Die Deutschen und das Geld

Was haben Windräder, Schiffscontainer und Immobilien gemeinsam? Ganz einfach: Alle drei wurden als Anlageformen genutzt – und alle drei endeten in finanziellen Desastern für tausende Kapitalanleger*innen in ganz Deutschland. Prokon beispielsweise, ein Unternehmen das jahrelang Geld einsammelte mit dem Versprechen, eine ökologische und sichere Alternative zu herkömmlichen Finanzprodukten zu bieten, hat Anleger*innen 42% ihres Geldes gekostet.. Die P&R-Gruppe, ein Münchner Finanzdienstleister, hatte in Schiffscontainern das scheinbar perfekte Produkt gefunden. Sie verkaufte sie und mietete sie zu festen Preisen zurück – die Anleger*innen erhielten regelmäßige Mieten und die Container wurden nach Ende der Laufzeit vom Unternehmen zurückerworben. Ein System, das nicht mehr funktionierte, weil der Markt für Container seit Jahren schwächelt und die Mietzahlungen die Einnahmen übertreffen. Insgesamt sind rund 51.000 Anleger*innen betroffen, das Insolvenzverfahren läuft seit dem 15. März diesen Jahres – der Ausgang ist ungewiss. Das Ende der S&K Immobilien hingegen ist mittlerweile bekannt: beide Gründer wurden wegen Untreue zu mehreren Jahren Haft verurteilt, der Schaden beträgt rund 240 Millionen Euro. Sie seien „zu gierig“ und „berauscht von vermeintlicher Genialität“ gewesen – ihre Anleger*innen glaubten ihnen die Versprechen von sicheren Anlagen mit Top-Renditen.

Gleichzeitig und scheinbar vollkommen unabhängig von solchen Geschehnissen, bei der rücksichtslose Unternehmen auf offensichtlich renditehungrige private Geldanleger*innen treffen, ist das Anlageverhalten der Deutschen so langweilig wie selten zuvor. Wobei – eines Teils der Deutschen. Denn die Vermögensungleichheit ist bedeutend höher als im restlichen Euroraum, entsprechend sind große Teile der Bevölkerung vom Thema Geldanlage vollkommen ausgeschlossen. Rund 30% besitzen keinerlei nennenswertes Nettovermögen1, besonders unter der Gruppe der Alleinerziehenden ist die Situation besonders prekär: Fast 25% weisen ein negatives Nettovermögen auf, sind also überschuldet2. Immobilienbesitz, oftmals Hauptbestandteil des Vermögens, bleibt finanziell schwächer gestellten Personen zumeist verwehrt: während die nach Nettovermögen reichsten 10% mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (91% der befragten Haushalte) ihren Hauptwohnsitz auch selbst besitzen, gilt dies für die ärmsten 20% nur in Ausnahmefällen (6%).Auch der Aufbau von Finanzvermögen, sprich Aktien, Anleihen oder Ansprüchen gegenüber Lebensversicherungen, bleibt in erster Linie den vermögenderen Schichten, vor allem aber natürlich den reichsten 10%, vorbehalten. Insbesondere der Aktienbesitz ist weiterhin fest in der Hand der Vermögenden und Einkommensstarken: während nur rund 10% der Haushalte insgesamt angaben, direkt Aktien zu besitzen, waren es unter den vermögendsten 20% fast ein Drittel.4

Generell aber lässt sich das Anlageverhalten der Deutschen als konservativ beschreiben. Trotz Ausnahmen, wie den eingangs erwähnten Geldanlagen am grauen Kapitalmarkt, der*die deutsche Anleger*in mag es sicher und möglichst liquide. Abgesehen von Immobilien liegt ein großer Teil des Kapitals auf Giro- und Sparkonten, zurzeit größtenteils zum Nullzins, in Versicherungsprodukten, und nur zum kleinen Teil in den riskanteren Anlageklassen, wie Aktien und Anleihen. Alles in allem ein trockener Mix, der gerade in der aktuellen Phase kaum Rendite bietet und damit auch kaum den eigentlichen Zweck erfüllt, nämlich Vermögensaufbau.

Das Geldvermögen im Land steigt zwar Jahr für Jahr, allerdings profitieren nur wenige. Natürlich ist es im Kapitalismus logisch, dass gerade diejenigen, welche sowieso bereits viel Geld erhalten oder besitzen, es leichter haben, Vermögen aufzubauen. Zusätzlich werden Personen mit niedrigem Einkommen in Deutschland sehr stark durch Konsumsteuern belastet – und nebenbei steigen die Mieten in weiten Teilen des Landes quasi unaufhörlich, mancherorts in schwindelerregende Höhen. Niedrige Löhne, die mittlerweile einen nicht unbedeutenden Teil der Beschäftigungsverhältnisse prägen, verhindern, dass Menschen sich ihr eigenes Haus leisten und sich für die Zukunft finanziell absichern können, schlichtweg also ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Deutschland ist kein gerechtes Land, es weigert sich, seine Reichen in die Pflicht zu nehmen und noch mehr weigert es sich, seine Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen – aus Angst vor dem meistens angedrohten „Arbeitsplatzabbau“, der gefälligst immer daraus zu resultieren hat. Was also tun? Nun, Parteien mit sozialem Profil wählen wäre ein erster Schritt, noch einen Schritt weiter ginge es, die finanzielle Bildung in der Bevölkerung zu verbessern – was diese sogar gut finden würde. So gaben fast 80% der Befragten einer Studie im Auftrag der ING Group an, finanzielle Bildung solle in der Schule erfolgen.5 Ins gleiche Horn stoßt eine Umfrage im Auftrag von Union Investment. Hier sieht eine absolute Mehrheit der Befragten Finanzbildung als relevantesten Bildungsbereich.6 Insbesondere die Themenbereiche Versicherungen, Altersvorsorge und Geldanlage mit Aktien oder Fonds sind den Befragten besonders wichtig. Insgesamt zeigt sich also, es besteht Nachholbedarf was die Kenntnisse über wirtschaftliche und betriebliche Zusammenhänge betrifft und auf die Fragen, wie man sich denn absichern kann gegen die Gefahren des Lebens. Nun sind zwei von Banken in Auftrag gegebene Studien nicht unbedingt vollkommen neutral – für die Finanzinstitute wäre es sicherlich von Vorteil, würden sich mehr Personen aktiv um ihre Finanzen kümmern und damit wohl auch mehr Dienstleistungen von Banken in Anspruch nehmen. Im Kern aber ist die geäußerte Kritik berechtigt: in deutschen Schulen wird nur unzureichend aufgeklärt über „die Wirtschaft“, über den Umgang mit Geld, über die Märkte und die Art, wie sie funktionieren, oder eben in Ausnahmefällen nicht. Das Wissen, warum denn manche Personen mehr Geld erhalten als andere (kleiner Tipp: es liegt nicht am Arbeitsaufwand), verhindert leider aber noch nicht, dass die Situation bestehen bleibt. Veränderungen muss man herbeiführen, sei es durch Gesetzesänderungen, sei es durch faktische Durchsetzung. Die IG Metall beispielsweise hat in der kürzlich abgeschlossenen Tarifrunde einmal mehr bewiesen, was eine Gewerkschaft mit genügend Rückendeckung durch Arbeitnehmer*innen erreichen kann.

Um zu verhindern, dass Unternehmen einerseits Dividenden in Millionenhöhe ausschütten, gleichzeitig aber stellenweise nicht einmal bereit sind, Tariflöhne zu bezahlen, braucht es nicht nur eine Politik, die willens dazu ist – es braucht in erster Linie eine Bevölkerung, die den Wunsch danach verspürt, die bereit ist, diesen umzusetzen und im Zweifel zu erzwingen. Und es gilt nicht nur, das Bewusstsein zu schaffen für nicht hinnehmbare Ungerechtigkeiten, es gilt auch, diese verständlich zu machen.

Insofern ist die Zeit gekommen, für wirklich nachhaltige Anstrengungen in der finanziellen Bildung. Nicht aus Gründen des Lobbyismus, nicht weil es gilt, Banken und Versicherungen das Geschäft zu erleichtern und den Menschen einzureden, jedes Finanzprodukt sei notwendig und gut. Nein, sondern um aufzuklären über die Mechanismen, die für jene Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten sorgen, welche leider zu oft aus dem Fokus des öffentlichen Diskurses geraten. Aufzuklären, warum Vorstände von DAX-Unternehmen teils zweistellige Millionengehälter erhalten, während gleichzeitig Arbeitsplätze abgebaut werden. Aufzuklären, wie es möglich ist, dass reiche Privatpersonen ihre Vermögen mithilfe von Briefkastenfirmen und Scheinverträgen in Steueroasen verschieben. Die aktuelle Situation, in der in erster Linie dem Willen und den Wünschen des Kapitals gefolgt wird, ist keine, welche sich nicht ändern lässt, sie ist nicht in Stein gemeißelt. Ohne den klaren Blick auf die Gegebenheiten, ohne das Wissen und die Möglichkeit, diese zu bewerten und für gut oder schlecht zu befinden, wird es im Kapitalismus nur einen Sieger geben. Oder, um es mit den Worten von ausgerechnet Warren Buffet, einem der bekanntesten Kapitalisten überhaupt, zu sagen: „There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.“7

Lassen wir nicht zu, dass diese Aussage ihre Richtigkeit behält.

2Ebenda, Seite 44

4Ebenda, Seite 72

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