Von der Kunst, zu verhandeln und dabei zu vergessen, was man tut

Ob ein Egon Bahr den Wandel durch Annäherung fordert, ein Churchill lieber schimpft als schießt – die Diplomatie überwindet politisch, kulturell oder historisch manifestierte Grenzen, um dort einen Dialog zu ermöglichen, wo sonst nur Funkstille und Feindseligkeit wären, ist bemüht, Krisen zu besänftigten und Eskalationen vorzubeugen. Aber kennt nicht auch die hohe Kunst des Verhandelns eine Schmerzgrenze, wenn Intention und Handeln sich in einer verzerrt und bizarr anmutenden Mélange wiederfinden? Steht und fällt die Vorbildlichkeit einer diplomatischen Unternehmung mit den eigentlichen Beziehungen, die sie zu kaschieren weiß?

An einem verregneten Freitag morgen, dem Ersten des Jahres 2018, begibt sich kein Geringerer als Victor Orban in die oberbayrische Provinz, um der Winterklausur der CSU-Landesgruppe beizuwohnen. Gemischter Art sind die Reaktionen hierauf, ist die politische Person Orbans doch mehr als kontrovers. Schon in den beiden vorherigen Jahren war Orban auf CSU-Klausuren geladener Gast – und nun ist er es wieder. Während Deutschland sich im Chaos der Regierungsbildung in Verhandlungsgeschick üben darf, scheint sich CSU-Parteichef Seehofer blendend mit Orban, zuletzt stark kritisiert wegen der drohenden Schließung der Central European University in Budapest und seiner Politik der geschlossenen Grenzen, zu verstehen. In Hinblick auf die Positionen der CSU dürfte diese allerdings eher weniger an einem Hand in Hand mit Ungarn im Sinne eines europäischen Miteinanders interessiert sein. In der Tat agierte die CSU sehr diplomatisch, will man die Diplomatie eindimensional als Verständigung mit friedlich gesinnten Mitteln definieren. So wurde weder Kritik an Orbans Innenpolitik, insbesondere in Bezug auf seinen Umgang mit kritischen Medien und Opposition, noch am Versuch Orbans bei einer Visite im bayerischen Landtag 2016, Journalist:innen gänzlich dem Gebäude fern zu halten, geäußert. „Partner müssen miteinander reden.“, so Seehofer, und es stehe nicht zu, sich in Angelegenheit Ungarns einzumischen. Nun liegt in eben dieser Aussage ein fundamentaler Irrglaube – denn das Gespräch mit europäischen Partnern:innen zu suchen, wie von Seehofer gefordert, setzt eine gewisse Gegenseitigkeit voraus. Das Handeln eines einzelnen Staatsoberhauptes beeinflusst längst nicht mehr bloß dessen Staatsgebiet, schert sich nicht um geographische Grenzen. Ebenso wenig wie globale und transnationale Gefahren einen Grenzstein zum Anlass nehmen, mit den Schultern zu zucken und einen U-Turn hinzulegen, sollten dies unsere Antworten auf Terrorismus, Wirtschaftskrisen und Klimawandel tun.

Zwischen dem, was uns gerne als Diplomatie verkauft wird, und einem unilateralen Arschkriechen im Sinne der Allgemeinheit verborgener Interessen, klafft ein tiefer Graben. Der Wolf im Schafspelz mag noch so viel für seine engen wirtschaftlichen Kontakte (sei es ein Tochterunternehmen der bayerischen Landesbank in Budapest oder ein ungarisches Audi-Werk) schleimen – mit einem Anschein von Völkerverständigung Einzelinteressen zu verschleiern scheint perfide. Auch mag die CSU angesichts der bevorstehenden Landtagswahl durchaus Interesse daran haben, der flüchtlingsfeindlichen Politik Orbans in die Hände zu spielen, gilt es doch der AfD Wähler:innen abzuzwacken. Wie gut der CDU das wohlige Beisammensein der CSU und Orban als ewiger Antipode Merkels in europäischen Fragen gefallen dürfte, ist eine ganz andere Frage.

Dabei darf die Kunst des sich schonend Ausdrückens nicht unterschätzt werden. So ist es ein wahrer Kampf, Kritik eines nunmehr positiv wahrgenommenen Unterfangens wie der Diplomatie diplomatisch zu formulieren. Fest steht, dass es unser Aller Anliegen sein sollte, im großen wie kleinen Rahmen das Gespräch auch mit denen zu suchen, die uns inhaltlich nicht nahe stehen. Es ist dabei uns überlassen, welches Ergebnis wir zu erzielen gedenken.

Kompromisse schließen bedeutet das Optimum der Kombination zweier Standpunkte zu finden. Fehlt das gewisse Quäntchen Standhaftigkeit einer der Parteien, wird aus einem Kompromiss bald eine trübe Farce, die zweifelsohne nicht mehr im Interesse beider Seiten sein kann. De facto muss Kompromissbereitschaft in jedem Fall auf Beidseitigkeit beruhen. Es sei denn natürlich, der masochistische Teil der Verhandelnden kann, à la GroK.O., mit den Konsequenzen seines sich Fügens leben. Im Zweifelsfall besteht Diplomatie darin, frei nach Nietzsche, die Sondierungspartner:innen so lange zu streicheln, bis der Maulkorb fertig ist.

Quellen : http://www.tagesschau.de/inland/orban-csu-105.htmlhttps://www.lr-online.de/nachrichten/politik/csu-geht-vor-sondierung-auf-konfrontationskurs-bei-migration_aid-7012353

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Ein Kommentar zu "Von der Kunst, zu verhandeln und dabei zu vergessen, was man tut"

  1. Steffi Lindinger sagt:

    Fantastisch geschrieben und wunderbar wohlüberlegt – danke für den Denkanstoß!