Die deutsche Leitkultur – Oktoberfest Edition.

Seit Monaten fordert die CSU immer wieder die Einhaltung der deutschen Leitkultur – insbesondere von Migrant*innen und Geflüchteten. Was diese Leitkultur beinhaltet, verrät sie uns leider nicht allzu ausführlich. Von Traditionen ist die Rede, von Werten und manchmal sogar vom Grundgesetz (die Betonung liegt jedoch auf manchmal). Die CSU selbst definiert sie so: „Regeln also, die von allen als nicht verhandelbar anerkannt werden“ (1). Wie so vieles, das die CSU verbreitet, ist auch diese „Definition“ vollkommen frei von Inhalt. Um welche Regeln geht es hier? Unsere Verfassung? Die ist laut Generalsekretär Scheuer nur eine Meinung, und Grundrechte sind übrigens seit neuestem deckel- und dementsprechend auch verhandelbar. Dass das Grundgesetz auch die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder aus anderen Gründen verbietet, scheint bei den „Christ“-„Sozialen“ auch niemanden zu interessieren. Lieber schürt man Ängste, schießt verbal unkontrolliert um sich und/oder frönt dem Populismus. Das Grundgesetz scheint es also schon einmal nicht zu sein. Was aber dann? Die Straßenverkehrsordnung? Freie Fahrt für freie Bürger, und immer brav gegen Tempolimits auf Autobahnen sein? Auch das sehen Einige im Freistaat anders, es wurde immer wieder verändert – und kann somit als verhandelbar bezeichnet werden. Also auch kein Teil der Leitkultur. Aus dem Stegreif fallen mir keine Regeln ein, die nicht „verhandelbar“ wären und genau genommen möchte ich auch nicht in einem Land mit starren Gesetzen und unveränderlichen Ordnungssystemen leben.

Da die CSU uns eine Definition der Leitkultur also vorenthält, möchte ich mich selbst an dieser versuchen. Der Inbegriff des „Deutschen“ findet schließlich gerade direkt vor der Haustür statt: das Oktoberfest, wobei man natürlich genauso das Gäubodenvolksfest in Straubing oder die Passauer Dult betrachten könnte. Dass an dieser Stelle vermutlich all jene, die nicht aus Bayern kommen, laut aufschreien, zeigt übrigens auch schon, wie sinnvoll der Begriff der deutschen Leitkultur ist, schließlich identifiziert sich kaum ein*e Ostfries*in mit Maßkrügen und Lederhosen (keine Sorge, die meisten Bayer*innen auch nicht). Aber zurück zum Oktoberfest: Zwei Wochen lang ist München im Ausnahmezustand, der Anstich steht bei vielen rot im Kalender, die Hemden werden dreimal gebügelt und ein neues Dirndl muss auch in regelmäßigen Abständen her. Versucht man, die Wiesn objektiv zu betrachten, sieht man auf der Theresienwiese vor allem eines: Betrunkene. In den Münchner Zeitungen war es – kein Witz – am Samstag tatsächlich Thema, dass die erste Alkoholvergiftung der diesjährigen Wiesn „erst“ um 15.10 Uhr, also drei Stunden und zehn Minuten nach dem Anstich, behandelt werden musste. (2) Soll das etwa das uns verbindende Element sein? Müsste man daraus schließen, dass die beste Integrationsstrategie ein kollektives Besäufnis ist? Nicht zu vergessen die charmanten Anmachen, mit denen man häufig konfrontiert wird. Also bitte, Geflüchtete aus aller Welt: Betrinkt euch, nennt Frauen nur noch „Mausi“, küsst sie ungefragt auf Wange oder Mund, schaut ihnen bloß nicht in die Augen (dafür gibt es schließlich Dekolletés) und esst Schweinebraten (müsst ihr jetzt! Das ist christlich-abendländisch!). Dann seid ihr nämlich wie der/die durchschnittliche Oktoberfestbesucher*in, und deutscher geht schließlich nicht.

Ob die CSU so etwas gemeint hat, als sie den Begriff Leitkultur in den Raum stellte? Vermutlich nicht. Wer aber von Geflüchteten fordert, etwas einzuhalten, sollte ihnen (und bitte auch mir) erklären, um was es eigentlich geht. Tut man dies nicht, entsteht ein begriffliches Vakuum, das, von links wie von rechts, durch genau solche Spinnereien gefüllt werden kann und statt Integration nur Verunsicherung fördert.

Zum Abschluss möchte ich betonen, dass das Oktoberfest neben diesen Alkoholexzessen auch viel Schönes zu bieten hat. Fahrgeschäfte, in denen schon unsere Großeltern als Kinder saßen, Menschen aus aller Welt, die gemeinsam feiern und Spaß haben möchten und nicht zu vergessen, die unfassbar entspannten U-Bahnfahrer*innen und ihre amüsanten Durchsagen an der Station Theresienwiese. À propos U-Bahn: Dort lernte ich vor ein paar Tagen übrigens einen ganz wunderbaren jungen Mann kennen. Wir sprachen über Religion (er ministriert seit einigen Monaten), über unsere Hobbies (wir sind beide absolut fußballbgeistert und seit kurzem spielt er sogar im Verein) und unsere Heimat (ich bin geborene Münchnerin, er kommt aus dem Senegal). Klingelt da etwas, liebe CSU? Ist das aus eurer Sicht nicht „deutsch“? Oder sollen sich nur jene an eure deutsche Leitkultur halten, die auch Aussicht auf Asyl haben, obwohl sie das vorher offensichtlich nicht abschätzen können? Würde das bedeuten, dass sich alle integrieren sollen, aber nur bei denen, die auch hier bleiben dürfen ist das gut, und bei jenen, die Deutschland verlassen müssen, ist es schlecht, weil man sie „nicht mehr los wird“? Gibt es überhaupt gute und schlechte Integration? Bitte, liebe CSU-ler*innen, erklärt es uns – oder macht das einzig Sinnvolle und werft diese Idee endlich in die Isar.

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(1) http://www.csu.de/aktuell/meldungen/juni-2016/werteordnung-und-leitkultur-achten/ (zul. Aufgerufen am 24.09.2016)

(2) http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.zwischenfaelle-auf-dem-oktoberfest-erste-bierleiche-2016-18-jahre-alte-frau-aus-muenchen.6cd57580-81ab-4517-b606-1b5b4751092d.html (zul. Aufgerufen am 24.09.2016)

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