Minderheitenrechte stärken vs. Politik für Arbeiter*innen
Über die Gründe der sinkenden Wahlerfolge sowohl der deutschen als auch der internationalen Sozialdemokratie wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Von den Agenda Gesetzen über eine Mangelhafte Kommunikation der politischen Erfolge bis hin zu den Herausforderungen der Globalisierung, auf die die SPD keine Antwort wüsste, wird eine große Palette an möglichen Ursachen genannt.
Ein Aspekt sticht dabei besonders heraus, auf den sich Kritiker*innen sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Partei schnell einigen können. Die SPD solle endlich aufhören mit dieser Minderheitenpolitik und wieder echte linke Politik für die einfachen Arbeiter*innen in unserem Land machen (Im Originalton dann aber eher ohne gegenderte Schreibweise, da auch das zu der häufig kritisierten Identitätspolitik gehören dürfte). Die Wähler*innen würden diese Politik nicht verstehen, sie hätte keinen Einfluss auf deren Lebensrealität und würden Fortschritte auf diesem Gebiet nicht honorieren.
Versteht mich nicht falsch, auch ich bin der Meinung, dass die SPD sich wieder vermehrt der Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen annehmen sollte. Gerade im Bereich des Arbeitsrechts und der Arbeitsmarktpolitik gibt es Bereiche, die dringend reformiert werden müssen. Hier seien exemplarisch nur befristete Arbeitsverträge und das unsägliche System der Leiharbeit genannt.
Für mich steht ein Engagement in diesem Bereich aber in keinem Gegensatz zu den Bemühungen, die Diskriminierungen in anderen Lebensbereichen abzubauen. Vielmehr wird durch diese Behauptung, ein künstlicher Gegensatz aufgebaut, der einer genaueren Betrachtung nicht standhält.
Zum einen geht er von einem sehr eindimensionalen Menschenbild aus. Ein Mensch, eine Wählerin oder ein Wähler kann immer nur entweder einfacher Arbeiter oder einfache Arbeiterin sein und daher von einer arbeitnehmer*innenfreundlichen Politik profitieren. Oder er oder sie ist Akademiker*inn, setzt sich für Minderheitenrechte ein und versucht die Umwelt im Bereich des Möglichen zu schonen. In der Realität lassen sich die allermeisten Menschen aber nicht starr in diese Kategorien einordnen, sondern vereinen viele Merkmale in sich. Auch ein 50 jähriger Arbeiter kann homosexuell sein oder hat eine transsexuelle Tochter, deren gesellschaftliche Diskriminierung er verhindern möchte. Auch ein 25 jähriger studierter Berliner Hipster ist froh, wenn er nicht als Scheinselbstständiger in einem Start UP ausgebeutet wird und stattdessen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhält.
Besonders deutlich wird diese Untrennbarkeit von Arbeiter*inneneigenschaft und Zugehörigkeit zu einer besonders zu schützenden Minderheit aber am Beispiel der Frauen. Viele Dinge die wir heute als Selbstverständliche arbeitsrechtliche Regelungen empfinden, hätte man bei ihrer Einführung als unnütze Minderheitenpolitik abtun können. So z.B. das grundsätzliche Verbot auf Grund des AGG, im Bewerbungsprozess nach einer Schwangerschaft zu fragen. Dieses Verbot nützt der Mehrheit der arbeitenden Männer nicht, sondern nur der Minderheit der arbeitenden Frauen.
Zum anderen wird durch die obengenannte These auf eine gefährliche Weise versucht, verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Es wird suggeriert, dass politische Kapazitäten nur begrenzt zur Verfügung stünden und sich daher entschieden werden müsste, wessen Interessen vorrangig zu schützen wären. Was bei kostenintensiven Maßnahmen noch einen Rest an seriöser Argumentation darstellt wird bei einem reinen Abbau von diskriminierenden Regelungen vollends zum durchschaubaren Manöver. Anstatt an einer gerechteren Welt für alle Menschen zu arbeiten wird einem Teil der Bevölkerung, der sowieso schon unter alltäglicher Diskriminierung zu leiden hat, die Schuld für die teilweise prekären Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung zugeschoben.
Dass bei ausreichendem politischem Willen Verbesserungen in ganz verschiedenen Bereichen möglich sind zeigt gerade der Blick in die letzte Legislaturperiode. Bei aller berechtigten Kritik an der großen Koalition konnten doch mit dem Mindestlohn und der Ehe für alle doch sowohl die Arbeitnehmer*innenrechte gestärkt werden, als auch die Diskriminierung von Homosexuellen Paaren reduziert werden.
Und zum Schluss noch eine Anmerkung zu dem Vorwurf die SPD müsse durch die Abkehr von einer aktiven Minderheitenpolitik zurück zu ihren Wurzeln gelangen. Zu den Teilen unserer Parteigeschichte auf die wir zu Recht alle Stolz sind gehört der letztendlich erfolgreiche Kampf für das Frauenwahlrecht schon Ende des 19. Jahrhunderts. Daher lasst uns eine Woche vor dem 8 März, dem Welt Frauenkampftag, daran erinnern, dass der Kampf gegen Diskriminierung und für Emanzipation ebenso zur DNA unsere Partei gehört, wie der Einsatz für Arbeiter*innenrechte.