Brexit – eine unendliche Geschichte
Stöbert man dieser Tage durch die Nachrichten, um sich auf den neusten Stand der Dinge zu bringen, fragt sich vielleicht so manche*r was eigentlich aus dem Brexit geworden ist. Das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union beherrschte im Juni noch sämtliche Medien. Mir scheint – klamm und heimlich – hat sich der Brexit aus dem öffentlichen Blick geschlichen. Das Thema ist nicht mehr neu und sicherlich auch nicht mehr ganz so aufregend wie es noch um den 23. Juni, den Tag des Referendums, gewesen ist. Dass David Cameron zu Beginn der letzten Woche nach dem Rücktritt als Regierungschef auch sein Mandat im britischen Parlament niedergelegt hat, ist da nur noch eine Randnotiz wert. Zudem hat Theresa May, die amtierende Premierministerin, es bis zum heutigen Tag vermieden den Austritt nach Artikel 50 der EU-Verträge zu erklären. Vielmehr hat sie sogar laut FAZ durch ihre Sprecherin verkünden lassen, dass das Verfahren in diesem Jahr nicht mehr eingeleitet werde.
Am Freitag trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Union mit Ausnahme eines Vertreters aus Großbritannien in Bratislava, um über den weiteren Umgang mit dem Votum zu debattieren. EU-Kommissionspräsident Juncker machte dabei klar, dass keine Zugeständnisse bei der Freizügigkeit der EU-Bürger*innen gemacht würden, sollte Großbritannien seinen Zugang zum Binnenmarkt behalten wollen. Dies ist eine Reaktion auf britische Stimmen, die fordern, zwar weiter am Binnenmarkt teilzuhaben, aber dennoch die Immigration von EU-Bürgern zu beschränken. Die sogenannte Visegrad-Gruppe (V4), bestehend aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn, verkündete sogar, dass sie alles, was aus London kommt, blockieren wolle, sollten die eigenen Bürger*innen in Großbritannien ihr Arbeitsrecht verlieren. In Bezug auf den Artikel 50 des Lissaboner Vertrags bedeutet das schlimmstenfalls: Die V4 stimmen gegen das Abkommen zwischen Großbritannien und der EU, welches die weiteren Beziehungen regelt. Um dieses Abkommen zu beschließen wird im Rat immerhin eine qualifizierte Mehrheit benötigt. Der Rat ist außerdem befähigt einstimmig eine Fristverlängerung zu beschließen, die durch die V4 ebenfalls blockiert werden kann. Sollte keine qualifizierte Mehrheit erreicht und eine Fristverlängerung abgewendet werden, tritt der Worstcase für Großbritannien ein und sie scheiden ungeregelt aus der EU aus.
Doch schon jetzt kämpfen die Brit*innen mit den Folgen des Referendums. Wirtschaftlich gesehen ist schon die Abstimmung selbst höchst problematisch. Es werden bedeutend weniger Investitionen getätigt und eine Umfrage des Personalvermittlerverbandes REC stellte im August fest, dass es zu einem Rückgang neubesetzter unbefristeter Stellen gekommen ist, der mit der Rezession von vor sieben Jahren vergleichbar ist. Die derzeitige Unsicherheit ist Gift für eine Volkswirtschaft. Der Wert des britischen Pfundes, im Juni umgerechnet noch 1,50 US-Dollar, fiel nach dem Votum um über 15 Prozentpunkte auf 1,3 US-Dollar und hat sich seit dem nicht wieder erholt.
Trotz des zögerlichen Vorgehens der Brit*innen hat die EU-Kommission bereits ein Team zusammengestellt, welches ab dem 1. Oktober seine Arbeit aufnehmen und den Brexit verhandeln soll. Angeführt wird die Gruppe durch den Franzosen Michel Barnier. Stellvertreterin ist die Deutsche Sabine Weyand, die aufgrund ihres Fachwissens in Handelsfragen eine wichtige Rolle spielen dürfte.
Letztlich dreht sich jedoch immer wieder alles um Theresa May, die endlich Rückgrat zeigen und den Austritt erklären sollte. Ein Zurück gibt es nicht und ein von vielen Brit*innen gefordertes zweites Referendum ist völlig inakzeptabel. Es ist nicht möglich Wahlen oder Referenden so oft zu wiederholen bis einem das Ergebnis passt. Das muss allen klar werden. Ebenso war May völlig bewusst, in welcher Lage Großbritannien sich befand, als sie dessen Regierung übernommen hat. Lethargisch darauf zu warten, dass sich das Problem von selbst löst, kann nicht Sinn und Ziel sein! Je früher die Verhandlungen beginnen, desto eher wird sich die Wirtschaft stabilisieren. An dieser Stelle ist selbstverständlich nicht nur die britische gemeint, denn in Zeiten der Globalisierung trifft eine derartige Unsicherheit nicht nur die britische Wirtschaft, sondern die europäische.
Eng damit verknüpft sind die Bedürfnisse der britischen Bevölkerung. Ein schneller Beginn der Verhandlungen hat auch zur Folge, dass den Menschen, die derzeit in Unsicherheit über ihre Zukunft leben müssen, wieder Stabilität gegeben wird. Je schneller die Verhandlungen über die zukünftige Beziehung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien abgeschlossen werden können, desto schneller können die Menschen sich auf die neue Situation einstellen und Zukunftsängste hinter sich lassen. Die Austrittserklärung vor sich her zu schieben ist wie eine Hausarbeit, die man Semester für Semester unerledigt mitzieht. Wenn man sich endlich zusammengerissen und die Arbeit fertig gestellt hat, geht es einem besser, man kann wieder nach vorn blicken und sich neuen Aufgaben zuwenden. Bitte, Theresa May, tun Sie uns den Gefallen und geben Sie uns die Möglichkeit neue Projekte anzupacken!