Das Grundeinkommensjahr: Eine Analyse
Mit dem sog. Grundeinkommensjahr präsentiert die Parteiführung der SPD, allen voran deren Generalsekretär Lars Klingbeil, einen Vorschlag, der zur Antwort auf die Veränderung des Arbeitslebens erklärt wird. Im Wesentlichen soll durch Erwerbsarbeit im Umfang von sechs bis zwölf Jahren der Anspruch auf ein Grundeinkommen in Höhe von 1000 EUR pro Monat für sechs bis zwölf Monate, je nach Anwartschaftszeit, erworben werden. Im Rahmen dieser bezahlten Auszeit sollen Arbeiter*innen sich erholen, sich weiterbilden, neu orientieren oder die Selbstständigkeit vorbereiten.
Die grundsätzliche Idee ist keine schlechte, und sie passt gut in unsere heutige Zeit: Bestand in den 60ern die Errungenschaft der Industrie noch darin, immer größere Stückzahlen zu günstigeren Preisen zu produzieren, so ist die große Innovation des 21. Jahrhunderts das Maßschneidern von Produkten auf Einzelbedürfnisse von Konsument*innen. In der Konsequenz stiegen und steigen Qualifikationsanforderungen an Arbeiter*innen, welche komplexere und individuellere Güter produzieren, stetig an. Folglich spielt Qualifikation und Weiterqualifizierung eine immer wichtigere Rolle.
In diesem Zeitalter der individualisierten Güter haben sich, während die Politik eine eher beobachtende Rolle einnahm, Arbeiter*innen längst angepasst: Immer mehr Menschen erlangen das Abitur, weil sie wissen, dass die Arbeitswelt hohes Wissen erfordert, und auch die Zahl der Studierenden nimmt stetig zu. Gleichzeitig steigt unbezahlte Mehrarbeit durch das Eindringen der beruflichen Tätigkeit in die Freizeitgestaltung von Arbeiter*innen und stete Erreichbarkeit. Ergebnis dieses Vereinnahmen der Freizeit durch die Arbeit ist auch der junge Tarifabschluss der IG Metall, welcher Arbeiter*innen mehr Selbstbestimmung über ihre Zeit einräumt. Überhaupt rückt das Thema Arbeitszeitreduktion stärker in den Mittelpunkt von Arbeitsmarktdebatten, anstelle von Lohnerhöhungen.
Während sich also Arbeiter*innen im Bildungs- und Ausbildungssystem anpassten, und gemeinsam mit den Gewerkschaften Anpassungen im Arbeitsalltag erzwangen, blieb der politische Rahmen trotz der geänderten Wünsche und Anforderungen vonseiten der Arbeitgeber*innen wie der Arbeitnehmer*innen nahezu konstant, wenn man Irrwege wie die Etablierung des achtstufigen Gymnasiums (im Übrigen genau die falsche Antwort auf gestiegene Qualifikationsanforderungen, wie sich später herausstellte; die Bologna-Reform schlägt in eine ähnliche Kerbe) außer Acht lässt. Umso wichtiger ist es daher, zu sehen, dass sich die politischen Kräfte nun um eine Reform der Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse bemühen.
Dabei schlägt das Grundeinkommensjahr (sofern es denn ein Jahr ist) in die richtige Kerbe: Mehr Freiraum für Selbstverwirklichung, damit auch Arbeiter*innen von den Produktivitätszuwächsen der Digitalisierung profitieren können, ist grundsätzlich die richtige Antwort auf eine geänderte und sich stetig ändernde Arbeitswelt. Dennoch ist der Vorschlag in seiner Ausgestaltung fragwürdig und kann nur Teil einer umfassenden Reform des Arbeitsmarkts, des Ausbildungssystems und der Bildung sein.
In sechs bis zwölf Monaten Auszeit lassen sich weder Ausbildung noch Studium absolvieren, vielmehr taugt der Rahmen für Weltreise, Urlaub und ähnliche Aktivitäten des gepflegten Mittelstands. Die soziale Unterschicht, die Weiterqualifizierung gerade am nötigsten hat, kann weder auf ein geregeltes Einkommen auf Mindestlohnniveau, noch auf die damit einher gehenden Rentenpunkte, verzichten. Damit zielt das Grundeinkommensjahr an denen vorbei, die es am dringendsten brauchen.
Nötig wäre vielmehr ein Bildungskonzept, welches sich weg vom starren Korsett des dreigliedrigen Schulsystems bewegt und Alternativen zum Frontalunterricht und zum Binge-learning bietet, beispielsweise durch ein Gesamtschulkonzept mit hohem Betreuungsmaß, Förderung individueller Stärken und der Garantie eines Wissensstands, der deutlich oberhalb des gegenwärtigen Mittelschulniveaus liegt. Nötig wäre zudem ein attraktiveres Ausbildungssystem, mit besserer Bezahlung, Qualitätssicherung und Kontrolle. Nötig wäre auch eine Novelle der Weiterqualifizierungsmaßnahmen aus den Sozialgesetzbüchern, sodass diese als Chance verstanden werden können, und nicht länger als Bestrafung für undisziplinierte Arbeitslose. Nötig wäre weiterhin die Sicherung gerechter Löhne, die es von sich aus erlauben, eine Auszeit zu nehmen oder die Arbeitszeit zu reduzieren, ohne gleich um die eigene Existenz bangen zu müssen. Und schließlich wäre auch eine Diskussion um eine flächendeckende Arbeitszeitsenkung notwendig, die steigende Pendelzeiten, unbezahlte Mehrarbeit zuhause und intensivere Arbeit durch gestiegene Qualifikationsanforderungen berücksichtigt und Beschäftigte entlastet. Ein solches Reformpaket mag dann gerne ein bedingungsloses Grundeinkommensjahr enthalten. Es wird darin aber eine untergeordnete Rolle spielen, sofern man den Aufgaben unserer Zeit gewachsen sein möchte.