Keine Angst vor dem eigenen Mut, Genoss_innen!

Walter Adam (71) aus Abensberg hat am 22.06. seine Kandidatur für den Landesvorsitz der bayerischen SPD angekündigt. „Walter wer?“ fragen sich da viele und was soll das Ganze überhaupt? Ist er ein „Rebell“, der einfach nur „Pronold stürzen“ will? Ist das ein „Aufstand“ in der SPD – gar ein „Zwergerlaufstand“? Ist das nicht etwa sogar schädlich für die BayernSPD? Seit der Ankündigung der Kandidatur geistern diese Fragen durch soziale Netzwerke und durch die Online-Seiten der Medien. Im Blog der Jusos Niederbayern schreibe ich, wie ich persönlich die Lage sehe.

Eines vorweg: Ja, ich habe mich mit Florian Pronold heillos zerstritten, so sehr sogar, dass wir ziemlich sicher nicht mehr zueinander finden werden. Aber dieses Kapitel ist für mich längst abgeschlossen und nicht mein Antrieb für diesen Beitrag. Ich stelle mir seit langem schon die Frage (wie soviele andere Genoss_innen in der BayernSPD), wie denn die bayerische SPD wieder aus ihrem 20%-Keller herauskommen soll.  Und da gibt es – meiner subjektiven Einschätzung nach – sehr viele Dinge, die sich verändern müssen. Insofern ist es auch falsch, die Schuld für die mangelnde Performance allein bei Florian Pronold abzuladen. Falsch ist aber auch, sich alles schön zu reden und ihn aus der Verantwortung zu entlassen. Das ist ohnehin viel zu lange passiert.

Walter Adam gehört „zum alten Schlag“, wie man so schön sagt: Pensionierter Realschullehrer und seit 46 Jahren in der SPD. Er war 24 Jahre Stadtratsmitglied in Abensberg (Lkr. Kelheim) und 12 Jahre im Kreistag. In den Strukturen der SPD ist er außer in der Region nicht sehr stark vernetzt. Ein ganz klarer Nachteil gegenüber Florian Pronold (42), der seit 2004 erst stellv. Landesvorsitzender der BayernSPD war und seit 2009 ihr Vorsitzender ist.

Pronold hat sich innerhalb der Parteizentrale, innerhalb des Landesvorstandes, innerhalb der Bezirke, innerhalb der Mandatsträger_innen ein riesiges Netzwerk aufgebaut, das seine Macht absichert. Viele dienen ihm loyal in verschiedenen Funktionen und auf allen Ebenen, in der Hoffnung, irgendwann ein Stück der Gunst des Landesvorsitzenden zurück zu bekommen, wenn es notwendig ist, sprich: wenn wieder einmal Wahlkreise zu besetzen sind und Listen für Landtag und Bundestag aufgestellt werden müssen. Das funktioniert einerseits prächtig, ist aber andererseits ein evidenter Grund dafür, dass die BayernSPD politisch nicht vom Fleck kommt, keine Durchschlagskraft entfaltet und weder von Freund noch Feind wirklich ernst genommen wird. Ein Konglomerat, das sich selbst bestätigt und auf die Schulter klopft. An der Basis ist da oft vom „Raumschiff Landesvorstand“ oder von „denen im Münchner Oberanger“ die Rede.

Realistisch gesehen hat Walter Adam daher keine Chance. Aber verbietet sich deswegen die Kandidatur? Was ist denn die Alternative? Weiter so? Mit Pronold? Wieder nur 20% bei der nächsten Landtagswahl oder weniger? Und wie lange wollen wir das eigentlich fortführen? Bis 2018? Bis 2023? Viele Genoss_innen in Bayern beklagen immer wieder, dass die SPD sich viel zu stark von den Menschen, für die sie eigentlich Politik machen sollte, entfernt hat – in Bayern wie im Bund. Klar: Mindestlohn, Rente mit 63 und Mietpreisbremse – das sind Projekte, die zu 100% auf das Haben-Konto der SPD gehen und dass sie mit der Union durchgesetzt werden konnten, grenzt an ein Wunder! Demgegenüber stehen aber die Haltung der SPD zur Vorratsdatenspeicherung (zuletzt wieder schön zu beobachten auf dem Parteikonvent in Berlin), die Haltung der SPD zum Freihandelsabkommen TTIP oder das beschämende Auftreten von Gabriel gegenüber Griechenland. Und was ist eigentlich mit den im Wahlkampf versprochenen Projekten wie der Regulierung der Finanzmärkte, Neuregelungen bei Leiharbeit und Werksverträgen?

Da kommt nicht mehr viel. Die Große Koalition wird diese Dinge nicht mehr anstoßen – dazu sind die Vorstellungen zwischen SPD und CDU/CSU einfach zu gravierend. Wohlmeinend kann man argumentieren, dass die SPD als 25%-Partei diese Dinge nicht mehr durchsetzen können wird, argwöhnend muss man aber fragen, ob sie es denn überhaupt noch wollte! Der erst vor wenigen Tagen von Gabriel ausgerufene Kurswechsel lässt stark daran zweifeln. Summiert man also zusammen, bleibt nicht mehr viel auf der Haben-Seite übrig. Mich wundert es daher jedenfalls nicht, wenn erstens die eigenen Mitglieder nicht mehr wissen, wofür die SPD steht; wenn zweitens Menschen, die uns früher mal gewählt haben, dies heute nicht mehr tun und wenn drittens immer mehr Mitglieder der SPD den Rücken kehren. Ein klares sozialdemokratisches Profil ist beim besten Willen schon lange nicht mehr erkennbar. Viele Menschen misstrauen uns oder verachten uns. Nach dem „Ja“ des Parteikonvents zur Vorratsdatenspeicherung ging ein Spruch wieder durchs Netz: „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten“.

Genau deshalb ist es nachvollziehbar und prognostizierbar, dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl leider wieder ein Ergebnis nicht über 25% erreichen wird. Im besten Fall. Es sind aber auch Szenarien von unter 20% denkbar. Diese Prognose lässt sich 1:1 auf Bayern übertragen, evtl. nur noch auf etwas niedrigerem Niveau. Gabriel und Pronold – beide gefangen in ihrer Rolle im Bundeskabinett – lassen diese ehrliche Analyse nicht zu. Und das ist, wovon viele Parteimitglieder längst die Nase voll haben! Jede_r sieht, dass es so ist und jede_r hört es tagtäglich: auf der Straße, im Betrieb, bei Gewerkschaftsversammlungen, in Diskussionsveranstaltungen.

„So kennma nimma weida macha!“

Genau das greift Walter Adam in seinem Kandidatenvideo auf. „So kennma nimma weida macha“ und „Wir waren eine Partei der Mutigen – heute spielen wir den sozialen Flügel der Union,“ sagt Walter Adam. Und Recht hat er! Weil es eben nicht so ist, dass der Asböck sich da wieder was zusammenspinnt, sondern weil viele Mitglieder in der SPD und auch viele Außenstehende die oben in Kurzform skizzierte Analyse teilen, ist dieses Video so erfolgreich. 24 Stunden nach Veröffentlichung wurde es bereits 22.000 Mal (!) aufgerufen! Walter Adam trifft also genau den Nerv all derer, die sich zumindest irgendwie noch ein wenig mit der SPD beschäftigen wollen!

Pronold schwört die BayernSPD auf’s Regieren mit der CSU ein

Am Wochenende steht der Landesparteitag an und die Delegierten wählen einen neuen Vorstand. Der Parteitag gilt als maßgebliche Weichenstellung für die Landtagswahl 2018. Pronold will sich wiederwählen lassen. Wird er gewählt, so ist es fast zwingend, ihn auch 2017 wiederzuwählen. Man tauscht nicht ein Jahr vor der Wahl (2017 ist darüber hinaus auch noch Bundestagswahl!) einfach den Landesvorsitzenden aus. Das wäre dumm. Insofern ist jetzt – und nur jetzt – genau der richtige Zeitpunkt, um sich parteiintern über strategische Herangehensweisen und Profilschärfung für die Wahlen zu unterhalten. Manch eine_r glaubt, wie ich facebook heute entnommen habe, dass eine ehrliche und leidenschaftliche Diskussion darüber auf diesem Parteitag geplant und möglich wäre. Diesen Optimismus kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen.

2011 verkündete Bayerns SPD-Führung, dass der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude in den Ring steigt – mit dem entschlossenen Ziel, die CSU an der Regierung abzulösen. Zum damaligen Zeitpunkt die beste Personalie in der BayernSPD und absolut ein kluger Schachzug. Das hat die Partei elektrisiert, das hat sie wieder glauben und hoffen lassen. Die bayerische SPD war plötzlich in der Lage, wieder ganze Bierzelte zu füllen, eine regelrechte Ude-Euphorie erfasste alle. Die Partei war präsent wie lange nicht mehr. Geholfen hat es nicht. Man hat sich über zwei Jahre selbst eingeredet, man könnte gemeinsam mit Grünen und FW die CSU ablösen. Inhalte wurden nicht sonderlich transportiert – das Programm war Ude. Zwar haben die Jusos Bayern versucht, beim Programmparteitag im Mai 2013 mit viel idealistischem Einsatz Themen zu setzen, was auch gelang, jedoch ist dieses im Großen und Ganzen gut gelungene SPD-Programm während des Wahlkampfes weit in den Hintergrund getreten.

Personen wie Ude stehen 2018 nicht zur Verfügung (Nürnbergs OB Maly hat schon dankend abgelehnt). Eigentlich eine echte Chance, um nicht einen personenzentrierten, sondern vielmehr einen inhaltlichen Wahlkampf zu führen. Nur: daraus wird nichts werden, denn Pronold hat längst öffentlich vorgebaut. Das Programm heißt nun: „Regieren um jeden Preis“. Endlich nicht mehr Opposition sein, endlich gestalten, ganz egal was und ganz egal mit wem – Hauptsache Regieren. Und weil es da nicht viele Optionen gibt, erscheint nur eine plausibel: Die absolute Mehrheit der CSU brechen (was durchaus möglich ist) und dann mit der Partei, die Florian Pronold bis dato aufs Schärfste bekämpfte und bis heute oftmals arg beschimpft, gemeinsam in die Koalition!

Nicht nur, dass es da vielen SPD-Mitgliedern in Bayern graust ob dieser mehr als trüben Aussichten, es ist mal wieder so eine typische Pronold-Strategie, die jede inhaltliche Diskussion im Keim erstickt. Wenn dann die Jungsozialist_innen wieder mit Papierchen anrücken sollten, in denen sie Punkt für Punkt darlegen, warum eine Koalition mit der CSU nahezu undenkbar ist, dann sind sie einfach Spielverderber. Ein Verband, der überhaupt nicht regieren will, der sich zwar schöne Bilder ausmalt, wie die Welt aussehen müsste, aber nicht willens ist, konkret mitzugestalten. Und nicht nur den Jusos wird es so ergehen, sondern jeder Genossin und jedem Genossen, die sich eine Koalition mit der CSU beim besten Willen nicht vorstellen können. „Lieber mit der CSU zumindest einen Teil unserer Vorstellungen durchsetzen als in der Opposition gar nichts“, wird Florian Pronold ihnen entgegenhalten.

Das ist sicher nicht ganz falsch, die Frage ist meines Erachtens aber – und diese werden die Delegierten am Wochenende beantworten müssen – ob das die richtige Prioritätensetzung für die bayerische SPD ist. Walter Adam jedenfalls reicht es: Eine Koalition mit der CSU – da hört der Spaß auf. Wäre es denn nicht tatsächlich wichtiger, den Fokus 2018 nicht ganz so sehr auf’s „Mitregieren“ zu richten, wie Florian Pronold das tut, sondern erst einmal auf die inhaltliche Positionierung der bayerischen SPD? Sollten wir uns nicht nach der langen, erfolglosen Durststrecke, die wir in Bayern und Berlin hinter uns haben, ein bis zwei Jahre Zeit nehmen, um in vielen Punkten (nur manche sind oben angesprochen) einen fundierten Kurswechsel zu vollziehen? Auch wenn es abgedroschen klingt, aber: sollten wir nicht endlich mal damit anfangen, aus der SPD wieder eine sozialdemokratische Partei zu machen; eine Partei die gleichermaßen für Freiheitsrechte, für Gerechtigkeit und für eine solidarische Gesellschaft steht?

Sollten wir statt der „arbeitenden Mitte“ von Gabriel (was auch immer das sein mag) nicht eher mal wieder die verteilungspolitische Schieflage in diesem Land in den Fokus unserer Betrachtung nehmen? Ich finde es ja skandalös, dass wir in einer der reichsten Volkswirtschaften dieser Welt eine zunehmende reale Armut und eine extrem ansteigende Armutsgefährdung im Alter zu verzeichnen haben. Und ja: sollten wir den findigen Arbeitgebern, die mit allerlei Tricks versuchen, Mindestlöhne zu unterlaufen, nicht endlich einen Riegel vorschieben? Uns um die Abschaffung der modernen Sklaverei (Leiharbeit und Werksverträge) kümmern? Und sollten wir nicht, wenn wir diese Themen für uns in Bayern ins Zentrum unseres Handelns gerückt haben, dafür kämpfen, dass sie auch Einzug in die Programmatik der Bundespartei halten? Und wäre es nicht sinnvoll, wenn wir diesen „Turn“ tatsächlich einmal geschafft haben sollten, danach zunächst die eigene Organisation zu stärken? Die Menschen wieder ansprechen, die sich längst mit Grausen von der SPD abgewendet haben? Sollten wir ihnen nicht langsam mal wieder aufrichtig sagen können: „Unser Credo is ned ‚mia san mia‘, sondern ‚mia san fia eich då‘?

Dafür, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen, genau dafür steht Walter Adam! Und das ist sowohl die inhaltliche wie auch die strategische Alternative, die er den Delegierten am Samstag anbietet. Das ist eine klasse Wahlfreiheit, wie ich finde! Wann gab es das je? Die Kandidatur von Walter Adam tut dem Parteitag gut, ja sie tut der ganzen Partei gut. Am Ende wird Florian Pronold gewinnen und eventuell gewinnt er auch ein Stück weit Einsicht. Meine Hoffnung mag da gering sein und meine Skepsis groß, aber ich muss ja längst nicht richtig liegen mit meinem Pessimismus.

Und wenn doch Walter Adam gewinnt? Ja, dann geht die Welt auch nicht unter, ganz im Gegenteil: Wenn Adam als Landeschef den politischen Kompass vorgäbe, bin ich sicher, dass viele Teile der Partei, von den Jusos über die AfA, die ASF, die Arbeitsgemeinschaft 60plus, über die Bezirksverbände, Unterbezirke und Ortsvereine gerne bereit sind, mit ihm gemeinsam diese Zielbestimmung inhaltlich mit guten Positionierungen zu unterfüttern. Das bedeutet dann zwar sicher – weil es ein nach innen gerichteter Prozess ist, der einige Zeit benötigt – dass die BayernSPD 2018 noch nicht mitregieren wird. Aber vielleicht werden wir dann für 2023 (oder 2021 im Bund) zu einer echten Alternative, zu einer Partei, bei der unsere (ehemalige) Kernwählerschaft wieder sagt: „Jawoi, de san fia uns då!“

Bleibt zum Schluss der Appell an die Delegierten: Liebe Genoss_innen, am Samstag habt ihr die Wahl. Trefft sie bitte nicht vorschnell, lasst euch von den Funktionär_innen nicht auf einen der beiden Kandidaten einschwören, sondern handelt frei und zum Wohle für die SPD. Und bitte: habt nicht jetzt plötzlich Angst vor eurem eigenen Mut!

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Ein Kommentar zu "Keine Angst vor dem eigenen Mut, Genoss_innen!"

  1. Isa sagt:

    Danke dir für diesen großartigen Text, Tom. Auch wenn ich das strategisch anders sehe sind wir inhaltlich ganz beinand!