Niemand hat die Absicht, eine GroKo einzugehen!
Die Sondierungen sind gescheitert.
Diese Nachricht hätten sich wohl viele Jusos, Basis-Mitglieder und SPD-Wähler*innen heute Morgen gewünscht. Stattdessen: Ciao Bürger*innenversicherung, hallo Obergrenze!
Nach fünftägigen Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD steht fest: Die Parteispitze möchte eine erneute Große Koalition. Von der angekündigten Ergebnisoffenheit auf Seiten der SPD keine Spur mehr, kein Wort, keine Erklärung dazu. Diese war zwar mal Bedingung für die Gespräche, und für viele Parteitagsdelegierte der Grund, den Gesprächen überhaupt zuzustimmen, aber was interessiert den Parteivorstand schon sein Geschwätz von gestern. Die von vielen favorisierte Minderheitsregierung – möglicherweise sogar toleriert durch die SPD – scheiterte anscheinend bereits vorher daran, dass Angela Merkel keinen Bock darauf hatte, sich aktiv Mehrheiten suchen zu müssen. (Hätte ich an ihrer Stelle zwar natürlich auch nicht, wenn ich derart ideen-, fantasie- und visionslos wäre, aber wenigstens hätte ich den Anstand, es nicht derart raushängen zu lassen.)
Vor der Verkündung der Ergebnisse waren sich die meisten Berichterstattenden einig, dass es vermutlich so laufen würde, wie beim letzten Mal: Die Union könne durchregieren, müsse aber ein paar große sozialdemokratische Projekte mittragen, wie damals beispielsweise den Mindestlohn. Seltsamerweise kam es anders. Das Ergebnispapier der Sondierungen zeigt zwar, dass Angela Merkel vergleichsweise stressfrei durchregieren könnte, und insbesondere die CSU einige ihrer Herzensprojekte im Falle einer Koalition durchsetzen dürfte, doch ein sozialdemokratischer Meilenstein ist nicht zu finden. Nicht einmal die Bürger*innenversicherung, die für viele als unverzichtbar galt, hat es in die Sondierungsergebnisse geschafft. Stattdessen eine Obergrenze von maximal 180 000- 220 000 Menschen, die pro Jahr nach Deutschland zuwandern dürfen (ausgenommen Asylsuchende und Geflüchtete, die unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen). Der Parteivorstand weigert sich in Teilen, das als Obergrenze zu bezeichnen. Diese Ansicht darf mir gerne erklärt werden.
Desweiteren soll Frontex zu einer „echten Grenzschutzpolizei“ ausgebaut und bis dahin Binnengrenzkontrollen akzeptiert werden. Subsidiär Schutzbedürftige können sich auf weitere Monate des Bangens um Angehörige einstellen. Gerade einmal 1000 Familienangehörige dürfen pro Monat nachgeholt werden. Der Bereich Flucht und Migration ist also mit sozialdemokratischer Gesinnung schlicht nicht zu vereinbaren. Ich bin 2015 – auf dem „Höhepunkt der Flüchtlingskrise“ wie es manch eine*r melodramatisch nennt – in die SPD eingetreten, aus dem einzigen Grund, dass eine solidarische Herangehensweise der EU die Lösung aller imaginärer und realer Probleme wäre. Kurz darauf stimmte die SPD-Bundestagsfraktion dem Asylpaket II zu, und ich schämte mich zum ersten Mal für meine Impulsentscheidung. Diese Sondierungsergebnisse sind aus meiner Sicht aber um ein vielfaches schlimmer. Sie versuchen in vorauseilendem Gehorsam der AfD das Wasser abzugraben, obwohl es sich inzwischen so häufig bewiesen hat, dass jeder weitere politische Rechtsruck den rechten in die Karten spielt. Dass ausgerechnet die SPD, die sich doch (völlig zu Recht) so oft auf Otto Wels beruft, dabei mitmacht, sollte jedem*r Sozialdemokrat*in die Tränen in die Augen treiben. Hinzu kommt, dass die SPD vor lauter angeblicher „staatspolitischer Verantwortung“ (was auch immer das sein soll, außer „jo, SPD, könnt ihr uns aus der Scheiße helfen?“) der AfD die Oppositionsführerschaft im Deutschen Bundestag überlässt. Traditionellerweise entsendet die größte Oppositionspartei den*die Vorsitzende*n des Haushaltsausschusses des Bundestags und bringt in Debatten die erste Erwiderung. Es ist für mich völlig unverständlich, wie die SPD es zulassen kann, einem Haufen Rechtspopulist*innen, Rechtsradikaler und Nazis diese Machtoptionen auf dem Silbertablett zu servieren.
Aber zurück zu den inhaltlichen Kritikpunkten. Es ist natürlich – wie immer – nicht alles schlecht an dem Papier. So hat es zum Beispiel die Mindestauszubildendenvergütung in die Ergebnisse geschafft, genauso wie das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Wie – das kommt bekannt vor? Natürlich kommt es bekannt vor, schließlich stand dieses Recht schon im letzten Koalitionsvertrag, bis die Union mal wieder die Lust daran verlor, etwas für Frauen zu tun, und das Gesetz blockierte. Aber diesmal wird alles anders. Versprochen! Diesmal hält sich die Union an Absprachen. So wie an die Absprache, Stillschweigen zu wahren, die nicht einmal zwei Tage galt. Dann fand es Armin Laschet, NRWs Ministerpräsident, nämlich spannender, auf einer Veranstaltung schon mal ein bisschen was auszuplaudern. Eine äußerst vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre muss das also gewesen sein. Ich bin beeindruckt. Hinzu kommt der inhaltliche Aspekt, den Laschet da aus dem Nähkästchen plauderte: Die Klimaziele für 2020 seien nicht mehr zu halten. Und das keinen Monat, nachdem Martin Schulz auf dem SPD-Bundesparteitag den Klimaschutz zu einem Hauptanliegen der modernen Sozialdemokratie erklärte. (Angela Merkel bestärkte die Ziele übrigens kurz vor der Wahl ebenfalls – aber was das bedeutet, hat uns spätestens die Maut gezeigt.) Als großer Schritt für die Umwelt wurde stattdessen die Einschränkung des Einsatzes von Glyphosat gefeiert. Kommt bekannt vor? Natürlich kommt es bekannt vor, schließlich stimmte CSU-Minister Schmidt noch vor wenigen Wochen gegen eine Einschränkung dieses Mittels in der EU – entgegen Absprachen mit SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks. Aber diesmal wird alles anders. Versprochen!
Alles in allem kann von einer Erneuerung keine Rede sein. Ein offensichtlicheres „Weiter so“ ist kaum vorstellbar, egal was Martin Schulz und Angela Merkel uns einzureden versuchen. Grüße an dieser Stelle auch nochmal an Martin Schulz, der uns am Wahlabend mit seiner Zusage zur Opposition endlich auf bessere Zeiten hoffen ließ.
Mein Dank gilt allen Mitgliedern des Parteivorstands, die eine Empfehlung der Großen Koalition abgelehnt haben, wie auf bayrischer Seite Johanna Uekermann und Uli Grötsch. Für uns heißt es jetzt kämpfen: Für jede Nein-Stimme auf dem Parteitag am 21. Januar, gegen die Koalitionsverhandlungen, und notfalls für jede Nein-Stimme gegen die Große Koalition im Mitgliederentscheid.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse, inklusive des ganzen Papiers als PDF, findest du hier.
Außerdem lohnt sich ein Blick in die Pressemitteilung der Jusos Bayern für mehr Infos.
Du willst uns im Kampf gegen die GroKo unterstützen? Hier kannst du beitreten und bei einem Mitgliederentscheid mit Nein stimmen.
In den sozialen Netzwerken Farbe bekennen? Kein Problem! Hier gibt es jede Menge Vorlagen für Facebook und Twitter.