Brot und Spiele für das Volk

„Alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Motiven, sind mit der olympischen Bewegung unvereinbar.“

Dieses Zitat ist ein Auszug aus dem ersten Kapitel der olympischen Charta. Das klingt gut, entspricht der Olympischen Idee und man könnte meinen, dass Rassismus und Diskriminierung bei den olympischen Spielen undenkbar sind. Erst 2012 konnte sich der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge dafür feiern, dass erstmals alle Mannschaften auch mit Frauen in ihrer Aufstellung antreten. Wer sich nicht an die Olympische Charta hält, wird bestraft – entweder suspendiert oder erhält erst gar keine Akkreditierung. Eine schöne, gerechte und faire Welt, oder nicht?

Die Realität sieht leider anders aus. Selbst das damalige Apartheidregime in Südafrika – das ganz offensichtlich mit dem Ausschluss schwarzer Spieler*innen gegen die Olympische Charta verstieß – wurde erst 1964 von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Diese erkennbare Missachtung der eigenen Regeln war dadurch möglich, dass das Olympische Komitee primär aus älteren weißen Männern bestand. Aber diese Ungerechtigkeit liegt nun in der Vergangenheit – Südafrika durfte erst 1992 wieder an Olympischen Spielen teilnehmen, diesmal mit schwarzen Athlet*innen.

Die freie und gleiche Teilnahme der Sportler*innen ist zwar eine schöne Vorstellung, in der Form leider aber nicht richtig. Durch den „Doping-Skandal“ rücken andere Missstände bei den Olympischen Spielen in den Hintergrund. Die Tatsache, dass 2016 nicht alle Länder mit Männern und Frauen angetreten sind beispielsweise. Der Irak tritt mit 26 Männern und – richtig – keiner Frau an. Saudi-Arabien hat seine Frauenanzahl zwar von zwei auf vier verdoppelt, allerdings wurden bei der offiziellen Präsentation „aus Gründen der Sittsamkeit“ nur die Namen ihrer männlichen Kollegen genannt, so stolz kann man auf die weiblichen Athletinnen nicht sein.

Es ist aber auch nicht alles schlecht bei Olympia. Seit 2012 wurde beispielsweise die Kleiderordnung beim Beachvolleyball aufgehoben – Frauen müssen nun nicht mehr im Bikini antreten. Das Bild des Volleyballspiels der Frauen Deutschland gegen Ägypten hat hohe Wellen geschlagen. Auf der einen Seite die leicht bekleideten deutschen Athletinnen und auf der anderen Seite die ägyptischen Gegenspielerinnen in langärmligen Anzügen, eine sogar mit Kopftuch. Die Debatte, was denn nun besser sei und ob man sich nicht einfach freuen kann, dass beides möglich ist ging prompt los. Aber was steht im Vordergrund: Der Olympische Gedanke oder doch die Politik?

Politik war schon immer ein Teil der Olympischen Spiele. Taiwan boykottierte die Olympischen Spiele 1976 in Montreal, da sie als ‚Republik China‘ starten wollten, durch die Anerkennung der ‚Volksrepublik China‘ durch Kanada aber als ‚Taiwan‘ an den Start gehen sollten. Im gleichen Jahr schlug noch ein Boykott afrikanischer Länder hohe Wellen. Diese forderten den Ausschluss Neuseelands von den Olympischen Spielen. Der Ausschluss wurde vom IOC abgelehnt, da Neuseeland gegen keine Regeln verstoßen habe. Eine neuseeländische Mannschaft war kurz vor den Olympischen Spielen nach Südafrika gereist, um dort Rugby zu spielen. Rugby ist der südafrikanische Nationalsport und hat deswegen einen hohen Stellenwert. Zu dieser Zeit gab es ein Sportembargo gegen Südafrika aufgrund des Apartheid-Regimes. Hierbei muss man allerdings bemerken, dass neben der neuseeländischen Mannschaft, Sportler aus 26 anderen Staaten – darunter Kanada, die BRD, Sowjetrussland und Briten – auch Wettkämpfe mit südafrikanischen Sportlern austrugen.

Alle Olympischen Spiele stehen unter dem „Problemspiegel“ der jeweiligen Zeit und des austragenden Landes. In Peking 2008 drehte sich alles um die Menschenrechte, in London 2012 alles um die Sicherheit und in Sochi 2014 alles um die Lebensbedingungen und Umweltprobleme in Russland. Nach der Olympiade dreht sich die Berichterstattung noch eine Weile um das jeweilige Thema, flacht ab und verschwindet tief in den Hinterköpfen der Menschen. Wer fragt sich bei Rio denn schon, wie es wohl um die Menschenrechte, Sicherheit und Lebensbedingungen steht, wenn das Wasser an der Copacabana plötzlich grün und nicht blau ist? Die Probleme bleiben so lange im Kopf, bis etwas Neues auftaucht, mit dem man sich beschäftigen kann. Lösungen für komplexe Probleme finden ist uns zu kompliziert.

Weiterhin muss betrachtet werden, dass die Olympischen Spiele zwar ein großes Prestigeobjekt für das austragende Land und die austragende Stadt sind, diese aber mit einem großen Defizit aus den Spielen gehen. Neue Stadien müssen errichtet werden, das Olympische Dorf muss stehen und die nötigen Verkehrsmittel geschaffen werden, um schnell und flüssig hin und wieder zurück zu kommen. In unserer romantischen Vorstellung spielen danach arme Kinder in den Stadien und trainieren vielleicht sogar für eine bessere Zukunft. In Wahrheit verfallen die Bauwerke und bleiben Millardengräber. Das Geld, das bei Olympia verdient wird, fließt in die Taschen des IOCs, das gerne auch mal über eigene Regeln hinwegsieht, wenn es denn gerade passt. Das austragende Land hat noch lange mit den Schulden zu kämpfen, die durch knapp zweieinhalb Wochen Olympiade entstanden sind. Wir müssen die Olympischen Spiele als das sehen, was sie sind: Es dreht sich alles um Geld, Macht und Politik. Der Olympische Gedanke steht nur oberflächlich im Vordergrund. Diese im Grunde kapitalistischen Wettkämpfe sind genauso fair und gerecht, wie Weltmeisterschaften. Wir wollen Brot und Spiele für das Volk und nicht die Probleme, die nach einigen Wochen sowieso wieder im Vergessen versinken.

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