Lasst sie leiden – und umdenken!
2018 ist ohne jeden Zweifel ein besonderes Jahr. Die Pro-GroKo-Entscheidung der SPD-Mitglieder, der Rücktritt vom Rücktritt Seehofers, das frühe WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft und jetzt – nun, jetzt dominiert ausnahmsweise mal wieder das Wetter die Schlagzeilen. Zu heiß, zu trocken und ab und an ziehen donnernde Gewitter auf. Das Wetter, ausgerechnet jenes leidige Thema, welches beim Smalltalk nicht fehlen darf, spielt augenscheinlich verrückt und zeigt uns, dass Klimawandel nun wirklich keine leere Hülle von Begrifflichkeit ist, sondern ein real existierendes Phänomen unter dem andere Teile der Welt bereits deutlich länger und deutlich intensiver leiden müssen. Und während die derzeitigen Temperaturen in vielen Büros und Produktionsstätten für helle Aufregung sorgen und der Wunsch nach einer Klimaanlage wohl jeder Person derzeit innewohnt, gibt es eine Branche, welche erklärtermaßen besonders betroffen ist – die Landwirtschaft. Es drohen Ernteausfälle, wie sie Deutschland seit langer Zeit nicht mehr erleben musste. Manche Betriebe sprechen bereits von über 50% Ertragsausfall, die Getreideernte wird auf nicht einmal mehr 40 Tonnen prognostiziert – weit unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre von rund 47 Tonnen. Auch Mais, Futtergerste und andere Saatgüter leiden unter der sengenden Hitze. Schlimme Nachrichten auch für alle Pommes-Liebhaber*innen: die Kartoffeln wachsen dieses Jahr äußerst schlecht.
Unter diesen Voraussetzungen erscheint der Ruf nach staatlicher Unterstützung, bestenfalls in Milliardenhöhe, verständlich und logisch. Der Bauernverband als größte Lobbyorganisation der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt die Politik in die Verantwortung, sie solle die Ausfälle und den damit verbundenen wirtschaftlichen Schaden abschwächen, im besten Fall ausgleichen. Schnell werden Vergleiche mit Umweltkatastrophen wie Hochwassern angestellt – auch da gäbe es ja meist unkomplizierte staatliche Unterstützung – und die derzeitige Dürreperiode mag in den Augen der Betroffenen wirklich wie eine Katastrophe wirken. Was also macht die Politik? Sie zeigt sich erstaunlich offen für finanzielle Beihilfen. Während die Gräben bei vielen Themen, insbesondere wenn sie auch nur im entferntesten mit Migration verknüpft werden können, tiefer nicht sein könnten, scheint die geforderte Entlastung der Landwirtschaft bereits ausgemachte Sache zu sein. Die Lobbyarbeit insbesondere des Bauernverbandes wirkt jedoch noch weiter. Denn nicht nur mit Geld soll geholfen werden: Auf den Ausgleichsflächen, welche, um die Bodenbelastung zu reduzieren, nicht beackert werden dürfen, soll den Landwirt*innen der Anbau erlaubt werden – der Umweltschutz wird also (wieder einmal) geopfert um die Erträge der Betriebe sicherzustellen. Die Maßnahmen, welche nun ergriffen werden sollen, schießen an der eigentlichen Problematik allerdings weit vorbei: Landwirtschaft in ihrer aktuellen Form in Deutschland kann nicht funktionieren. Ohne staatliche Subventionen im Allgemeinen wären die meisten Betriebe generell nicht überlebensfähig. Rund 40% der Erträge stammen laut Schätzungen aus Subventionen, werden also gezahlt, bevor auch nur ein einziger Samen gesät und ein einziges Tier gefüttert wird. Dieser Umstand ist umso problematischer, als der Trend zu immer größeren Betrieben geht: Während der Anteil der Betriebe mit über 100 Hektar Nutzfläche bei nur 13% liegt, vereinen diese mittlerweile über 59% der gesamten Nutzfläche auf sich. Zúm Vergleich: Fast ein Viertel der Betriebe kann nicht mehr als 10 ha vorweisen – und macht damit gerade einmal 2,2% der gesamten landwirtschaftlichen Fläche aus. Die Profiteure von Subventionen und staatlichen Hilfen indes sind, ähnlich wie in allen anderen Wirtschaftszweigen, nicht die Kleinen. Denn es wird in erster Linie nach Größe verteilt – nicht danach ob die Art zu wirtschaften nachhaltig ist oder ob gehaltene Tiere ein vernünftiges Leben führen können. Und obwohl der Anteil der Landwirtschaft am BIP bei nicht einmal 1% liegt, ist sie gleichzeitig für rund 7,2% der Emissionen im Land verantwortlich. Gerade hier zeigt sich auch die ganze Krux dieser Industrie: Während die Großbetriebe durch politische Lobbyarbeit einen Geleitschutz für ihre umweltschädigende Arbeit haben, leiden Kleinstbetriebe am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels.
Finanzielle Hilfen, wie sie wahrscheinlich kommen werden, verlagern das Problem nur weiter in die Zukunft. Es besteht kein Grund, insbesondere für große Betriebe, umzudenken – immerhin kann man sich fast sicher sein, die Politik springt im Zweifel ein. Ähnlich, wenn auch im kleineren Maßstab, wie in der Bankenkrise, nimmt man den Verantwortlichen die Last ab und bestätigt sie somit in ihrem Kurs. Notwendiger wäre in Deutschland und Europa hingegen ein drastischer, agrarpolitischer Kurswechsel. Weg von den Monokulturen auf weiten Feldern, weg von der industriellen Tierhaltung, welche in erster Linie Leid und Dreck produziert und keine schönen, zarten Filetsteaks. Dieser Kurswechsel wird allerdings nicht vom Himmel fallen, er muss politisch gewollt sein und er muss für die Betriebe die einzige Alternative zur Geschäftsaufgabe sein. Ansonsten wird sich die Landwirtschaft in Deutschland nur noch katastrophaler entwickeln: das Sterben der Kleinbetriebe wird zu immer größerer Konzentration von Flächen in den Händen weniger führen – die dank der deutschen und europäischen Subventionspolitik auch kein Interesse an wirklich nachhaltiger Arbeit entwickeln können. Der Appell an die Politik ist also klar: Streicht die angedachten finanziellen Hilfen. Lasst die Betriebe leiden – um sie stärker zu machen und ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen. Trotz aller Hitze – manche können sich nämlich freuen: Obst wächst fantastisch und gerade die Winzer*innen jubeln, denn die Ernteaussichten könnten schöner nicht sein. 2018 bietet uns erneut die Chance, umzudenken und umzusteuern – nutzen wir sie.