Der „Gottkanzler“ hat (nicht) immer recht!

 

Auch ich bin schon lange auf den Schulzzug aufgesprungen und  glühender Verehrer der neuen Lichtgestalt am Himmel der deutschen Sozialdemokratie. Ich erinnere mich noch gut an den politischen  Aschermittwoch 2014 in Vilshofen, an dem ich Martin Schulz live sprechen hörte, er führte damals noch eher ein politisches Schattendasein in Brüssel, seine flammenden Worte für ein geeintes Europa und gegen neurechten Spuk und neoliberales Spardiktat beeindruckten mich und viele andere trotzdem auch damals schon. Nun, gut drei Jahre später erlebe ich den Schulzeffekt tagtäglich. Seit Bekanntgabe seiner Kandidatur spüre ich, wie eine unglaubliche Energie plötzlich die Partei vom kleinsten Ortsverein bis hoch in den Bundesvorstand durchströmt. An meiner Fakultät haben mich die letzten Wochen viele Kommiliton*innen angesprochen, sie würden nun zum ersten Mal in ihrem Leben SPD wählen, spielten mit dem Gedanken beizutreten oder hätten diesen Schritt gar schon vollzogen. Mit so manch einem konservativen Widersacher innerhalb der Reihen der Jusos bin ich mir nun endlich zumindest in einem Punkt einig: Martin Schulz muss im September Bundeskanzler werden.

 

Doch trotz all dieser Euphorie, der neu gewonnenen Geschlossenheit und der festen Entschlossenheit den Wahlsieg zu erringen, komme ich an dieser Stelle nicht darum herum, einige mahnende Worte zu verlieren.  Es scheint mir nämlich so zu sein, dass einige junge Genoss*innen, die neu in die SPD eingetreten sind oder einige Jahre vor der Menschwerdung Schulz‘ als Gottkanzler eintraten, noch kein kritisches Denken gegenüber der Sozialdemokratischen Partei, ihren Autoritäten und ihren Leitungsgremien entwickelt haben. Wenn man Genoss*innen sekündlich schmachtende Tweets über Martin Schulz veröffentlichen oder im Minutentakt Memes, die den Genossen Martin Schulz in Heldenpose zeigen, über Facebook verbreiten sieht, ist das nicht tragisch, ich selbst neige zuweilen auch zu solchen Velleitäten und Pharisäismen. Allerdings scheinen die gemeinten Genoss*innen völlig zu vergessen, dass beispielsweise die angekündigten Änderungen an der Agenda 2010 weit hinter unserer Beschlusslage zurückbleiben, dass der neoliberale Ungeist der verlogenen Parole „Fördern und Fordern“ in ihnen teilweise weiter besteht.

 

Für meinen Teil fand ich es immer toll, in einer Jugendorganisation zu sein, die sich nicht aus hirnlosen Plakatkleber*innen und Jubelperser*innen zusammensetzt, wie bei den Jungen Liberalen oder der Jungen Union zu finden, sondern in der auch ein kritischer, rebellischer Geist lebt.  Gerade in diesen Tagen wäre eine intensive Auseinandersetzung mit der Partei und ihrer Positionierung wichtiger denn je. Durch die vielen neuen Mitglieder, durch die hohe Energie und die Offenheit unseres Kanzlerkandidaten böte sich nun die Chance, die SPD nach links zu treiben und wieder zu dem zu machen, was sie war, sein sollte und werden muss: Eine linke Volkspartei, die die Werte des demokratischen Sozialismus verkörpert. Damit diese programmatische Wende gelingen kann, wird es auch das eine oder andere Mal nötig sein, dem geschätzten Genossen Schulz zu widersprechen und unsere Juso-Positionen hart auf allen Ebenen der Partei zu vertreten. Wir müssen klar machen, dass es eine tolle Sache ist, wie „der Schulzzug ohne Bremsen ins Kanzleramt fährt“, er muss allerdings auch in die richtige Richtung fahren bzw. die entsprechenden Stationen durchlaufen.  Wer in diesem Zusammenhang jeden Ansatz von Kritik als unsolidarisch abtut und beim „Schulz-Hype“ in den sozialen Netzwerken stehen bleibt, muss sich eine Sache immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir Jusos müssen gegenüber der Mutterpartei immer beides sein, solidarisch und kritisch.

Vorheriger PostWarum nicht nur Bad Aibling, sondern jede Stadt eine Max-Mannheimer-Straße braucht: Nächster Post Chancengerechtigkeit bei Bildung – eine Utopie?