„De do obn und mia do untn“ – oder wir sind die Basis? Bürger*innen-Stammtisch im Ortsverein Eggenfelden
Wir Genoss*innen kennen sie gut, beliebt sind sie nur bedingt, gut besucht nur selten – die guten alten Bürger*innen-Stammtische des Ortsvereins. In Niederbayern in der schwarzen Diaspora haben sich zudem kommunalpolitisch die Freien etabliert und es kämpfen leider einige Ortsvereine der SPD ums Überleben. Dabei ist der politische Diskurs absolut notwendig, wenn die Parteibasis vor Ort „politisieren“ möchte. Im September haben wir uns im Ortsverein Eggenfelden über einige essentielle Themen der Bundespolitik unterhalten. Ohne den anwesendem Heimatabgeordneten Florian Pronold – ganz unter uns Genoss*innen des Ortsvereins und einem politisch interessierten Gewerkschafter, wohnhaft in einem Ort ohne aktiven SPD-Ortsverein. Mein fleißiger und rhetorisch wirklich grandioser Stellvertreter Thomas Asböck und ich haben den Stammtisch vorbereitet. Unser Ziel war es, dass zum Thema Freihandelsabkommen, Gesundheits- und Pflegepolitik sowie Verteilungsfragen und soziale Schieflagen diskutiert wird und selbstverständlich auch Forderungen formuliert werden können.
Eggenfelden gehört zum Bundestagswahlkreis Rottal-Inn, der die Landkreise Rottal-Inn und Dingolfing-Landau umfasst. Direkt gewählter Abgeordneter ist seit 1994 Max Straubinger von der CSU. Aus meiner Sicht überwiegend ein „Dampfplauderer“, der erst seit knapp zwei Jahren zur Höchstform aufgelaufen ist und seiner wahren Bestimmung voller Eifer nachgeht. Als Präsident des Deutschen Instituts für Reines Bier e.V.. Seitdem lässt er wirklich kein Bierzelt mehr aus. Irrwitzig finde ich auch, dass der langjährige „Sozialexperte“ der CSU mindestens 100.000 Euro jährlich als Allianz-Generalagent „hinzuverdient“, wie ein bedürftiger Aufstocker, der von seiner Vollzeitarbeit nicht leben kann. Aufgefallen ist Straubinger zudem mit völlig unsäglichen Äußerungen, dass er gerne geflohene Menschen wieder nach Syrien schicken möchte, da es auch dort Orte geben soll, an denen man leben könne. Mich würde es nicht wundern, wenn er einen Vertrag mit dem syrischen Tourismusverband eingegangen ist – dieser wirbt ja bekanntlich mit dem Slogan: „Syria Always Beautiful“.
Zurück zum Bürger*innen-Stammtisch in Eggenfelden. Unsere wohlgeschätzte und stets geschliffen redende Genossin Swoboda merkt an, dass sich bei ihr, je mehr sie lese, manchmal Ernüchterung breit mache. Und unsere Sozialistin, Jahrgang 1928, liest noch täglich den Rottaler Anzeiger – ein Blatt, das man halt so liest, und zusätzlich die Süddeutsche. Damit liest sie vermutlich mehr Tageszeitungen als 90% der Rottaler*innen – aber sie ist eben auch eine Sozialistin.
Ein Dorn im Auge ist uns Genoss*innen der Abkehr von der paritätischen Finanzierung der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung. Der Arbeitgeberanteil ist eingefroren, der Arbeitnehmer*innenanteil kann bedarfsweise – wenn ich dieses Unwort schon höre, erhöht werden. Dies trifft die Menschen hier vor Ort natürlich stark und es kann niemand nachvollziehen, weswegen hier die schwächeren Schultern mehr zu leisten haben wie die stärkeren Schultern. Thomas Asböck erläutert, dass Max Straubinger in der Vergangenheit öffentlich Stellung für die Arbeitgeberseite bezogen hat. Die Unternehmen würden mit dem Privileg der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ja bereits besondere Risiken in Kauf nehmen und wären so schon ausreichend belastet. Ein Argument bei dem mir der Mund offen stehen bleibt. Hier sind wir uns unisono einig: Die Rückkehr zur paritätischen Beitragsfinanzierung für die gesetzliche Krankenversicherung ist eine dringende Notwendigkeit. Ich stelle kurz das Konzept der Bürger*innen-Versicherung vor und verdeutliche, wie wichtig es ist diesen Systemwandel jetzt zu vollziehen. Tom Asböck verdeutlicht, dass dies im Jahr 2005 unser Hauptthema beim Bundestagswahlkampf war. Seitdem ist viel Wasser die Rott hinunter geflossen, wie ich finde. Als kleine aktuelle Ergänzung vom gestrigen Samstag, 08. Oktober sei zu meiner Verwunderung gesagt, dass laut unseres erneut aufgestellten Bundestagskandidaten Florian Pronold das Thema Bürger*innen-Versicherung eines der zentralen Themen des Bundestagswahlkampfes werden wird.
Die Debatte am Stammtisch um die gesetzliche Krankenversicherung geht weiter und Karl Riedler ergreift das Wort. Er spricht sich deutlich für die eingangs diskutierte Bürger*innen-Versicherung aus. Riedler, ausgezeichnet mit der Georg-von-Vollmar-Medaille, sitzt seit 50 Jahren im Eggenfeldener Stadtrat und war 12 Jahre lang Erster Bürgermeister von Eggenfelden, zuvor Direktor der AOK Eggenfelden. Unser „Tscharlie“ fehlt bei fast keinem politischen Stammtisch des Ortsvereins und ergreift auch noch immer im Stadtrat das Wort, wenn die Schwarzen, die Freien oder Unabhängigen das „Soziale“ mal wieder nicht so wichtig nehmen. Die Bürger*inne-Versicherung diene einerseits als solidarisches Versicherungsmodell und andererseits als klare Abgrenzung zur CDU und vor allem zur CSU. Das ist es, was Karl Riedler so wichtig erscheint. Hier kann ich ihm nur voll und ganz beipflichten. Ich stelle jetzt nicht die Frage, wie das unser Bundestagsabgeordneter Max Straubinger sieht, wo er doch über 100.000 Euro pro Jahr mit seiner Allianz-Generalagentur einfährt. Ist mir auch ziemlich egal, wie der das findet. Ein Kapitalist, der das eigene Kapital schwinden sieht, der jammert immer.
Ganz aktuell, zwei Tage nach dem Parteikonvent zu CETA, wird unser Stammtisch abgehalten. Hierbei habe ich mich ganz deutlich geäußert, dass ich die roten Linien überschritten sehe und daher das Abstimmungsverhalten unseres SPD-Landesvorsitzenden Florian Pronold nicht nachvollziehen kann. Da Florian Pronold seit 2002 für unseren Bundestagswahlkreis Abgeordneter ist, verfolgen wir den Wandel vom linken Juso-Abgeordneten zum Staatssekretär besonders kritisch. Irgendwie ist es ihm aus meiner Sicht nicht ausreichend gelungen, sich hier im Wahlkreis ein eigenes Profil zu erarbeiten, das ihn zum „Kümmerer für die kleinen Leute im Rottal, im Inntal oder im Vilstal“ auszeichnet. Zum Glück ist er in letzter Zeit als parlamentarischer Staatssekretär sehr engagiert, was auch der Stadt Eggenfelden bereits zu Gute kam. Immerhin haben wir 2,5 Millionen Euro für ein zukunftsweisendes Förderprojekt erhalten. Jetzt muss „nur“ noch die Eggenfeldener Stadtpolitik einen richtig guten Job machen. Eggenfeldens rote Bürgermeisterin (3. Bürgermeisterin) Johanna Leipold ist ebenfalls, im Anschluss an einen wichtigen kommunalpolitischen Termin, noch bei unserem Stammtisch erschienen. Sie möchte den Dialog mit Florian Pronold suchen und ihn fragen, was ihn zu seinem Abstimmungsverhalten bewogen habe. Das direkte und offene Wort von Johanna schätze ich wirklich sehr. Sie ist eine leidenschaftliche Kommunalpolitikerin, die aber auch die Entscheidungen im Deutschen Bundestag stets kritisch hinterfragt. Leipold stand einer großen Koalition deutlich weniger skeptisch gegenüber als ich, weil sie überzeugt zu sein scheint, dass die Kompromisse, die die SPD der Union abringen konnte, ganz wichtig sind für die Menschen auch hier vor Ort.
„De do obn und mia do untn“ ist für mich schon fast das Unwort des Jahrzehnts. Mir ist es viel zu einfach, den Abgeordneten oder dem Parteivorstand den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben. Für mich als Sozialist verläuft das „Wir“ und das „Die“ immer noch zwischen Arbeiter*innen/ Arbeitnehmer*innen/ Beamt*innen/ prekär Beschäftigten/ Freiberufler*innen/ Rentner*innen/ usw. auf der einen Seite und den Kapitalist*innen auf der anderen Seite. Wenn wir es zulassen, dass das Spannungsfeld zwischen „Uns“ und den Parlamentarier*innen weiter so leidenschaftlich abgesteckt wird, dann können letztendlich nur die Kapitalist*innen und die faschistischen Kräfte gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervor gehen. So viel Selbstkritik muss sein. Wir Sozialist*innen müssen wieder den „Klassenkampf wagen“ gegen Großkonzerne und das kapitalistische Unternehmertum. Natürlich können wir als Basis mitentscheiden, wen wir als Bundestagskandidat*innen nominieren und wie wir uns mit der bayerischen Listenreihung präsentieren wollen. Einerseits ein weiter so mit der Union oder andererseits einem r²g-Bündnis. Weshalb dann von unserer gestrigen Bundeswahlkreiskonferenz mehrheitlich eine hauptamtliche Mitarbeiterin zur Listenreihung entsandt wird bleibt mir ein unverständliches Rätsel
Zurück zu unserer Genossin Martha Swoboda und unserer Veranstaltung in Eggenfelden. Sie sei sich dessen bewusst, dass wir hier von unserem Stammtisch aus die Bundespolitik nicht verändern können. Aber wichtig ist es ihr schon, dass wir das Wort ergreifen und Alternativen zu den kapitalistischen Auswüchsen aufzeigen.
In rund zwei Wochen werden wir uns erneut zum Stammtisch verabreden. Es wird dann unsere SPD-Stadtratsfraktion über aktuelle Themen aus dem Rathaus berichten und offene Fragen beantworten. Immerhin sind wir in Eggenfelden wieder zweitstärkste Kraft hinter den Schwarzen und dürfen 5 Stadträt*innen stellen, aber verglichen mit den vergangenen Jahrzehnten und langjährigen absoluten Mehrheiten werden wir im Jahr 2020 erneut um jede Stimme kämpfen müssen. Damit es uns gelingt am Ball zu bleiben, versuchen meine Mitstreiter*innen und ich den Ortsverein so engagiert wie möglich zu führen.
Benjamin Lettl,
Vorsitzender des SPD Ortsvereins Eggenfelden
Kreisvorsitzender der Jusos Rottal-Inn