch trotz dieser großen Fehler fällt eine einzige Tatsache im Verlauf der Geschichte immer wieder auf: je größer die Dunkelheit, je größer der Hass, desto größer wird das Licht, desto größer wird die Liebe.

Demokratie ist eine Staatsform, die nicht einfach da ist, die nicht einfach für immer da sein wird, wenn wir uns nicht bemühen. Demokratie ist lebendig, so ist ihre wohl größte Schwäche auch ihre größte Stärke. Das Volk. Wir!

Lasst uns alle einen Schritt aufeinander zugehen. Lasst uns gemeinsam unsere Zukunft erarbeiten. Lasst uns kämpfen für ein solidarisches, vielfältiges, großartiges, friedliches und tolerantes Europa, Deutschland, Bayern.

Am Ende müssen wir das Licht sein, das sich gegen die Dunkelheit auflehnt, das den Menschen den Weg zeigt.

Vielfalt statt Einfalt muss unser Motto lauten. Vielfalt statt Einfalt.

Am 02.09.2019 war der Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, zu Besuch bei uns in Niederbayern, am politischen Gillamoos-Montag in Abensberg. Neben dem Ortsvorsitzenden der SPD Abensberg, Thomas Schug, und dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Generalsekretär Uli Grötsch sorgte Kühnert als Hauptredner für ein randvolles Jungbräuzelt und bewies sich somit zum ersten Mal mit einer aussagekräftigen Bierzeltrede. Neben den Entwicklungen im Osten bezüglich der AfD waren die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sowie die Vermögenssteuer die zentralen Themen Kevins.

Zu Beginn seiner Rede machte Kevin deutlich darauf aufmerksam, dass trotz großer Verluste bei den Landtagswahlen in Brandenburg, ein sattes Ergebnis erzielt werden konnte.  Denn entgegen der schlechten Umfragelage, konnte die SPD die Wahlen wiederholt für sich gewinnen, worauf die Partei stolz sein kann und auch soll.

Ganz anderes sieht es in diesem Zusammenhang allerdings in Sachsen aus. Dort hat sich laut Kevin „[…] die sichtbare Demokratie aus vielen Regionen zurückgezogen.“ Dem fügt er folgende Forderung hinzu:

„Ich spreche mich dafür aus, dass wir einen Teil der staatlichen Parteienfinanzierung in die schwachen Regionen geben. Stärken wir den Ehrenamtlichen dort den Rücken, um denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Politikverdrossenheit schüren!“

Das nächste große Thema, welches auf die Ergebnisse der Landtagwahlen aufbaute, waren die Entwicklungen im Osten in Bezug auf die Erfolge der AfD. Kevin gab hier klar zum Ausdruck, dass es keine Normalisierung gar Annäherung an die AfD geben kann, jedoch die Entwicklungen im Osten nicht unbeachtet bleiben sollten. Diesbezüglich übte Kühnert klar Kritik:

„Wir betrachten die Entwicklung im Osten wie einen Autounfall, wo alle vorbeifahren und traurig sind, was da passiert ist. Wie die Gaffer! Lasst uns mal öfter aus dem Auto aussteigen und fragen, wie es dazu kommen konnte. Wir müssen die Gafferposition verlassen!“

Auch die wiederkehrende Debatte über die Vermögenssteuer griff Kevin in seiner Rede auf. Die Reaktivierung dieser Diskussionen empfindet er als richtig, da so „[…] diese Leute jetzt endlich mal zur Kasse gebeten werden.“  Eine gute sozialdemokratische Politik funktioniere in seinen Augen genau so: Eine Politik, die sich an die Mehrheit richtet. Dazu gehört es allerdings auch, dass gegen die Interessen der Minderheit gearbeitet wird: „Keine Politik für die Mehrheit, ohne eine Politik gegen die Interessen einer egozentrischen Minderheit“, so Kevin. Dem fügte er weiter hinzu:

„Deswegen ist es richtig, jetzt dort entgegenzusteuern und die CSU könnte übrigens einen Beitrag dazu leisten, wenn sie ihren Verkehrsminister zurückpfeifen würde und dafür sorgen würde, dass er nicht unser aller Steuergeld in dreistelliger Millionenhöhe zum Fenster rauswirft, für sein ideologisch begründetes Pkw-Maut-Projekt. Andi Scheuer, das ist deine Lücke in der Kasse! Die Millionen, die wir jetzt in den nächsten Jahren blechen müssen an Konzerne, die keine Leistung dafür erbracht haben. Vielen Dank für das Geld, was uns jetzt anderswo fehlt.“

Zusammenfassend lässt sich Kevins Auftritt als sehr stark bezeichnen. Er konnte die Themen, die uns derzeit bewegen gut aufgreifen und blieb seiner Linie dabei treu. Kevin zeigt, dass eine gute linke Politik möglich ist.

Blickt man in die Medien, sowohl in die Printausgaben der Zeitungen, als auch in die immer wichtiger werdenden Online-Zugänge, sowie auch in die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke – es könnte der Eindruck entstehen, der Juso-Vorsitzende habe die sofortige Zerschlagung aller Unternehmen gefordert und die Sozialistische Sowjetrepublik Deutschland ausgerufen.

Auch wenn dieser Eindruck von so mancher, teils sogar von einstmals als seriös wahrgenommener Seite bestärkt wird, er könnte falscher nicht sein. Die Debatte, die Kevin Kühnert angestoßen hat, ist längst überfällig und sie muss dieses Land bis ins Mark erschüttern: jeder Versuch, sich dieser Debatte zu entziehen spricht entweder für eine massive intellektuelle Schwäche, wie sie gerade unser Verkehrsminister erneut beweist – oder aber, was viel schlimmer wiegt, für die Akzeptanz des Status Quo und damit einen Umstand, den niemand unterstützen kann, der*die ein grundlegendes Interesse an einer lebenswerten Zukunft, nein, überhaupt an einer Zukunft für diesen Planeten hat. Es ist unbestreitbar, dass unsere deutsche und europäische Art zu Wirtschaften nicht gesund und nicht vernünftig ist. Nicht gesund, weil gerade aus globalem Blickwinkel die Probleme mit jedem Tag zunehmen: der menschgemachte Klimawandel schreitet unaufhörlich voran und der Mensch zerstört sich seine eigene Lebensgrundlage. Nicht vernünftig ist sie, weil ausgerechnet die Profiteure dieser Zerstörung nicht die Leidtragenden sind und alles daran setzen, es auch nicht sein zu müssen, wie unter anderem der Aufschrei der Wirtschaftslobbyisten in der SPD beweist.

In einem schrecklichen Maße beschämend hingegen ist die Reaktion vieler Kritiker*innen. Da wird mit historisch unhaltbaren Vergleichen „argumentiert“, es werden ganz offen falsche Aussagen verbreitet, die so nie getroffen wurden – und wer es wagt, diese Form des öffentlichen Anprangerns eines Andersdenkenden überhaupt anzusprechen, dem wird gerne und schnell vorgeworfen, er*sie sei unsolidarisch und das auch noch mitten im Wahlkampf. Wenn das ein Ausdruck moderner Debattenkultur sein soll, man kann der Menschheit nur viel Glück wünschen, mit der Vernunft ist es dann nämlich nicht weit her.

Kevin Kühnert hat im Interview mit der ZEIT nämlich eine ganze Reihe vernünftiger Vorschläge gebracht, die allesamt diskussionswürdig sind. Der Vorwurf, diese Gedankengänge seien nicht mehrheitsfähig mag nicht falsch sein – aber wäre das der Maßstab für die Relevanz einer Idee, es gäbe keine Partei in Deutschland, die noch Wahlprogramme drucken dürfte. Die Schnappatmung mit der aus konservativer und vermeintlich-liberaler Ecke reagiert wird, offenbart den getroffenen Nerv: es geht schlichtweg um eine neue Form des Wirtschaftens und damit letztendlich auch des Lebens selbst. Will sich der Mensch befreien aus seiner Misere, dann muss er bereit dazu sein, bestehende Strukturen umzuwerfen und neu zu denken – nicht im Sinne einer Unterhemd-Posterboy-Kampagne, nein, in dem Sinne, der die SPD überhaupt erst notwendig machte: um allen Menschen eine Teilhabe am großen Kuchen zu ermöglichen, der tagtäglich verteilt wird.

In letzter Zeit wurde oft der Umgang der Presse mit der AfD heiß diskutiert, sei es in den sozialen Netzwerken oder gar in den Zeitungen selbst. Abgesehen von Zeitungen wie der BILD, der es meines Erachtens lediglich wichtig ist Schlagzeilen zu liefern, um den Umsatz zu erhöhen, haben auch durchaus seriöse Zeitungen wie beispielsweise die Süddeutsche einen überraschenden Vorschlag zum Umgang mit der AfD. Man müsse sich der AfD eben nur stellen und sie in Podiumsdiskussionen entlarven. Doch bringt das wirklich etwas? Meiner Meinung nach überhaupt nicht. Irgendwann wird beispielsweise nicht mehr über Rente diskutiert, sondern jede*r ist gegenüber der*des Vertreter*in der AfD in einem Verteidigungsmodus und versucht zu erklären, warum „Ausländer“ eben nicht an allem Schuld sind.
Ein weitere Fragestellung in dem Kontext ist natürlich, wieso die AfD überhaupt eingeladen wird. Hier wird meist mit der vermeintlichen Neutralität, die man wahren muss, argumentiert. Doch muss man auch gegenüber Rassismus neutral bleiben? Ich finde nicht. Rassismus und Hetze sind definitiv keine Mittel des demokratischen Diskurses. Wer sie benutzt, dem muss keine Bühne gegeben werden.
Viel problematischer wird die Situation allerdings,  wenn dazu auch noch wertende Kommentare abgegeben werden. Kürzlich erst hatte der Journalist Tilo Jung, der den YouTube-Account „Jung & Naiv“ mit über 150.000 Abonnent*innen betreibt, Ahed Tamimi interviewt. Abgesehen davon, dass ich es schon schrecklich genug finde, eine Teenagerin, die israelische Soldat*innen schlägt und sie mit Steinen bewirft und ihre Familie, die auch an mehreren Gewaltakten beteiligt war, schützt anstatt sich vor ihr abzugrenzen, die Auslöschung Israels will, hatte er ein paar nette Wort übrig. Als „peace activist“ beschrieb er sie und als eine „teen icon“, die von einer Ein-Staaten-Lösung träumt. Wie diese in dem Falle aussehen würde, erklärt sich bei ihren Aktivitäten von selbst.

Es wäre zugegebenermaßen allerdings völlig vermessen, den Blick nur auf Journalist*innen zu richten. Gibt es ja auch Politiker*innen, die an den Podiumsdiskussionen mit Vertreter*innen der AfD teilnehmen und diese Konstellationen somit indirekt befürworten, aber zumindest schützen. Doch auch Kommentare, die Menschen mit normalen Verstand mit irrsinnigem Kopfschütteln auffassen, fehlen natürlich nicht. Nachdem es in Chemnitz zu Ausschreitungen gekommen ist und das Zeigen des Hitler-Grußes anscheinend als ganz normal galt, stellte der Ministerpräsident von Sachsen dennoch fest, dass es weder einen Mob noch eine Hetzjagd gegeben hätte.
Abschließend lässt sich festhalten, dass wir definitiv eine stärkere Abgrenzung zu Rassismus und Antisemitismus brauchen. Es darf nicht mehr so lapidar hingenommen werden, wenn Politik auf Hetze beruht. Mit Neutralität hat diese Akzeptanz schon lange nichts mehr zu tun.

 

 

2016 war ein entscheidendes Jahr. Nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für die ganze Welt. Ein Mann, der durch Tweets seine Entscheidungen verkündet, diskutiert seitdem mit Machthabern wie Kim Jong-un oder Wladimir Putin. Er nutzt nicht wie frühere amerikanische Präsidenten sein rhetorisches Können und große Worte, um die Welt zu beeinflussen. Er wird in die Geschichte mit einem Tweet eingehen. In den Medien regieren seine schnell getippten in der Anzahl eingeschränkten Worte. Seinen erneuten Antritt zur Präsidentenwahl hat er jetzt verlautet. Doch wo ist die andere große Partei aus der USA? Was ist ihre Strategie für die Kongress- und Präsident*innenwahlen? Die Demokrat*innen setzen auf das Element, welches Trump am aller Meisten stören werden: die Vielfalt. Weiblichkeit, Religionszugehörigkeit oder/und Menschen mit Migrationshintergrund sollen gestärkt werden.

Die Demokrat*innen haben einen neuen Weg eingeschlagen. Sie wollen alle „Alt-Politiker*innen“ mit neuen, vielen unterschiedlichen Gesichtern besetzen. Sie wollen eine bunte Partei und es nach außen zeigen.

Mit Rashida Tlaib hat eine Kandidatin die Vorentscheidung für den Kongress gewonnen. Durch sie wird die aller erste Muslima in den amerikanischen Kongress einziehen. Zu ihrem Vorteil: die Republikaner*innen haben in ihrem Wahlbezirk keinen Kandidierenden. Ein großer Schritt für diese Religionsgemeinschaft, dass sie nun eine Vertreterin bekommen. Traurig, dass es erst jetzt geschieht.

Eine weitere Kandidatin ist die Latina Alexandria Ocasio-Cortez. Sie beschreibt sich selber als links- und auch von außen wird so eingeschätzt. Sie tritt zum ersten Mal für ein Amt an und möchte Stimmen für sich gewinnen mit Themen, die alle Amerikaner*innen betreffen. (nicht so wie Trump- der nur für seine Mitreichen entscheidet). Das Strafrecht muss reformiert werden und eine Krankenversicherung zwei der großen Prioritäten. Ihrer Meinung nach „Das sind die Probleme, die zu den Herzen der Wähler*innen sprechen und ihre Zukunft mitentscheiden.“

Mit ihrer Herkunft spricht sie Minderheiten an, denn die Arbeiter*innen sind nicht nur weiß und männlich. Sie möchte aber für alle sprechen. Ihre Erfahrungen sollen ihre Politik entscheiden. Die USA wird von Menschen mitgetragen, die aus allen Ethnien, Religionsgruppen und Ländern der Welt kommen. Sie wollen sich wieder auf „working class“ fokussieren. Back to the roots!

Nach der Niederlage 2016 musste sich die Partei aufstellen. Latinas und Latinos wollen mehr präsenz in der Politik haben und nicht mehr unsichtbar sein. Diese Chance bietet diese Partei.

Aber man muss aufpassen, dass die Minderheiten nicht für die Macht ausgenutzt werden und nur helfen sollen die Partei aus der Asche wieder auferstehen zu lassen. Die Möglichkeit muss genutzt werden, Agenda Setting selbst in die Hand zu nehmen.

Es ist jetzt die Möglichkeit, die politische Realität in den USA zu verändern und die Democrats wieder Einfluss zu ermöglichen, um den Irrsinn zu beenden. Es ist ein Weg, um die linke Bewegung weltweit voranzubringen.

130 Bündnisse, Vereine, Organisationen und auch Parteien haben gemeinsam zu einer Demonstration gegen die Verrohung der politischen Sprache, gegen die Relativierung von Menschenrechten und den Rechtsruck in der Gesellschaft letzten Sonntag in München aufgerufen und über 20.000 Menschen kamen. Natürlich waren auch Vertreter*innen der Niederbayerischen Jusos mit auf der Straße.
Und dieser Schritt ist auch bitter nötig. Es wird Zeit, offensiv zu zeigen, dass die CSU nicht für die ganze bayerische Bevölkerung spricht. Dass es nicht der richtige Weg ist, Grundrecht einzuschränken, Menschen zu verunglimpfen und unberechtigte Ängste zu schüren. Und die Reaktionen der CSU zeigen, wie dringen wir auf die Straße gehen müssen und nicht mehr schweigend zusehen dürfen.
So versuchte die CSU gegen die Unterstützer*innen der Demonstration, den Intendanten der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal und den Intendanten des Volkstheaters Christian Stückels, Druck aufzubauen, der bis zur Forderung nach disziplinarischen Maßnahmen reichte . Nach dem alle Versuche die Demonstration zu verhindern nicht erfolgreich waren, war der nächste Schritt für die CSU eine eilig zusammengezimmerten Plakataktion. In der Nacht von Samstag auf Sonntag sind in ganz München Plakate der CSU aufgetaucht. Mit ihrem Slogan: „Ja zum politischen Anstand; Nein zu #ausgehetzt“ wird einmal mehr versucht, die Ausübung durch das Grundgesetz garantierter Menschenrecht als etwas unanständiges, ja staatsfeindliches zu verunglimpfen. Das erinnert in fataler Weise an Dobrints Aussage von der „Anti-Abschiebe Industrie“.
Daher müssen wir auch in Zukunft gemeinsam aufstehen gegen die Versuche, Meinungs- und Demonstrationsrechte einzuschränken. Wir müssen unseren Rechtsstaat verteidigen und deutliche machen, dass wir uns gegen eine menschenverachtende Politik des „wir gegen die“ und der Ausgrenzung stellen.
Außerdem werden wir auch in Zukunft, wie auch schon auf der Demonstration, zeigen wo die wirklichen Probleme liegen. Dass wir uns nicht ablenken lassen von unserem Kampf für eine gerechte Gesellschaft, für Gleichberechtigung und gegen die Diskriminierung von Minderheiten.

Als ich heute morgen das Morgenmagazin eingeschaltet habe, war das erste, was ich gehört habe: „eine Lösung ist in der Asylpolitik gerade nicht abzusehen, aber jetzt geht’s erstmal in die Sommerpause.“ Meinen Kaffee zum Wachwerden brauchte ich da nicht mehr, das hat das Adrenalin erledigt.

Aber beginnen wir von vorne. Kurz und knapp, ihr kennt den Inhalt vermutlich sowieso. Neu entbrannt ist das Thema durch den Asylstreit der Union. Hier hat die CSU mit ihrem Gepoltere nicht nur die Unionsgemeinschaft aufs Spiel gesetzt, sondern auch die deutsche Regierung und massiv gegen Europa geschossen. Angela Merkel hat sich mit den Regierungschef:innen Europas getroffen, um einen Kompromiss auszuhandeln, mit dem auch die CSU einverstanden sein kann. Letztendlich gab es einen Unionskompromiss, den die SPD wiederum ablehnte. Stattdessen tagte der Koalitionsausschuss, um sich auf Forderungen zu einigen, die allesamt im Koalitionsvertrag stehen. Jetzt könnte man meinen: Das passt doch. Aber weit gefehlt.

Ich bin froh, dass die SPD Haltung gezeigt hat und es geschafft hat, dass die CSU keine ihrer unsäglichen Punkte durchsetzen konnte. Aber die Verteidigung des Status Quo sollte nicht der Anspruch progressiver und, vor allem in der Flüchtlingspolitik, auch menschlicher Politik sein. In der Einigung aus dem Koalitionsausschuss steht auch, die Regierung wolle FRONTEX stärken und Außengrenzen besser schützen. Das wollen auch die EU-Staaten. Was heißt das nun aber?

Sicherung der Außengrenzen

Beginnen wir mit der Sicherung der Außengrenzen. Die Europäische Union schützt ihre Außengrenzen entweder durch Zäune, wie in Ungarn, oder durch Deals mit Machthabern wie Erdogan in der Türkei oder Mahamadou Issoufou im Niger. Entwicklungszusammenarbeit soll vor allem mit sogenannte Transitländer stattfinden, also in Ländern, die auf Fluchtrouten liegen. Ob diese Länder Menschenrechte achten oder nicht, ist hierbei sekundär – Flüchtlinge aufzuhalten, bevor sie zum Mittelmeer kommen scheint das einzige Ziel zu sein. Hierbei arbeitet die Europäische Union auch mit Omar al-Bashir, dem wegen Völkermordes angeklagten Präsidenten des Sudan, oder Isaias Afwerki, der seit 1993 Chef der amtierenden „Übergangsregierung“ Eritreas ist – ohne Opposition. Um die Fluchtrouten zu schließen, gibt es Geld, Ausbildung der Soldat:innen und Technik.[1]

Das hält Menschen aber nicht davon ab, vor Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit zu fliehen. Durch die Maßnahmen der EU wird diese Flucht aber gefährlicher. Die Internationalen Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass in der Ténéré-Wüste im westafrikanischen Staat Niger ungefähr drei Mal so viele Menschen sterben wie im Mittelmeer. Da die Checkpoints auf den sicheren Routen geschlossen wurden, weichen die Schleuser in die Wüste aus.[2]  Niemand kann genau sagen, wie viele Tote dort mittlerweile liegen.

Internationale Journalist:innenteams werden häufig mit dem Verweis, es sei zu gefährlich nicht in die Wüste vorgelassen. Auch die Camps in Libyen sind für Journalist:innen gesperrt. Misshandlungen, Vergewaltigungen und menschenunwürdige Bedingungen sind hier an der Tagesordnung. [3] „Dort herrschten entsetzliche Zustände, kritisierte er [der UN-Sprecher]. In diesen Lagern seien auch Tausende von Menschen untergebracht, die nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks Anrecht auf Asyl oder zumindest internationalen Schutz haben.“ [4] Hauptsache niemand sieht das Elend der Menschen. Hauptsache, die Menschen kommen nicht nach Europa.

FRONTEX stärken

Aufgrund der aktuellen Situation im Mittelmeer hat für mich der Ausbau von FRONTEX einen enorm bitteren Beigeschmack. Im letzten Monat sind so viele Menschen ertrunken wie noch nie, weil man die Menschen, die nicht zusehen können und helfen, kriminalisiert und an ihrer Arbeit hindert. Dieses Jahr wurden 40% der Rettungseinsätze durch private Helfer durchgeführt. Das Verbot der NGO-Aufklärungsflugzeuge, die nach in Seenot geratenen Schiffen suchen, zeigt doch wieder einmal, dass man einfach wegschauen will. [5]

Die EU will hier verstärkt mit der sogenannten Libyschen Küstenwache zusammenarbeiten. Niemand weiß genau, welchem Machthaber die Einheiten unterstehen. Diese bekommen schon länger Geld und Ausrüstung durch die Europäische Union. Seit 2016 weitete die EU das Mandat auf die Ausbildung der Küstenwache und Marine aus. Immer wieder gibt es allerdings Nachrichten über Attacken auf Flüchtlingsretter:innen und Einsätze, die für die Flüchtlinge tödlich enden.

Franziska Vilmar, Amnesty International: „Bei den Seenotrettungseinsätzen hat die Libysche Küstenwache sehr rabiat gehandelt. Wir haben immer wieder festgestellt, dass Menschen dabei selbst gefährdet worden sind, dass sie teilweise auch ihr Leben verloren haben, aber dass sie, sobald sie an Bord waren, auch geschlagen worden sind und unter Waffengewalt zurückgebracht worden sind in die libyschen Lager.“ [6]

Trotzdem möchte die Europäische Union noch mehr auf die libyschen Küstenwächter:innen setzen, es soll dort eine eigene Leitstelle entstehen.  Die Küstenwache gilt als zutiefst korrupt. Immer wieder wird ihnen Zusammenarbeit mit den Schleuser:innen vorgeworfen. Erst letzten Monat wurde Abd Al Rahman al-Milad, Leiter der Küstenwache in Zawiyah[7], auf die UN-Sanktionsliste gesetzt. Ihm wird Menschenschmuggel und die mutwillige Versenkung eines Flüchtlingsbootes mit Schusswaffen vorgeworfen. Ich glaube nicht, dass wir, die uns für Menschlichkeit und Demokratie feiern, mit solchen Organisationen zusammenarbeiten dürfen.

Und nun?

Seehofer will mit Orban und Kurz einen Plan erstellen, wie man die Mittelmeerroute schließt. Davon wird mir schlecht und das macht mir Angst. Wie sowas aussehen kann, erleben wir jetzt grade. Die europäischen Häfen machen für die Boote freiwilliger Hilfsorganisationen dicht. In Malta steht der Kapitän des Lifeline vor Gericht, nachdem sie eine Woche lang mit 234 Menschen an Bord durch das Mittelmeer gefahren sind und kein Land sie anlegen lassen wollte.

Das ist nicht mein Europa. Ich habe nach wie vor die Vision eines offenen und solidarischen Europas. Solidarisch nicht nur untereinander (wobei selbst das gerade fragwürdig ist), sondern auch mit anderen Ländern dieser Erde und vor allem solidarisch mit Menschen. Wir brauchen legale Fluchtkorridore, damit Menschen nicht gezwungen werden illegale und gefährliche Wege zu gehen. Sebastian Kurz, der österreichische Kanzler, der nun ein halbes Jahr lang den EU-Ratsvorsitz hat, stellt in Frage, ob “alle 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, wirklich automatisch das Recht haben, dass sie einen Asylantrag in Europa stellen können, oder ob sie den nicht auch anderswo auf der Welt stellen könnten.”  Er sprach sich dagegen aus, dass in den von der EU geplanten Aufnahmezentren die Möglichkeit geschaffen wird, Asylanträge zu stellen. Breaking News: Ja, alle Menschen haben erst einmal das Recht einen Asylantrag zu stellen.

Unser Ansatz darf aber nicht sein, den Menschen ihre zustehenden Rechtsmöglichkeiten zu nehmen, sondern ihnen keinen Grund zur Flucht zu geben. Niemand setzt sich aus Spaß in ein überfülltes Schlauchboot. Die Menschen sind sich bewusst, dass sie bei dieser Überfahrt sterben können, trotzdem machen sie sich lieber auf den Weg. Fluchtursachen bekämpft man nicht, indem man Grenzen hermetisch abzuriegeln versucht. Fluchtursachen bekämpft man, indem man aufhört Waffen in Krisengebiete zu schicken, indem man aufhört dubiose Machthaber:innen zu unterstützen und indem man aufhört andere Länder zu unseren Gunsten auszubeuten. Falls ihr euch fragt, wie das geht, verweise ich an dieser Stelle auf einen Blogbeitrag aus dem Jahr 2016, der nach wie vor aktuell ist:

Fairer Handel auch mit Afrika!

 

Was tun?

Mein Appell? Hört auf mit Menschenleben Politik zu machen! Mir ist vollkommen egal woher Menschen kommen, wenn sie Hilfe brauchen, dann muss man helfen.

Wir spielen uns auf als das wunderbare, friedliche Europa und vor unseren Türen ist ein Massengrab. Helft, spendet, schreibt euren Abgeordneten und zeigt ihnen, dass wir vor diesem Sterben nicht die Augen verschließen wollen!

Wenn andere es schon nicht machen, lasst uns ein Zeichen für Menschlichkeit setzen. Lasst uns das Europa sein, das wir wollen. Das schaffen wir nicht durch wegschauen oder meckern, das schaffen wir nur, wenn wir zusammen anpacken.

 

[1]http://www.fr.de/politik/flucht-zuwanderung/fluechtlinge-aus-afrika-eu-deals-mit-afrikas-diktatoren-a-356517

[2]https://www.tagesschau.de/ausland/niger-fluechtlingsroute-101.html

[3]https://youtu.be/BqA2uhfYEfE

[4]https://www.tagesschau.de/ausland/papst-migrationspolitik-101.html

[5]https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-mittelmeer-251.html

[6]https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/toedliche-seenotrettung-100.html

[7]https://www.maritime-executive.com/article/un-blacklists-libyan-coast-guard-leader-for-migrant-smuggling#gs.kHdB=3w

Wer mir sagen kann, was die Liedzeile im Titel aussagen soll, schreibt mir bitte. Aber irgendwo ist Dicht&Ergreifend da auch etwas auf der Spur. Ähnlich unverständlich ist nämlich der Begriff der Heimat in der Politik, sowie die ganze Debatte darum. Was zum Teufel ist eigentlich Heimat? Und ist es gerade für die Sozialdemokratie eine gute Idee mit Heimatgefühlen Politik zu machen?

„Bayern, des samma mir“

Eine ausreichende Definition konnte mir noch niemand liefern. Meistens werden Personen, Orte und Sinneseindrücke aneinandergereiht um ein gewisses heimatliches Gefühl zu beschreiben. Immer also ist die Heimat etwas absolut Subjektives und schwierig abzugrenzen. Und daraus soll jetzt irgendwie politisches Kapital geschaffen werden. Dass das kläglich scheitert sieht man an den jüngsten Beispielen: Christian Lindner hat Verständnis für Rassismus beim Bäcker, die CSU stellt im Landtag Eilanträge, weil ein bayerischer Kindergarten einen christlichen Feiertag begeht, der wohl als „unbayerisch“ angesehen wurde, und der Grüne Landtagswahlprogrammentwurf bringt solche Stilblüten zu Tage, wie „Baukultur ist und schafft Identität und Heimat“.

An den Umfragewerten scheint sich durch solche Aktionen relativ wenig zu ändern, die Frage ist, wann das auch in den jeweiligen Parteizentralen ankommt, beziehungsweise ob es sie überhaupt interessiert. Der CSU kann eine starke rechte Opposition eigentlich ganz gelegen kommen, heißt es doch, dass jede Koalition gegen die CSU von Mitte links verhindert wird. Die Grünen haben mittlerweile begriffen, wer sie wählt, nämlich reiche Menschen in Städten und so ein bisschen Heimat findet ja auch die ökobewusste Oberschicht nicht schlecht, die FDP hat seit dem Jamaika-Aus ja allgemein Probleme sich zu profilieren, Christian Lindner möchte einfach gerne ins Fernsehen und Sahra Wagenknecht war ja immer schon Anhängerin eines sehr national zentrierten Sozialismus. Die SPD dagegen scheint als einzige großen Schaden vom derzeitigen Themenmainstream zu nehmen.

„Warum wählst du SPD?“ – „Naja, wir können ja nicht alle aufnehmen.“

Wenn Andrea Nahles sagt, dass wir nicht alle aufnehmen könnten, ist das vielleicht eine wahre Aussage, aber ein Strohmannargument und überhaupt als Statement wahnsinnig dumm. Wer sind denn „alle“? Wollen die überhaupt „alle“ hierher? Wer hat denn gefordert, dass „alle“ hierher sollen? Und wer ist überhaupt dieses „wir“, das auf diese Weise immer wieder gebraucht wird, um sich gegen das Fremde abzugrenzen, das man ja nicht aufnehmen könne. Was wir derzeit erleben ist die Wiederentdeckung der Deutschtümelei in der Politik, durch alle Lager hindurch. Politiker*innen möchten den Menschen ein „Heimatgefühl“ geben, wohlig warm, bloß ohne böse Einflüsse aus der weiten Welt.

Die SPD ist als Partei wie keine andere absolut ungeeignet aus einem „Heimatgefühl“ Kapital zu schlagen. Über alle Bevölkerungsschichten hinweg wird sie gleich wenig gewählt und die Lebensrealitäten dieser Schichten sind viel zu unterschiedlich, als dass es abzuschätzen wäre, welche verquere Symbolpolitik an welchem Ende mehr Wähler*innen einbringt als kostet. Söder kann darauf vertrauen, dass die konservativen Stammwähler*innen seinem Kreuzzug relativ positiv oder wenigstens gleichgültig gegenüberstehen. Aber worauf kann die SPD vertrauen? Was erwarten die Menschen von ihr?

Ich wage zu behaupten, keine Deutschtümelei. Das beste Ergebnis im Bund fuhr die Partei immerhin mit Willy Brandt ein, Autor des Buches „Verbrecher und andere Deutsche“.

Mein linker linker Platz ist frei

Durch den ganzen Heimatdiskurs kommt vor allem ein großes Thema zu kurz, was die SPD in der Vergangenheit immer gern bespielt hat, die soziale Frage. Zu den Groko-Verhandlungen gab es mal einen kurzen Zeitraum in dem es öffentlichen Diskurs über soziale Themen gab, nämlich als es darum ging, was die SPD der Union an Zugeständnissen entlocken kann. Da wurde tatsächlich über eine „Bürgerversicherung“ diskutiert, man hörte Forderungen nach einer Mindestlohnerhöhung, endlich Themen bei denen die Sozialdemokratie punkten könnte. Nur leider ist davon nicht mehr viel übrig geblieben, seitdem die Partei im Bund in Regierungsverantwortung ist und Debattenbeiträge kommen nicht mehr aus der vorderen Reihe der Partei, die in der Koalition möglichst staatstragend aussehen möchte, sondern etwa von Michael Müller, der eine Debatte um einen solidarischen Arbeitsmarkt aufwirft.

Könnte die Partei nicht einfach mal versuchen diese krasse Lücke links im Parteienspektrum zu schließen, die sich seit langer Zeit mehr und mehr auftut? Wo Grüne immer konservativer und Linke immer nationalistischer werden könnte sich doch eine SPD glaubhaft gegen diese Heimatduseligkeit stellen und konkrete sozialpolitische Forderungen aufstellen. Anstatt „Wir können nicht alle aufnehmen“ könnte Andrea Nahles dann mit „Wir wollen eine Kindergrundsicherung, aber mit der Union ist gerechte Familienpolitik leider nicht zu machen“, zitiert werden.

Natürlich bräuchte es hierzu einen inhaltlichen Erneuerungsprozess, wurde ja auch versprochen. Wann fängt der denn jetzt endlich mal an? Jetzt wäre die Zeit mit mutigen Forderungen voran zu gehen. Michael Müller hat das immerhin schon mal erkannt.

Die Verhandlungen um eine große Koalition scheinen gegenwärtig so ziemlich alles zu überschatten. So war unter anderem eine doch auch sehr interessante Forderung der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sarah Wagenknecht, ziemlich in der politischen Debatte untergegangen. In einem Spiegel Interview vom 13.01.2018 hat die Frau des Ex-Linken-„Stars“ Oskar Lafontaine vorgeschlagen, in der deutschen politischen Landschaft eine große, linke Sammlungsbewegung zu etablieren.[1]

Ja, ich gebe zu, ich habe schon immer eine große Sympathie für eine große linke Bewegung, doch in der ganzen Debatte stelle ich mir die Frage, ob dieses Projekt im Widerspruch zum Anspruch der Parteien auf der linken Seite, die immer wieder in den letzten Jahren für Mehrheiten gekämpft haben, steht. In den vergangenen Legislaturperioden von 2005-2009 und auch von 2013-2017 hat es eine Mehrheit links der Mitte im Parlament gegeben, doch nie fanden sie zusammen. Ob die Gründe in der Abwehrhaltung einiger Mitglieder der Linken liegen oder im rechten, konservativen Lager innerhalb der SPD, dem Seeheimer Kreis: Nie wurde groß über die Möglichkeit einer links-sozialökologischen Regierung gesprochen. Gerade aber in der SPD hat man sich das Leben leicht gemacht und ist  mal wieder mit der Union ins Bett gestiegen.

Im Jahr 2005 erreichte R2G insgesamt 51% der Stimmen und hätten mit 327 Sitzen eine doch recht vernünftige Mehrheit gehabt. Auch im Jahr 2013 hätte es die Möglichkeit gegeben, doch die Mehrheit der Mitglieder haben sich bei einem Mitgliedervotum für eine erneute Große Koalition ausgesprochen.

Man sieht an diesen Zahlen doch auch recht deutlich, dass das Problem nicht inhaltlich, sondern meist eher persönlich begründet wird. Die Linken, die grob gesagt eine Abspaltung der SPD ist, wären inhaltlich weiter entfernt als die Union es ist? Ziemlicher Unfug, gerade wenn mensch auch die beiden Wahlprogramme mal miteinander vergleicht. Interessanter ist wohl eher der Umstand, dass man sich wohl einem rot-rot-grünen Bündnis verweigert, weil ein Oskar Lafontaine (seines Zeichens ehemaliger SPD-Vorsitzender) aufgrund der neoliberalen Kurswende unter Schröder aus der SPD ausgetreten ist und eine Konkurrenz-Partei – die Linke – mitgegründet hat. Weiter existiert in unserer Partei auch noch der konservative, neoliberale und karrieristische Seeheimer Kreis um Johannes Kahrs, dem es nicht zu schade ist, für Pöstchen alles zu tun und damit im Zweifel auch ein paar Werte über Bord zu werfen. Gerade was das Thema des Spitzensteuersatzes und auch der Vermögenssteuer angeht, sind es die Seeheimer*innen, die als erstes die Stimme dagegen erheben.

Allerdings muss auch gesagt werden, dass es ein Oskar Lafontaine und eine Sarah Wagenknecht waren, die gerade innerhalb der Linken ein progressives, linkes Bündnis verhindern wollten. Bis heute spürt mensch diesen Geist in der Partei: Statt sich gegen rechtsnationale, konservative und neoliberale Parteien deutlich zu positionieren, nutzt sie jegliche Möglichkeit gegen die Sozialdemokratie zu schießen und damit schlichtweg auch eine potentielle Zusammenarbeit zu verhindern.

An diesen Gegebenheiten und den Zahlen der Ergebnisse und der daraus resultierenden Nichtwahrnehmung einer Koalitionschance auf der linken Seite des Parlaments, sowohl 2005 als auch 2013, lässt die Idee eines irgendwann noch existierenden Bündnisses aus Linke, Grüne und SPD immer weiter entfernt erscheinen. Klar gesagt: Man hat etliche Chancen verspielt. Die SPD hat sich bei diesen Gelegenheiten doch immer und immer wieder für eine Politik des Aussitzens und Stillstands mit der Union entschieden. Und mittlerweile ist es ganz und gar nicht sicher, dass die als möglichen Partner*innen geltenden Parteien, also SPD, Grüne und Linke in ihrer jetzigen Formation und mit ihren jetzigen Führungspersonen eine solche linke Mehrheit in Zukunft und in absehbarer Zeit wollen und erreichen könnten: Die gegenwärtige Parteispitze der Grünen mit ihrer deutlich sichtbaren Neigung zu Schwarz-Grün und das Führungspersonal der SPD, das das Gespenst der „roten Socken“ mittlerweile genauso verinnerlicht hat, wie die Union, wird vermutlich auch künftig Chancen, wie sie 2005 und 2013 gegeben waren, nicht nutzen. Auch die Linken – allen voran eigentlich Wagenknecht und Lafontaine – bewegen sich lieber in der Opposition als in einer Regierung.

Ich persönlich gebe zu, dass ich ein Freund der Idee einer linken Sammlungsbewegung in Form eines linken, progressiven Wahlbündnisses bin. Allerdings wird sowas nur funktionieren, wenn innerhalb dieser drei Parteien kleine bis große Erneuerungsprozesse stattfinden: Gerade in der SPD, in der der Seeheimer Kreis die Szene beherrscht und die führenden Gruppierungen damit erkennbar zufrieden sind, dass die Partei in Regierungssesseln auch dann hockt, wenn sie den Kurs der Regierung nur noch ganz minimal bestimmt, wird sich leider so schnell nichts ändern. Ein Lichtblick hierbei ist allerdings dann doch der vergangene Parteitag: Ganze 44% der mittleren Funktionär*innenebene haben sich am Sonntag gegen eine Aufnahme von Koalitionsgespräche mit der Union ausgesprochen. Eine sehr wichtige Arbeit dahingehend haben – darauf können wir auch ruhig ein großes Stück weit stolz sein – wir Jusos geleistet. Es ist für den Fortbestand der Sozialdemokratie wichtig, dass sich die Mehrheit der Mitglieder gegen eine Große Koalition ausspricht. Es ist endlich Zeit für ein Ende der Minimalforderungen, es ist endlich Zeit für ein Ende einer neoliberalen Politik, es ist endlich Zeit für ein Ende von Großen Koalitionen.

Andernfalls werden wir Sozialdemokrat*innen nicht nur daran Schuld sein, dass der Rechtspopulismus in unserem Land noch weiter zunimmt, sondern dass wir uns damit auch noch selbst unser eigenes Grab schaufeln.

Liebe Genoss*innen, die GroKo wurde abgewählt! Die Bürger*innen haben keinen Bock mehr auf uns, sie wollen endlich in einem gerechteren und einem sich bewegenden Land leben. Dafür brauchen wir linke Mehrheiten und wieder fortschrittliche, soziale und ökologische Politik! Das geht nur, wenn wir jetzt endlich von unseren mittlerweile angeschwärzten Sesseln aufstehen, den Nazis der AfD im Parlament klar den Kampf ansagen und für linke Mehrheiten streiten! Es geht nicht nur um uns! Es geht besonders um die Menschen in unserem Land! Lasst uns mutig sein!

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-sahra-wagenknecht-will-neue-linke-volkspartei-a-1187565.html

Liebe kann weh tun. Das tut sie auch – nämlich dann, wenn sie auf Zweifel stößt. Und Zweifel dürften den kühnen Beobachter*innen der Regierungsbildung in die letzten Monate nicht erspart worden sein. Beginnend mit dem enttäuschenden, wenn auch nicht ganz unerwarteten, Bundestagswahlergebnis und unlängst endend mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche.

Die SPD ist, eine Spezialität des Hauses, gespalten, wenn es um die Frage der Regierungsverantwortung geht. Während Schulz am Wahlabend noch große Töne spuckte, es werde keine „GroKo“ mehr geben, scheint das manch prägende Persönlichkeit innerhalb der Partei Mitte Januar bereits wieder ganz anders zu sehen. Da können die Jusos mit ihrer #noGroKo-Kampagne noch so toben, die Wahlprognosen noch so weit sinken – der eiserne Kern bleibt bei seinem Plädoyer für eine erneute große Koalition. Ist das tatsächlich bloßer Starrsinn oder lässt sich diese Position relativieren?

Die am längsten bestehende Partei Deutschlands wird gerne zum Sündenbock gemacht : Heißt es GroKo, stehen wir nicht zu unseren Idealen, heißt es „no GroKo“, sind wir verantwortungslos. Dabei ist Verantwortung sehr verschieden auszulegen  – Regierungsverantwortung muss nicht heißen, mit der Union zu koalieren, sondern kann ebenso bedeuten, eine starke Opposition anzuführen und damit unter Umständen sogar mehr für eine qualitative Bundesregierung zu tun. Zugegebenermaßen lässt sich die SPD für ihren Umgang mit der Regierungsbildung kritisieren : eine klare Linie, die im besten Fall an die Meinung der Parteibasis gekoppelt ist, wäre wünschenswert. Und den Idealen der Sozialdemokratie treu zu bleiben ebenfalls.

Blöd nur, wenn die SPD in ihrer Vielfalt und den sich kontrastierenden Meinungen ihrer Mitglieder ihre Ideale ein wenig versteckt hält. Eine Frage, die SPD-Mitglieder sich im Januar 2018 stellen sollten, ist, woran sie eben solche Ideale fest machen möchten und wie viel Abweichung sie der dominierenden Führungsriege durchlassen können. Die Bundestagswahl 2017 hat die deutsche Sozialdemokratie in eine wahre Sinn- und Identitätskrise gestürzt – die wohl längst überfällig war.

Zwei Legislaturperioden GroKo haben die SPD in vielerlei Hinsicht durch den Fleischwolf gedreht. Während das Immergleich der Union der SPD eine gehörige Portion Trägheit abgegeben hat, hat erstere es verstanden, Errungenschaften der SPD auf sich zu münzen (Stichwort Mindestlohn). Was den Sozialdemokrat*innen in der Bundesregierung fehlt, ist der Mut, das Allbekannte hinter sich zu lassen und statt bedingungsloser Kompromissbereitschaft bedingungsloses Durchsetzungsvermögen an den (Bundes-)Tag zu legen. Die Partei wirbt zwar mit einem Erneuerungsprozess – aber widersprechen sich nicht Koalitionsbestreben, also Fortsetzen des Status Quo, und der Wunsch nach Erneuerung? Acht Jahre GroKo haben nicht nur die Prozente der SPD ins Negative gewandelt, sondern auch das Vertrauen in die Partei – intern wie extern. Die SPD als Arbeiter*innenpartei grenzt sich von der Union dadurch ab, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit auf allen Ebenen, wie konkret die Bürger*innenversicherung eine wäre, zu stellen. Was Befürworter*innen der GroKo zu verkennen scheinen, ist, dass nicht nur ein vorauseilender Gehorsam in der Kompromissfindung zu einem (in diesem Fall eher ernüchternden) Ergebnis führt, sondern auch das dezidierte Vertreten neuer Ideen und Ansätze. Zwar ist „das Sondierungspapier“ nicht frei von Errungenschaften – aber wie genügsam wollen wir noch sein? Zu welchem Preis und zu welchem Nutzen? Schließlich haben wir Wahlversprechen einzulösen, die nicht bloß unser Verlangen nach besseren Werten decken dürfen, im Gegenteil den Zweck erfüllen sollten, die Missstände, die ihnen zu Grunde liegen, zu bekämpfen. Eine Obergrenze, die laut Klingbeil keine ist, neuerdings auch atmender Deckel genannt, ist höchstens geeignet, den*die urtreuen Sozialdemokraten*in nach Luft schnappen zu lassen.

Es fehlt gerade noch, dass im Parteivorstand bald Krawattenmodell „atmender Dackel“ getragen wird – Hundekrawatten liegen im Trend.

Schon einmal hat die SPD zu Zeiten des Burgfriedens den fatalen Fehler begangen, statt aus verschiedenen Ansichten eine Essenz zu ziehen, Andersdenkende innerhalb der eigenen Reihen zu verurteilen. Solidarität darf nicht nur nach außen gefordert werden, muss auch denen zu Teil werden, die einem selbst am nächsten stehen. Solange wir uns noch als Volkspartei bezeichnen dürfen, liegt unsere Identität viel mehr im Pluralismus unserer Ansichten als im Einheitsbrei – denn dass der weder uns noch unseren Wahlversprechen taugt haben die letzten acht Jahre bewiesen.

Wohin führt nun also die Frage nach der sozialdemokratischen Identität? Fest steht, dass jede*r Genoss*in die Antwort darauf selbst finden muss und jeder einzelne Ansatz legitim ist, insofern er die Selbstkritik nicht ausschließt. Meinungsverschiedenheiten sind die Basis einer differenzierten Meinungsbildung. Und trotzdem, so schwer es uns fällt, müssen wir lernen, miteinander schonender umzugehen, alles in allem an einem Strang zu ziehen. Eine SPD, die an inhaltlichen Unstimmigkeiten und kleinkariertem Flügelstreit zerbricht, statt daran zu wachsen, hilft weder der Partei selbst noch ihrer Medienwirksamkeit.

Meine ganz persönliche Antwort auf meine Zugehörigkeit innerhalb der SPD habe ich übrigens gefunden. Trotz seiner Verbannung aus der algerischen Kommunistischen Partei befand Albert Camus kurz vor seinem Tode noch, er „gehöre zu dieser Linken, mir und ihr zum Trotz.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.