Corona – Die Offenbarung des krankenden Gesundheitssystems


Dieser Tage sieht man sie überall: Die Posts in den Sozialen Medien, die Beifall klatschen für Pflegekräfte, Erzieher*innen und all jene Menschen systemrelevanter Berufe. Dass sich in dieser Masse von Beklatscher*innen und Danke-Sager*innen natürlich auch die bayerische Staatspartei einklinken muss, scheint konsequent:  So hat die CSU in den letzten Tagen sogar eigens eine Webseite unter dem Titel „Bayernhelden“ auf den Schild gehoben. „Sagen wir gemeinsam Danke! Es ist nur eine kurze Botschaft, aber eine große Anerkennung für eine tolle Leistung!“, so unterstreicht die CSU ihren massiven Einsatz für die Menschen, die sich tagtäglich abrackern und aufopfern für unsere Gesellschaft. Einfach mal nur ein warmes, inhaltsleeres Danke sagen!

Seien wir mal ehrlich: Dieses Beifall-Klatschen und das vom Balkon herunterzwitschernde „DANKE“ ist nichts weiter als blanker Hohn all denjenigen gegenüber, die nun auf einmal ganz unerwartet als systemrelevant gelten. Es ist blanker Hohn gegenüber denjenigen, die bereits seit Jahren mit dem massiven Ärzt*innenmangel und Pflegenotstand arbeiten und sich nun mit einer sich noch weiter zuspitzenden Lage arrangieren müssen. Diese Menschen schieben Überstunden über Überstunden, setzen sich tagtäglich massiven Gefahren aus und jetzt sollen sie sich plötzlich über schöne, warme Dankesworte unseres Ministerpräsidenten und der CSU freuen. Diese rosa Wolke von neuer Wärme und vermeintlicher Liebe zu den systemrelevanten Berufen seitens der CSU soll doch nur eines tun: Den dunklen, stickigen Nebel des immer deutlicher zu Tage tretenden kapitalistischen und kollapsanfälligen Gesundheitssystems der Republik zu verbergen und ein vermeintlich wohliges Gefühl vermitteln. Warum spricht denn von den Konservativen und Liberalen niemand von den erheblichen Problemen des Gesundheitssystems? Ganz einfache Antwort: Damit könnte das eigene Fundament neoliberaler, gewinnorientierter und damit ausbeuterischer Gesundheitspolitik noch deutlicher zu Tage geführt werden und man müsse sich selbst eingestehen, Fehler gemacht zu haben. Fehler, die aber gerade durch die Corona-Krise noch deutlicher ans Tageslicht befördert werden: Privatisierungen im Gesundheitssystem, massiver Kostendruck durch Fallpauschalen, Outsourcing zentraler Aufgaben, grausame Bezahlung von pflegerischem Personal und ein dadurch erheblich auftretender Pflegekräftemangel sind nicht erst seit heute ein massives Problem. Ob das deutsche Gesundheitssystem mit diesen strukturellen Mängeln auch die anstehenden Herausforderungen und die bisher noch sehr dunkle Zahl von potentiell an Covid-19 erkrankten Personen stemmen kann? 

Klar zu sagen ist an dieser Stelle, dass das gegenwärtige prekäre Gesundheitssystem durch seine gewinnorientierte Praxis noch vor massiven Herausforderungen in der Bewältigung der aktuellen Pandemie steht. Ja, es ist durchaus zu bezweifeln, dass es hierfür sogar gewappnet ist: Durch die Einführung der DRG-Pauschalen vor etlichen Jahren wurde festgelegt, dass es im gesamten System der Krankenhäuser und medizinischen Einrichtungen nur darum geht, die Diagnose wie Therapie von erkrankten oder verletzten Patient*innen in möglichst kurzer Zeit so auszurichten, dass möglichst viele Kriterien der jeweiligen Pauschalen erfüllt und abgewickelt werden können. Kurz: Je weniger Arbeits- und Kostenaufwand für eine Behandlung, desto höher der Gewinn für den sogenannten „Fall“. Abgesehen von dieser tiefblickenden und selbsterklärenden Praxis bedeutet dies aber wiederum, dass innerhalb des Systems auch schlicht keine Kapazitäten für Katastrophen, Massenanfällen von Verletzten oder eben Epi- bis Pandemien verfügbar sind: Denn Kohle gab und gibt es auch nur für erbrachte und geplante Leistungen und keine potentiellen, unvorhergesehenen Katastrophen. Weder diese noch irgendwelche nicht eingeplanten standardmäßigen Versorgungsaufgaben können durch die Krankenhäuser vor Ort geleistet werden, obwohl doch genau das deren Aufgabe sein sollte: Daseinsvorsorge für Alle!

Stattdessen werden vielerorts – vor allem in ländlichen Gebieten – Krankenhäuser geschlossen, wenn die betriebswirtschaftliche Rechnung nicht aufgeht. Besonders kleine Kliniken, die für eine basale medizinische Versorgung auf dem Land sorgen sollten, machen aufgrund des DRG-Systems massive Defizite, denn Leistungen von Grundversorgungsmaßnahmen werden nach diesen Pauschalen schlicht nicht ausreichend bezahlt. Und da viele dieser Kliniken gerade auch unter kommunaler Trägerschaft stehen, können sich Kommunen – aufgrund ihrer ohnehin hohen Aufgabenlast – diese jahrelang angehäuften Defizite einfach nicht mehr leisten: Schließungen, die zur kompletten Unterversorgung in der ganzen Region führen, sind die Konsequenz. Oder aber die kommunalen Träger*innen versuchen die medizinische Infrastruktur zumindest durch einen Verkauf an private Krankenhauskonzerne zu retten. Doch daraus wird die Situation nicht im geringsten besser, denn die eigentlich breite Grundversorgung wird aufgegeben: Noch schlechtere Arbeitsbedingungen und Gehälter des medizinischen und pflegerischen Personals, Schließung der nicht profitablen Sektoren wie beispielsweise der Geburtshilfe oder der Pädiatrie und vor allem die Umnutzung der Krankenhausbetten für profitable Bereiche wie beispielsweise das operative Geschäft sind die Folge. Dieses dem ach so sozialen Markt überlassene Geschäft hat dazu geführt, dass von 1991 bis 2017 die Zahl der bayerischen Krankenhäuser von 424 auf 354 zusammengeschrumpft ist. Davon befinden sich nach den aktuellsten Zahlen 44 in freigemeinnütziger Trägerschaft (also Trägerschaften unter sozialen, karitativen Vereinigungen oder kirchlichen Orden), 153 in öffentlicher Trägerschaft (also Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts betrieben von Bund, Land und Kommunen) und 157 in komplett privater Hand, deren Ziel die Erwirtschaftung eines Gewinns darstellt. Blickt man noch tiefer in die Materie hinein und vergleicht die verfügbare Versorgungssituation, dann lässt sich ein verheerendes Bild zeichnen: Während die 153 Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft eine Bettenkapazität von knapp 54.500 Betten in Bayern aufweisen, haben die 157 privaten Krankenhäuser gerade einmal ein Viertel davon und tragen mit 13.850 Betten bei.[1]Ähnlich zeichnet sich dieses Bild im gesamten Bundesgebiet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Die Corona-Krise zeigt nun noch deutlicher, dass weder der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch die bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml (CSU), selbst an den eigens aufgefahrenen Dankesworten und Lobeshymnen an die systemrelevanten Berufe zweifeln: Die vor Kurzem gesetzlich eingeführten Personaluntergrenzen von Pflegekräften wurden infolge von Corona sofort wieder verworfen. Folge: Jetzt müssen die ohnehin schon überforderten Kolleg*innen im Pflegebereich eine bisher noch immer unbekannte aber sicherlich massiv ansteigende Zahl von infizierten Patient*innen behandeln. Zusätzlich hat man bemerkt, dass in der gesamten Bundesrepublik deutlich zu wenig Beatmungsplätze zur Verfügung stehen, woraufhin Spahn schnellstmöglich 10.000 neue Beatmungsgeräte ordern musste.[2]Fraglich ist, welche Personen die beatmeten Patient*innen behandeln sollen, denn der jahrelang um sich greifende Neoliberalismus im Gesundheitssystem in all seinen Facetten (DRGs etc.) hat nicht nur für chronische Unterfinanzierung, sondern auch schlechte Arbeitsbedingungen und damit einem massiven Pflegekräftemangel gesorgt.

Diese und viele weitere Punkte zeigen deutlich auf, in welcher dramatischen Situation sich unser Gesundheitssystem gegenwärtig befindet. Jahrzehntelange neoliberale Politik haben nicht im Ansatz der Gesellschaft geholfen, sondern lediglich im Gesundheitssektor den privaten Konzernen genutzt. Dass die Bundesrepublik selbst den international höchsten Anteil privater Krankenhäuser vorweist, spricht weiter eine klare Sprache. Von Aktienerlösen gar nicht erst gesprochen. Das Gesundheitssystem ist erkrankt am Neoliberalismus und wird nun vor die Herausforderung gestellt, ob es diese Krise überwinden kann. Wir werden sehen und hoffen das Allerbeste.

Wir als Jungsozialist*innen streiten seit jeher gegen jegliche Privatisierungstendenzen und ausufernde kapitalistische Kräfte, die nicht im Geringsten der Allgemeinheit, sondern nur den Wenigen nutzen. Aus unserer Sicht kann es nicht sein, dass Krankenhäuser auf Kosten der Gesundheit von Menschen Gewinne abwerfen. Zudem ist die medizinische Daseinsvorsorge eine klar hoheitliche, staatliche Aufgabe und muss demzufolge auch in deren Verantwortung betrieben und geplant werden. Die Situation zeigt ganz klar: Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand garantiert eine gleichwertige und qualitativ hochwertigere Versorgung für alle und bevorzugt keine besonders profitablen Bereiche, weshalb eine Rekommunalisierung zahlreicher Kliniken für die Allgemeinheit, die Gesundheit und vor allem für das solidarische Miteinander zwingend notwendig ist. 

Wollen wir wirklich ernstgemeint „Danke“ sagen, dann reichen keine einfachen Worthülsen, dann müssen konkrete Taten folgen: Die miserable Personalausstattung in den Kliniken ist eine Folge von chronischer Abwehrhaltung gegen eine Besserstellung der Pflegekräfte. Wenn es die CSU mit ihren Dankesworten an die „Bayernhelden“ wirklich ernst meint, dann sollte sie für eine Aufwertung der Pflegeberufe, einer deutlich besseren Bezahlung sowie besserer Arbeitsbedingungen sorgen. Wir brauchen ein Umdenken in unserem Gesundheitssystem, keine warmen Worte. Statt aber die bestehenden, beschriebenen Probleme an der Wurzel zu packen und einzulenken, stellt sich die bayerische Staatsregierung unter Beteiligung von CSU sowie Freien Wählern lieber hin, beruhigt, sagt den medizinisch-systemrelevanten Berufen „Danke“ und verkündet den Kolleg*innen bis zum Ende der Krise das Mittagessen zu bezahlen.[3] BRAVO! 


[1]Vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik: Krankenhausstatistik 2017 -Grunddaten, Diagnosen und Kostennachweis. URL: https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/a4200c_201700_16595.pdf. Abgerufen am: 02.04.2020.

[2]Vgl. Süddeutsche Zeitung: Dräger will Klarheit bei Verteilung von Beatmungsgeräten. URL: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medien-luebeck-draeger-will-klarheit-bei-verteilung-von-beatmungsgeraeten-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200327-99-498003. Abgerufen am: 02.04.2020.

[3]Vgl. Bayerische Staatsregierung: Bericht aus der Kabinettssitzung vom 24. März. URL: https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-24-maerz-2020/#a-6. Abgerufen am: 02.04.2020

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