Klimaschutz für Leute, die es sich leisten können? Ein Plädoyer für eine zeitgemäße Umweltpolitik

Es ist ein häufig zitiertes Spannungsfeld, viele sehen ihn ihm tatsächlich einen unüberwindbaren Widerspruch: Der Zusammenhang zwischen Ökologie und Ökonomie. Wer umweltbewusst leben will, so das Credo, müsse dafür tief in die Tasche greifen. Und in der Tat ergab eine Studie der Hochschule Pforzheim, dass gleichwertige Lebensmittel mit entsprechender ökologischer Zertifizierung im Schnitt rund 70 % mehr kosten als ihre konventionellen Äquivalente[1]. Dabei handelt es sich um einen Preisaufschlag, den nur wenige Verbraucher:innen zahlen können oder wollen.

Doch nicht alle nachhaltigen Handlungsformen sind optional: Die EEG-Umlage, die hierzulande die Energiewende auf dem Elektrizitätsmarkt forcieren soll, ist von nahezu allen Endkund:innen finanziert und seit 2010 um 231 % gestiegen. Sie macht so mittlerweile ungefähr ein Fünftel der jährlichen Stromrechnung eines Musterhaushaltes mit 4.000 kW/h Verbrauch aus[2].

Diese Beispiele lassen viele Bedenken, die Bürger:innen in Bezug auf klimafreundliches Verhalten haben, verständlicher erscheinen. Sie fühlen sich bevormundet und geschröpft. Nachhaltiger Konsum droht, zum Lifestyle der Gutbetuchten zu verkommen. Mit dem SUV in den Biomarkt zu fahren ist Sinnbild einer Entkoppelung von Anspruch und Wirklichkeit.

Diese offensichtlichen Problematiken zeichnen jedoch ein ins Düstere verfälschtes Bild. Tatsächlich liegt es in der Macht eines:r Jeden, tagtäglich bewusst eine dem Planeten gegenüber freundlichere Verbrauchsgewohnheit zu etablieren. Oftmals sind es allerdings auch verfehlte politische Weichenstellungen, die übermäßige Ressourcennutzung begünstigen.

Im Folgenden werden daher Lösungsvorschläge für die besonders energieintensiven Bereiche der Ernährung, des Individualverkehrs und der Heizung unserer Gebäude präsentiert.

 

Ernährung

Auf den ersten Blick scheint die obig erwähnte Studie, wenig Hoffnung auf eine erschwingliche nachhaltige Ernährung zu lassen. Doch der Weg in den Biomarkt ist nicht die einzige Variante, die eigene Essgewohnheit umweltfreundlicher zu gestalten. Einer der größten Faktoren, der die Energiebilanz von Lebensmitteln in die Höhe treibt, ist ihr zurückgelegter Transportweg. Über zwei Drittel aller auf dem deutschen Markt verkauften Bio-Zucchini werden aus anderen Nationen importiert[3]. Diese vielen Kilometer, die auf See, Straße oder Schiene zurückgelegt werden, sorgen für hohen Energieaufwand und dementsprechende Emissionen. Für Äpfel wurde im Environmental Science and Pollution Research eine Studie[4] veröffentlicht, die sogar eine halbjährige Lagerperiode der heimischen Frucht einkalkuliert, zu dem Ergebnis kommt, dass aus Neuseeland importierte Äpfel im Vergleich zu deutschen einen 27% höheren Energieaufwand benötigen, um den:die hiesige Konsument:in zu erreichen. Aufgrund der häufigen Verwendung von fossilen Energieträgern beim Import von Nahrungsmitteln ist die Emissionsbilanz für diese Nahrungsmittel sogar noch verheerender: Der CO2-Ausstoß für Importware steigert sich um den Faktor elf, es werden sogar 28-mal so viele Stickoxide freigesetzt[5] wie bei inländischen Produkten. Daraus lässt sich schließen, dass auch der Einkauf regionaler Produkte die Umwelt entlastet und der Griff ins Bioregal nicht die einzige Methode hierfür ist. Und nebenbei wird auf diese Art und Weise die örtliche Landwirtschaft gestärkt.

Doch nicht nur die Herkunft der Lebensmittel entscheidet über ihre Energiebilanz, von elementarer Bedeutung ist schlicht auch, was man isst. Schon 2012 machte der WWF darauf aufmerksam, dass ein einziger fleischfreier Tag in der Woche sämtlicher Bundesbürger:innen bedeutend geringere Treibhausgasemissionen mit sich brächte: Neun Millionen Tonnen CO2 und andere klimaschädliche Gase, also umgerechnet etwa 75 Milliarden PKW-Kilometer würden die Umwelt nicht mehr belasten[6]. Jedoch liegt es nicht nur an den Verbraucher:innen alleine, dass Fleisch günstig und in Mengen allgegenwärtig ist: Mit über einer Milliarde Euro wird hierzulande die intensive Massentierhaltung subventioniert[7]. Würde hingegen der reale Gegenwert für derartige Produkte verlangt wären viele Verbraucher:innen wohl eher bereit, weniger Fleisch zu sich zu nehmen. Darüber hinaus könnte durch eine sinnvollere Subventionspolitik eine Stärkung kleinerer und mittelgroßer Betriebe erreicht werden und so das jetzig vorherrschende Mantra „Wachse oder Weiche“[8] in der Landwirtschaft bekämpft werden. Bedenkt man nun noch, dass der jetzige Fleischkonsum in seinen üblichen Mengen nicht nur der Umwelt, sondern auch der eigenen Gesundheit in eklatantem Maße Schaden zufügt[9] erscheint die momentane Förderungsvergabe hochgradig unvernünftig.

Ein grundsätzlich vernachlässigter Faktor bei der Auswahl der Lebensmittel ist ihre Saison. Nur im unter hohem Energieaufwand betriebenen Gewächshaus können die einzelnen Obst- und Gemüsesorten das ganze Jahr über frisch produziert werden. So emittiert beispielsweise der Anbau von Bohnen im Treibhaus jedoch knapp 29 mal so viel CO2 wie ihr Freilandanbau[10]. Informationen über die Erntezeitpunkte der unterschiedlichen Produkte bieten vielfach erhältliche Saisonkalender[11].

Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass sowohl auf der persönlichen Ebene als auch durch die Politik eine nachhaltige(re) Ernährung erreicht werden kann. Der Griff zu saisonalen und regionalen Produkten sowie gelegentlicher Fleischverzicht in Kombination mit einer zeitgemäßen Subventionspolitik, die kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe statt industrieller Massentierhaltung fördert, kann viel erreichen.

 

Verkehr

Knapp ein Fünftel der deutschen Treibhausgasemissionen stammt aus dem Verkehr. Eine Besonderheit dabei: Dieser Sektor ist der einzige, der im Vergleich zu 1990 sogar noch gestiegen ist[12]. Dabei kommt es zu dem paradoxen Effekt, dass die Verkehrsmittel zwar immer effizienter, aber auch mehr genutzt werden[13]. Dies erklärt sich dadurch, dass der technische Fortschritt durch immer höhere gesellschaftliche Mobilitätsanforderungen egalisiert wird. Die Zahl der Pendler:innen, die es weiter als 25 km vom Wohn- zum Arbeitsort haben, ist seit 1996 um über 28 % gestiegen[14]. Aber auch der Straßengüterverkehr hat bedeutend zugenommen[15], der innereuropäische Binnenhandel macht es möglich.

Diese Entwicklungen kann niemand zurückdrehen. Die Frage muss daher lauten, welche Energieträger die größere Mobilität von Menschen und Gütern befeuern. Als Mutterland des Automobils gehört Deutschland traditionell zu den konservativen Stimmen in der internationalen Politik. Die Lobbyarbeit der Industrie, die vor allem bei Entscheidungsträger:innen der Union auf fruchtbaren Boden stößt, verhinderte in der Vergangenheit beispielsweise strengere Abgasnormen auf europäischer Ebene[16]. Diese Fortschrittsverhinderung droht, sich nun zu rächen: Die Ursprungsnation der individuellen Massenmobilität ist auf dem Zukunftsmarkt der E-Mobilität abgehängt, es fehlt sowohl an vernünftigen Produkten zu angemessenen Preisen als auch an der entsprechenden Nachfrage[17]. Die flächendeckende Elektrifizierung unseres Transportwesens ist maßgeblich durch zweierlei Engpässe eingeschränkt: Zum Einen fehlt es an einer standardisierten und landauf wie landab verfügbaren Ladeinfrastruktur[18], zum Anderen sind die verbauten Energiespeicher schlicht zu teuer[19].

Diese Schlüsselprobleme kann eine verantwortungsbewusste Politik nicht mehr einer Lösung des freien Marktes überlassen. Einheitliche Handystecker wurden durchgesetzt[20], jetzt sind die Autos dran. Starkstromnetze gibt es im gesamten Land. Der Zugang zu ihnen ist nötigenfalls auch durch staatliche E-Tankstellen zu gewährleisten. Es muss zudem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe werden, zukunftsorientiert und zielstrebig Energiespeicher zu entwickeln, sowie ihren Absatz zu fördern. Damit ließe sich gleichzeitig auch das zentrale Problem der Energiewende auf dem Elektrizitätsmarkt angehen: Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne sind zwar reichlich vorhanden, können jedoch selten kontinuierlich genutzt werden. Mit entsprechend dimensionierten Stromspeichern könnte auch tagsüber generierte Solarenergie abends das Licht und den Fernseher betreiben. Der überspitzt-kritische Slogan „Elektroautos haben ihren Auspuff nur woanders“[21] würde zudem durch einen größeren Anteil regenerativer Energien am Strommix entkräftet. Gleichwohl dürfen die Kosten hierfür nicht wie bisher vornehmlich von den privaten Verbraucher:innen getragen werden[22]. Vielmehr ist der Staat in der Pflicht, durch die EEG-Umlage entstandene Überschüsse und Mehreinnahmen[23] ihrem ursprünglichem Zweck zurückzuführen und Deutschland wieder zum Innovationsstandort der Weltspitze zu machen.

 

Heizung

Rund drei Viertel des Energiebedarfs von Privataushalten besteht aus Raumwärme[24]. Damit gibt es in diesem Sektor ein enormes Einsparungspotenzial. Die Herangehensweise, um das Ziel zu erreichen ist bisher jedoch fragwürdig. Ein häufiger Vorwand für Luxussanierungen von Mietwohnungen und damit einhergehende Gentrifizierung ist die gesetzlich privilegierte Wärmedämmung[25]. Hierbei wird eine uns alle angehende Aufgabe auf die Schultern der schützenswertesten Mitglieder unserer Gesellschaft abgewälzt. Einseitig die Vermieter:innen begünstigend wird ein privatrechtliches Instrument geschaffen, der Staat stiehlt sich aus seiner Verantwortung.

Statt also Anreize für eine diskriminierende Problemlösung im Kleinen zu setzen ist es an der Zeit, groß zu denken. Ein Ansatz, Gebäude zeitgemäßer zu erwärmen liegt dabei unter unseren Füßen: Die Geothermie bietet die Chance, über die Hälfte, der bundesweit benötigten Heizenergie zu liefern — und das weitestgehend klimaneutral[26]. Freilich ist auch diese Technik nicht risikofrei, Bodensenkungen und Mikroerdbeben waren schon im Zusammenhand mit Bohrungen zu verzeichnen[27]. Dies ist allerdings kein Grund, gänzlich auf geothermische Wärmeerzeugung zu verzichten. Vielmehr ist sie behutsam und auf weitreichenden Forschungsergebnissen fundiert auszubauen. Dies ist in privater Hand nicht eindeutig zu gewährleisten. Wiederum bedarf es eines staatlichen Vorgehens, das zunächst konsequent Forschungsvorhaben fördert. Dann, aber auch erst dann, wenn sichere Standorte für die Nutzung der natürlichen Wärme der Erde gefunden sind, bietet die Geothermie warme Wohnungen mit gutem Gewissen.

In der Zwischenzeit sind auch Lösungen wie eine energetische Sanierung von Altbauwohnungen probates Mittel, um den Ressourcenhunger zu lindern. Jedoch braucht es hierbei Bedacht und Augenmaß, um sozial unfaire Auswüchse zu verhindern. Als ersten Schritt sollte den Vermieter:innen bei Modernisierungen die Verteuerung der Wohnungen durch gleichzeitig durchgeführte aufwertende Maßnahmen verboten werden. Zudem bedarf es einer Schlichtungsstelle, an die sich alle Parteien zur Konfliktlösung wenden können.

 

Fazit

Der Klimawandel geht uns alle an, niemand bleibt vor seinen Folgen gefeit. Kleine Schritte in die Richtung eines nachhaltigeren Konsums kann ein:e Jede:r von uns täglich gehen. In Anbetracht der Dimension des Problems bedarf es bloß auch eines beherzten staatlichen Agierens. Das ist nicht nur unsere moralische Pflicht gegenüber den Erdenbürger:innen, die am härtesten von den immer extremeren klimatischen Bedingungen betroffen sind. Außerdem ist es zwingend notwendig, um die Zukunftsfähigkeit des Industrie- und Innovationsstandorts der Bundesrepublik zu sichern. Bei allem Mut zum Umbruch muss allerdings auch die soziale Fairness in der Veränderung beachtet werden. Die Grünen haben gerade zwei Realos an die Parteispitze gewählt[28]. Es ist daher zu erwarten, dass sie gerade bei Besserverdienenden auf Stimmenfang gehen werden. Somit liegt es mehr denn je an uns Sozialdemokrat:innen, nachhaltiges Verhalten für alle zu ermöglichen und zu fördern. Das schulden wir den kommenden Generationen.

 

[1] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/2015/01/OekologischerKonsum_012015.pdf?__blob=publicationFile

[2] https://www.verivox.de/eeg-umlage/

[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/uebermorgen/bio-industrie-sind-regionale-bio-lebensmittel-nachhaltiger-a-1082571.html

[4] https://link.springer.com/article/10.1065/espr2005.05.252

[5] http://nachhaltig-sein.info/privatpersonen-nachhaltigkeit/wirkung-von-lebensmittel-transporten-auf-umwelt-infografik

[6] http://www.wwf.de/?id=8793

[7] http://www.taz.de/!5113177/

[8] https://www.traktorpool.de/blog/allgemein/strukturwandel-in-der-landwirtschaft-wachse-oder-weiche/

[9] https://www.ugb.de/ernaehrungsberatung/fleisch-wie-viel-ist-gesund/?fleisch-purine

[10] https://www.bzfe.de/inhalt/saisonzeiten-bei-obst-und-gemuese-3130.html

[11] https://www.bzfe.de/_data/files/3488_2017_saisonkalender_posterseite_online.pdf

[12] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/daten-zur-umwelt-zeigen-verkehr-beim-klimaschutz

[13] https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/emissionen-des-verkehrs#textpart-1

[14] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/70404/umfrage/pendler-nach-entfernung-zwischen-wohnung-und-arbeitsstaette/

[15] https://www.verkehrsrundschau.de/nachrichten/strassengueterverkehr-waechst-um-2-8-prozent-1616453.html

[16] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutschland-gegen-strengere-co-grenzwerte-das-dreisteste-was-ich-in-acht-jahren-bruessel-erlebt-habe-1.1707369

[17] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/elektromobilitaet-deutschland-hinkt-deutlich-hinterher/19199348.html

[18] http://www.zeit.de/mobilitaet/2016-10/elektromobilitaet-elektroautos-strom-aufladung-infrastruktur

[19] https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/2814-rtkl-elektromobilitaet-was-elektroautos-so-teuer-macht

[20] http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/handy-ladegeraete-eu-parlament-legt-einheitlichen-standard-fest-a-958491.html

[21] https://fdpovksn.wordpress.com/2017/09/14/elektroautos-haben-den-auspuff-nur-woanders/

[22] http://iwr-institut.de/de/presse/presseinfos-energiewende/erneuerbare-energien-werden-subventioniert-staat-zahlt-keinen-cent

[23] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/steuereinnahmen-eeg-umlage-hat-dem-staat-milliarden-eingebracht-12092743.html

[24] https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/energieverbrauch-nach-energietraegern-sektoren

[25] http://www.taz.de/!5068389/

[26] http://www.sueddeutsche.de/wissen/geothermie-unter-unseren-fuessen-1.3747216

[27] https://www.planet-wissen.de/technik/energie/erdwaerme/pwiechancenundrisikendergeothermie100.html

[28] https://www.tagesschau.de/inland/gruene-vorsitz-105.html

 

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