Pulverfass China?

Warum wir nach China blicken müssen

Zu Beginn ein paar Zahlen: 169,9 Milliarden Euro Handelsvolumen zwischen Deutschland und China im Jahr 2016. Über 5000 deutsche Firmen sind in China vertreten. Sie handeln, produzieren und investieren im Reich der Mitte. Rund 4,4 Milliarden Euro ließ sich allein die chinesische Midea Group den deutschen Roboterhersteller Kuka kosten. 1 

Was ich damit ausdrücken will? Ganz einfach. China und Deutschland sind seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden, in erster Linie natürlich wirtschaftlich. Der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt, ist mittlerweile auch in Deutschland zu vernehmen. In der Vergangenheit durften wir einen Prozess beobachten, der historisch wohl sondergleichen ist. China als „manufacturer of the world“, als das Wachstumsland schlechthin, als Paradebeispiel für wirtschaftliche Entwicklung und Prosperität.

In nur wenigen Jahrzehnten verwandelte sich ein Land, weg von der Agrarwirtschaft als Haupttätigkeit der Bevölkerung – hin zu einem hochmodernen Staat, der entscheidend die Weichen für die Zukunft der gesamten Welt (mit-)stellt. Diese beispiellose Veränderung des Landes hat allerdings so manchen Haken. Das Auswärtige Amt beschreibt es sehr treffend: „Tatsächlich haben sich gravierende ökonomische (u.a. Überkapazitäten), soziale und ökologische Probleme angehäuft und werden sich in den nächsten Jahren noch verschärfen.“2

In diesem Beitrag will ich auf ersteren Punkt, nämlich die ökonomischen Problematiken Chinas eingehen und auch anschneiden, wie die Führung des Landes versucht diese zu bekämpfen. Natürlich stellt dieser Beitrag keine ganzheitliche Betrachtung der chinesischen Wirtschaft dar. Solch ein Vorhaben würde den Rahmen jedes Blogs sprengen – zu komplex und vielfältig ist die Thematik dafür.

Es gibt jedoch Problematiken im Reich der Mitte, welche sehr offensichtlich das Gefahrenpotenzial verdeutlichen. Keines dieser Phänomene darf man isoliert betrachten, es gibt stellenweise Überschneidungspunkte – und genau dadurch verstärkt sich letztendlich das Risiko immens. 

Dies trifft klar auf erstere Thematik zu, die Verschuldung der Wirtschaft. Insbesondere die Unternehmen, vor allem aber der Immobiliensektor sind hier zu nennen. Im Unterschied zu vielen westlichen Industrienationen blickt China auf einen sehr kurzen, aber extrem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung zurück. Dieser resultiert aus den Reformen in den späten 70er Jahren, u.a. der Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping. Und spätestens der XVI. Parteitag der KPCh Anfang des Millenniums bewies, dass die Führung des Landes alles daran setzte, diesen Aufschwung so auch weiterzuführen.

Doch während die chinesische Wirtschaft rasant wächst, wächst auch die Verschuldung ihrer Unternehmen und im Immobiliensektor. Insbesondere die großen Ballungszentren des Landes leiden unter immens steigenden Preisen – laut Einschätzung von u.a. Goldman Sachs und der Deutschen Bank klare Anzeichen für eine Immobilienblase in Teilen Chinas.3 Die Größe dieser Preisblase lässt sich nur schwer schätzen, die gesamten Darlehen an den Immobiliensektor betragen mehrere Billionen €.

Eine Korrektur der Preise würde sich fatal auf große Teile der chinesischen Wirtschaft auswirken. So nimmt beispielsweise die Verschuldung der chinesischen Baufirmen dramatische Züge an. In der gesamten Branche beträgt sie mittlerweile rund 2,8 Billionen ¥, umgerechnet knapp 370 Milliarden €. Generell finden sich im Land viele, in erster Linie staatseigene Betriebe, welche seit Jahren unprofitabel und vielfach auch insolvenzgefährdet sind, wie auch ein Bericht des Internationalen Währungsfonds feststellt.4

Dies gefährdet einen weiteren Wirtschaftszweig des Landes, welcher in den letzten Jahren ein exzessives Wachstum vorweisen konnte: den Finanzsektor.

Das chinesische Bankensystem ist streng reguliert, vornehmlich in staatlicher Hand – und gigantisch. Unter den 100 größten Banken der Welt finden sich alleine 18 chinesische Institute. Diese vereinen zusammen eine Bilanzsumme von über 19 Billionen € auf sich, weit mehr als in jedem anderen Land der Welt. 5 Vor allem die immensen Wachstumsraten der Banken schüren Zweifel an der Nachhaltigkeit. Im Jahr 2016 alleine gaben die chinesischen Institute rund 1,6 Billionen € an neuen Krediten aus – und auch im Jahr 2017 zeigt sich keine Abkühlung dieser Entwicklung. Laut Christine Kuo, Senior Vice President bei Moody’s Investor Service in Hong Kong, geben die Banken weiterhin in höchstem Tempo Immobiliendarlehen aus.6

Die Ratingagentur Fitch schätzt, dass rund 60% der gesamten Kredite von chinesischen Banken in den Immobiliensektor geflossen sind. Kredite, welche besonders Gefahr laufen, in den nächsten Jahren unter Ausfällen zu leiden – eine Folge aus möglichen Korrekturen der Häuserpreise.

Wie bereits erwähnt sind auch die Unternehmen – in erster Linie die staatlichen – große Darlehensnehmer der chinesischen Banken. Auch hier sind die Risiken nur schwer einschätzbar. Zu groß ist die Komplexität der dortigen Strukturen, zu intransparent die Finanzmärkte und Bilanzen der Geldhäuser. Die chinesische Regierung hat in den letzten Jahren Vorstöße gewagt, das Land zu öffnen, mehr Marktfreiheit zuzulassen – doch wirklich ernst meint sie es damit offensichtlich nicht. Immer noch wird der Kapitalverkehr streng überwacht und eingeschränkt. Die Börsen sind ein Spielball der Regierung und ihren realen Bezug haben die Indizes zwischenzeitlich völlig verloren, wie die Blase im Sommer 2015 eindrucksvoll bewies. Damals verlor der Shanghai A Index, vergleichbar dem DAX, zwischen Anfang Juni und Ende August 2015 über 40% seines Wertes. Der Index hat sich bis heute nicht davon erholt. 

Viele Risiken sind schlichtweg nicht einsehbar, sie werden ausgelagert an Finanzakteure, die keine Bank sind, beispielsweise Fonds oder Tochtergesellschaften von Unternehmen. Dadurch lassen sich große Kreditsummen und -risiken verschleiern. Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gehen davon aus, dass alleine bis Ende 2015 über 5,3 Billionen € an Kreditsumme durch sog. Schattenbanken ausgegeben wurden.7 Vor allem Privatunternehmen und kleinere Betriebe haben oftmals keine andere Möglichkeit, Kapital zu beschaffen. Die staatlichen Banken bieten hier nur wenig Unterstützung.

Diese Problematiken sind natürlich alle kein Novum – sie zu bekämpfen ist allerdings schwierig. Die Regierung hat hierzu diverse Maßnahmen beschlossen, welche zwei Ziele erfüllen sollen. Zum einen sollen die Unternehmen und die Wirtschaft wieder auf Kurs gebracht werden, Überkapazitäten und Fehlverteilung von Kapital behoben werden. Zum anderen – und das ist der wichtigere Punkt – soll ein nachhaltiges Fundament für das zukünftige Wachstum gelegt werden. Der 13. Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei Chinas sieht massive Reformen vor – und neben der üblichen Selbstbeweihräucherung der Parteispitze stehen vor allem die Anpassung der Wirtschaft an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts im Fokus.8

Dies spiegelt sich beispielsweise in der Industrieproduktion wider. China konnte sich, wie eingangs erwähnt, durch seine niedrigen Löhne und wirtschaftsfreundlichen Reformen in kurzer Zeit zur preisgünstigen Produktionshalle der Welt entwickeln. Ein Umstand, der nicht überall freudig vernommen wurde – was sich unter anderem darin äußert, dass der amerikanische Präsident Strafzölle für Importe aus dem Reich der Mitte fordert.

Aber: Die Löhne steigen rapide an, für viele europäische und amerikanische Firmen ist es längst nicht mehr so rentabel in China zu produzieren wie dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Ebenso übernimmt China in vielen Bereichen die klare Marktführerschaft. Im Fahrzeugbau beispielsweise, ganz besonders auch dem Thema Elektromobilität, sind chinesische Firmen Weltspitze was Know-how und Produktionskapazitäten betrifft. Die chinesische Führung will mit solchen Maßnahmen in erster Linie die Machtposition des Landes stärken. Eine für die großen Themen der Zukunft gerüstete Wirtschaft, welche schon früh darauf eingestellt ist, von der Digitalisierung und Automatisierung voll zu profitieren, soll nichts geringeres garantieren als die wirtschaftliche Zukunft. Denn: China kann und will sich keine Wirtschaftskrisen erlauben, ein Nullwachstum oder gar ein Schrumpfen der Wirtschaftskraft ist nicht vorgesehen. Stattdessen soll der bisherige, beeindruckende Wachstumkurs durch immer neue Impulse weitergeführt werden.  

Ob dies gelingen wird, bleibt ungewiss und in einer global vernetzten Welt ist dies ein Umstand, der uns nicht egal sein kann. Genauso wie die Wirtschaftskrise 2008/2009 nicht in Deutschland ihren Beginn nahm, wird auch die nächste Krise ihren Ursprung wohl woanders finden. Ob in China oder nicht, ist egal. Spüren werden wir sie trotzdem auch hierzulande.

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1http://www.auswaertiges-amt.de/EN/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes/China_node.html

2http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Wirtschaft_node.html

3https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-10-06/china-property-bubble-could-cost-banks-600-billion-in-bad-debts

5http://www.snl.com/web/client?auth=inherit#news/article?id=40223698&cdid=A-40223698-11568

6https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-10-06/china-property-bubble-could-cost-banks-600-billion-in-bad-debts

8http://en.ndrc.gov.cn/newsrelease/201612/P020161207645765233498.pdf

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