„Manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein illtum!“

Die auf den ersten Blick etwas befremdlich wirkende Überschrift dieses Blogbeitrags ist eigentlich ein Gedicht des österreichischen Lyrikers Ernst Jandl. Da man, sofern man dem Poeten und Philosophen Novalis Glauben schenken mag, „in Märchen und Gedichten erkennt die wahren Weltgeschichten“, bietet diese Strophe einen humoristischen Einstieg in ein recht ernstes und umstrittenes Themenfeld mit brandaktuellem Bezug: Extremismus und Extremismustheorie.

In der Tat wurde schon sehr lange nicht mehr so intensiv über die Vergleichbarkeit von „links“ und „rechts“ in ihren extremen Ausprägungen debattiert, wie nach der Gewalteskalation während des G20-Gipfels. Es ist wieder Mode geworden fälschlicherweise Rechte und Linke – wie in Jandls Versen pointiert angedeutet – für nicht verwechselbar zu halten und in ihrem Gefahrenpotential für unseren freiheitlich und demokratisch verfassten Staat als gleich zu interpretieren. Die meisten Linken haben vermutlich schon von einem sich selbst für besonders differenziert und aufgeklärt haltenden Menschen diesen oder einen ähnlichen Satz gehört: „Links und Rechts, das sind für mich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ich selbst bin ja in der Mitte“ Die Reaktionen auf solch banale Plattitüden sind oftmals eher defensiv. Meistens wird damit argumentiert, dass sich beispielsweise linke Gewalt eher gegen leblose Objekte richte, wohingegen Nazis Asylantenheime abfackeln und Menschen mit Migrationshintergrund physisch zu Leibe rücken würden. Eigentlich eine recht dünne und unbefriedigende Argumentation und zwar deswegen, weil sie nur an der Oberfläche bleibt und nicht die dahinterstehende Prämisse angreift, nämlich die Extremismustheorie.

Was verstehen wir aber unter dieser dubiosen Theorie, deren verwirrte Anhänger*innen neuerdings aus Talkshows stürmen oder „Konzerte gegen links“ fordern. Die Extremismustheorie ist eine sehr deutsche Theorie, die im Zeichen des Kalten Krieges entstand und letztlich politische Strömungen vereinfacht und eindimensional darstellt: „linksextrem – linksradikal – links – Mitte – rechts – rechtsradikal – rechtsextrem“ ist die Einteilung, in die komplexen Weltanschauungen gepresst werden.

Die Mitte ist dabei das normativ Gute und die beiden Extremata sind gleichermaßen bedrohlich für die FDGO (freiheitlich-demokratische Grundordnung). Dieses Modell ermöglichte den konservativen Politikwissenschaftler*innen der frühen Bundesrepublik den eigenen, als „politischen Mitte“ definierten, Standpunkt als den „guten“ darzustellen und ihre linken Widersacher*innen als systemfeindliche Elemente zu diffamieren. Dieses Modell hat sich leider auch nach Beendigung des Kalten Krieges gehalten. Dabei ist seine Wissenschaftlichkeit hoch umstritten.

Zum Einen lässt sich als Argument gegen diese Darstellung ihre Unterkomplexität vorbringen. Natürlich gehen wir von menschlichen Individuen aus, deren politisches Selbstverständnis sich nicht in solch schmale Kategorien pressen lässt. Jedoch muss man diesem Zusammenhang zwangsläufig vereinfachen, da man sonst politische Ausrichtungen gar nicht mehr kategorisieren könnte.

Schwerwiegender ist allerdings das Versagen dieser Theorie, wenn man das Handeln einzelner Akteure begreiflich machen will. Was nutzt es uns zu wissen, dass z.B. Hitler und Stalin beide Extremisten waren, wenn wir deren Motivation erfahren wollen? Sie waren zwar beide große Verbrecher aber nicht „zwei Seiten der gleichen Medaille“, denn ihre motivierende Ideologie hatte komplett andere Hintergründe und Vorraussetzungen. Selbst der erzkonservative, rechtslastige Historiker Ernst Nolte hielt an einer Verschiedenheit des „Klassenmordes der Bolschewiki“ unter Lenin und Stalin und des „Rassenmordes der NS-Faschisten“ unter Hitler fest. Wir können Extremismus und dessen Manifestation in Formen totalitärer Herrschaft nur begreifen, wenn wir auf seiner qualitativen Unterschiedlichkeit bestehen.

Ganz abgesehen davon, dass wir unser Verständnis der Politik durch die Extremismustheorie nicht erweitern können, bedeutet die durch sie implizierte Vergötterung der „Mitte der Gesellschaft“ ein großes Maß an Geschichtsvergessenheit. 17.277.180 Stimmen erhielt die NSDAP bei den entscheidenden Reichstagswahlen 1933. Waren das alle bis in den Kern überzeugte Rechtsextremist*innen? Nein, es waren Facharbeiter*innen, Angestellte, Fabrikant*innen und Hausfrauen, also die damalige „Mitte“ der Gesellschaft. Wenig später stimmten die liberalen und konservativen Parteien der „Mitte“ für das Ermächtigungsgesetz Hitlers und ermöglichten die Schreckensherrschaft des NS-Faschismus. Wir sehen also: die „Mitte“ ist weder per se demokratisch, noch normativ gut.

Für diese plakativen Ausführungen würde mir vermutlich so manch ein*e Lehrstuhlinhaber*in im Fachbereich der Politikwissenschaft den Kopf abreißen. Aber ich hoffe drei zentrale Mängel der Extremismustheorie konnten als Rüstzeug für kommende politische Diskussionen dargestellt werden:  Unterkomplexität, der Versuch unvergleichbares miteinander zu vergleichen und die Idealisierung einer nur schwer bestimmbaren politisch-gesellschaftlichen Mitte.

 

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