Sexuelle Selbstbestimmung nicht vorgesehen – Der Herrgott sagt: Schwangerschaftsabbrüche gibt es nicht in Niederbayern

Völlig zu Recht wird weltweit über die Rücknahme des Urteils im Prozess „Roe v. Wade“ in den USA berichtet, welche eine Katastrophe für dort lebenden ungewollt Schwangeren darstellt. Nur zu gerne zerreißen sich dabei Europäer*innen ihren Mund über die vermeintlich so rückschrittlichen US-Amerikaner*innen. Es wird über die fanatischen Religiösen geschimpft und darüber wie sie ein ganzes Land zurück in eine Vergangenheit schicken wollen, welche doch schon längst überwunden schien. Bei einer Rücknahme von „Roe v. Wade“ würde mit sonderbaren Gesetzen Schwangeren das Recht auf eine offene Beratung oder einen Abbruch verweigert werden und es droht ihnen bei einem Abbruch Strafe, weil einzelne Staaten entsprechende Verbotsgesetze für Schwangerschaftsabbrüche eingerichtet haben. Religiöse Motive stehen sowieso über dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Was dabei aber ganz geflissentlich ausgelassen wird, ist die Tatsache, dass für diese Situation kein anderes Land und keine Rücknahme einer Entscheidung des US Supreme Courts notwendig sind, sondern momentanes deutsches Recht dafür vollkommen ausreicht. 

Im Strafgesetzbuch ist dazu recht deutlich festgehalten: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ (§218 Abs.1 Satz 1 StGB). Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer eine Straftat und ist nur in geregelten Ausnahmen straflos. Diese Ausnahme wird in §218a geregelt und erfordert unter anderem eine Pflichtberatung (§218a Abs.1 Punkt 1). Zudem muss der Schwangerschaftsabbruch vor der 12. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden, wenn er straflos sein soll (§218a Abs.1 Punkt 3). Dabei hat die Pflichtberatung aber nicht etwa die Schwangere im Zentrum, sondern das gesetzliche Ziel der Beratung ist der „Schutz des ungeborenen Lebens“. Die Beratung „hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“ (§219 Abs.1 Satz 2 StGB). Abgesehen davon, dass die Bedürfnisse der Schwangeren anscheinend, wenn überhaupt, zweitklassig sind, muss festgehalten werden, dass Pflichtberatung jeglicher Art entmündigend sind. Letztlich soll noch das sogenannte Werbeverbot aus §219a StGB, welcher es quasi verunmöglicht über das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen aufzuklären und Gegner*innen von Abbrüchen eine Rechtsgrundlage bietet, um Ärzt*innen zu schikanieren.

Dabei ist das Strafgesetzbuch nur der eine Teil, welcher Schwangeren die Selbstbestimmung erschwert. Im sogenannten Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) wird nämlich geregelt, dass die Länder „ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicher zu stellen haben. Das Problem ist, dass „ausreichend“ ein immens dehnbarer Begriff ist, womit wir in Bayern und speziell Niederbayern angekommen sind.

In Niederbayern ist die Versorgungslage für ungewollt Schwangere katastrophal. Auf eine Fläche von 10.330 km² und etwa 1,2 Millionen Einwohner*innen kommt nur eine Praxis, in welcher Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel möglich sind. Nur eine Ärztin führt Abbrüche nach der Beratungsregel bis zur 12.Schwangerschaftswoche aus. Zu welcher Versorgungslage eine einzige Praxis auf etwa 1,2 Millionen Einwohner*innen führt dürfte ohne Probleme klar sichtbar sein. Zudem gibt es das Problem, dass ungewollt Schwangere weite Strecken auf sich nehmen müssen, wenn ein Schwangerschaftsabbruch in Niederbayern nicht möglich ist, von dem Problem des konstanten Zeitdrucks ganz zu schweigen, da die Straflosigkeit nur bis zur 12.Woche reicht. Tritt dieser Fall ein, müssen ungewollt Schwangere bis zur nächsten Praxis nach München oder Nürnberg fahren, was weitere Kosten und Hürden für sie bedeutet und gerade da sie dort unter Zeitdruck eine Praxis finden müssen. Solche Fälle kommen und kamen auch schon vor, wenn die Praxis beispielsweise krankheitsbedingt geschlossen hat oder schlicht keine Termine mehr frei sind. Für bestimmte Personengruppen kann dies bedeuten de facto keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu haben.

Noch schwerwiegender erscheint die Versorgungslage, wenn wir öffentliche Krankenhäuser in den Blick nehmen. Während es in Passau am Klinikum politisch unerwünscht ist und im Landkreis Passau schon seit 1986 den Kliniken verboten ist, Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel durchzuführen, wird in Kelheim aufgrund der Übernahme der Goldberg-Klinik durch die katholische Caritas die Sicherheit von Schwangeren ganz grundsätzlich in Gefahr gebracht. Denn während vor der Übernahme der Goldberg-Klinik immerhin Schwangerschaftsabbrüche bei Lebensgefahr oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren möglich waren, ist es in Zukunft selbst bei tödlichen Konsequenzen für die Schwangere nicht mehr möglich einen Abbruch vorzunehmen. Grund dafür ist „das christliche Menschenbild, das die unveräußerliche Würde und das Lebensrecht jedes Menschen‚ vom Augenblick seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod‘ ins Zentrum“[1] stellt, denn diesem folgt die Caritas.

Christlicher Fundamentalismus zeigt sich aber auch, wenn sogenannte ProLife-Aktivist*innen Schwangere vor Beratungsstellen bedrängen, sie zur Buße aufrufen und gegen den vermeintlichen Massenmord an Ungeborenen demonstrieren. In Passau wird diesen Juni ein ProLife-Bus halt machen, welcher eine ganze Tour durch Deutschland plant. Zudem steht zwei Mal im Jahr ein religiös-fundamentalistischer AfDler vor der Beratungsstelle der Pro Familia in Passau und Bedrängt Passant*innen. All das zeigt, welcher Druck für Ärzt*innen, welche den Eingriff durchführen, aufgebaut wird, als auch welcher Hass ungewollt Schwangeren entgegenschlägt.

Halten wir also fest, dass für restriktive bis unterdrückende Reproduktionsrechte keine sogenannten US-Verhältnisse notwendig sind und für ein Abtreibungsverbot keine Rechtslage notwendig ist, sondern eine unzureichende Versorgungslage dem gleich kommt. Grund für die unzureichende Versorgungslage in Niederbayern ist dabei sowohl die Gesetzeslage und eine generelle Tabuisierung des Themas, als auch der starke Einfluss der katholischen Kirche sowie katholischer Verbände. Das Werbeverbot schadet Ärzt*innen und Schwangeren gleichsam und schafft Fundamentalist*innen und Feind*innen der sexuellen Selbstbestimmung eine Rechtsgrundlage aufgrund derer sie Praxen drangsalieren können. Es ist gut, dass die Bundesregierung §219a StGB aufheben will.

Wenn wir wirklich feministische und emanzipatorische Politik machen wollen, kann es für uns Jusos dabei aber nur eine Position geben: 

Weg mit §218 und §219 StGB! Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht in das Strafgesetzbuch. Bei der Beratung muss die Schwangere mit ihren Bedürfnissen im Zentrum stehen. Pflichtberatung lehnen wir als entmündigend für Schwangere ab. Es muss ausformuliert werden, was eine ausreichende Versorgungslage darstellt und diese muss auch umgesetzt werden.  Einem öffentlichen Krankenhaus darf das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregel nicht grundsätzlich verboten werden.


[1] Nach Übernahme durch die Caritas: Keine Schwangerschaftsabbrüche mehr im Krankenhaus Kelheim; verfügbar unter: https://www.regensburg-digital.de/nach-uebernahme-durch-die-caritas-keine-schwangerschaftsabbrueche-mehr-im-krankenhaus-kelheim/20042022/

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