Bürger*innenversicherung ade?
Die Hoffnungen bei dieser und der letzten Wahl waren groß, eine Bürger*innenversicherung wäre unter einer roten Mehrheitsregierung möglich gewesen. Doch ein mehrheitlich, aus der Mitte heraus, entschiedenes Wahlergebnis, ließ uns, anstatt zu hoffen, eher zweifeln. Seit dieses Versicherungskonzept 2003 vorgestellt wurde, kam leider nichts Brauchbares mehr zu diesem Thema. Lang währten die Träume der Rürup Renten Kommission, Wirtschaftsprofessor*innen und unserem Genossen Karl Lauterbach nicht. Der Gedanke an eine einheitliche und allgemein verbindliche Pflege- und Gesundheitsversicherung, zur lang- und kurzfristigen Stabilisierung des Systems, scheint nicht umsetzbar zu sein, in einer Zeit, in der das Kapital entscheidet und Menschenwürde zwar unantastbar ist aber Gesundheit zum Wirtschaftsmotor einer Industrie wird.
Die privaten Krankenversicherer fuhren in den letzten 10 Jahren saftige Gewinne ein, wie z. B. Zürich Insurance Group mit ca. 3 Milliarden USD jedes Jahr zwischen 2010 bis 2020 oder die Allianz Versicherung mit 10,9 Milliarden Euro allein im Geschäftsjahr 2020. Im vergangenem Jahr gab es in Deutschland 44,5 Millionen Arbeitnehmer*innen, das sind 44,5 Millionen Beitragszahler*innen. Unter der Annahmen, dass, Stand 2017, rund 11% der Arbeitnehmer*innen privatversichert sind, so zahlen 4,8 Millionen Menschen rund 39 Milliarden Euro in ihre Versicherungen ein. Die restlichen 89% der Versicherten gaben übers gleiche Jahr 230 Milliarden Euro für ihre gesetzliche Versicherung aus. Das bedeutet, dass 11% der Arbeitnehmer*innen mit ihrem Privatbeitrag bereits knapp 17% des gesetzlichen Beitrages zahlen würden.
Allein schon hieraus müsste zu sehen sein, dass ein zweigleisiges Gesundheitssystem dem Sozialstaat schadet. Mit 39 Milliarden Euro könnte mehr für die Allgemeinheit getan werden, anstatt einer kleinen Elite zu helfen. Denn unser System ist marode, reformierungsbedürftig und braucht das Geld aus den Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherer (GKV). Ist weiterhin ein funktionierender Sozialstaat erwünscht, führt das unweigerlich dazu, sich mit dem Gedanken, ob private Krankenversicherer weiterhin auf dem Markt geduldet werden sollen. Natürlich sind auch PKV´s große Unternehmen mit vielen Angestellten, doch nur weil eine Branche ihr Geld und Angestellte verlieren könnte, muss das nicht auch gleichzeitig der Grund sein, diese weiterhin zu dulden.
Die Versicherungsbranche in Deutschland hat eine gute Lobby und ein noch besseres, nie enden wollendes Netz an Einnahmemöglichkeiten. Solange der Staat noch erlaubt, sich privat versichern zu lassen, werden wir den Dämon der PKV nicht los und geben unsere Gesundheit Leuten in die Hände, die lediglich auf die eigene Tasche und den Aktienkurs schauen und den Menschen, der vor ihnen sitzt, hinten hinunter fallen lässt.
Die Bürger*innenversicherung wäre in vielerlei Hinsicht sehr effizient. Es würde jede*r Beitragszahler*in den gleichen Satz zahlen, gemessen am Gehalt. Es würde jede*r profitieren. Es würde sich sogar positiv auf die Senkung der Altersarmut auswirken. Wird ein stereotypisches Ehepaar angenommen: Er, ca. 60 Jahre alt, Gutverdiener mit ca. 100.000 Euro im Jahr; Sie, ca. 58 Jahre alt, nach dem Großziehen der 3 Kinder Hausfrau. Wenn der Gatte nun verstirbt und die Ehefrau mit ihm privatversichert war, weil sie den Eintritt in die Berufswelt nicht mehr geschafft hat, kann sie nach dem Versterben des Ehemanns nicht wieder in die GKV wechseln, sondern muss die Beiträge der PKV weiter bezahlen. Selbst bei einer guten Rente wird es mit dem Erreichen eines höheren Alters schwierig, die Beiträge weiterhin zu leisten, denn je älter ein*e Zahler*in, umso höher die Kosten für die PKV. Was im Alter von 65 Jahren z. B. noch 500 Euro sein können, kann bereits ab fortgeschrittenem Alter von 75 Jahren z. B. bei 1500 Euro liegen. Eine Summe die selbst bei einer guten Rente, von 3300 Euro brutto, viel zu viel ist für eine*n Alleinstehende*n.
Es braucht positive Impulse, um das System Bürger*innenversicherung schmackhaft zu machen und dafür zu werben. Ein Versicherungskonzept, das uns alle eint und geschlossen dastehen lässt, ein Konzept, das vom Bänker über die Lehrerin bis hin zu, auf 450 Euro Basis arbeitende, Studierende einzahlen lässt. Denn in einer Zeit in der Ungleichheit und die Schere immer mehr auseinander gehen, wäre es angebracht und angemessen uns wieder zu vereinen, um die Schere wieder zu schließen.
Die neue Regierung sollte sich fragen, an welchen Dingen sie sich messen lassen will. Mit einem Neudenken der Gesundheitsvorsorge in Deutschland macht man sich unsterblich und zukunftsfähig.