Das Märchen von der linken Republik

An einem kalten und grauen Herbsttag des Jahres 2014 besuchte der damalige AfD-Politiker und Ex-BDI Chef Hans Olaf Henkel eine bekannte Lokalität in meiner Wahlheimat Regensburg, um für seine Partei die Werbetrommel zu rühren. Selbstironisch, wie die Alternative für Deutschland schon damals war, fand die Veranstaltung unter dem Motto „Vernunft – Anstand – Toleranz“ statt. Man muss wissen, dass gerade die von der AfD engagierten Türsteher dazu neigen, allen Menschen die ein wenig „ausländisch“, „alternativ“ oder „links“ aussehen den Zutritt zu ihren Veranstaltungen zu verwehren. Überraschenderweise schaffte ich es, nach Teilnahme an der Gegendemo vor dem Gebäude, trotz meines Juso-Ansteckers und meiner, aus der Sicht eines Rechten (für einen Mann) sicherlich bedenklich langen Haaren, in den Saal zu kommen und den Ausführungen des Professor Henkels zu lauschen.
Aus dem Vortrag Henkels sind mir von den endlosen, selbstgefälligen Passagen über das verfehlte Krisenmanagement der Kanzlerin oder den zahlreichen, abgedroschenen „punch lines“ gegen Altparteien und Mainstream-Presse kaum etwas im Gedächtnis geblieben. Woran ich mich aber seltsamerweise genau erinnere, vielleicht, weil ich sie schon damals als ganz besonders plump und dämlich empfand, war Henkels Reaktion auf den Vorwurf bzw. die Feststellung, die AfD sei eine rechte Partei. Er meinte an jenem Herbsttag zu dieser Frage, dass seine geschätzte Zuhörerschaft den jungen Menschen, die vor der Veranstaltung demonstrierten und der AfD braunes Gedankengut vorwarfen, nicht böse sein solle, die Demonstrierenden seien nur von den Altparteien aufgehetzt und indoktriniert worden. Man selbst habe seinen Standpunkt in der „politischen Mitte“ über die letzten Jahrzehnte beibehalten, nur die Bundesrepublik sei in der gleichen Zeitspanne so dramatisch nach links gerückt, dass man heute als AfDler plötzlich rechts stünde.
Wenige Monate später trat Henkel aus der AfD aus. Begründung: Die Alternative für Deutschland sei eine „NPD-light“, man habe geholfen „ein Monster zu erschaffen“. Henkel ging aber seine fragwürdige Story von einem linken Deutschland in welchem das moderat-konservative inzwischen als rechtsextrem verpönt sei, blieb. Es vergeht heute kaum ein Tag an dem nicht irgendein AfD-Wirrkopf von der „linksgrün-versifften 68er-Republik“ ätzt. Die Erzählung der alten und  neuen Rechten, ein Deutschland, das durch die jahrelange Regentschaft linker Gutmenschen am Boden liegt, könnte aber falscher nicht sein. Ich persönlich fände es wunderbar in einer freiheitlichen, linken Gesellschaft, die sich an den Idealen der 68er-Revolte orientiert, leben zu dürfen. Leider existiert dieses Land nur in den Wahnvorstellungen rechter Kleingeister. In dem Land in dem ich aufgewachsen bin wurde durch Agenda 2010 und Rente mit 67 die Axt an den Sozialstaat gelegt. In diesem Land wurden die Finanzmärkte dereguliert, die Steuern für Reiche gesenkt und die Bundeswehr an zahlreiche Fronten in aller Welt entsandt. In diesem Land wurde das öffentliche Eigentum von Energieversorgung über Telekommunikation bis zum Postwesen rücksichtslos privatisiert und den kapitalistischen Geiern zum Fraß vorgeworfen. Es ist ein Land mit einer Zwei-Klassen Gesundheitsversorgung, ein Staat der sich nicht überwinden kann homosexuellen Menschen die Ehe, geschweige denn das Adoptieren von Kindern zu ermöglichen. Eine Gesellschaft die ohne Vorbehalte das Asylrecht sukzessive aushöhlte und half, das Mittelmeer in einen Friedhof für fliehende Menschen zu verwandeln. Diese Liste ließe sich leider endlos fortführen und jedem aufgeklärten Menschen müsste klar sein, dass unser Problem nicht zu viel linke Politik ist. Aber um eigenen Rassimus, Sexismus und völkisches Gedankengut zu rechtfertigen, wird der politische Feind von AfD, PEGIDA und identitärer Bewegung in schillernden Farben gemalt.

Die Antwort auf diese Taktik der braunen Gesellen muss eine tief gehende Analyse der herrschenden Verhältnisse in unserem Land verbunden mit einer fundamentalen Kritik sein. Dazu kann und muss die Sozialdemokratie einen Beitrag leisten. Das könnte konkret heißen, dass Spitzenfunktionär*innen der SPD aufhören zweifelhafte Erfolge, wie den löchrigen Mindestlohn überzogen als Erfolg zu verkaufen oder einen gewissen Ex-Kanzler und „Genossen der Bosse“ auf Parteitagen stundenlang über seine fragwürdige Agenda 2010 salbadern zu lassen. Deutschland muss als das gezeichnet werden, was es ist: Ein Land das sozial immer stärker gespalten wird, in dem Rassismus und Hass gedeihen und dessen aktueller Wohlstand zu großen Teilen auf Kosten der europäischen Nachbarstaaten und Menschen in Entwicklungsländern geht. Das Märchen von einer „linken Republik“ muss als das entlarvt werden was es ist, eine Lüge.

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