Die Wirtschaftspolitik als Kernkompetenz der SPD – Ein Kommentar

Diesen Blogeintrag widme ich der Diskussion über die wirtschaftliche Entwicklung im Allgemeinen – es soll hier nicht zwingend um Krisenbewältigungsstrategien gehen, sondern darum weshalb es in meinen Augen wichtig ist, als Sozialdemokratische Partei Deutschlands die wirtschaftspolitische Debatte endlich an sich zu reißen. Es wird zwar immer wieder gesagt, die Union hat ihre Kompetenz in Wirtschaftsfragen und aus dem Grund können wir in diesem Feld nur schwer punkten, aber in meinen Augen ist das viel zu kurz gedacht, vor allem aus dem Grund, weil die Union sicher eines nicht hat: Kompetenz in den volkswirtschaftlich relevanten Fragen.

Es hört sich bei der Union immer so einfach an: Wenn man die Steuern senkt und den Sparweltmeister spielt, brummt die Wirtschaft von ganz allein. Vor allem die Äußerung einer Notwendigkeit von Steuersenkungen für den „Mittelstand“ wird meist von allen Unionsmitgliedern als Indiz genommen: „Der Kerl hat Ahnung von der Wirtschaft.“ Leider ist der volkswirtschaftliche Effekt meist dann doch etwas anders als von den PolitikerInnen der Union vorhergesagt. Ich möchte im Folgenden nicht im Detail darauf eingehen, weshalb der von mir bevorzugte Keynesianismus dem Glauben der Union überlegen ist – ich möchte die These der Union und dem Glauben vieler Menschen daran etwas durchleuchten und welche Konsequenzen das hätte und wieso die SPD hier punkten kann und muss.

Nur mal angenommen, die PolitikerInnen der Union und viele neoliberale Ökonomen in Deutschland haben recht: Was bedeutet dies für uns, der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands, Europas und der gesamten Welt? Die Forderungen von Steuersenkungen und größeren Sparbemühungen stehen meist auch nicht allein im Raum, sondern werden häufig mit den Schlagwörtern „Globalisierung“ und „Produktivität“ umrandet, um die Bedeutung von Reformen noch stärker zu betonen.

Betrachten wir mal Deutschland vor den Reformen der Agenda 2010, die als Grundlage für den Aufschwung gelten. Deutschland hat es geschafft, mit Lohndumping (Stichwort Leiharbeit, Kurzarbeit…), Steuersenkungen für die Arbeitgeber sowie Senkung der Sozialbeiträge ihre Produktivität zu steigern. Das Resultat waren Exportüberschüsse, die im Nachgang auch (und das ist ja auch richtig) einige Jobs (meist schlecht bezahlte) im Inland geschaffen haben. Doch was bedeutet eine gestiegene Produktivität eigentlich genau? Die Produktivität ist kein absolutes Maß wie viele immer meinen, sondern ein relatives. Wir haben es geschafft, relativ gesehen zu den anderen Ländern unsere Produkte und Dienstleistungen günstiger zu produzieren. Diese Entwicklung hat u.a. die Ungleichgewichte im Euroraum und die wirtschaftlichen Probleme einzelner Länder hervorgerufen. Wie man während der Krise gesehen und auch heute noch liest, wenn man die Debatte in Griechenland verfolgt ist, dass die Unionspolitiker und leider auch einige der SPD genau von den Ländern die gleichen Reformen verlangen, welche bei uns scheinbar so erfolgreich waren. Im Einzelnen heißt das: Löhne senken, sparen und auf Exporte spekulieren. Frei nach dem Motto: „Wenn das bei uns geklappt hat, funktioniert das überall“.

Was die „Experten“ der Union nicht begreifen, ist die Spirale, die damit in Gang gesetzt wird. Lasst uns annehmen, die anderen Länder setzen die Reformen so um (wie in Irland und Portugal, auch in Griechenland) und finden so mittelfristig wieder zur „alten Stärke“ zurück, und umgekehrt verliert Deutschland wieder relativ gesehen seine Produktivitätsstärke. Wer sind die ersten, die wieder Reformen für den Arbeitsmarkt zur Flexibilisierung fordern? Dass die Sozialbeiträge doch so hoch seien und die heimischen Unternehmen so erdrücken? Wenn diese Art von Reformen in allen Ländern in einem Zeitraum von 10 Jahren umgesetzt werden, existieren irgendwann in Europa keine funktionierenden Sozialsysteme mehr, die gesetzliche Rente wird de facto wertlos und viele Menschen werden mit „nur“ einem Job nicht mehr über die Runde kommen. Und jetzt frage ich die Experten der Union und leider auch einige SozialdemokratInnen, die an sich die selbe Schlussfolgerung haben: Wollen wir in so einer Welt leben?

In einer Welt, in der nur die Reichen, die wirklich bestens qualifizierten Menschen eine Chance auf Wohlstand haben? Wollen wir eine Entwicklung wie in den USA einschlagen, wo momentan rund ein Viertel der Bevölkerung nicht krankenversichert ist? In dem Ausbeutung und schlechte Löhne an der Tagesordnung sind?

Oder anders gefragt: Ist dieses skizzierte System in irgendeiner Weise es wert, gerettet zu werden?

Jedes Land versucht auf Teufel kommt raus, so produktiv wie möglich sein, was im ersten Augenblick auch nicht verwerflich ist, wenn es sich um einen technologischen Sprung handeln würde oder diese Produktivität das Resultat eines besseren Bildungssystems wäre. Leider entwickelt sich das Bildungsniveau nur recht langsam voran, genauso der technische Wandel. Die Produktivität kann man schneller durch Lohndrückerei, längeren Arbeitszeiten oder weniger Arbeitsschutz erhöhen und leider ist dies häufig die bevorzugte Variante der verantwortlichen PolitikerInnen.

Kurz noch vorweg: Ich bin ein Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, ich glaube an ein System, in dem jeder Mensch (gewiss mit Einschränkungen, wie beispielsweise Umweltauflagen) produzieren und herstellen kann und darf was er möchte. Diese Freiheit macht u.a. den Charme des Systems aus. Aber ich bin überzeugt, dass man eben auch Einschränkungen und klare Regeln braucht. So sollen sich beispielsweise Lohnsteigerungen an der angepeilten Inflationsrate plus Produktivitätssteigerung orientieren, damit dieses Wirtschaftssystem so arbeiten kann, um den Großteil der Menschen zugute zu kommen.

Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die SPD?

Zuerst muss sich ganz klar für einen anderen Weg entscheiden. Nach den umgesetzten Sozialreformen (Rente ab 63, Mindestlohn, Mütterrente…), kam von Sigmar Gabriel die Ansage, man müsse den Fokus wieder auf die Unternehmen richten. Warum? In meinen Augen ist diese Aussage – um es hart auszudrücken – ziemlich hirnlos. Man muss sich immer das Gesamtbild der Volkswirtschaft, inklusive dem Ausland, ansehen. Wie hoch ist die Konsumquote, wie sehen die außenwirtschaftlichen Gleichgewichte aus, wie verteilt sich das Vermögen, wie die Schulden? Erst dann kann man auch Konsequenzen daraus ableiten. Zu sagen, man muss wieder angebotsorientierte Politik betreiben, weil man ein paar Sozialreformen durchgesetzt hat, ist für einen Wirtschaftsminister nicht gerade weise.

Wenn man sich wieder konsequent anders orientieren möchte, hin zu einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, muss man endlich die Debatte über die Wirtschaftspolitik federführend an sich reißen. Man soll den WählerInnen klar vor Augen führen, was die Konsequenz wäre, wenn wir eine Wirtschaftspolitik a là CDU/CSU betreiben würden, wieso wir in so einer Umgebung nicht leben wollen und welche konkreten Pläne wir für die Zukunft haben.

Ganz besonders muss man die Debatte über die Umverteilung des „Kuchens“ und die Neuverteilung des bisher angehäuften Reichtums neu führen. Dem Argument „Neid“, welches immer und immer wieder von der Union kommt, muss endlich aggressiv entgegengewirkt werden. Man sollte in dieser Debatte nicht nur den sozialen Effekt herauskristallisieren, sondern auch die wirtschaftliche Notwendigkeit betonen. Nur mit einer halbwegs gleichverteilten Vermögensstruktur kann die Wirtschaft, auf lange Sicht gesehen, gesund wachsen und ist für Krisen weniger anfällig.

Es gibt noch viel mehr Beispiele volkswirtschaftlichen Irrsinns, welche die Inkompetenz der Union im Bereich der Wirtschaftspolitik zeigen: „Keynesianismus führt nur zur hohen Staatsverschuldung“ „Es entstehen nur Jobs, wenn der Lohnzuwachs geringer ist als der Produktivitätszuwachs“ oder „Erbschaftssteuer ist das unsozialste Instrument, da man bereits versteuertes Geld nochmal besteuern muss“. Wir kennen alle die Antworten darauf und weshalb dies nur ein Irrglaube ist. Jedoch sind unsere „großen“ Köpfe scheinbar in irgendwelchen Zwängen gefangen, um genau diese Antworten nicht zu geben. Wir müssen diese Debatte öffentlich viel aggressiver (aber natürlich auf einer sachlichen Ebene!) führen, damit wir die Oberhand in jeglichen wirtschaftspolitischen Debatten haben. Denn eines ist sicher: Setzt die Union ihre Ideologie um, wird das über kurz oder lang zur Katastrophe führen.

 

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