Die Zollpolitik ist zurück. Schon überwunden geglaubt nach erfolgreichen WTO-Verhandlungsrunden, und dem Traum von freiem, fairem Handel näher als früher, setzt nun wieder eine handelspolitische Eiszeit ein. In Wild-West Manier fuchtelt US-Präsident Trump mit seiner Handelspolitik herum wie mit einer Pistole und schießt blind gegen alles und jeden. Heute mal gegen die EU, China und andere Handelspartner im Streit um Handelsüberschüsse. Zur Zeit setzt er der EU und anderen die Pistole auf die Brust und droht mit Strafzöllen auf Aluminium und Stahl.

Zwischenstand: USA 1, EU 0

Am Dienstag hat Donald Trump die Entscheidung über die Strafzölle auf europäischen, mexikanischen und kanadischen Stahl und Aluminium um vier Wochen auf 1. Juni vertagt. Der US-Präsident ordnete im März 2018 zusätzliche Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium an. Grund hierfür sei die nationale Sicherheit. Importe seien existenzbedrohend für die heimische Branche; diese sei aber wegen ihrer Bedeutung für die Streitkräfte und Infrastruktur essenziell für die Sicherheit des Landes. Die Handelsbarrieren sollen die inländische Produktion so stärken, dass die USA weniger abhängig von ebendiesen Importen ist. Vertreter aus Brüssel, Ottawa und Mexiko-Stadt versuchen in Verhandlungen mit Washington einen Kompromiss und eine dauerhafte Ausnahme zu erzielen. Für den Fall, dass die Strafzölle doch noch in Kraft treten, hat die EU bereits Gegenmaßnahmen wie Zölle auf verschiedene US-Güter angekündigt.

Doch wieso wird sofort von einem Handelskrieg gesprochen? Am Beispiel Stahl sieht man die Auswirkungen der Strafzölle auf Europa. Einerseits steigen die Stahlpreise in den USA, da Importe nun mit einer „Steuer“ belegt werden. Stahlproduzent:innen aus dem Rest der Welt können jetzt nicht mehr mit US-amerikanischen Unternehmen auf dem US-Markt konkurrieren, da sie vergleichsweise teuer werden. Es wird weniger Stahl in die USA verkauft und das Angebot dort verknappt sich. Deswegen können inländische Unternehmen nun deutlich höhere Preise verlangen.

Exkurs: Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser Handelspolitik in den USA?

 

US-amerikanische Firmen, die diesen Stahl kaufen und weiterverarbeiten, und – in zweiter Konsequenz – auch amerikanische Konsument:innen tragen die höheren Kosten, die durch die Strafzölle entstehen. Stahlproduzent:innen und –arbeiter:innen profitieren hingegen von den höheren Preisen und der geringeren Konkurrenz. „America first“ bedeutet in diesem Fall wohl eher „US-Stahlindustrie first“. Genau deshalb ist die Kritik auch innerhalb der Vereinigten Staaten groß. Gesamtökonomisch betrachtet ist diese Politik nämlich trump’scher Unsinn: Strafzölle, sind ein Schuss, der nach hinten losgeht.  Konsument:innen leiden, Unternehmen, die Stahl als Vorprodukt verwenden, leiden auch und die Zolleinnahmen, die neu generiert werden, können dies nicht wettmachen. Trump, der sich als Beschützer amerikanischer Stahl-Arbeitsplätze inszeniert, vergisst, dass diese nun in anderen Bereichen der Wirtschaft abgebaut werden.

Andererseits können Produzenten aus dem Rest der Welt jetzt weniger exportieren, da sie durch den Zoll künstlich weniger konkurrenzfähig gemacht worden sind. Wenn der Nachfrageeinbruch in den USA sehr groß ist, d.h. wenn die USA zuvor sehr viel Stahl und Aluminium importiert hat, können die Preise auf dem Weltmarkt sogar sinken. Für die europäische Stahlindustrie wäre das sehr negativ.

Neben den Zöllen an sich, ist auch die Art und Weise der eventuellen Einführung problematisch: Firmen versuchen sich natürlich auf die Handelspolitik zu reagieren. So werden sie z.B. weniger in Europa investieren, wenn sich die Gewinnaussichten wegen der Zölle hier verschlechtern. Auch US-Firmen werden sich wegen der erwarteten Verteuerung der Produktionsinputs nach Alternativen umsehen. Da Präsident Trump nun aber die Entscheidung weiter in die Zukunft verlegt hat, können sich Konsument:innen und Firmen noch nicht oder nur unter Spekulationen auf die Veränderungen vorbereiten. Zu Recht kritisiert die EU-Kommission: „Die US-Entscheidung verlängert die Unsicherheit auf den Märkten.“

Zudem darf man nicht einfach nur die ökonomischen Auswirkungen der amerikanischen Zölle heute betrachten, sondern muss auch deren längerfristige Folgen miteinbeziehen. Bereits jetzt hat die EU vor Vergeltungszölle auf US-Importe zu erheben. Ein immer weiter eskalierender Handelskrieg scheint nicht weit.

Aus diesen Gründen versucht die EU, z.B. durch Verhandlungen und US-Besuche von Macron und Merkel, die drohenden Zölle abzuwehren. Bis jetzt nur mit kleinen Erfolgen.

Faktencheck: US-amerikanische und europäische Zölle im Vergleich

 

Doch was steckt hinter den Zolldrohungen? Trump beklagt ein generelles, eklatantes Ungleichgewicht im Warenverkehr mit Europa. Dies misst er am hohen EU-Überschuss im Handel mit den USA: 2017 waren es etwa 120 Milliarden Euro. Zudem wirft der US-Präsident den Europäern vor, deutlich höhere Zölle als die USA zu erheben, z.B. auf Autoimporte. Hat er Recht? Leider ja.

Die EU ist nicht das Paradies für Freihandel, für das sie sich gerne hält, insbesondere im Vergleich mit den USA. Die folgende Tabelle zeigt: Der ungewichtete Durchschnittszoll der EU liegt bei 5,2%, jener der USA bei 3,5%, wie das ifo Institut berichtet. Das bedeutet, dass die EU insgesamt höhere Zölle erhebt als die Vereinigten Staaten. Außerdem verbergen diese Durchschnittswerte hohe Zollspitzen in vielen wichtigen Branchen, wie etwa in der besagten Automobilindustrie. Wenn Präsident Trump also über „massive Zölle“ klagt, hat er zumindest teilweise nicht Unrecht.

Vergleich: Europäische vs. US-Zölle

Der Exportweltmeister Deutschland sollte sich hier vielleicht einmal an die eigene Nase fassen. Lebt die deutsche Wirtschaft und Regierung eine aggressive Exportkultur? Um diese Frage abschließend zu beantworten, könnte man einen zweiten Artikel über europäische Exportsubventionen an die Agrarwirtschaft, die viel zitierten Milchseen und Butterberge, deutsche Lohnzurückhaltungen, und, und, und, schreiben.

Strukturelle Ungleichgewicht im Welthandel hin oder her, Strafzölle sind nicht die richtige Antwort. Ganz im Gegenteil: ein Rückschritt. Sie legen Welthandelsströme und damit die internationale (Wirtschafts-)Zusammenarbeit auf Eis und befeuern nationalistische Ressentiments á la Trump. Seine „America first“-Politik verfolgt ein bestechend einfaches Muster: Finde Schuldige für einen Missstand und tu das, worin Trump am besten ist: diskriminiere sie, mobbe sie, schließe sie aus. 2017 war es unter anderem der sog. „Muslim ban“, der Bürgern aus einigen mehrheitlich muslimischen Staaten die Einreise in die USA verbot; Schuld seien sie am Terror. Heute sind es Handelsprodukte aus dem bösen Europa und China; Grund für den Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand, wie argumentiert wird. Was wird es morgen sein?

Stein für Stein setzt Trump sein Wahlversprechen einer Mauer um. Doch nein, der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko stockt, weil vom Kongress noch nicht genug Geldmittel freigegeben wurden. Die Mauer, die der US-Präsident viel erfolgreicher baut, ist die Mauer in den Köpfen unserer Gesellschaft. Jedes Mal, wenn Twitter-Trump Tiraden gegen wen auch immer verfasst, wird es ein Stück normaler und gewohnter in seinen Kategorien zu denken: Wir gegen die anderen. Nicht wir alle gemeinsam und solidarisch für eine bessere Welt, sondern halt „America first“. Auch gerne auf Kosten anderer.

Es ist die Ironie unserer Zeit: Noch nie war die Welt so globalisiert, so vernetzt und Entfernungen so nah. Und gleichzeitig scheinen manche Mauern unüberwindbar wie eh und je.

Wir Genoss*innen kennen sie gut, beliebt sind sie nur bedingt, gut besucht nur selten – die guten alten Bürger*innen-Stammtische des Ortsvereins. In Niederbayern in der schwarzen Diaspora  haben sich zudem kommunalpolitisch die Freien etabliert und es  kämpfen leider einige Ortsvereine der SPD ums Überleben. Dabei ist der politische Diskurs absolut notwendig, wenn die Parteibasis vor Ort „politisieren“ möchte. Im September haben wir uns im Ortsverein Eggenfelden über einige essentielle  Themen der Bundespolitik unterhalten. Ohne den anwesendem Heimatabgeordneten Florian Pronold – ganz unter uns Genoss*innen des Ortsvereins und einem politisch interessierten Gewerkschafter, wohnhaft in einem Ort ohne aktiven SPD-Ortsverein. Mein fleißiger und rhetorisch wirklich grandioser Stellvertreter Thomas Asböck und ich haben den Stammtisch vorbereitet. Unser Ziel war es, dass zum Thema Freihandelsabkommen, Gesundheits- und Pflegepolitik sowie Verteilungsfragen und soziale Schieflagen diskutiert wird und selbstverständlich auch Forderungen formuliert werden können.

Eggenfelden gehört zum Bundestagswahlkreis Rottal-Inn, der die Landkreise Rottal-Inn und Dingolfing-Landau umfasst. Direkt gewählter Abgeordneter ist seit 1994 Max Straubinger von der CSU. Aus meiner Sicht überwiegend ein „Dampfplauderer“, der erst seit knapp zwei Jahren zur Höchstform aufgelaufen ist und seiner wahren Bestimmung voller Eifer nachgeht. Als Präsident des Deutschen Instituts für Reines Bier e.V.. Seitdem lässt er wirklich kein Bierzelt mehr aus. Irrwitzig finde ich auch, dass der langjährige „Sozialexperte“ der CSU mindestens 100.000 Euro jährlich als Allianz-Generalagent „hinzuverdient“, wie ein bedürftiger Aufstocker, der von seiner Vollzeitarbeit nicht leben kann. Aufgefallen ist Straubinger zudem mit völlig unsäglichen Äußerungen, dass er gerne geflohene Menschen wieder nach Syrien schicken möchte, da es auch dort Orte geben soll, an denen man leben könne. Mich würde es nicht wundern, wenn er einen Vertrag mit dem syrischen Tourismusverband eingegangen ist – dieser wirbt ja bekanntlich mit dem Slogan: „Syria Always Beautiful“.

Zurück zum Bürger*innen-Stammtisch in Eggenfelden. Unsere wohlgeschätzte und stets geschliffen redende Genossin Swoboda merkt an, dass sich bei ihr, je mehr sie lese, manchmal Ernüchterung breit mache. Und unsere Sozialistin, Jahrgang 1928, liest noch täglich den Rottaler Anzeiger – ein Blatt, das man halt so liest, und zusätzlich die Süddeutsche. Damit liest sie vermutlich mehr Tageszeitungen als 90% der Rottaler*innen – aber sie ist eben auch eine Sozialistin.

Ein Dorn im Auge ist uns Genoss*innen der Abkehr von der paritätischen Finanzierung der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung. Der Arbeitgeberanteil ist eingefroren, der Arbeitnehmer*innenanteil kann bedarfsweise – wenn ich dieses Unwort schon höre,  erhöht werden. Dies trifft die Menschen hier vor Ort natürlich stark  und es kann niemand nachvollziehen, weswegen hier die schwächeren Schultern mehr zu leisten haben wie die stärkeren Schultern. Thomas Asböck erläutert, dass Max Straubinger in der Vergangenheit öffentlich Stellung für die Arbeitgeberseite bezogen hat. Die Unternehmen würden mit  dem Privileg der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ja bereits besondere Risiken in Kauf nehmen und wären so schon ausreichend belastet. Ein Argument bei dem mir der Mund offen stehen bleibt. Hier sind wir uns unisono einig: Die Rückkehr zur paritätischen Beitragsfinanzierung für die gesetzliche Krankenversicherung ist eine dringende Notwendigkeit. Ich stelle kurz das Konzept der Bürger*innen-Versicherung vor und verdeutliche, wie wichtig es ist diesen Systemwandel jetzt zu vollziehen. Tom Asböck verdeutlicht, dass dies im Jahr 2005 unser Hauptthema beim Bundestagswahlkampf war. Seitdem ist viel Wasser die Rott hinunter geflossen, wie ich finde. Als kleine aktuelle Ergänzung vom gestrigen Samstag, 08. Oktober  sei zu meiner Verwunderung gesagt, dass laut unseres erneut aufgestellten Bundestagskandidaten Florian Pronold das Thema Bürger*innen-Versicherung eines der zentralen Themen des Bundestagswahlkampfes werden wird.

Die Debatte am Stammtisch um die gesetzliche Krankenversicherung geht weiter und Karl Riedler ergreift das Wort. Er spricht sich deutlich für die eingangs diskutierte Bürger*innen-Versicherung aus. Riedler, ausgezeichnet mit der Georg-von-Vollmar-Medaille, sitzt seit 50 Jahren im Eggenfeldener Stadtrat und war 12 Jahre lang Erster Bürgermeister von Eggenfelden, zuvor Direktor der AOK Eggenfelden. Unser „Tscharlie“ fehlt bei fast keinem politischen Stammtisch des Ortsvereins und ergreift auch noch immer im Stadtrat das Wort, wenn die Schwarzen, die Freien oder Unabhängigen das „Soziale“ mal wieder nicht so wichtig nehmen. Die Bürger*inne-Versicherung diene einerseits als solidarisches Versicherungsmodell und andererseits als klare Abgrenzung zur CDU und vor allem zur CSU. Das ist es, was Karl Riedler so wichtig erscheint. Hier kann ich ihm nur voll und ganz beipflichten. Ich stelle jetzt nicht die Frage, wie das unser Bundestagsabgeordneter Max Straubinger sieht, wo er doch über 100.000 Euro pro Jahr mit seiner Allianz-Generalagentur einfährt. Ist mir auch ziemlich egal, wie der das findet. Ein Kapitalist, der das eigene Kapital schwinden sieht, der jammert immer.

Ganz aktuell, zwei Tage nach dem Parteikonvent zu CETA, wird unser Stammtisch abgehalten. Hierbei habe ich mich ganz deutlich geäußert, dass ich die roten Linien überschritten sehe und daher das Abstimmungsverhalten unseres SPD-Landesvorsitzenden Florian Pronold nicht nachvollziehen kann. Da Florian Pronold seit 2002 für unseren Bundestagswahlkreis Abgeordneter ist, verfolgen wir den Wandel vom linken Juso-Abgeordneten zum Staatssekretär besonders kritisch. Irgendwie ist es ihm aus meiner Sicht nicht ausreichend gelungen, sich hier im Wahlkreis ein eigenes Profil zu erarbeiten, das ihn zum „Kümmerer für die kleinen Leute im Rottal, im Inntal oder im Vilstal“ auszeichnet. Zum Glück ist er in letzter Zeit als parlamentarischer Staatssekretär sehr engagiert, was auch der Stadt Eggenfelden bereits zu Gute kam. Immerhin haben wir 2,5 Millionen Euro für ein zukunftsweisendes Förderprojekt erhalten. Jetzt muss „nur“ noch die Eggenfeldener Stadtpolitik einen richtig guten Job machen. Eggenfeldens rote Bürgermeisterin (3. Bürgermeisterin) Johanna Leipold ist ebenfalls, im Anschluss an einen wichtigen kommunalpolitischen Termin, noch bei unserem Stammtisch erschienen. Sie möchte den Dialog mit Florian Pronold suchen und ihn fragen, was ihn zu seinem Abstimmungsverhalten bewogen habe. Das direkte und offene Wort von Johanna schätze ich wirklich sehr. Sie ist eine leidenschaftliche Kommunalpolitikerin, die aber auch die Entscheidungen im Deutschen Bundestag stets kritisch hinterfragt. Leipold stand einer großen Koalition deutlich weniger skeptisch gegenüber als ich, weil sie überzeugt zu sein scheint, dass die Kompromisse, die die SPD der Union abringen konnte, ganz wichtig sind für die Menschen auch hier vor Ort.

„De do obn und mia do untn“ ist  für mich schon fast das Unwort des Jahrzehnts. Mir ist es viel zu einfach, den Abgeordneten oder dem Parteivorstand den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben. Für mich als Sozialist verläuft das „Wir“ und das „Die“ immer noch zwischen Arbeiter*innen/ Arbeitnehmer*innen/ Beamt*innen/ prekär Beschäftigten/ Freiberufler*innen/ Rentner*innen/ usw. auf der einen Seite und den Kapitalist*innen auf der anderen Seite. Wenn wir es zulassen, dass das Spannungsfeld zwischen „Uns“ und den Parlamentarier*innen weiter so leidenschaftlich abgesteckt wird, dann können letztendlich nur die Kapitalist*innen und die faschistischen Kräfte gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervor gehen. So viel Selbstkritik muss sein. Wir Sozialist*innen müssen wieder den „Klassenkampf wagen“ gegen Großkonzerne und das kapitalistische Unternehmertum. Natürlich können wir als Basis mitentscheiden, wen wir als Bundestagskandidat*innen nominieren und wie wir uns mit der bayerischen Listenreihung präsentieren wollen. Einerseits ein weiter so mit der Union oder andererseits einem r²g-Bündnis. Weshalb dann von unserer gestrigen Bundeswahlkreiskonferenz mehrheitlich eine hauptamtliche Mitarbeiterin zur Listenreihung entsandt wird bleibt mir ein unverständliches Rätsel

Zurück zu unserer Genossin Martha Swoboda und unserer Veranstaltung in Eggenfelden. Sie sei sich dessen bewusst, dass wir hier von unserem Stammtisch aus die Bundespolitik nicht verändern können. Aber wichtig ist es ihr schon, dass wir das Wort ergreifen und Alternativen zu den kapitalistischen Auswüchsen aufzeigen.

In rund zwei Wochen werden wir uns erneut zum Stammtisch verabreden. Es wird dann unsere SPD-Stadtratsfraktion über aktuelle Themen aus dem Rathaus berichten und offene Fragen beantworten. Immerhin sind wir in Eggenfelden wieder zweitstärkste Kraft hinter den Schwarzen und dürfen 5 Stadträt*innen stellen, aber verglichen mit den vergangenen Jahrzehnten und langjährigen absoluten Mehrheiten werden wir im Jahr 2020 erneut um jede Stimme kämpfen müssen. Damit es uns gelingt am Ball zu bleiben, versuchen meine Mitstreiter*innen und ich den Ortsverein so engagiert wie möglich zu führen.

Benjamin Lettl,
Vorsitzender des SPD Ortsvereins Eggenfelden
Kreisvorsitzender der Jusos Rottal-Inn

Wie die Europäische Union afrikanische Staaten zur Öffnung ihrer Märkte zwingt

Am 17. September finden in sieben deutschen Großstädten zentrale Kundgebungen gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP statt. Unmittelbar danach diskutiert die SPD am 19. September auf einem Parteikonvent über CETA. Bei den Demonstrationen geht es um den Protest gegen das fertig ausverhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA, Comprehensive Economic and Trade Agreement), sowie gegen das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership). Kritiker*innen befürchten unkontrollierbare Nachteile für die europäischen Verbraucher*innen und eine Unterminierung des demokratischen Selbstbestimmungsrechts der teilnehmenden Staaten. Es geht, kurz gesagt, um die Frage, ob kanadische und us-amerikanische Unternehmen gegen evtl. bestehende Handelshemmnisse in den EU-Staaten vor privaten Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen können. Beide Vertragstexte sehen diese Möglichkeit momentan vor. Die Angst vieler Bürger*innen, Verbraucherschutzorganisationen, sozialen Initiativen und Verbänden vor den Risiken dieser Handelsabkommen scheint also mehr als berechtigt und mündet in der omnipräsenten Forderung nach einem „fairen Welthandel“.

Ich teile den Protest gegen TTIP und CETA und ich gebe zu, dass ich persönlich eher generell – und nicht etwa erwartbarer Nachteile wegen – gegen solche umfassenden Freihandelsvereinbarungen bin. Meine Überzeugung ist, dass auch in einer globalisierten Welt der Primat der Politik, also der Vorrang der Politik vor allen anderen Gesellschaftsbereichen, z.B. der Wirtschaft, gelten muss. Woran ich mich bei den aktuellen Kampagnen störe, ist der Ruf nach einem fairen Welthandel. Man sei ja nicht grundsätzlich gegen Handelsabkommen, nur müssten die eben „fair“ ausgestaltet sein. Zum ersten Mal fürchten wir Europäer*innen also, im Kräftemessen mit großen Wirtschaftsnationen wie Kanada oder den USA, die Benachteiligten zu sein.  Doch was ist eigentlich mit vergleichbaren Vereinbarungen, die die EU mit vielen deutlich weniger potenten Staaten abgeschlossen hat oder gerade verhandelt?

Der Öffentlichkeit großteils verborgen ist das Bestreben der Europäischen Union, sich ungehinderten Zugang zu den Märkten vieler afrikanischer (und anderer) Entwicklungsländer zu verschaffen. Grundlage dafür ist das sog. „Cotonou-Abkommen“ (Cotonou, Hauptstadt von Benin, Westafrika) zwischen der EU und 79 AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik), welches seit 2003 in Kraft ist. Präferierte Handelsbeziehungen zwischen diesen Staaten und der EU (bzw. den EG-Staaten) gab es auch schon früher, handelte es sich bei den AKP-Staaten doch weitgehend um ehemalige europäische Kolonien. Sie waren in den sog. Lomé-Abkommen (I – IV, von 1975 bis 2000) geregelt und hatten einen wesentlichen Unterschied zu der Situation heute: sie waren nicht reziprok, d.h. nicht wechselseitig angelegt. So erhielten die afrikanischen Staaten zwar bevorzugten Zugang zum europäischen Markt, die EG/EU allerdings verzichtete im Bereich der Industrie vollständig und auch im Bereich der Landwirtschaft überwiegend auf Marktzugang in Afrika. Außerdem gewährte die EG den afrikanischen Ländern eine Versicherung für Exporterlöse. Sanken diese aufgrund eines Preisverfalls am Weltmarkt, nahm die EG Ausgleichszahlungen vor. Dieses System eines einseitigen und bevorzugten Marktzugangs afrikanischer Staaten in Europa kollidierte allerdings mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO und wurde von dieser mehrmals scharf kritisiert. Im Abkommen von Cotonou kam man nun überein, diese nicht reziproken Vereinbarungen schrittweise durch WTO-konforme Verträge zu ersetzen, was eine Liberalisierung des Handels und damit einen wechselseitigen Marktzugang EU <> Afrika zur Folge hat.

EU und AKP-Staaten / Quelle: europarl.europa.eu

Es gibt bereits eine ganze Reihe solcher neuer Handelsverträge, sog. EPAs (Economic Partnership Agreement). Manche sind bereits in Kraft, andere sind bereits paraphiert aber noch nicht ratifiziert und wieder andere werden gerade noch verhandelt. Die Europäische Union führt als Grund für ihre Kehrtwende bei den Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika vorzugsweise die WTO-Konvergenz an. Hauptsächlich aber dürften andere Motive ausschlaggebend sein:

  • der dauerhafte und uneingeschränkte Zugang zu Afrikas Rohstoffvorräten
  • neue Absatzmärkte für EU-subventionierte Lebensmittelüberproduktion
  • Absicherung europäischer Exporte gegen die aufstrebende Konkurrenz aus dem Fernen Osten.

In Bezug auf den letzten Punkt soll der ehemalige EU-Handelskommissar De Gucht daheim in Belgien vor Handelsverbänden und im belgischen Fernsehen davon gesprochen haben, dass man „China nicht einfach so den ostafrikanischen Markt überlassen“ dürfe. Werden die EPA-Vereinbarungen konsequent umgesetzt, bedeutet dies schwerwiegende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung vieler afrikanischer Staaten. In ohnehin unterentwickelten Ländern werden Hunger und Armut nochmal weiter zunehmen, aber auch leistungsfähigere Ökonomien wie z.B. Kenia werden hart getroffen. Die Vertragsbedingungen sehen vor, dass die teilnehmenden EPA-Länder ihre Märkte künftig bis zu 83% für europäische Importe öffnen müssen. Nur 17% ihrer eigenen Produktlinien bleiben dann noch vor der Konkurrenz aus Europa geschützt. Innerhalb der kommenden 15 Jahre müssen die Einfuhrzölle für Waren aus der EU komplett abgeschafft werden.

Das Problem dabei: keine der afrikanischen Ökonomien kann auch nur annähernd mit den hocheffizienten und rationalisierten Volkswirtschaften Europas mithalten. Gerade die deutsche Volkswirtschaft gilt als eine der am höchsten entwickelten weltweit. Dies bekommen regelmäßig bereits unsere europäischen Handelspartner im gemeinsamen Binnenmarkt zu spüren, wenn unsere Exportüberschüsse bei ihnen immer größere Verbindlichkeiten verursachen. Andrew Mold, der Handelsexperte der UN-Wirtschaftskommission für Ostafrika, ist überzeugt: Der zollfreie Handel wird bestehende Industrien in Afrika gefährden und die Entwicklung neuer Industriezweige auf Jahrzehnte blockieren. In der Landwirtschaft werden massenweise Existenzen vernichtet. Die Subventionspolitik der europäischen Lebensmittelproduktion, kombiniert mit niedrigen Herstellungskosten durch Lohndumping, ringt jede afrikanische Kleinbäuerin und jeden afrikanischen Kleinbauern nieder. Da wirkt es fast schon wie Ironie, dass Europas Landwirtschaft im Lichte der TTIP-Verhandlungen selbiges in Bezug auf die riesigen US-Cattlefarmen fürchten muss…

Neben der Verpflichtung zum Abbau von Einfuhrzöllen verbietet der EPA-Vertragstext aber auch das neuerliche Erheben von Exportsteuern, was die Länder Afrikas der Möglichkeiten beraubt, gegen Rohstoffspekulationen von außen vorzugehen und einheimische Verarbeiter effektiv zu schützen. Tansania hatte vor wenigen Jahren den Export von Mais vorübergehend gestoppt, als Käufer von außerhalb den Preis für das Grundnahrungsmittel in die Höhe trieben. Und Kenia hat mit stark erhöhten Exportsteuern für Häute und Felle den Ausverkauf des Rohmaterials gebremst, das für die eigene Schuh- und Lederwarenindustrie gebraucht wird. Diese unter Umständen notwendige Marktregulierung ist künftig nicht mehr möglich.

Insbesondere Kenia hatte sich wegen all dieser absehbaren Folgen lange Zeit heftig gewehrt, den EPA-Vertrag zu unterzeichnen. Die EU setzte daraufhin den widerspenstigen „Partnern“ die Pistole auf die Brust. Gemäß den Bestimmungen des Cotonou-Abkommens ließ die EU zum Oktober 2014 die bisherige Vorzugsbehandlung der AKP-Staaten auslaufen und erhob fortan „Mindestzölle“. Für Schnittblumen, Röstkaffee, Ananasbüchsen oder verpackten Tee aus Kenia wurden seitdem EU-Zölle von 8,5 bis 45 Prozent fällig. Zehn Jahre lang kämpfte Kenia gegen das Freihandelsabkommen mit der EU. Noch im Oktober 2014 hat die Regierung unterschrieben. Die Vorgehensweise der Europäischen Union erinnert an Bismarcks „Zuckerbrot und Peitsche“ und es scheint, als wolle Europa an vergangene Zeiten als Kolonialmacht anknüpfen…

„Welthandel ja, aber fair…“ So richtig diese Forderung ist, so unfreiwillig wird sie in Bezug auf unseren Freihandel mit Afrika zur Persiflage. Am Samstag heißt es überall in Deutschland: „STOP TTIP! STOP CETA!“ Ich wünschte mir, dass irgend jemand in der Menge unverdrossen ein Schild hochhebt, auf dem steht: „STOP EPA!“

Thomas Asböck,
stellv. DGB-Kreisvorsitzender Rottal-Inn

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