Der „geordnete“ Rückzug der SPD von ihren Werten

Hätte mir noch vor wenigen Jahren jemand erzählt, dass die SPD bald das Asylrecht verschärfen wird, um Abschiebungen schneller durchführen zu können, hätte ich das dieser Person mit Sicherheit nicht geglaubt. Vergangenen Freitag ist aber genau das im Bundestag passiert und für mich und für viele andere bleibt die Frage nach dem „Warum?“ offen. Schon vorher wurden von Seiten der SPD fragwürdige Dinge mitgetragen – wie beispielsweise das Asylpaket II – doch jetzt wurde eindeutig eine Grenze überschritten.

Zuerst einmal sollten wir einen Blick in den Gesetzesentwurf werfen und schauen, was da überhaupt genau beschlossen wurde. Das große Ziel, das mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ – einem Teil des Migrationspakets, welches aus insgesamt sieben Gesetzesentwürfen besteht – erreicht werden soll, ist, bereits angeordnete Abschiebungen durchzusetzen. Dabei wurden in vielen Bereichen des Asylrechts Änderungen – oder vielmehr Verschärfungen – beschlossen. Grundsätzlich muss gesagt werden, dass gegen derartige Gesetzespakete erst einmal nichts einzuwenden ist. Hier hat man sich aber auf eine ganz pragmatische Rechnung eingelassen: auf dem Rücken einer Minderheit werden vermeintliche Verbesserungen – z.B. im Bereich der Erwerbsmigration – für andere rausgeholt. Als ethisch korrekt kann man so ein Vorgehen wahrlich nicht bezeichnen.

Neuer Duldungsstatus

Neu ist der Status einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ für jemanden, der ein „Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine [sic!] Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt“. Diesen sogenannten „Identitätstäuscher*innen“ drohen diverse Strafen, wie z.B. ein Arbeitsverbot oder Bußgelder.

Sozialleistungen

Auch im Bereich der Sozialleistungen soll es zu Kürzungen kommen. Geflüchtete, die schon in einem anderen Land der EU unter internationalem Schutz stehen, sollen keinerlei Sozialleistungen erhalten, wenn dieser Schutz weiterhin besteht. Lediglich hilfsbedürftige Personen sollen für zwei Wochen Unterstützung bis zu ihrer Ausreise erhalten.

Abschiebehaft

Asylbewerber*innen, deren Gesuch auf Asyl abgelehnt wurde, können jetzt in regulären Haftanstalten in Ausreisegewahrsam genommen werden. Das Gesetz sieht zwar vor, die Asylsuchenden gesondert innerhalb der JVA unterzubringen, dennoch ändert sich nichts an der Tatsache, dass Menschen, die keinerlei Straftat begangen haben, inhaftiert werden können. Und noch schlimmer: nicht nur Erwachsene, sondern auch Familien und Kinder können von derartigen Regelungen betroffen sein.

Kriminalisierung von Helfer*innen

Die Verschärfungen beziehen sich aber nicht nur auf die Geflüchteten selbst. Mitarbeiter*innen von Behörden und Beratungsstellen, die Asylsuchende vor Abschiebungen warnen und Informationen oder Details zu Zeit und Ort preisgeben, machen sich strafbar. Und auch ehrenamtliche Helfer*innen können in Ausnahmefällen strafrechtlich wegen Beihilfe belangt werden, wenn sie Beamt*innen dazu anstiften, Informationen in Bezug auf das Dienstgeheimnis herauszugeben.

Sozialdemokratische Werte, Solidarität und Humanität finde ich bei diesen Änderungen nicht. Und so positionieren sich nicht nur außerparteiliche Organisationen – wie z.B. ProAsyl, die von einem „Hau-ab-Gesetz“ sprechen – gegen das Gesetz und riefen die Bundestagsabgeordneten dazu auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Auch innerparteilich regt sich massive Kritik der Bundestagsfraktion bzw. den Abgeordneten der SPD, die dem Gesetz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zugestimmt haben. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen beispielsweise veröffentlichte auf ihrer Website eine migrationsrechtliche Bewertung des Gesetzesentwurfs. Sie kommen darin zu dem Schluss, dass „die SPD, allen voran die Bundestagsfraktion, den aktuell diskutierten Vorschlag des „Geordnete-Rückkehr“-Gesetzes vehement ablehnen [sollte]. Denn wir geben mit diesem Gesetz grundlegende Werte und Rechte unseres Staates auf, bekämpfen rechtswidrige Zuwanderung nicht und vernichten zugleich Integrationserfolge.“ Auch innerhalb der Jusos regte sich enormer Widerstand. Die AG Migration und Vielfalt der SPD bezeichnete den Gesetzesentwurf in einer Pressemitteilung als „Kriminalisierungs-Einsperr-Rauswurf-Gesetz“ und auch die Jusos forderten die Abgeordneten der SPD im Bundestag öffentlich dazu auf, nicht zuzustimmen.

Die SPD-Bundestagsfraktion selbst veröffentlichte eine Art Rechtfertigung mit dem Namen „Koalition stärkt die Integration und ordnet Rückführungen“. (Wer das gesamte Papier nachlesen will, findet den Link unten in den Quellen.) Der Tenor dieses Schreibens klingt nach „Seid froh, dass wir es noch ein bisschen abgemildert haben, es hätte noch schlimmer sein können.“ Thomas Oppermann (SPD), Vizepräsident des Deutsches Bundestages, spricht sich außerdem für „knallharte Regeln“ im Bereich der Migrationspolitik aus und erweckt somit nicht den Anschein als würde er die Kritik innerhalb der eigenen Partei verstehen geschweige denn ernst nehmen.

Der sächsische Flüchtlingsrat äußerte sich mit einem Statement auf Twitter wie folgt: „Die marginalen Änderungen, die die SPD heute feiert, ändern nichts an der fulminante, nationalistischen Kehrtwende, die die Bundesrepublik in den letzten drei, vier Jahren hingelegt hat.“ Diese Bewertung liest sich sehr drastisch. Aber wenn man darüber nachdenkt, erscheint sie einem doch als richtig. Es scheint, als hätte sie SPD in der Großen Koalition einen Teil ihrer Werte verloren. Mit den Wahlergebnissen – beispielsweise der Europawahl – und Umfragewerte seit Beginn der Amtsperiode im Hinterkopf kann dieser Eindruck nur bestätigt werden.

 

Quellen:

AJS: Das sog. „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ – eine kurze migrationsrechtliche Bewertung URL: https://asj.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/das-sog-geordnete-rueckkehr-gesetz-eine-kurze-migrationsrechtliche-bewertung/05/06/2019/ (letzter Aufruf am 10.06.2019)

Jurik Caspar Iser: Wie Horst Seehofer schneller Abschieben will. URL: www.zeit.de/politik/deutschland/2019-04/abschiebungen-geordnete-rueckkehr-gesetz-horst-seehofer-bundesinnenminister-faq (letzter Aufruf am 09.06.2019).

Jusos Bayern: Aus den Niederlagen lernen – die SPD muss das “Geordnete-Rückkehr-Gesetz” ablehnen. URL: https://jusos-bayern.de/news/aus-den-niederlagen-lernen-die-spd-muss-das-geordnete-rueckkehr-gesetz-ablehnen/ (letzter Aufruf am 10.06.2019)

SPD Bundestagsfraktion: Koalition stärkt die Integration und ordnet Rückführungen. URL: https://www.spdfraktion.de/themen/koalition-staerkt-integration-ordnet-rueckfuehrungen (letzter Aufruf am 09.06.2019).

Spiegel online: 22 Organisationen warnen in einem öffentlichen Brief. URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-offener-brief-kritisiert-geplantes-abschiebegesetz-a-1270046.html (letzter Aufruf am 09.06.2019).

Spiegel online: Notfalls mit aller Härte. URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-thomas-oppermann-fordert-migrationspolitik-mit-knallharten-regeln-a-1271640.html (letzter Aufruf am 10.06.2019)

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