Einigkeit (?) und Recht und Freiheit

menschen-auf-der-mauer-am-brandenburger-tor_foto_lemo-f-6-176_ulsAm kommenden Montag jährt sich die Deutsche Einheit zum 26. Mal. Doch was hat sich seitdem geändert und was können wir noch heute von dieser Zäsur in der Weltgeschichte lernen?
„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, dieser Satz von Willy Brandt ist in das kollektive Gedächtnis eingebrannt wie kaum ein zweiter, der die Wende beschreibt. Doch dieser Satz ist nur der Schluss einer langen und harten Arbeit, die Willy Brandt in die Wiedervereinigung investierte. Er war der Politiker, der durch seine weise und vorausschauende Politik, diesen Schritt erst ermöglicht hat. In seiner Zeit als Kanzler legte er den Grundstein, er brachte den Wandel durch Annäherung, weg vom alten Muster der Konfrontation und Eskalation hin zu einer Politik der Sühne und Demut. Sein Kniefall von Warschau wandelte das Bild von Deutschland in der Welt, aber vor allem besserte dies das Verhältnis zu Polen, das ein sehr leidvolles Jahrhundert hinter sich hat. Willy Brandt nahm auch Opfer in Kauf, die in der eigenen Bevölkerung nicht auf allzu großes Verständnis trafen. So akzeptierte er endgültig die Ostgrenze von Gesamt-Deutschland und nahm somit den Verlust der ehemaligen Gebiete Pommern und Schlesien in Kauf, was vor allem bei den Vertriebenenverbände auf Unverständnis und Wut stieß.
Doch nicht nur für die deutsch-deutschen Beziehungen war er der richtige Kanzler zur richtigen Zeit, er versuchte auch zwischen den beiden Supermächten, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika, einen Weg, weg vom Wettrüsten und Konfrontation in Stellvertreterkriegen, hin zu einer friedlichen Koexistenz, zu zeigen. Ihm war bewusst, was vor allem für Deutschland als Land zwischen den Fronten auf dem Spiel stand. Beide Supermächte hatten die Atombombe und würden im Fall der Fälle nicht zögern diese einzusetzen.
Brandts Bemühungen fanden sich in den Ostverträgen wieder und auch in den SALT I Verträgen die beide zur Entspannung der angespannten Lage weltweit beitrugen.
Doch so wichtig die Brandtsche Entspannungspolitik auch war, um die deutsche-deutsche Trennung zu überwinden, war ein politischer Wandel durch die beiden großen Kontrahenten in West und Ost notwendig. Dieser Wandel wurde in der UdSSR durch die Ernennung von Michail Sergejewitsch Gorbatschow zum Generalsekretär des Zentralkomitees und später zum Staatspräsident der Sowjetunion eingeleitet. Gorbatschow brachte durch seine Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) das Tauwetter und somit das entscheidende Moment, um den Eisernen Vorhang zum Fall zu bringen und die Trennung zu überwinden. Die Regierung Kohl musste nun schnell handeln, denn es war nicht absehbar, wie lange Gorbatschow sich noch an der Spitze der UdSSR wird halten können. Schlussendlich gelang dies und auch Frankreich, das in seiner Geschichte keine gute Erfahrung mit einem großen und starken Deutschland als Nachbarn gemacht hatte, konnte überzeugt werden, den Zwei plus Vier Vertrag zu unterzeichnen.
Doch wie sieht es heute aus? In Deutschland schallt der Spruch „Wir sind das Volk“ wieder durch die Straßen, jedoch in einem sehr hässlichen Kontext. War dieser Ausruf 1989 ein Ausdruck des Unmuts darüber, dass Wahlen manipuliert wurden und so die Bevölkerung hintergangen wurde, so wird er heute genutzt um Menschen, die nach Deutschland kommen, zu zeigen: wir sind das Volk und ihr gehört nicht dazu, wir wollen euch hier nicht. In Europa entsolidarisieren sich Staaten der EU, die selbst jedoch nach dem Zusammenfall der UdSSR und auch heute noch durch die Solidarität der anderen EU Staaten massiv profitierten. Man könnte im Jahr 2016 meinen, dass nichts aus der Vergangenheit gelernt wurde. West und Ost in Form von Russland und den USA rüsten beide wieder auf. Russland hält große Militärparaden mit atomaren Waffen auf dem Roten Platz in Moskau ab und die USA halten mit der Nato große Militärmanöver in Osteuropa ab. Beide treffen in Syrien aufeinander und verbal eskaliert das Verhältnis auf das schlechteste Niveau der vergangenen Jahrzehnte.
Wir brauchen wieder mehr Brandtsche Politik für eine neue Annäherung und mehr Solidarität. Ost und West in Deutschland, Europa und der Welt müssen sich die Hände reichen und so gegen den Terrorismus und die Entsolidarisierung gemeinsam vorgehen. Die politischen Maßnahmen mögen heute vielleicht unpopulär und teuer sein, sie werden sich aber in Zukunft bezahlt machen.

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