Im Zwiespalt mit dem Glauben

Bleibt niemandem etwas schuldig, abgesehen von der Liebe, die ihr einander immer schuldig seid. Denn wer den anderen liebt, hat damit das Gesetz Gottes erfüllt. Die Gebote gegen Ehebruch, Mord, Diebstahl und Begehren sind – wie auch alle an­deren Gebote – in diesem einen Gebot zusammengefasst: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Die Liebe fügt nieman­dem Schaden zu; deshalb ist die Liebe die Erfüllung von Gottes Gesetz. (Römer 13:8-10)

Wenn ich diese Worte in der heiligen Schrift lese, frage ich mich zurzeit immer öfter: Lese ich meine Bibel falsch oder habe ich alles in meinem Glauben falsch verstanden?

In unseren Medien wird von der Radikalisierung des Islams gesprochen und davon, dass der Koran von Muslim*innen falsch interpretiert wird. Wer spricht über die falsche Interpretation der Bibel? Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Polen leeren sich bei uns immer mehr die Kirchenbänke, aber trotzdem sind viele noch Mitglied der Kirche und berufen sich gerne auf ihre christlichen Werte, die man und frau unbedingt schützen muss vor der Islamisierung unseres Staates. Sie nutzen ihre Religion und stellen sie als eine Bessere hin als den Islam.

Sollten diese Menschen nicht erstmal über sich selbst und ihren Glauben nachdenken? Ein Mitglied der Kirche zu sein bedeutet nicht gleichzeitig die Normen und Werte Gottes zu leben und zu verstehen und meiner Meinung nach auch nicht, gläubig zu sein. Sich an Ostern und Weihnachten in der Kirche blicken zu lassen, weil das nun mal Tradition ist, bedeutet auch nicht, dass man nun stolz sein kann. Die AfD baut ihre Kampagnen auf den christlichen Grundwerten auf. Die CSU hält gerne ihr Christlich aus dem Namen nach oben. Wenn sie sich selbst so lieben, wie sie andere behandeln, muss man und frau mit ihnen Mitleid haben. Nach meinem Verständnis hat dies aber nichts mit dem obersten Gebot der Bibel zu tun, welches im Anfangszitat dargestellt wird. Liebe fügt niemandem Schaden zu. Vielleicht sollte man den AfD-Mitgliedern einfach ein paar mehr Umarmungen geben und auf den Konferenzen Bibelstunden geben, damit sie das wirklich Christentum für ihre Politik nutzen können. Eine Religion der Liebe für Hass, Diskriminierung und Freiheitseinschränkungen zu nutzen, ist für mich unerklärlich und als offene Gläubige verletzend.

Für mich selber war der Glaube, wie für viele andere, immer ein Auffangnetz. Ich habe mich bewusst entschieden, mich taufen zu lassen und zur Kommunion und Firmung zu gehen. Ich habe mich bewusst entschieden auf eine kirchliche Schule zu gehen. Ich habe mich mit meinem Austritt aber auch bewusst gegen die Institution der Kirche entschieden. Damit habe ich nicht meinen Glauben aufgegeben, aber für mich gab es nicht mehr die Möglichkeit, eine tolerante, offene Sozialdemokratin und Mitglied der Kirche zu sein.

Das Gebäude Kirche ist für mich noch ein Rückzugsort, an dem frau Kraft sammeln kann, beten und eine Kerze für andere anzünden. Pädophilie, Vergewaltigungen und daraus entstehend zerstörte Leben der Opfer ist für mich gegen den Glauben und gegen Menschlichkeit. Eine Institution, die ein Moralkompass für Millionen von Menschen sein will, muss sich dies auch verdienen. In Deutschland sollen sich mindestens 1670[1] Kleriker (Dunkelziffer soll höher sein) von 1946 bis 2014 an 3677 Mitgliedern vergangen haben. Mehr als die Hälfte von den Opfern waren unter 13. Jahre alt. Meistens wurden die Täter nur an andere Orte verwiesen, ohne Konsequenzen. Bis heute wurde den Meisten noch keine Verhandlung gegeben und wenn, waren die Folgen minimal. Die Geschichten sind immer wieder in den Medien, trotzdem glauben die Meisten noch mit Stolz sagen zu können: Ich bin Mitglied der katholischen Kirche.

Der jetzige Papst Franziskus betitelt Homosexualität als Modeerscheinung. Eine einfache Begründung für homophobe Menschen ihren Hass weiterzuleben, denn der Vertreter Gottes ist ja ihrer Meinung. Er verbreitet damit nicht Liebe, sondern unterstützt Personen, die Hass verbreiten.

Der Männerladen Kirche muss reformiert werden. Die Doppelmoral muss gestoppt werden. Keine Religion darf für Ausgrenzung, Anschläge oder Propaganda genutzt werden. Glauben soll für jeden und jede da sein. Wir sind es Gott/Allah/Jahwe/Buddah… schuldig, dass auf dieser Erde wieder Liebe verbreitet wird und die Liebe unsere Entscheidungen beeinflusst. Wir glauben alle an etwas. Etwas was uns helfen soll, in der Dunkelheit des Elends der Erde ein wenig Licht zu sehen. Kein Gott ist perfekt. Keine heilige Schrift ist perfekt. Aber in jedem Glauben ist eines der wichtigsten Gesetze, die Liebe zu sich selbst und zu anderen. In meinem katholischen Glauben bin ich mir aber sicher, dass mein Gott damit nicht meinte nur bestimmte Menschen, sondern jeden Einzelnen und jede Einzelne.

Liebe AfD, CSU, bitte hört auf meinen Glauben zu missbrauchen! Liebe Kirche, lieber Papst, es sind neue Zeiten angebrochen! Liebe Menschheit, Lieben fügt niemanden Schaden zu!

 

 

[1] MHG-Studie, Forschungskonsortium Uni Mannheim, Heidelberg, Gießen

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